Ein anderes Evangelium?

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Apostel Paulus (rechts mit Buch, Schwert und Halbglatze) und Markus. Eine der beiden Tafeln des Diptychons (Die vier Apostelvon Albrecht Dürer (1526) via Wikimedia Commons – public domain

 

 

Die Lage ist sehr ernst. Und sie ist es nicht erst seit gestern, sondern schon seit langer Zeit. Kann es sein, dass man MIT der Bibel ein ANDERES Evangelium verkündet?

Der bibelkundige Leser hat es sofort gemerkt. Der Titel ist eine Anspielung auf eine Stelle in Paulus‘ Brief an die Galater:

 

„Ich wundere mich sehr über euch. Gott hat euch doch in seiner Gnade das neue Leben durch Jesus Christus geschenkt, und ihr seid so schnell bereit, ihm wieder den Rücken zu kehren. Ihr meint, einen anderen Weg zur Rettung gefunden zu haben?

Doch es gibt keinen anderen! Es gibt nur gewisse Leute, die unter euch Verwirrung stiften, indem sie die Botschaft von Christus verfälschen. Wer euch aber einen anderen Weg zum Heil zeigen will als die rettende Botschaft, die wir euch verkündet haben, den wird Gottes Urteil treffen – auch wenn wir selbst das tun würden oder gar ein Engel vom Himmel.

Ich sage es noch einmal: Wer euch eine andere Botschaft verkündet, als ihr angenommen habt, den wird Gottes Urteil treffen!“

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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien; Bibel, Neues Testament; 1. Kapitel, Verse 6-9, in der Übersetzung der „Hoffnung für alle“; die Formulierung „anderes Evangelium“ stammt aus der Luther-Übersetzung)

 

Hatten die Galater Jesus den Rücken gekehrt und sich wieder den Vergnügungen der Welt zugewandt?

 

Ist Jesus allein nicht genug?

Das Problem war nicht, dass sich die Galater von Jesus abgewandt hätten, sondern dass nachdem Paulus die gute Nachricht vom neuen Leben in Jesus verkündet hatte, andere kamen, die gesagt haben: Jesus ist zwar der Messias, aber Jesus allein genügt nicht, sondern ihr müsst auch nach der Tora leben.

 

„Allerdings mussten wir uns mit einigen falschen Brüdern auseinander setzen, mit Eindringlingen, die sich bei uns eingeschlichen hatten und ausspionieren wollten, wie wir mit der Freiheit umgehen, die Jesus Christus uns gebracht hat. Ihr Ziel war, uns wieder zu Sklaven des Gesetzes zu machen.

Aber wir haben ihnen nicht einen Augenblick nachgegeben und haben uns ihren Forderungen nicht gebeugt; denn die Wahrheit, die uns mit dem Evangelium gegeben ist, sollte euch unter allen Umständen erhalten bleiben.“

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(Galaterbrief 2,4-5)

 

„Biblisch an Jesus glauben“

Das Problem der Galater damals scheint mir sehr ähnlich zu sein zu dem Problem, das wir schon seit langem in der Christenheit haben. Vielleicht ist es im Wesentlichen sogar dasselbe. Der Glaube an die Bibel ist an die Stelle des Glaubens an Jesus getreten. Jesus wird „verpackt“ in der Bibel und nur wer „biblisch“ an Jesus glaubt, wird gerettet.

 

„Bevor uns Gott diesen Weg des Glaubens geöffnet hat, waren wir unter der Aufsicht des Gesetzes in das Gefängnis der Sünde eingeschlossen. Das sollte so lange dauern, bis Gott den vertrauenden Glauben als Weg in die Freiheit bekannt machen würde,  und das heißt: bis Christus kam.
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So lange war das Gesetz unser Aufseher; es war für uns wie der Sklave, der die Kinder mit dem Stock zur Ordnung anhält. Denn nicht durch das Gesetz, sondern einzig und allein durch vertrauenden Glauben sollten wir vor Gott als gerecht bestehen.
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Jetzt ist der Weg des Glaubens geöffnet; darum sind wir nicht mehr unter dem Aufseher mit dem Stock.“
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(Galaterbrief 3,23-25)

 

Tradition oder Erfahrung? Unmittelbar oder vermittelt?

Manchmal ist der Unterschied kaum erkennbar, aber er ist dennoch fundamental. Es sind ja schließlich die biblischen Texte, aus denen wir von und über Jesus lernen. Aber es ist das UN-mittel-bare Wirken Gottes selbst durch seinen Geist, das Menschen in Jesus zu einem neuen Menschen werden lässt. Und das nicht nur am Anfang bei der Bekehrung, sondern auch danach, in einem Leben aus dem Vertrauen.

Das Leben in der Nachfolge Jesu kann sich verkehren in ein Leben nach heiligen Texten, und ein göttliches Buch, eine Heilige Schrift, kann zur Vermittler der Gnade werden. Und da die antiken, biblischen Texte nicht so leicht zu übersetzen und zu interpretieren sind, brauchen wir dann auch noch Bibellehrer, Schriftgelehrte, die uns verklickern, wie wir die Bibel richtig zu verstehen haben.

 

„Beantwortet mir nur diese eine Frage: Wodurch habt ihr den Geist Gottes empfangen? Indem ihr die Forderungen des Gesetzes erfüllt habt oder weil ihr die Botschaft des Glaubens gehört und angenommen habt?

Wie könnt ihr nur so blind sein! Wollt ihr jetzt etwa aus eigener Kraft zu Ende führen, was Gottes Geist in euch begonnen hat?“

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(Galaterbrief 3,2-3)

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Schlachtruf „Bibel!“

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„Saladin und Guy de Lusignan nach der Schlacht von Hattin in 1187“ von Said Tahsine (1904-1985 Syrien) via Wikimedia Commons – public domain

 

Im Mittelalter wurden Kriege im Zeichen des Kreuzes geführt. Heute taucht das Wort „unbiblisch“ mancherorts als Kampfbegriff auf; vor allem in der Auseinandersetzung zwischen Christen. Manche haben sich das Dogma von der Unfehlbarkeit der Bibel auf die Fahne geschrieben und sind ausgezogen, die Wahrheit und göttliche Autorität der Bibel zu verteidigen. Heutzutage passiert das zum Glück ohne körperliche Gewaltanwendung.

In Hamburg gab es an diesem Wochenende eine Konferenz der Initiative Evangelium21, zu der internationale Redner angereist waren, um die Autorität der Bibel zu verteidigen. In ihren Blog finden wir dazu Sätze wie diese:

„Christen sollen der Autorität der Heiligen Schrift ganz vertrauen.“

„Die Bibel ist ein zutiefst verlässliches und vertrauenswürdiges Buch, unfehlbar, heilig und göttlich.“

Das Dogma von der Unfehlbarkeit der Bibel wird wiedereinmal unkritisch mit dem richtigen christlichen Glauben an Jesus von Nazareth gleichgesetzt und die göttliche Autorität der Bibel verteidigt. Woher kommt es, dass so viele Christen mit Eifer eine Lehre verteidigen, die sich noch nicht einmal in dem Buch findet, für dessen Autorität sie sich einsetzen?

Was ist „biblisch“?

„Biblisch“ im engeren Sinne wäre einfach etwas, das zur Bibel gehört oder mit ihr zu tun hat. So könnte man z. B. sagen, dass Matthäus-Evangelium ist ein biblischer Text, weil es ja zur Bibel gehört. Es würde hingegen wegen Sinn machen zu sagen „Kriege sind biblisch“, nur weil Kriege in der Bibel vorkommen. Eher könnte man denken, dass Kriege unbiblisch sind, da es ja in der Bibel heißt: „Du sollst nicht töten!“

Wenn man anfängt, so zu denken, hat schon eine Bedeutungsverschiebung stattgefunden. Es geht nicht mehr nur darum, ob etwas sachlich mit dem Buch der Bibel zu tun hat, sondern hier wird die Bibel schon als ein Maßstab verwendet für Denken und Handeln. Das Wort „unbiblisch“ ist auch nicht der genaue Gegensatz zum Begriff „biblisch“, denn es würde z. B . komisch klingen zu sagen, Goethes Zauberlehrling wäre unbiblisch, weil der Text nicht in der Bibel steht (zumindest für meine Ohren). Hingegen könnte man durchaus sagen, dass der Zauberlehrling kein biblischer Text ist.

Unausgesprochen transportiert das Wort „biblisch“ oft, wenn es gebraucht wird, die Vorstellung, dass man Gottes Offenbarung oder seine Anweisungen für unser Leben eindeutig aus der Bibel ableiten kann. Nicht nur die Bibel selbst soll fehlerfrei sein, sondern auch die Art und Weise, wie wir sie anwenden. Es würde z. B. keinen Sinn machen zu behaupten, Alkohol trinken sei unbiblisch, wenn es widersprüchliche Aussagen dazu in der Bibel gäbe oder man dies nicht EIN-deutig von ihr ableiten könnte.

Jeder, der sich nur ein bisschen mit dem Christentum beschäftigt hat, weiß, dass es u.a. die unterschiedliche Interpretation der biblischen Texte ist, die zu einer unüberschaubaren Vielzahl von christlichen Kirchen und Gruppen geführt hat. Es drängen sich alleine schon deshalb die Fragen auf: Sprechen überhaupt alle biblischen Texte deutlich mit EINER Stimme? Wie interpretiert man sie RICHTIG? Und wie lässt sich prüfen, ob etwas richtig interpretiert worden ist?

Mich erinnern diese Überlegungen an die schier unglaubliche Fülle an Regeln für die Anwendung der Tora (5. Bücher Mose), wie wir sie im Rabbinischen Judentum finden. Wer schon einmal vor einer ungekürzten (!) Ausgabe des Talmud stand, weiß wovon ich rede. In den Evangelien lesen wir, wie Jesus selbst sich mit dieser jüdischen Tradition auseinandersetzt. (Der Talmud selbst hat so zu Jesu Zeiten noch nicht existiert, aber ein Teil davon, in mündlicher Überlieferung.)

Wir brauchen Mut liebgewonnene Traditionen aufzugeben oder zumindest ersteinmal in Frage zu stellen. Ich kann die Sorge um den Verlust wichtiger Werte verstehen. Aber ist es intellektuell redlich, wenn man an einem Konzept festhält und es verkündigt, nur weil man keine Alternative dazu sieht? Man sollte nicht eine Erklärung, die man für etwas hat, als die Wahrheit verkaufen, nur weil man keine andere Erklärung hat. Oft habe ich die Aussage gehört, dass wenn man an der Autorität der Bibel rüttelt, bleibt am Ende nichts mehr übrig. Eine Überzeugung, die ich nicht teile.

Es ist Inhalt, Qualität und Vielfalt der Texte, die mich inspirieren. Vor allem ist es das Leben und die Lehre Jesu, das mich gepackt hat. Durch die Begegnung mit ihm, wurde ich von neuem geboren. Die neutestamentlichen Texte sind die besten Zeugnisse über Jesus, die wir haben. Deshalb sind sie auch so wichtig. Es geht beim christlichen Glauben in ERSTER Linie um einen Menschen, Jesus von Nazareth (von dem wir glauben, dass er der Messias Gottes ist) und um Menschlichkeit; nicht um Texte und deren Anwendung. Alle anderen Fragen sind zweitrangig.

Es ist Not-wendig, dass wir uns von einer unsäglichen Kultur der Rechthaberei distanzieren, um uns einen frischen, heilsamen Zugang zu den biblischen Texten zu erarbeiten. Ein enges Bibelverständnis nur zu kritisieren ist allerdings etwas unbefriedigend, wenn man nicht auch Wege aufzeigt, wie die biblischen Texte heute noch Licht in unsere Dunkelheit bringen.

Das leidenschaftliche Engagement für die Wahrheit der Bibel ist oft gut gemeint, aber das alleine verhindert leider nicht, dass wir mit der Bibel Menschen schaden. Gute Absichten alleine sind nicht ausreichend, sondern wir müssen auch verstehen und brauchen eine Kultur der kritischen Distanz zur eigenen Überzeugung.

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Zeit & Stille

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Tonnengewölbe mit Gurtbögen: Abteikirche in Saint-Savin im Westen Frankreichs, by Lechat84 (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

Ein einfaches Konzept für unser gestresstes Leben.

Wir alle haben Zeit – theoretisch. Jeden Morgen neu, 24 Stunden am Tag. Wenn wir bewusst unseren Tag gestalten, unser Leben in die Hand nehmen und entscheiden, wofür wir unsere Zeit nutzen, dann haben wir die Chance, in unserem Leben zeitliche Freiräume zu schaffen für das, was wirklich wichtig ist. Noch besser wäre, wenn wir erfasst würden, von den wichtigen Fragen des Lebens selbst, getragen vom Wesentlichen, als Getriebene zu sein, von den alltäglichen Dringlichkeiten.

Der moderne Großstadtmensch findet Stille oft nur noch mit Ohren-Stöpseln. Manche suchen Stille in der Natur und auch dort hören wir das Flugzeug sich annähern und wieder entfernen. Es ist allerhöchste Zeit, in einer gestressten und reizüberfluteten Welt, dass wir in unserem eigenen Leben und in der Gesellschaft Freiräume für Zeit und Stille schaffen. Wir dürfen nicht darauf warten, dass das von alleine passiert oder es andere für uns tun – um unser selbst und anderer willen.

Vorbilder gibt es: Elija am Horeb (1. Kön. 19), Johannes der Täufer, Jesus (Mk 1,35), …

Das Motiv der Wüste taucht in biblischen Erzählungen immer wieder auf. Ein Ort der Einsamkeit, Kargheit, der Begegnung mit sich selbst, … – ein Ort der Vorbereitung.

In der Geschichte waren und sind Klöster Orte der Kontemplation. Nicht unbedingt eine gute Idee für jeden oder für alle Zeit; aber wenn man für sich selbst, für den Augenblick, eine Lösung gefunden hat, um mehr Zeit für Stille zu finden, hat man schon eine ganze Menge gewonnen.

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WORTHAUS

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Dekan Manfred Oeming
Einer der Referenten beim Worthaus-Projekt, by Manfred_Oeming (Manfred_Oeming) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)%5D, via Wikimedia Commons

Ich bin Worthaus-Fan (worthaus.org). Habe das Projekt durch eine Freundin meiner Mutter kennengelernt und bin begeistert. In den vergangenen Monaten habe ich mir schon viele Vorträge, z.T. zusammen mit anderen, im Netz angeschaut und warte immer noch darauf, dass ich mal einen Vortrag erwische, den ich nicht gut finde.  😉

Hören wir heute die Bibel noch so, wie die antiken Menschen die Texte gehört haben?

Natürlich nicht. Geht ja gar nicht. Wir haben eine andere Muttersprache und (fast) alle lesen die Texte in der Regel auch nicht in der Originalsprache. Da hängt schon eine Menge dran. Denn Sprache ist nicht nur Buchstaben, sondern ist unauflösbar mit der Kultur verbunden, in der sie entstanden ist und gesprochen wird. Jeder, der schon mal richtig eine Fremdsprache gelernt hat, weiß das. Man lernt nicht nur Wörterpaare im Wörterbuch (z.B. Englisch-Deutsch), wo man versucht passende Übersetzungen zu finden, sondern man lernt immer auch die Kultur mit. Jemand ist erst in einer ersprünglich fremden Sprache Zuhause, wenn ihm auch die Kultur vertraut ist.

Wir können selbstverständlich nicht alle mal auf die Schnelle, Hebräisch, Griechisch und Aramäisch lernen. Worthaus.org ist auch kein Sprachen-Lern-Projekt. Die Idee dahinter ist, sich der eigenen Vorstellungen bewusst zu werden, mit denen man an die Bibel herangeht, und zu versuchen die biblischen Texte so zu lesen, wie sie die ursprünglichen Adressaten gelesen haben. Ein Slogan von Worthaus ist „zu versuchen, einen unverstellten Blick zu bekommen“. In diesem Prozess kann man sich dann auch fragen, was die Texte uns heute noch zu sagen haben …

 

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