Christentum heute ist ohne die biblischen Texte kaum vorstellbar. Es gab allerdings schon Christentum bevor die Bibel entstand. Auch ist die Bibel nicht vom Himmel gefallen. Wie wir mit ihr umgehen, ist entscheidend für uns selbst und für andere. – VORSICHT : Das Anliegen des Blogs ist mir sehr ernst; einzelne Sätze sind allerdings nicht immer wörtlich zu nehmen. ;-) – Bin übrigens als Christian Schmill auf Facebook, @C_Schmill bei Twitter.
Da bin ich wieder. Nach dem Emergent Forum 2016. Inspiriert. Dankbar. Angestachelt. Sehnsüchtig. Aufgewühlt. Gesegnet. Ich hatte ein großartiges Wochenende! Das hatte ich zwar erwartet. Aber selbstverständlich ist es ja doch nicht. Mein Kopf und mein Herz sind noch voll mit Menschen und Begegnungen, mit Wortkunstwerken, mit Gedankenanstößen und mit anstößigen Gedanken, mit Erkenntnissen und…
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Die nicht ausreichend geklärte Frage unseres Umgangs mit der Bibel, ist eines der größten Probleme des Christentums. Wir haben einen Hunderte von Jahren alten Bibel-Mythos, der wie ein gewaltiger Klotz am Bein des wunderbaren Evangeliums ist. Es ist mehr als überfällig, dass das Dogma der Unfehlbarkeit der Bibel von seinem Sockel gestoßen wird, um zum Jesus-Glauben zurückzukehren. Wenn all die Frommen der Jahrhunderte Jesus und die biblischen Texte ernster genommen hätten, wäre es nie zu diesem Dogma gekommen.
Wehe euch Schriftgelehrten! Denn ihr beladet die Menschen mit unerträglichen Lasten …
Weh euch, … die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein und die hinein wollen, lasst ihr nicht hineingehen. … Weh euch, ihr verblendeten Führer …
(Jesus von Nazareth, in Lukas 11,46 und Matthäus 23,13-16)
Nehmt doch endlich das Joch eurer Bibel-Verehrung von den Schultern so vieler Gläubiger! Jesus hat keinen heiligen Text aufgeschrieben und auch zu Pfingsten kam keine neue Tora vom Himmel. Es war gerade der normative Charakter heiliger Schriften, der in der frühen Christenheit zur Diskussion Stand. Um Gottes und der Menschen willen müssen wir DEUTLICH widersprechen:
Die Bibel ist NICHT das Wort Gottes !!!
(Auch wenn Luther und manche andere sich an dieser Stelle vielleicht im Grabe umdrehen.)
Ich sage dies nicht, weil ich GEGEN die biblischen Texte bin, sondern FÜR sie! Und für die MENSCHEN, die sie lesen. – Wer es nicht glauben will, soll doch einfach selbst mal in seiner Bibel nachschauen:
Lukas, zum Beispiel. – Behauptet der Verfasser des Lukas-Evangelium an irgendeiner Stelle, dass seine Worte die Worte Gottes sind oder er sie von Gott empfangen hat? Gibt es irgendeinen anderen Vers in der Bibel, der behauptet, dass das Lukas-Evangelium Gottes Worte sind? Wann hat überhaupt in der Kirchengeschichte sich zum ersten Mal jemand angemaßt zu behaupten, dass dies Evangelium Wort Gottes ist? Und warum?
Die biblischen Texte wurden im Glauben überliefert, dass sie Zeugnisse des Wirken Gottes sind. Dadurch werden sie aber nicht zu vollkommenen Worten Gottes. Nehmt doch die Texte selbst ernst, anstatt einfach eure liebgewonnenen Ideen in die Texte hineinzulesen! Und all dies auch noch unter dem Deckmantel von Frömmigkeit und mit dem Anspruch auf Wahrheit!!!
Auch Theologen, die Fundamentalismus ablehnen, sind in ihrem Gebrauch der biblischen Texte und in ihrem Reden über die Bibel nicht immer „sauber“ (mich eingeschlossen). Wir, die „Wissenden“, tragen Verantwortung dafür, wie wir die Bibel darstellen und welche Erwartungen an diese Texte wir erzeugen. Wie wäre es, wenn wir endlich einmal eine Bibelausgabe hätten, wo nicht „Bibel“ oder sogar „Heilige Schrift“ drauf steht, sondern „Sammlung der grundlegenden Schriften des Christentums“? Das Wort „Bibel“ allein suggeriert schon eine Homogenität des Buches, die nicht gegeben ist. (Wer weiß schon, dass das Wort „Bibel“ eigentlich ein Plural ist?)
Denen, die sich schon freuen, dass sie jetzt vielleicht auch als Christen endlich machen dürfen, was Spaß macht, sei gesagt: Ihr durftet schon immer machen, was Spaß macht; es ist nur nicht alles gut! (1. Korinther 6,12; 10,23)
Das Bibel-Dogma aufzugeben bedeutet überhaupt nicht, dass christlicher Glaube dadurch beliebig wird, es keine Orientierung mehr gibt oder die Nachfolge Jesu weniger verbindlich wird. Aber so vielfältig wie Kulturen und Menschen und das Leben müssen auch unsere Antworten sein. Und wer sagt überhaupt, dass ich die richtige Antwort für jemand anderen haben muss?
Haben wir Angst vor „der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“? (Römer 8)
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Ich spüre in mir noch die Nachbeben … (Wie lange werden wohl die Mitarbeiter des Forum, die die ganze Zeit in Aktion waren, brauchen, um sich zu erholen und das Forum nachzubereiten?) Noch nicht einmal 48 Stunden. Eine sehr intensive, kurze Zeit. Gesichter, Stimmen, Worte, Bilder, Musik, Umarmungen, …
Perfektes Wetter und eine perfekte location. Modernes Bürgerzentrum gleich neben der Andreasgemeinde; mit Terrasse, die in einen Park mit Skulpturen und Spielplatz übergeht. Ein Eichhörnchen im Baum, eine Feldwiese gleich hinter der Kirche. In der Ferne schwebt ein Fesselballon langsam über die Außenbezirke von Frankfurt/M und man sieht die Skyline von Downtown Frankfurt unter strahlend blauem Himmel. Auf der Terrasse die slow-brew coffee bar des Refugio-Projekts, importiert aus Berlin.
Vielleicht 300 Leute. Warum sie wohl alle gekommen sind? Wo und wie war Gott hier am wirken an diesem Wochenende? Und wieviel wird davon in der Zukunft spürbar sein, und für wen?
Kirche für alle. Wirklich alle? Verhaltensgestörte, Intellektuelle, Menschen, die kein Deutsch sprechen, Bettlägerige, Hochsensible, Reiche, Unreine, mit ansteckenden Krankheiten, Kriminelle, psychisch Kranke, Extremisten, Analphabeten, Machtmenschen, Sex-Worker, Schwerstbehinderte, Workaholics, Vergewaltiger und Missbrauchte, Täter und Opfer, Mühselige und Beladene, Kinder, …
Die Jesus-Anhänger wollten sie wegschicken, aber Jesus wurde zornig und sagte: Lasst sie zu mir kommen …
Wer Durst hat, der soll zu mir kommen und trinken! Wer mir vertraut … von ihm wird Leben spendendes Wasser ausgehen wie ein starker Strom.
(Johannes-Evangelium 7,37-38)
Wer kommt überhaupt, oder bleibt schon von vornherein weg? Wer fühlt sich überhaupt bei uns wohl? Und wenn ja, warum nicht? Noch nicht einmal alle, deren Muttersprache Deutsch ist, verstehen auch, worüber in Kirchen geredet wird. Sind unsere kirchlichen Angebote auch interessant für Leute, die nicht gut im Reden oder Zuhören sind? (Gottesdienste, Bibelstunden, Gesprächskreise, … )
Wieviel Vielfalt hält eine Gemeinde aus? Was wirkt den Fliehkräften entgegen und hält zusammen? Woher nimmt man die Kraft für all die Hilfsbedürftigen … Vielleicht bedürfen wir der Bedürftigen, um in Gottes Nähe zu kommen und zu bleiben und nicht zum frömmelnden Klub zu verkommen. Wenn wir mit unseren Möglichkeiten am Ende sind, kann Gott dann vielleicht noch was machen?
Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft.
(2. Korintherbrief 12,9).
Ist dies eine Einladung zum Burnout?
Willkommen sein. Gast werden und Gastgeber sein. Sich einladen lassen und sich selbst einladen. Beschenkt werden. Gnade. Manche kamen zu Jesus hungrig und wurden satt. Manche gingen wieder weg, weil ihnen Jesu Worte zu hart waren. Weiches Brot – harte Worte. Zuckerbrot und Peitsche? Fördern und Fordern?
Wer darf bleiben? Wie sehr muss man sich anpassen oder verbiegen, um dazuzugehören? Gibt es eine Mindestgeschwindigkeit auf der Autobahn des geistlichen Wachstums? Wer nicht schnell genug ist, darf nicht mehr mitfahren? Wen muss man rausschmeißen (wenn er nicht schon freiwillig gegangen ist)? Welche Rolle spielen Überlieferung, Verkündigung und Bezeugen, wie sieht das konkret aus und welche Zugänge dazu haben Menschen?
Ideale sind schön – Menschen sind anstrengend. Kirche für alle. Wollen wir das überhaupt? Theorie ist steril – Menschen stinken, und man macht sich schmutzig. Unangenehm.
Was ist überhaupt Kirche? Wie erkennt man in den Massen der Jesus-Sympathisanten die „echten“ Jünger? Wenn ALLE kommen, wie bleibt Kirche noch als solche erkennbar und bewahrt Profil? – An der Liebe werden die Leute erkennen, dass wir zu Jesus gehören (Johannes 13,35). Oder auch nicht.
„… Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“