Ist der fromme Knoten schon geplatzt?

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Alexander der Große zerschneidet den Gordischen Knoten, by Andre Castaigne – Died 1930 (Public Domain) [Public domain], via Wikimedia Commons

Schwer zu verstehen:  Auch Menschen, die es wirklich ernst mit Gott meinen, stecken fest. Verknoten sich. Kommen nicht weiter. Fahren immer wieder gegen dieselbe Wand oder bewegen sich im Kreis. Und auch Gespräche zwischen Frommen bleiben festgefahren. Wir zerren an den Schnüren der theologischen Argumente und wundern uns, dass sich der Knoten nicht lockert.

Knoten im Kopf und Knoten im gemeinsamen Leben. Ich habe beides schon erlebt und daran gelitten. Entschlossenheit und Willenskraft ist manchmal nicht genug. Nicht alle Knoten kriegt man auf und manche Knoten sind einen abgebrochenen Fingernagel nicht wert. Spannungen und Konflikte sind nicht immer auflösbar und gehören zum Leben; und an manchen Knoten führt kein Weg vorbei.  Die Schere der Gewalt Macht kaputt.

Manchmal hat man Glück: Man zieht kräftig an den Schnürsenkeln und der Knoten löst sich auf. Funktioniert aber leider bekanntlich nicht immer. – Interessant wäre eine Statistik, wie häufig kräftiges Ziehen an den Schnürsenkeln zum Erfolg führt.  😉  Das Risiko ist natürlich immer, dass der Knoten danach noch fester ist, und ich noch mehr Mühe habe, den wieder auf zu kriegen. Manchmal entscheidet man sich gleich für’s vorsichtige Fummeln anstatt auf’s plötzliche Glück zu spekulieren.

Wie geht das theologisch?

Etwas, das ich in manchen frommen Kreise vermisse, ist SELBSTkritische Distanz und Problembewusstsein. Der eigene Blick ist verengt, und die Welt aus den Augen eines anderen zu sehen, erscheint als gefährlich oder sogar sündhaft. Der Knoten im eigenen Kopf wird gar nicht wahrgenommen – das Problem liegt bei dem anderen. (Ich erwische mich selbst auch immer wieder dabei, dass ich langsam merke, wie ungeduldig und fordernd ich im Umgang mit anderen bin. Ist Freiheit wirklich auch die Freiheit der Andersdenkenden?)

Wenn mehrere Schnüre involviert sind (was ja in der Regel der Fall ist), reicht es nicht aus einen einzelnen Schnürsenkel zu massieren, sondern es müssen sich alle Senkel bewegen. Überzeugungen sind nicht verhandelbar – Interessen allerdings schon, und man kann auch mit unterschiedlichen Überzeugungen zusammenleben und manches zusammen machen. Wir machen das jeden Tag. Wenn ich glaube, dass alles von Gottes Wirken abhängt, kann ich mit meinen persönlichen Zielen vielleicht etwas lockerer umgehen, anstatt anderen auf den Senkel zu gehen.

Abstand nehmen und den Blick weiten

Seine eigenen (auch theologischen) Überzeugungen zu hinterfragen, heißt nicht, sich von Gott zu distanzieren. Manchmal müssen wir, um Gott näher zu kommen, uns von vertrauten Denkmustern entfernen. Einen einzigen Schritt zurückzugehen reicht manchmal nicht. Vielleicht sind mehrere Schritte zurück nötig, damit der Blick weit genug ist, um alles Wesentliche zu erfassen. Vielleicht muss man sogar den ganzen Weg zurücklaufen bis zur letzten Weggabelung, um einen anderen Gedankengang auszuprobieren.

100%ig logisch sind Argumente bestenfalls in meinem eigenen, persönlichen, subjektiven, individuellen Denkgebäude, in dem theologischen System, das ich verteidige. Keine Garantie, dass das auch die absolute Wahrheit ist. Und jemand, der die Voraussetzungen seines eigenen Denkens gar nicht kennt, ist kaum in der Lage, die Relativität seines Denkens wahrzunehmen. Jemand, der von anderen Voraussetzungen ausgeht oder andere Schwerpunkte setzt, wird die Dinge vielleicht anders sehen.

Mit Logik und Verstand allein lässt sich die Wirklichkeit nicht vollständig erfassen. Auch jemand, der ein Thema noch nicht so gründlich durchdacht hat wie ich, hat ein „Recht“ auf seine Meinung, und es ist nicht gesagt, dass er seine Position einfach aufgeben kann oder sollte.

Ein Mann hat einmal erzählt: Ich habe zu meiner Frau gesagt: „Ich kann dir 10 Gründe geben, warum dein Standpunkt falsch ist.“ Seine Frau antwortet: „Ist mir egal. Ich weiß, dass ich recht habe!“

Es verstreicht eine gewisse Zeit und der Mann kommt zu der Erkenntnis, dass seine Frau wirklich Recht hatte. Er denkt darüber nach und sagt dann zu seiner Frau: „Ich kann dir 10 Gründe sagen, warum du doch Recht gehabt hast …“

Jemand, dessen Sicherheit Gott ist, kann auch den Mut zu Gedankenspielen haben: Was wäre wenn …  Vertrauen in Gott bringt Gelassenheit und Hoffnung. Kontemplation und Zeit helfen uns Dinge zu erahnen, die wir mit dem Verstand nicht in den Griff kriegen.

Überwinden von Schwarz-Weiß-Denken. Oft gibt es mehr als zwei Möglichkeiten.

Knoten verschwinden in der Regel nicht von alleine. Man muss aktiv werden, etwas verändern, sich bewegen, weniger oder mehr Mühe investieren, …  Wenn ich mich selbst etwas bewegen würde, auf andere zugehen, …

Habt ihr noch Ideen, wie man Knoten wegkriegt?

Manche Leute sind besonders gut darin, Knoten zu entheddern. Könnt ihr uns ein paar Tipps geben, wie ihr das am besten macht?

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Der Heidenapostel Paulus: Eine „New Perspective“

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Römische Straße bei Tarsus, by Nedim Ardoğa (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

Es gibt sogar einen ganzen Wikipedia-Artikel zu diesem Thema:

https://en.wikipedia.org/wiki/New_Perspective_on_Paul

Es gibt unter den Anhängern Jesu wohl kaum einen Menschen, der größere Bedeutung erlangt hat, als dieser antike, orientalische Missionar und Bürger des Imperium Romanum mit jüdischer Abstammung. Viele Themen würden in der christlichen Welt anders diskutiert werden, wenn es nicht bestimmte Aussagen in Texten des Apostels Paulus gäbe: Homosexualität, Ehescheidung, Kindertaufe, Geistesgaben, Gemeindeleitung, Auferstehung, Gemeindedisziplin, Bibelinspiration, …  Nicht nur deswegen ist das Verstehen und Missverstehen seiner Texte so wichtig.

 

… ‚Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten‘ – und ich bin der schlimmste von ihnen.

(Der erste Brief von Paulus an Timotheus, 1. Kapitel, Vers 1)

 

„Vom Saulus zum Paulus“ (eigentlich nicht ganz biblischer Ausdruck):

Es gibt kaum eine andere neutestamentliche Gestalt, bei der der Bruch so drastisch ist. Vom Verfolger zum Verfolgten. Hat das Schwert abgelegt und das Wort ergriffen. Freunde wurden zu Feinden, und Feinde zu Brüdern und Schwestern. Und sogar die unreinen Heiden wurden Teil der Familie.

 

Jetzt ist es nicht mehr wichtig, ob ihr Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen seid: In Christus seid ihr alle eins.

(Galaterbrief 3,28)

 

Doch EINEN Bruch hat Paulus nicht vollzogen: Den Bruch mit dem Judentum.

Genauso, wie die ersten Christen, verstand sich auch Paulus nicht als jemand, der sich vom Judentum verabschiedet hat, sondern er verstand sich als ein „wahrer Jude“.

„Auch die Beschneidung nützt euch [beschnittenen Juden] nur, wenn ihr das Gesetz befolgt. Wenn ihr es übertretet, steht ihr in Wahrheit den Unbeschnittenen gleich. Wenn aber nun Unbeschnittene nach den Vorschriften des Gesetzes leben – werden sie dann nicht von Gott den Beschnittenen gleichgestellt? So kommt es dahin, dass Unbeschnittene einst über euch Juden das Urteil sprechen werden. Solche nämlich, die das Gesetz Gottes befolgen, während ihr es übertretet, obwohl ihr es schriftlich habt und beschnitten seid. Beim Judesein geht es nicht um äußerliche Merkmale und bei der Beschneidung nicht um den äußeren, körperlichen Vollzug. Die wahren Juden sind die, die es innerlich sind, und die wahre Beschneidung ist die Beschneidung des Herzens, die nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes erfolgt, sondern durch den Geist Gottes. Juden in diesem Sinn suchen nicht den Beifall der Menschen, aber sie werden bei Gott Anerkennung finden.“  (Römer 2,25-29)

Im Laufe der Kirchengeschichte distanzierten sich bald Menschen, die sich für Christen hielten, von Juden und vom Judentum. Der Gläubige sägte den Ast ab, auf dem er saß. Der eingepropfte Zweig riss sich selber aus. Man braucht sich nicht darüber zu wundern, dass mancher Christ seinen eigenen Glauben nicht mehr verstand und dem Namen nach „Christliches“ zur Unkenntlichkeit entstellt wurde.

Gemäß Wikipedia benutzte der Wissenschaftler James D. G. Dunn 1982 den Ausdruck „new perspective on Paul“ für einen theologischen Ansatz mehrerer Gelehrter. Es ging darum, moderne Falsch-Interpretationen von Paulus aufzudecken und ihn aus seiner Zeit und von seinen jüdischen Wurzeln her zu verstehen.

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Hossa Talk

 

Christusmonogramm
Das Christusmonogramm mit den griechischen Buchstaben Alpha und Omega. Das „X“ und das „P“ sind die beiden griechischen Buchstaben Chi und Rho und die beiden Anfangsbuchstaben von Christus, by Sychrist.jpg via Wikipedia

 

Was ist Hossa Talk?

Ein interessantes Projekt zwei offen-redender Jesus-Anhänger …

Was ist Hossa Talk?

Folge # 38 : Was glauben wir eigentlich noch?

Katharina Haubold, Jugendreferentin beim Bibellesebund, befragt die Hossa-Talker (über den Bibelbastelbogen u.a.)

 

Tobias Faix | Jesaja 58 – Ein Schrei nach Gerechtigkeit!

 

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The Haymarket Martyrs‘ Monument at the Forest Home Cemetery in Forest Park, Illinois, by DASonnenfeld (Own work) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

Tobias Faix Blog: „Jesaja 58: Ein Schrei nach Gerechtigkeit! Oder: Wider die schleichende Gewöhnung an die Ungerechtigkeit in unserem Alltag“

YouTube: WERTVOLLES LESEN Interview: Tobias Faix – „Ein Schrei nach Gerechtigkeit“

 

Allergisch auf Frommes

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Allergietest auf der Haut, by Wolfgang Ihloff (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 4.0-3.0-2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0-3.0-2.5-2.0-1.0)%5D, via Wikimedia Commons

Es ist mal wieder so weit. Die meiste Zeit des Jahres kann ich mit meinen Pollenallergien ganz gut leben. Aber im Moment stellt sich die Frage, ob ich meine Allergien ignorieren kann, nicht (Hatschi!). Und ich überlege mal wieder, ob es nicht irgendetwas gibt, das mich von dieser alljährlichen Plage befreit. Ich mag Birken eigentlich. (Versteh gar nicht, warum Birken mich nicht mögen.) Mein Körper fühlt sich bedroht von etwas, was eigentlich nicht bedrohlich ist.

Manche Menschen reagieren allergisch auf Christliches oder Religiöses. Ein Gefühl der Abneigung und des Unbehagens, das sie vielleicht nicht einmal selber ganz verstehen. Ich bin in einer frommen Familie und in einer christlichen Gemeinde aufgewachsen, und ich kann mich noch gut erinnern, dass ich beim Heranwachsen manchmal dachte: Ich mag das ganze Fromme eigentlich nicht so wirklich. Und ich habe lange gebraucht, richtig zu begreifen, dass da ein großer Unterschied ist zwischen dem, was sich nach Jesus benennt oder benannt wird, und dem, was wirklich Jesus entspricht und aus ihm hervorgeht. Wenn manche Menschen allergisch auf „Frommes“ reagieren, dann ist das vielleicht (zumindest zum Teil) eine richtige und gesunde Reaktion.

Alles was wir über Jesus sagen, sind zunächst nur unsere menschlichen Worte, und wenn wir etwas als „christlich“ bezeichnen, so ist das zunächst erstmal eine Behauptung. Es bekommt wert dadurch, dass Jesus darin lebt und Gott dadurch wirkt. „Gottes Geist allein schafft Leben. Ein Mensch kann dies nicht. Die Worte aber, die ich euch gesagt habe, sind aus Gottes Geist; deshalb bringen sie euch das Leben.“  (Die Bibel, Neues Testament, Johannes-Evangelium, 6. Kapitel, Vers 63)

Wir tun gut daran, erkennen zu lassen, wenn etwas, das wir sagen, nicht offenbarte göttliche Wahrheit, sondern nur unsere Meinung ist (Neues Testament, 1. Korinther 7,25), und nicht als Glaubenshelden und Superheilige umherzuwandeln, sondern andere auch unsere Schwächen und Fehler sehen zu lassen. Schwachheit ist eine Strategie der Herrschaft Gottes.

Als ich älter wurde, hab ich gelernt zu sehen, dass so manche Kirche eine geistliche (und manchmal auch geistige) Ruine ist, und wie schwach, schmutzig, hässlich und blöd „christliches“ Leben manchmal ist. Anstelle von Meinungsfreiheit und Offenheit sind alle schon gleich-geschaltet und auf Linie gebracht. Statt Echtheit und Natürlichkeit trifft man auf Heuchelei und Verstellung. In manchen Gemeinden ist es eng, muffig und stickig, bedrückend und beklemmend. So manches Gut-gemeinte wirkt verkrampft und angestrengt, ängstlich und besorgt, und aus manchem Frommen leuchtet nur ein schwacher Schein des Wesen Jesu hervor. Und Gott weiß, wie oft das bei mir der Fall war und ist. – Herr, erbarme dich!

Das alte Deutsch einer Lutherübersetzung oder von schönen alten Kirchenliedern ist nicht Christlich, sondern einfach alt. Viele Kirchen mögen Christen über lange Zeit ein wertvoller Versammlungsort gewesen sein – aber verstaubt sind sie trotzdem. Talare, Weihrauch, Altäre, Kirchenglocken, etc. stammen aus einer vergangenen Zeit. Ob sie in der Zukunft geeignet sein werden, etwas von Jesus deutlich werden zu lassen, ist die Frage. (Man kann sich auch fragen, ob sie das überhaupt jemals wirklich getan haben?)

 

Ich hasse und verachte eure religiösen Feste und kann eure feierlichen Zusammenkünfte nicht riechen. Ich will eure Brand- und Speiseopfer nicht haben; die Friedensopfer eurer Mastkälber will ich nicht sehen! Hört auf mit dem Lärm eures Lobpreises! Eure Anbetungsmusik werde ich mir nicht anhören. Stattdessen will ich Recht fließen sehen wie Wasser und Gerechtigkeit wie einen Fluss, der niemals austrocknet.

(Tanach / Altes Testament, Amos 5,21-24)

 

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.

(Matthäus-Evangelium 5,6)

 

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