Ist euer frommer Knoten schon geplatzt?

 

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Alexander der Große zerschneidet den Gordischen Knoten, by Andre Castaigne – Died 1930 (Public Domain) [Public domain], via Wikimedia Commons

 

Schwer zu verstehen:  Auch Menschen, die es wirklich ernst mit Gott meinen, verknoten sich, stecken fest und kommen nicht weiter; fahren immer wieder gegen dieselbe Wand oder bewegen sich im Kreis. Auch Gespräche zwischen Frommen bleiben oft deprimierend und festgefahren. Wir zerren an den Schnüren der theologischen Argumente und wundern uns, dass sich der Knoten nicht lockert.

 

… Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der HERR nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.

(Bibel, Tanach / Altes Testament, 127. Psalm, Vers 1)

 

Knoten

Knoten im Kopf und Knoten im gemeinsamen Leben. Ich habe beides schon erlebt und daran gelitten. Entschlossenheit und Willenskraft reichen manchmal nicht, um einen Knoten zu entheddern.

Nicht alle Knoten kriegt man auf, und manche Knoten sind einen abgebrochenen Fingernagel auch gar nicht wert. Spannungen und Konflikte gehören zum Leben, und an manchen Knoten führt kein Weg vorbei. Aber das Schwert oder die Schere der Gewalt machen kaputt.

 

Wenn ihr jedoch wie wilde Tiere aufeinander losgeht, einander beißt und zerfleischt, dann passt nur auf! Sonst werdet ihr am Ende noch einer vom anderen aufgefressen.

(Bibel, Neues Testament, Paulus‘ Brief an die Christen in Galatien, 5. Kapitel, 15)

 

Die Logik eines Knotens

Mit Logik und Verstand allein lässt sich die Wirklichkeit nicht vollständig erfassen. Mit Logik allein, lässt sich auch nicht jeder Knoten lösen.

Auch ein Mensch, der ein Thema noch nicht so gründlich durchdacht hat wie ich, hat ein „Recht“ auf seine Meinung, und es ist nicht gesagt, dass er seine Position einfach aufgeben kann oder dies tun sollte.

 

Ein Mann hat einmal erzählt:

Ich habe zu meiner Frau gesagt:

„Ich kann dir 10 Gründe geben, warum dein Standpunkt falsch ist.“

Seine Frau antwortete: „Ist mir egal. Ich weiß, dass ich recht habe!“

Es verstreicht eine gewisse Zeit und der Mann kommt zu der Erkenntnis, dass seine Frau wirklich Recht gehabt hatte. Er denkt darüber nach und sagt dann zu seiner Frau:

„Du hattest Recht. Ich kann dir 10 Gründe geben, warum du Recht gehabt hattest …“

 

100%ig logisch sind Argumente bestenfalls in meinem eigenen, persönlichen, subjektiven, individuellen Denkgebäude, in dem Denk-System, das ich verteidige. Keine Garantie, dass das auch die absolute Wahrheit ist. Und jemand, der die Voraussetzungen seines eigenen Denkens gar nicht kennt, ist kaum in der Lage, die Relativität seines Denkens wahrzunehmen. Jemand, der von anderen Voraussetzungen ausgeht oder andere Schwerpunkte setzt, wird die Dinge vielleicht anders sehen.

 

Die Lösung

Knoten verschwinden oft nicht von alleine. Manchmal könnte ich auch gar nicht abwarten, sondern brauche sofort eine Lösung. Deswegen werde ich aktiv: Ich bewege mich, verändere etwas, investiere Zeit und Mühe, gehe auf andere zu …

Manchmal hat man Glück: Man zieht kräftig an den Schnürsenkeln und der Knoten löst sich auf. Funktioniert aber leider bekanntlich nicht immer. – Interessant wäre eine Statistik, wie häufig kräftiges Ziehen an den Schnürsenkeln zum Erfolg führt.  😉  – Das Risiko ist natürlich immer, dass der Knoten danach noch fester ist, und ich noch mehr Mühe habe, den wieder auf zu kriegen. Manchmal entscheidet man sich lieber gleich fürs vorsichtige Fummeln anstatt aufs unsichere Glück zu spekulieren.

 

Der Herr, der heilige Gott Israels, hat zu euch gesagt:

»Wenn ihr zu mir umkehrt und stillhaltet,
dann werdet ihr gerettet.
Wenn ihr gelassen abwartet und mir vertraut,
dann seid ihr stark.«

Aber ihr wollt ja nicht.

(Tanach / Altes Testament, Jesaja 30,15)

 

offen und lernbereit

Manche Probleme entstehen durch unsere Macken. Wir sind so voll und satt und halten uns für superschlau. Kein Platz mehr für Veränderungen. Keine Bedürftigkeit.

 

Du bildest dir ein: ›Ich bin reich und habe alles, was ich brauche. Mir fehlt es an nichts!‹

Da machst du dir selbst etwas vor! Du merkst gar nicht, wie jämmerlich du in Wirklichkeit dran bist: arm, blind und nackt.

(Neues Testament, Offenbarung 3,17)

 

Buße tut not. Umdenken.

Wenn wir weich und formbar wären in der Hand unseres Schöpfers, dann könnte er aus uns bestimmt etwas Brauchbares machen …  😉 – und wir würden uns dann sicherlich auch nicht so leicht gemeinsam verknoten.

 

gemeinsam

Wenn mehrere Schnüre involviert sind (was ja in der Regel der Fall ist), reicht es auch nicht aus einen einzelnen Schnürsenkel zu massieren, sondern es müssen sich alle Senkel bewegen. Manchmal sind es auch gar nicht die Inhalte, sondern persönliche Empfindlichkeiten und menschliche Härte, die Gespräche sich festfahren lassen. Wenn sich  alle  um einen behutsamen Umgang und Flexibilität bemühen, entstehen manche Knoten gar nicht erst.

Überzeugungen sind nicht verhandelbar, Interessen allerdings schon; und man kann auch mit unterschiedlichen Überzeugungen zusammenleben und so manches zusammen machen. Wir tun dies jeden Tag.

 

Doch ihr müsst mit dieser Freiheit, die ihr habt, behutsam umgehen, damit ihr nicht einem Bruder oder einer Schwester mit einem ängstlicheren Gewissen schadet.

(Paulus‘ erster Brief an die Gemeinde in Korinth, 8,9)

 

 

Ambiguitätstoleranz

Dies ist wohl eins der schönsten Wörter, die ich je gelernt habe. Begegnet ist es mir auf dem Blog von Tobias Faix:

„Mehr Ambiguitätstoleranz bitte! Oder wie ein kleines pädagogisches Konzept bei großen theologische Streitigkeiten helfen kann.“

Wie würden sich unsere Gemeinden und unsere Diskussionen wohl anfühlen, wenn wir mehr Ambiguitätstoleranz hätten?

Das Leben ist nicht schwarz-weiß, sondern bunt und vielfältig; und die Wirklichkeit erschließt sich sicherlich am besten multiperspektivisch. Oft gibt es auch ganz praktisch mehr als zwei Möglichkeiten. Wenn wir ein Schwarz-Weiß-Denken überwinden könnten, wäre schon viel gewonnen.

 

Gelassenheit

Wenn ich glaube, dass nicht alles von mir abhängt, sondern vielmehr vom Wirken Gottes, sollte ich doch eigentlich mit meinen persönlichen Ambitionen auch etwas lockerer umgehen können, anstatt anderen damit auf den Senkel zu gehen.

Vertrauen in Gott bringt Gelassenheit und Hoffnung. Kontemplation und Zeit helfen uns Dinge zu erahnen, die wir mit dem Verstand nicht in den Griff kriegen.

 

… wenn ihr in irgendeinem Punkt anderer Meinung seid, wird Gott euch auch darüber Klarheit schenken. Aber lasst uns auf jeden Fall auf dem Weg bleiben, den wir als richtig erkannt haben.

(Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Philippi 3,15-16)

 

Der weite Blick

So manche Verwirrung löst sich auf, wenn man einen Schritt zurück tritt und die Sache mit Abstand betrachtet. Jemand, der im Glauben fest steht und dessen Sicherheit Gott ist, der kann auch den Mut zu Gedankenspielen haben: Was wäre wenn …?

Seine eigenen (auch theologischen) Überzeugungen zu hinterfragen, heißt nicht, sich von Gott zu distanzieren. Manchmal müssen wir, um Gott näher zu kommen, uns von vertrauten Denkmustern entfernen. Einen einzigen Schritt zurückzugehen reicht manchmal nicht. Vielleicht sind mehrere Schritte nötig, damit der Blick weit genug ist, um alles Wesentliche zu erfassen. Vielleicht muss man sogar den ganzen Weg zurücklaufen bis zur letzten Weggabelung, um einen anderen Gedankengang auszuprobieren.

Etwas, das ich in manchen frommen Kreisen vermisse, ist SELBST-kritische Distanz, Neugier und ein reifes Problembewusstsein. Der eigene Blick ist verengt, und die Welt aus den Augen eines anderen zu sehen, erscheint als gefährlich oder sogar sündhaft. Der Knoten im eigenen Kopf wird gar nicht wahrgenommen, und die Ursache für Meinungsverschiedenheiten wird natürlich immer beim andern gesehen.

 

Warum siehst du jeden kleinen Splitter im Auge deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?

(Matthäus-Evangelium 7,3)

 

Ups …

(Ich erwische mich selbst auch immer wieder dabei, dass ich ungeduldig und fordernd im Umgang mit anderen bin. – Ist unsere Freiheit wirklich auch die Freiheit der Andersdenkenden?)

 

Ein unverstellter Blick

Das beste Bibel-Projekt, das ich zur Zeit kenne, ist Worthaus. Ein wesentlicher Gedanke bei diesem Projekt ist, dass wir alle die Bibel durch unsere individuellen, subjektiven „Brillen“ lesen. Wichtig ist deswegen, uns unserer Brillen bewusst zu werden, um zum Wesentlichen der Texte durchzudringen.

Manchmal helfen auch ein großer Erfahrungsschatz und ein gutes Verständnis, worauf es im Leben ankommt. Der beste und umfassendste Ansatz, den ich kenne, ist die Integrale Theorie. Mittlerweile ist sie zum Glück auch in der deutschsprachigen Christenheit angekommen:

 

Ken Wilber hat einmal klug bemerkt, dass wir alle elitär starten, aber egalitär landen. Dort allein, in der egalitären Verbundenheit mit allen, sind menschliche Gemeinschaft, Zusammenhalt, Weisheit und Mitgefühl möglich. Das ist die normale und natürliche Richtung menschlichen Wachstums.

(Richard Rohr im Vorwort von „Gott 9.0„)

 

Aus den Tiefen herauf und vom Himmel herab

Die meisten Menschen haben sicherlich schon einmal die Erfahrung gemacht, dass sich ein Problem gelöst hat, ohne dass sie sich selbst anstrengen mussten. Informationen sortieren sich in unserem Gehirn und Dinge klären sich in den Tiefen unserer Seele, ohne dass wir uns darüber bewusst sind. Plötzlich ist alles klar, und wir wissen gar nicht, wie das passiert ist. Antworten kommen von irgendwo her zu uns und Dinge in unserem Leben fügen sich zu einander.

Wo ist das Problem?

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.

(Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Philippi 4,7)

 

Tipps & Tricks

Habt ihr noch Ideen, wie man Knoten wegkriegt? Manche Leute sind besonders gut darin, Knoten zu entheddern. Könnt ihr uns ein paar Tipps geben, wie man das am besten macht?

 

… ein außergewöhnlicher Geist, Verstand und die Fähigkeit, Träume zu deuten, Rätsel kundzutun und Knoten zu lösen, haben sich bei Daniel gefunden …

(Daniel 5,12)

 

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Maria Knotenlöserin, Gemälde von Johann Georg Melchior Schmidtner (1625-1705),
via Wikimedia Commons – Public domain

 

[Dies ist die neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]

 

6 Kommentare zu „Ist euer frommer Knoten schon geplatzt?

  1. Mein Knoten bestand in dem Widerspruch zwischen biblischen Wundern und naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Ich bin Ingenieur und habe von daher eine professionelle Nähe zu den Naturgesetzen. Ambiguitätstolerenz hilft hier überhaupt nicht und ist für mich nur ein vornehmeres Wort für intellektuelle Kapitulation.

    Ich bin evangelisch und habe lange außer bestimmten Aspekten bei Bultmann und tlw. Bonhoeffer kaum etwas Brauchbares in der Theologie dazu gefunden.

    Letzlich bin ich dann in der katholischen Ecke, wo ich es nicht erwartet hatte, fündig geworden (Peter Knauer, Ökumenische Fundamentaltheologie). Seitdem bin ich davon überzeugt, dass Vernunft und Naturgesetze mit christlichem Glauben zusammengehen, und zwar nicht nur als geduldete Außenseiterposition.

    Stichworte: Vorurteile überwinden („Was kann aus Nazareth Gutes kommen“ Joh 1,46), Nicht aufhören, zu suchen („Suchet, so werdet ihr finden“ Lk 11,9), Kämpfen um das, was einem wichtig ist (“ Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“, 1.Mo 32,27).

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    1. Das freut mich sehr, dass sich Ihr Knoten aufgelöst hat. Ich denke, dieser historische Konflikt zwischen Glaube und Wissenschaft sollte eigentlich mittlerweile auch wirklich der Vergangenheit angehören.

      Als evangelischer Christ muss ich auch sagen, dass aus der katholischen Ecke erstaunlich viel Gutes kommt. Irgendwas scheinen die richtig zu machen. Das macht Appetit auf mehr Ökumene. 🙂

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      1. Seit ich vor jetzt 6 Jahren für mich einiges geklärt und entschieden bekommen habe, schaue ich genauer hin. Im Konflikt zwischen Glaube und Naturwissenschaft beschreibt Buggles Formulierung von einem faulen Burgfrieden die Situation m. E. zutreffend. Selbst viele sonst liberale und aufgeklärte Theologen erlebe ich hier als vormodern wundergläubig.

        Ich meine, dass meine Kirche, wie alle anderen mir bekannten auch, den Knoten noch hat, aber ich habe in wenigstens nicht mehr in mir.

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      2. Das mit dem faulen Burgfrieden sehe ich überhaupt nicht so. Ich denke, wir sind im gesellschaftlichen Diskurs eigentlich schon auf einer Ebene angekommen, wo Glaube und Wissenschaft sich wunderbar ergänzen. Das hat auch etwas mit Erkenntnistheorie und Bescheidenheit in der Wissenschaft zu tun.

        Die Integrale Theorie von Ken Wilber ist z.B. ein Ansatz, in dem vieles stimmig wird.

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