Die allererste Bibel der Weltgeschichte

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Giulio Romano [Public domain], via Wikimedia Commons

 

Heute gibt es Bibelausgaben in einer fast unüberschaubaren Fülle. (Schon allein die vielen, vielen Übersetzungen in die unterschiedlichen Sprachen und Dialekte.) Darüber freue ich mich sehr, denn die Bibel ist mir in meinem eigenen Leben sehr wertvoll geworden. Ich muss allerdings zugeben, dass nicht alle Bibelausgaben gleich gut sind.

Dass es Bibeln gibt, war für mich immer eine Selbstverständlichkeit.  Auch kulturgeschichtlich ist die Präsenz der Bibel in unserer Region fest verankert.  Das war aber nicht immer so.

Ein Quantensprung in der Buchherstellung war die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Gutenberg. Das erhöhte die Produktivität enorm und war für die Verbreitung der Bibel von größter Bedeutung. In der Zeit davor war das selbständige Lesen biblischer Texte einer kleinen Zahl besonders previligierter Menschen vorbehalten. Anderthalbtausend Jahre hatte das Christentum so existiert. Das sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Wann hat überhaupt jemand das erste Mal eine Bibel in der Hand gehalten?  Ich habe ein bisschen recherchiert, aber habe das noch nicht herausbekommen.

Vielleicht der Codex Sinaiticus?

Falsch!

Der Codex Sinaiticus war zwar ein Meilenstein in der Entwicklung der Buchherstellung im Allgemeinen und ist eine der bedeutendsten Handschriften der biblischen Texte überhaupt, er enthielt aber z.B. den Hirten des Hermas.  Viele Christen heutzutage würden ein Buch, welches den Hirten des Hermas enthält, nicht als „richtige“ Bibel akzeptieren.  Was eine „richtige“ Bibel denn aber überhaupt ist oder sein sollte, ist eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. (Muss man sie überhaupt beantworten?)

Auch war der Codex so groß und schwer, dass man ihn schwerlich in einer Hand halten konnte. Seine Herstellung war ein beachtliches Projekt. Nur ein finanzstarker Investor konnte ein solches Projekt stemmen. Kein Wunder das Spekulationen aufkamen, dass kein geringer als der römische Kaiser selbst für die Herstellung verantwortlich gewesen sein könnte. Historisch ist allerdings nur wenig über die Entstehung dieser Handschrift aus dem 4. Jahrhundert bekannt.

Bekannt ist allerdings, dass Konstantin anscheinend die Produktion von „50 Bibeln“ in Auftrag gab. – Brauchte Konstantin eine einheitliche Textgrundlage für eine einheitliche christliche Religion zur Stabilisierung seines Reiches?

Die biblischen Texte waren schon im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung alle vorhanden und wurden überliefert und gelesen. Aber von wem? Es war Athanasius der Große, der das erste Mal in seinem „Osterbrief“ alle 27 Bücher des Neuen Testaments auflistet, die wir auch heute noch als Neues Testament in unseren Bibeln haben. Aber welche Autorität hat Athanasius bzgl. der Überlieferung des christlichen Glaubens? Und was ist mit der alttestamentlichen Sammlung? Wann wurde das erste Mal eine Bibel produziert, die alle 66 Bücher unserer protestantischen Bibel hatte? (Manche andere christliche Konfessionen haben übrigens bis heute „andere“ Bibeln.)

Wer war überhaupt durch all die Jahrhunderte für die Überlieferung und Verbreitung der Bibel verantwortlich? Wer hat es finanziert und warum? Verloren die biblischen Texte ihre Unschuld als sie zu Komplizen kirchlicher und weltlicher Machtansprüche gemacht worden sind? Es wäre nicht das erste Mal, dass heilige Texte instrumentalisiert werden.

Das obige Bild von der Taufe des römischen Kaisers Konstantin enthält auch ein Buch. Auch wenn das Gemälde Raffaels erst 1000 Jahre nach Konstantin entstanden ist und wohl kaum eine historische Szene darstellt, so bringt es doch etwas vom Verhältnis von Kirche und Macht zum Ausdruck und macht mich nachdenklich. Welche Rolle spielen heilige Texte im Verhältnis von Kirche und Macht?

Die meisten Christen erlebten ihren Glauben lange, lange Zeit nicht als etwas, wo sie selbst als mündige Gläubige die textlichen Grundlagen ihres Glaubens studieren konnten. Was also glaubten die Christen durch all die Jahrhunderte, und warum? Wie hat Christentum über einen so langen Zeitraum fuktioniert?

Jesus sagte zu den Menschen seiner Zeit:

Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir …

(Bibel, Neues Testament, Johannes-Evangelium, Kapitel 10, Vers 27)

 

Es ist mein Eindruck, dass die Verfügbarkeit der Bibel heutzutage auch nicht bei allen Frommen nur positive Auswirkungen hat. Man kann sich darüber freuen, dass man für alle Fälle ein Nachschlagewerk hat und es im Bücherregal verstauben lassen. (Und wollten die biblischen Texte überhaupt jemals ein Nachschlagewerk für alle Fälle werden?)

Die entscheidende Frage ist:  Glauben wir, dass Gott sich am besten in einem Menschen, Jesus aus Nazareth, offenbart hat, oder glauben wir, dass Gott sich am besten in einem Buch offenbart hat? Entweder – oder!

Es ist eine Frage der Priorität. Wenn ich glaube, dass Gott sich am besten im Menschen Jesus offenbart hat, dann sind die biblischen Texte für mich wichtig, weil sie die beste historische Quelle sind, um zu verstehen, wer Jesus ist. Wenn ich glaube, dass Gott sich am besten in einem Buch offenbart hat, tritt Jesus in den Hintergrund.

Ein großer Problem ist, dass in der christlichen Praxis vieles als Selbstverständlich vorausgesetzt wird, was nicht gut durchdacht oder klar definiert ist. Dadurch existieren Grauzonen, in denen christlicher Glaube sein Profil verliert.

Die Macht zu haben, eine Bibel als EIN Buch in die Hand nehmen zu können, beeinflusst auch unser Verhältnis zu ihr und unseren Umgang mit ihr. Und es kann auch die Art und Weise beeinflussen, wie wir unseren Glauben verstehen und leben. – Wir haben die Stimme Gottes in den Griff gekriegt!

[Eine neuere Überarbeitung dieses Artikels findet ihr hier.]

 

3 Kommentare zu „Die allererste Bibel der Weltgeschichte

  1. Sehr interessante Gedanken! Tatsächlich glaube ich, dass die „vollkommenste“ Offenbarung Gottes in Jesus war – schließlich war er der menschgewordene Gott selbst. Ich glaube auch, dass die Bibel von Gott inspiriert ist, und dass das sicher auch mit der langen „Überlebensdauer“ dieser Schriften zusammen hängt – Gott wacht über seinem Wort.

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    1. Der Ausdruck „Gottes Wort“ für die Bibel ist schon ein bildhafter Ausdruck und ein Bekenntnis des persönlichen Glaubens. Viele biblischen Texte erheben von sich selbst gar nicht den Anspruch „Gottes Wort“ zu sein.

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