Mensch … gegen den Rest der Welt

 

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Maximin von Trier (links) empfängt den verbannten Athanasius (rechts). Buchmalerei, 1463, von einem mittelalterlichen Buchmaler. [Public domain, via Wikimedia Commons]

 

Nein, ich meine nicht Angela Merkel, Donald Trump oder Jesus von Nazareth. Ich erzähle euch etwas über einen Mann der Kirchengeschichte, der deutlich weniger bekannt ist. Sein Name taucht allerdings immer wieder auf, wenn es um die Geschichte unserer Bibel geht.

 

„Athanasius contra mundum“

„Athanasius contra mundum“ (Athanasius gegen die Welt) war ein Sprichwort, das sich auf den Bischof Athanasius von Alexandrien bezog, der im 4. Jahrhundert n. Chr. lebte. Offensichtlich hatte er sich immer wieder mal unbeliebt gemacht. Im Streit um den richtigen Glauben wurde er mehrmals in die Verbannung geschickt.

 

Athanasius der Große

Athanasius trägt auch den Beinamen „der Große“. Von Bedeutung für den christlichen Glauben ist er u.a. wegen seinem sogenannten „39. Osterbrief“:

 

Athanasius war der erste, der in einem Osterbrief 367 n. Chr. genau die 27 Bücher des Neuen Testaments als kanonisch bezeichnete, die noch heute als solche angesehen werden.

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(Wikipedia)

 

Kanon

Das Wort „Kanon“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Richtschnur, Maßstab oder Norm. In Bezug auf die Bibel bezeichnet der Begriff all die Texte, die allgemein als heilig und normativ für den christlichen Glauben angesehen werden.

In den protestantischen Bibelausgaben sind dies in der Regel 39 Bücher des sogenannten „Alten Testaments“ (also der jüdische Tanach) und 27 Bücher des Neuen Testaments. Macht insgesamt 66 Bücher. Manche dieser 66 Büchlein sind allerdings nur einzelne Briefe oder Gebete. Genau genommen, sind es mehr als 200 Einzeltexte, da das „Buch“ der Psalmen alleine schon 150 Einzeltexte umfasst. Bibelausgaben haben meist mehr als 1000 Seiten. (Die Menge der Bibelkommentare und Bücher zur Bibel ist schier unüberschaubar.)

 

The books you think I wrote are way too thick.

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(aus dem Lied „From God’s Perspective“ von Bo Burnham)

 

Es gibt bis heute allerdings keinen völlig einheitlichen Kanon der Christenheit. Es gibt geringe Unterschiede zwischen den verschiedenen Listen der biblischen Texte, die je nach Tradition als kanonisch angesehen werden. Was man als biblischen Kanon und damit als normativ für den Glauben ansieht, hängt also von der christlichen Tradition ab, der man sich zugehörig fühlt.

 

Der Wind weht, wo er will. Du hörst zwar sein Rauschen, aber woher er kommt und wohin er geht, weißt du nicht. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.

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(Bibel, Neues Testament, Johannes-Evangelium 3. Kapitel, Vers 9)

 

Wildes Christentum

Was ist eigentlich christlicher Glaube? Wo kommt er her?

Mehr als 300 Jahre lang – und das sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – lebte und glaubte und arbeitete die Christenheit ohne die Bibel, die uns heute so vertraut ist. 300 Jahre. Das entspricht der Zeitspanne von heute zurück bis vor die Industrialisierung, das deutsche Kaiserreich und die französische Revolution bis 1718(!). Eine lange Zeit, in der fiel passiert.

Ganz offensichtlich war es möglich, dass das Christentum entstand, fort-bestand und sich ausbreitete ohne einen abgeschlossenen Kanon normativer christlicher Texte zu besitzen. Natürlich waren die neutestamentlichen Texte schon relativ bald, innerhalb von ein paar Jahrzehnten nach dem Tod Jesu, entstanden und erfreuten sich auch schnell einer weit verbreiteten Anerkennung in den Gemeinden. Es gab allerdings noch viele andere frühchristliche Schriften, und die Festlegung auf eine Liste von Texten, die als verbindlich für den christlichen Glauben gelten sollte, dauerte  wesentlich länger.

Auch mit dem Osterbrief von Athanasius war die Diskussion um einen Kanon nicht zu Ende. Sie ist es im Grunde bis heute nicht.

 

… der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

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(Neues Testament, Paulus in seinem zweiten Brief an die Christen in Korinth, 3,6)

 

Athanasius der große Querulant

Vielleicht wäre Athanasius auch heutzutage ein großer theologischer Außenseiter, denn seine Liste der biblischen Bücher weicht bezüglich des Alten Testaments von unseren Bibeln ab:

 

Athanasius von Alexandria führt 367 im 39. Osterfestbrief alle Bücher des heutigen Neuen Testaments auf, weicht im Alten Testament aber noch etwas von der heute üblichen Liste ab.

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(Wikipedia)

 

Aber vielleicht hätte Athanasius ja in Bezug auf dieses Thema im 21. Jahrhundert auch überhaupt eine ganz andere Überzeugung als die, welche er vor 1651 Jahren hatte. Zeiten ändern sich, und auch die Glaubensüberzeugungen frommer Menschen.

 

Denn wir erkennen nur bruchstückhaft …

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(Paulus in seinem ersten Brief an die Christen in Korinth, 13,9)

 

Wer braucht eine offizielle Normierung des richtigen Glaubens?

Braucht die Christenheit überhaupt einen Kanon? Wer entschied oder entscheidet darüber? Und warum?

Im Modell der Integralen Theorie könnte man die Diskussion um den biblischen Kanon als ein Konflikt beim Übergang von der blauen zur grünen Stufe sehen. Der Bibel-Streit ist nur ein kleiner Teil einer umfassenderen kulturgeschichtlichen Entwicklung.

 

Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.

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(Bergpredigt, Matthäus-Evangelium, 7,1)

 

Wie entscheidet man über die Richtigkeit des Glaubens eines anderen Menschen, und warum muss man das tun?

Immer wieder benutzen Menschen, kirchliche Funktionäre und „christliche“ Gruppen die Bibel als Machtinstrument, um ihre Interessen durchzusetzen. Manchmal sogar gut gemeint. – Wer traut sich denn noch zu widersprechen, wenn die Bibel als das Wort Gottes ins Feld geführt wird?

Es geht um die Balance zwischen Gruppenidentität und dem Interesse der Gruppe auf der einen Seite, und der individuellen Frömmigkeit und den Bedürfnissen des Einzelnen auf der anderen Seite. Diese Spannung lässt sich nicht grundsätzlich auflösen, sondern muss immer wieder in jeder Situation neu abgewogen werden.

 

Die Unterweisung in der Lehre unseres Glaubens hat nur das eine Ziel: die Liebe, die aus einem reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem aufrichtigen Glauben kommt.

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(Paulus im ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus, 1,5)

 

Christliche Identität

Worin besteht denn eigentlich unsere christliche Identität? Wer oder was hat uns zu Christen gemacht? Und wie sieht ein christliches Leben und ein christlicher Glaube aus?

Was war so einzigartig an diesem Menschen aus Nazareth?

 

„Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ …
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Da richtete Jesus sich auf und sprach zu ihr: „Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?“
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Sie aber sprach: „Niemand, Herr.“
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Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht …
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(Johannes-Evangelium 8,7-11)

 

Menschlichkeit … gegen den Rest der Welt

… wenn es sein muss auch gegen die Stimmen von Christen und Kirche. Es ist höchste Zeit, dass der individuellen Spiritualität und Glaubenserfahrung des Einzelnen gegenüber der Übermacht christlicher Tradition und frommer Cliquen Raum verschafft wird.

Heil für unfertige Mensch. Erlösung von der Macht des Falschen – auch von Gruppenzwängen. Balsam für die Seelen. Das gestaltende Schaffen Gottes im Leben seiner Geschöpfe. Menschen, heilig dem HERRN. Christen im Werden …

 

[Dies ist die neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]

 

5 Kommentare zu „Mensch … gegen den Rest der Welt

  1. Danke für die erhellenden Worte, lieber Christian.

    Wenn der Mensch in der Nachfolge Christi ist, wird die Welt halt kleiner.
    Die Frage, die wir uns stellen, wie kommt der Mensch in die Nachfolge…?

    Danke, das wird auch…
    Raffa.

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  2. Tja, nach dem Loslassen wird etwas anderes größer.

    Zwei Bibelverse:
    „Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.“ (1.Joh. 2,15)

    „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ (Römer 12,2)

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