Die Bibel ist NICHT Gottes Wort!

 

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Die erste vollständige Bibelübersetzung von Martin Luther 1534, Druck Hans Lufft in Wittenberg, Titelholzschnitt von Meister MS. Foto von Torsten Schleese (Selbstfotografiert im Lutherhaus Wittenberg), via Wikimedia Commons – Public domain

 

„Die Bibel ist  NICHT  Gottes Wort!“

Dies wird in der Christenheit nicht deutlich genug gemacht. – Es gibt leider auch viele Christen, die dem sogar energisch widersprechen würden. – Deswegen möchte ich dies in diesem Artikel so deutlich wie möglich machen.

Mir geht es dabei um all die Menschen, die sich schon für die Bibel interessieren, und auch jene, welche vielleicht in der Zukunft zur Bibel greifen werden, weil sie Gott suchen und Antworten auf drängende Fragen ihres Lebens haben möchten.

Die biblischen Texte könnten für uns so viel wertvoller sein, wenn wir besser mit ihnen umgingen…

 

Gott ist kein Schriftsteller

 

Die Aussage

die Bibel ist das Wort Gottes“

ist

unbiblisch,

unchristlich

ungeistlich

und frech.

 

 

1. Die Aussage „die Bibel ist das Wort Gottes“ ist  unbiblisch !

Diese Tatsache ist so offensichtlich, dass es schon fast peinlich ist, überhaupt darüber zu reden. Da manche Christen in diesem Zusammenhang allerdings sogar von einem „Selbstzeugnis“ der Bibel sprechen, ist es leider wirklich nötig, ausdrücklich darauf hinzuweisen.

Der letzte der biblischen Texte wurde um das Jahr 100 verfasst. Bibeln wurden aber erst ab dem 4. Jahrhundert hergestellt. Demzufolge kann die Aussage „die Bibel ist das Wort Gottes“ in keinem der biblischen Texte zu finden sein, da es Bibeln zur Zeit des Abfassens noch gar nicht gab. Die Aussage ist somit unbiblisch.

 

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Eine Seite des Codex Sinaiticus, eine der bedeutendsten Bibel-Ausgaben aus dem 4. Jahrhundert; via Wikimedia Commons – Public domain

 

2. Die Aussage „die Bibel ist das Wort Gottes“ ist  unchristlich !

Das stimmt allerdings nicht ganz bzw. muss näher erklärt werden.

Da viele Christen behaupten, dass die Bibel das Wort Gottes ist, könnte man auch sagen, es wäre somit im weiteren Sinn „eine christliche Aussage“. Die Christen der ersten Jahrhunderte konnten allerdings gar nicht behaupten, dass die Bibel das Wort Gottes ist, da es unseren Begriff „Bibel“ (bzw. die entsprechenden Begriffe in anderen Sprachen) noch überhaupt nicht gab. Wenn man also auf die Anfänge des Christentums schaut, stellt man fest, dass die Aussage „die Bibel ist Gottes Wort“ damals keine christliche Aussage war und auch nicht sein konnte.

Die ersten Christen erlebten die Offenbarung Gottes auch nicht nur in einem Buch. Im Menschen Jesus aus Nazareth und im Heiligen Geist war Gott selbst zu ihnen gekommen, und Gott sprach nun zu ihnen z.B. auch durch die christliche Schwester und den christlichen Bruder, und er lehrte vor allem den einzelnen Gläubigen in seinem Herzen durch den Heiligen Geist.

 

„Doch der Heilige Geist, den euch Christus gegeben hat, er bleibt in euch. Deshalb braucht ihr keine anderen Lehrer, der Heilige Geist selbst ist in allen Fragen euer Lehrer. Was er euch sagt, ist wahr und ohne Lüge…“

.
(Erster Brief von Johannes, 2. Kapitel, Vers 27 – Bibel, Neues Testament)

 

Dies führt uns gleich zu dem nächsten Punkt…

 

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Die Taube des Heiligen Geistes von Bernini (Rom, Vatikan, Petersdom); Foto von Dnalor 01 via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 at (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/at/deed.en)

 

3. Die Aussage „die Bibel ist das Wort Gottes“ ist  ungeistlich !

Die Jesus-Bewegung war eine „spirituelle Bewegung“. Zum frühen Christentum gehörte wesentlich die Gegenwart und die Wirkungen des Heiligen Geistes. Dies sieht man besonders in der Bekehrung  und im Wirken von Paulus. Das Wesen der Frömmigkeit hatte sich geändert: Weg vom Leben nach Texten, und hin zu einem innigen Leben in der Gegenwart des Heiligen Geistes.

 

„… der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“

.
(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,6 – Neues Testament)
.

„… Wenn ihr aber mit der Kraft des Geistes euer selbstsüchtiges Verhalten tötet, werdet ihr leben. Alle, die sich von Gottes Geist regieren lassen, sind Kinder Gottes.“

.
(Paulus im Brief an die Christen in Rom 8,13-14 – Neues Testament)

 

Die Bibel-Ideologie und Bibel-Frömmigkeit, welche sich in der Kirchengeschichte entwickelt haben, sind ein Rückschritt. Anstatt einem Leben im Geist Gottes zu vertrauen, klammert man sich wieder an heilige Texte.

Das Ganze ist auch eine Machtfrage in den religiösen Systemen der Christenheit:

Über Texte kann man verfügen (Bibelzitate, Dogmen, Bibel-Ausleger,…) – über den Heiligen Geist nicht!

 

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Fruchttaube, Foto von Lip Kee Yap [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

4. Die Aussage „die Bibel ist das Wort Gottes“ ist  frech !

Viele biblischen Texte nehmen für sich überhaupt nicht in Anspruch „Wort Gottes“ oder besonders „inspiriert“ zu sein.

Das Lukas-Evangelium ist dafür ein gutes Beispiel. Im Unterschied zu den anderen Evangelien, macht der Verfasser hier wenigstens Angaben über die Umstände der Entstehung des Textes. Er nimmt dabei allerdings gar nicht in Anspruch, irgendwie göttlich inspiriert worden zu sein. Im Gegenteil! Er schreibt, er habe gründlich recherchiert (Lukas 1,3).

Dennoch zu behaupten, die biblischen Texte sein „Gottes Wort“ ist frech, denn man geht damit – aus welchen Gründen auch immer – eindeutig über das hinaus, was viele der biblischen Texte für sich selbst in Anspruch nehmen.

Und es ist vor allem frech, weil man damit auch etwas über Gott sagt, was er selbst gar nicht gesagt hat.

 

„Es sollten sich nicht so viele in der Gemeinde um die Aufgabe drängen, andere im Glauben zu unterweisen. Denn ihr wisst ja: Wir, die andere lehren, werden von Gott einmal nach besonders strengen Maßstäben beurteilt.“

.
(Jakobusbrief 3,1 – Neues Testament)

 

Warum nehmen wir die biblischen Texte nicht einfach so, wie sie sind?

Wir wären überrascht, welche Wirkung sie entfalten können, wenn man sie von den Ketten von Bibel-Ideologie und menschlicher Instrumentalisierung befreit. – Ein Buch des Lebens…

 

jetzt, und hier

 

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Die Insel Vulcano. Foto von Brisk g, von Wikimedia Commons (public domain).

 

 

spürt ihr es nicht ?
wie die erde bebt
völker erzittern
mächte sich verbinden
dicht unter der oberfläche

.

nur noch eine kleine weile
nur noch ein augenblick
und es bricht sich bahn
wie eine gewaltige flut

 

 

 

*

 

Mich erinnern unsere Tage an die Zeit zwischen den Weltkriegen.

 

 

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Eine expressionistische Lyrik-Anthologie (1919/1920) vom Ernst Rowohlt Verlag, Berlin.  Antiquariaat Die Schmiede. Wikimedia Commons (public domain).

 

 

Ich reihe mich  nicht  ein, in die Zahl der Weltuntergangs-Propheten.

Es ist etwas im Anbrechen. Etwas Großes. Das Alte verblasst. Mächte schwinden und neue stehen auf; und immer mehr Menschen haben ein anderes Bewusstsein. Die alten Antworten haben für sie keine Kraft mehr.

 

… Siehe, ich mache alles neu! …

.
(Bibel, Neues Testament, Offenbarung, 21. Kapitel, Vers 5)

 

Gott ist nicht nur der Erschaffer am Anfang, sondern auch der Erhalter seiner Schöpfung. Er ist das Leben und die Wirklichkeit selbst. Die kreative Kraft. – Die Zellen unseres Körpers erneuern sich alle paar Jahre. Gott macht ständig alles neu.

 

Aus der Vergangenheit kann jeder lernen.
Heute kommt es darauf an, aus der Zukunft zu lernen.

(Hermann Kahn)

 

Man muss nicht ein studierter Gesellschafts- und Politik-Analyst sein, um das Ausmaß der aktuellen Veränderungen zu spüren.

Wenn man in Worte fasst, was man selbst wahrnimmt, entsteht Klarheit. Wenn man darüber mit anderen spricht, entsteht Wirklichkeit.

 

Wenn wir gewillt sind,
das Leben loszulassen,
das wir geplant haben,
können wir das Leben empfangen,
das auf uns wartet.

(Joseph Campbell)

 

Wir blicken aus großer Höhe herab auf einen Hochgeschwindigkeitszug, der über die Oberfläche unserer Welt gleitet. Es ist eine klitzekleine Weiche, die darüber entscheidet, ob der Zug an dem einen Ende der Erde ankommt, oder am anderen.

Wir treffen jeden Tag eine Fülle von Entscheidungen. Große und kleine.

Probieren – geht über studieren.

 

Würdest du mir bitte sagen, wie ich von hier aus weitergehen soll?
– Das hängt zum großen Teil davon ab, wohin du möchtest, sagte die Katze.

(Lewis Caroll, Alice im Wunderland)

 

 

Der Bibel-Mythos

 

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Alte Bibel; von Ajel auf pixabay.com (CC0 Public)

 

Der Titel ist zugleich die Behauptung:

Ich behaupte, es gibt eine weit verbreitete Vorstellung von der Bibel, die nicht stimmt!

 

Die gewöhnlichen Menschen trachten, so scheint es wenigstens, nach nichts weniger als nach einem der Heiligen Schrift entsprechenden Leben. Vielmehr sehen wir, dass sie fast alle ihre Hirngespinste für Gottes Wort ausgeben und nur darauf bedacht sind, unter dem Deckmantel der Religion andere Leute dazu zu zwingen, dass sie denken wie sie selbst.

.
(Baruch de Spinoza (1632 – 1677), eigentlich Benedictus d’Espinoza, holländischer Philosoph; Quelle: Spinoza, Tractatus theologico-politicus, via aphorismen.de)

 

Mythos

Der Begriff „Mythos“ ist hier also nicht streng wissenschaftlich, sondern umgangssprachlich gemeint. Ich meine, dass die Bibel ein religiöses Image hat, das nicht der Wirklichkeit entspricht.

Und dies hat nicht nur speziell mit der  deutschen  Sprache oder Kultur zu tun, sondern ist ein religiös-kulturelles Problem  aller  christlich geprägten Gesellschaften und darüber hinaus.

 

Bibel  (Deutsch)

Bedeutungen:

[1] kein Plural: Titel des Buches (ursprünglich Sammlung von Büchern beziehungsweise Schriften), welches nach christlicher Auffassung Gottes Wort ist
[2] eine Ausgabe von [1]
[3] übertragen: ein bedeutendes Standardwerk in einem bestimmten Gebiet

(Quelle: Wiktionary.org)

 

Das Wort „Bibel“

Sachlich kann man erst einmal festhalten, dass die Bibel eine Sammlung von Schriften ist, welche grundlegend für den christlichen Glauben geworden sind. Diese Aussage, wird wohl niemand bestreiten.  (Auch wenn man über den Wortlaut vielleicht noch Haare spalten könnte.)

Wir assoziieren mit dem Wort „Bibel“ allerdings darüber hinaus noch etwas anderes. Um dieses „andere“ geht es in diesem Post.

 

The books you think I wrote are way too thick.

(aus dem Lied „From God’s Perspective“ von Bo Burnham)

 

Die Bibel als Nachschlagewerk und Einführung ins Christentum?

Das Wort „Bibel“ wird im Deutschen und Englischen (und vermutlich auch noch in weiteren Sprachen) auch für eine bestimmte Art von Büchern benutzt. Es ist, sozusagen, auch die Bezeichnung für eine Art von „Genre“. Es wird benutzt für Bücher, die maßgeblich für ein Wissensgebiet geworden sind.

So könnte man, z.B., von einer “Heimwerker-Bibel” sprechen und gemeint wäre ein allgemein anerkanntes Buch, in dem man alles Wichtige zum Thema “Heimwerken” findet. Es geht dabei sowohl um die Art, wie man das Buch benutzt (praktisches Nachschlagen), als auch um die Zuverlässigkeit der Information und die allgemeine Anerkennung.

 

… Die Schrift ist Gottes Atem. Sie soll uns unterweisen; sie hilft uns, unsere Schuld einzusehen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen und so zu leben, wie es Gott gefällt. So werden wir reife Christen und als Diener Gottes fähig, in jeder Beziehung Gutes zu tun.
 .

(Paulus in der Bibel, Neues Testament, der zweite Brief an Timotheus, 3. Kapitel, Verse 16-17)

 

Unsere Bibeln sind gar keine Bibeln!

Die Frage ist nun, ist DIE BIBEL in diesem Sinne überhaupt eine „Bibel“ für den christlichen Glauben? (Ich hoffe, ich verwirre hier niemanden …)

Wer die Bibel auch nur ein bisschen kennt, weiß schon längst, dass die christliche Bibel nicht nur vom Thema, sondern auch vom Wesen her, ein so ganz anderes Buch ist als die Heimwerker-Bibeln, Koch-Bibeln, Auto-Bibeln, usw.  Die Bibel wurde ursprünglich NICHT als EIN Buch konzipiert und veröffentlicht. Sie behandelt eine Vielfalt von Themen, und sie enthält eine Vielfalt von Genres. Sie ist halt über einen sehr langen Zeitraum auf eine sehr eigentümliche Weise entstanden.

Wie konnte es dann überhaupt dazu kommen, dass das Wort „Bibel“ für Bücher benutzt wird, die so ganz anders sind?

 

Bitte gib mir Antworten auf meine Fragen!

 

Bedürftigkeit

Ich denke, es hat damit zu tun, dass die Bibel von den Frommen wie ein Nachschlagewerk benutzt worden ist. – Willst du wissen, was Gott zu diesem Thema meint? Kein Problem! Ich zitiere mal schnell einen passenden Bibelvers. Und da die Bibel im Original ja leider nicht alphabetisch sortiert ist und ohne Inhaltsverzeichnis und Sachregister kommt, haben wir dann etwas nachgebessert und entsprechende Bibelausgaben geschaffen.

Mit einer zusätzlichen Bibel-Konkordanz ist es noch einfacher, und am besten natürlich mit Bibel-Software. Da bleiben kaum noch Wünsche offen. Man muss die Texte selbst auch gar nicht mehr richtig kennen. Mit der Suchfunktion findet man schnell die gewünschte Aussage, die man benutzen will. Wir haben die Bibel in den Griff gekriegt! (Falls dies ein bisschen nach Instrumentalisierung klingt, ist es bestimmt kein Zufall.)

 

… der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

.
(Paulus‘ zweiter Brief an die Christen in Korinth, 3,6)

 

Zauberbuch

Aus unzähligen Filmen kennt man die Szene, wo jemand zum Schwören die Hand auf eine Bibel legt. Sicherlich eher eine symbolische als eine magische Handlung, aber wiederum eine öffentliche Benutzung der Bibel, die bestimmte Vorstellungen erzeugt. Es gibt bei manchen sogar die Vorstellung, dass man mit diesem Buch Dämonen und okkulte Mächte vertreiben kann.

Solange eine Bibel nur im Bücherregal steht, tut sie keinem weh. Wenn aber die Bibel für bestimmte Zwecke benutzt wird, dann formt sich eine gewisse Vorstellung von diesem Buch, selbst bei denen, die nie hineingeschaut haben. Verursacht natürlich von denen, die von der Bibel reden und sie zitieren.

 

… es ist offensichtlich, dass ihr ein Brief seid, den Christus selbst verfasst hat und der durch unseren Dienst zustande gekommen ist. Er ist nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, und die Tafeln, auf denen er steht, sind nicht aus Stein, sondern aus Fleisch und Blut; es sind die Herzen von Menschen.

.
(Paulus‘ zweiter Brief an die Christen in Korinth, 3,6)

 

Wort Gottes?

Nicht alle biblischen Texte präsentieren sich als Wort Gottes. Aber im Laufe der Kirchengeschichte hat man EIN Buch gemacht, das als „Heilige Schrift“ und „Wort Gottes“ verkauft wurde und normativen Charakter für den christlichen Glauben haben sollte. Man wollte so ein Buch haben, und man hat es sich gemacht.

Die historische Analyse dieser Entwicklung ist eine wichtige Aufgabe für alle Kirchen und alle, die meinen, dass diese Texte auch für uns heute noch wertvoll sind. Die entscheidende Frage ist:

Wollen wir die Texte BENUTZEN, oder wollen wir von ihnen LERNEN?

 

Die Unterweisung in der Lehre unseres Glaubens hat nur das eine Ziel: die Liebe, die aus einem reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem aufrichtigen Glauben kommt.

.
(Paulus‘ erster Brief an Timotheus, 1,5)

 

Meine Vorstellungen und Gottes Plan

Die Klärung und Überprüfung der eigenen Vorstellungen, die ich von der Bibel habe, ist besonders für  die  Menschen wichtig, denen die Bibel am Herzen liegt. So ist die Klärung dieser Fragen von existenzieller Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft des christlichen Glaubens.

 

[Dies ist eine neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]

 

Ist die Bibel euer „Goldenes Kalb“?

 

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Nicolas Poussin [Public domain], via Wikimedia Commons

 

Als Mose so lange Zeit nicht vom Berg herabkam, versammelten sich die Israeliten bei Aaron und forderten ihn auf: ‚Mach uns eine Götterfigur, die uns den Weg zeigt! Wer weiß, was diesem Mose zugestoßen ist, der uns aus Ägypten herausgeführt hat!‘ Aaron schlug vor: ‚Eure Frauen und Kinder sollen ihre goldenen Ohrringe abziehen und zu mir bringen!‘ …

.

Er nahm den Schmuck entgegen, schmolz ihn ein und goss daraus ein goldenes Kalb. … Als es fertig war, schrien die Israeliten: ‚Das ist unser Gott, der uns aus Ägypten befreit hat!‘ Daraufhin errichtete Aaron einen Altar vor der Götterfigur und ließ bekannt geben: ‚Morgen feiern wir ein Fest zu Ehren des Herrn!‘

.

(Bibel / Tanach / Altes Testament, Schemot / Exodus / 2. Mose, 32. Kapitel, Verse 1-5)

 

Das „Goldene Kalb“

Eigentlich war das sogenannte „Goldene Kalb“ wohl eher ein goldener Jungstier. – Symbol der Kraft und der Macht.

Diese Erzählung aus dem zweiten Buch unserer Bibeln fasziniert mich schon lange. Irgendwie hatte ich früher die Idee in den Kopf gekriegt:  Aha, da sind die Israeliten also so kurze Zeit nach all den Wundern von Gott abgefallen und haben sich heidnischen Götzen zugewandt. Diese Idee war aber falsch.

 

Das ist unser Gott, der uns aus Ägypten befreit hat! … Morgen feiern wir ein Fest zu Ehren des Herrn!“

(Vers 4-5)

 

Das wartende Gottesvolk

Die Israeliten werden unsicher und unruhig, als Mose länger braucht, als sie erwartet haben. Wie ein kleines Kind (oder auch wir Erwachsene) suchen sie Halt, Sicherheit, Stabilität. Und den Fokus der Sicherheit, den sie sich dann selbst erschaffen, ist nicht ein heidnischer Götze, an den sie sich anstelle Jahwes wenden, sondern es ist eine Vergegenständlichung Jahwes, ihres Gottes : „Das ist unser Gott, der uns aus Ägypten befreit hat! … Morgen feiern wir ein Fest zu Ehren des Herrn!“ (Vers 4-5).

Es gibt nicht nur materielle Gottesbilder, sondern auch sprachliche, bei denen nicht mit Gold, Stein, oder anderem Material ein Bild von Gott gemacht wird, sondern mit Worten. Die Ehrfurcht im Judentum vor dem Aussprechen des Gottesnamens könnte für uns schon ein Hinweis darauf sein, wie problematisch es ist, Gott auf sprachliche Weise zu benutzen und für sich zu vereinnahmen.

 

Spöttisch werden sie euch fragen: »Wo ist denn nun euer Christus? Hat er nicht versprochen, dass er wiederkommt? Schon unsere Vorfahren haben vergeblich gewartet. Sie sind längst gestorben, und alles ist so geblieben, wie es von Anfang an war!« …
.
Wenn manche also meinen, Gott würde die Erfüllung seiner Zusage hinauszögern, dann stimmt das einfach nicht. Gott kann sein Versprechen jederzeit einlösen. Aber er hat Geduld mit euch …
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So erwartet ihr diesen Tag, an dem Gott kommt, und tut alles dazu, dass er nicht mehr lange auf sich warten lässt …
.
Wir alle aber warten auf den neuen Himmel und die neue Erde, die Gott uns zugesagt hat. Wir warten auf diese neue Welt, in der endlich Gerechtigkeit herrscht.
.
(Neues Testament, Zweiter Brief von Petrus, 3,4-13)

 

Wartende Christen

Wir können schon in den Texten des Neuen Testaments erkennen, wie die ersten Christen unsicher wurden, als Jesus nicht wiederkam, um das Reich Jahwes aufzurichten. Heute sind fast 2000 Jahre vergangen, und Jesus ist immer noch nicht wiedergekommen.

Wir haben uns allerdings in der Zwischenzeit selbst ein Buch gemacht, dass uns Sicherheit gibt und ein Dogma der Unfehlbarkeit der Bibel formuliert. Ein handfestes Buch, das wir fest im Griff haben, und in dem wir schnell Antworten auf unsere Fragen nachschlagen.

 

Jetzt sehen wir nur ein undeutliches Bild wie in einem trüben Spiegel. Einmal aber werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt.
Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Liebe. Von diesen dreien aber ist die Liebe das Größte.
.
(Paulus‘ erster Brief an die Christen in Korinth, 13,12-13)

 

Ich und meine Bibel

Es gibt ein Gemeindelied, dass ich eigentlich immer noch mag. Und wenn man daran denkt, dass bis heute Christen ihr Leben aufs Spiel setzen, um die Bibel zu verbreiten, kann man verstehen, warum jemand solch ein Lied schreiben würde. Aber z.B. in der letzten Zeile (ausgerechnet) geht es eindeutig über die Verehrung hinaus, die wir diesem Buch entgegenbringen sollten:

 

KANN NIMMERMEHR DICH LASSEN

1) Kann nimmermehr dich lassen, mein teures Bibelbuch,
Ich fand darin den Heiland, der meine Sünden trug.

Ref.: Nimmermehr, nimmermehr laß ich von meiner Bibel.
Nimmermehr, nimmermehr laß ich mein Bibelbuch.

2) In Trübsal und Verfolgung, in Kummer, Leid und Schmerz
quillt nur aus meiner Bibel, mir Trost ins wunde Herz.

3) Zielt mit dem gift’gen Pfeilen auf mich der Seelenfeind,
greif ich zu meiner Bibel, und Kreuzeslicht mir scheint.

4) Muß bis aufs Blut ich ringen heiß in Gethsemane,
so bringt mir meine Bibel des Heilands Friedensnäh.

5) Drum kann ich dich nicht lassen, geliebtes Bibelbuch,
dein Reichtum schenkt mir alles, was immer ich auch such!

(Text: W. Fetler)

 

[Für diejenigen, die das Lied nicht kennen: Ich hab‘ das Lied im Liederbuch „Jesu Name – nie verklinget“ (Band 1) kennengelernt, welches wir die meiste Zeit in meiner Gemeinde benutzt haben, als ich aufwuchs. „Jesu Name …“ war wahrscheinlich eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Liederbuchreihen aller Zeiten. Jesu Name 1 kann man noch kaufen und wird verlegt vom Hänssler-Verlag (evangelikaler Mainstream).]

 

Die Bibel als Götze

Es ist eine feine Linie zwischen einer guten und einer bösen Verehrung der Bibel, und vielleicht können wir nicht einmal selber immer genau sagen, auf welcher Seite wir stehen. Eine der grundlegendsten Fragen für alle Frommen ist:  Will ich Gott für meine Bedürfnisse und Zwecke benutzen oder ihm vertrauen und mich von ihm benutzen lassen?

Die Israeliten am Berg Sinai machten sich ein goldenes Kalb. Die Kirche erschuf sich die Bibel. Und in den endlosen Diskussionen der Christenheit erscheinen diese Texte immer wieder als heilige Kuh.

Die Bibel ist für mich unendlich wertvoll, weil ich durch sie Jesus kennengelernt habe. Und Christ sein bedeutet, diesem Jesus hinterher zu laufen und von ihm zu lernen, Gott so zu vertrauen, wie er ihm vertraut hat. Dann können unsere heiligen Texte für uns und andere auch zu heilsamen Texten werden.

 

Wendepunkte – Was eigentlich besagt das Christentum?

 

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Das Kreuz und der Fisch sind zwei der bekanntesten Symbole für Jesus Christus. Die Buchstaben des griechischen Wortes ΙΧΘΥΣ Ichthýs (Fisch) bilden als Akrostichon das Glaubensbekenntnis Jesus Christus, Sohn Gottes, Erlöser. Bleiglasfenster von Wilhelm Schmitz-Steinkrüger in der Kirche St. Johannes Baptist (Nideggen), um 1952, by Reinhardhauke (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

Tja, was eigentlich besagt denn nun das Christentum?

Wer schon einmal mit Christen oder Nicht-Christen über diese Frage diskutiert hat, weiß, dass die Antwort alles andere als selbstverständlich ist.

„Wendepunkte – Was eigentlich besagt das Christentum?“

Dieser Titel stammt nicht von mir, sondern ist der Titel eines der letzten Bücher von Eugen Drewermann. Meiner Meinung nach, einer der klügsten Köpfe unserer Zeit. – Ich bin bekennender Drewermann-Fan.  😉

Ich hab den Vortrag, den er zu diesem Buch hier in Berlin an der Urania gehalten hat, schon gehört und hab (nachdem ich kurz im Internet in das Inhaltsverzeichnis geschaut hab) mir dann auch gleich das Buch dazu bestellt. Gebraucht und billiger. Internet ist toll.  🙂

Das „Christentum“

Wie so oft, suggeriert auch hier schon der Begriff, dass klar ist, worum es geht. Und wenn man dann genauer hinschaut, beginnt die Verwirrung …

„Christentum“ ist ein Sammelbegriff (wie ja bei anderen Religionen und vielen anderen Namen auch); und Christen und Nicht-Christen diskutieren und streiten darüber, wie man diesen Begriffen definieren kann oder muss.

 

… In Antiochia nannte man die Jünger zum ersten Mal „Christen“.

(Bibel, Neues Testament, Apostelgeschichte, 11. Kapitel, Vers 26)

 

Es gibt unterschiedliche christliche Konfessionen und Traditionen; und je nach dem, mit welcher Sorte Christ man gerade spricht, erhält man auf dieselben Fragen unterschiedliche Antworten. – „Das Christentum“ spricht nicht mit  einer  Stimme …

Manchmal sind sich Menschen unterschiedlicher Religionen (z.B. die Mystiker) näher, als manche Angehörigen derselben Religion (z.B. christliche Fundamentalisten und Liberale).

Wendepunkte

Wenn das Christentum nicht noch mehr in religiöse Traditionspflege-Clubs abrutschen und in der Bedeutungslosigkeit verschwinden will, muss es sich selbst und anderen Rechenschaft darüber ablegen, wozu es eigentlich gut ist. Dazu hilft dann auch ein Blick zurück in die Vergangenheit: Wie und warum ist das Christentum überhaupt entstanden?

 

… ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.

(Apostelgeschichte 1,8)

 

Integrale Theorie

Ein Modell, das theoretisch Klarheit in die ganze Angelegenheit bringen kann, ist die Integrale Theorie. Und das muss dann auch nicht nur Theorie bleiben:

Integrales Christentum

 

Um Gottes und der Menschen willen: Stürzt doch endlich das Bibel-Dogma vom Sockel!

 

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Altarbibel auf einem lutherischen Altar; von Leon Brooks [Public domain], via Wikimedia Commons

 

[ Dies ist die Überarbeitung eines meiner älteren Artikel, der mit Abstand die heftigsten Reaktionen hervorgerufen hat. Hier findet ihr den älteren Artikel. ]

Dies ist kein Artikel gegen die Bibel. (Ich bin bekennender Bibel-Fan.) Es  ist  allerdings ein Artikel gegen einen schlechten Umgang mit ihr. Und es ist ein Artikel für einen wahrhaft christlichen Glauben im Sinne Jesu. – Es gibt etwas Besseres als Biblizismus: Evangelium! Es gibt eine gute Nachricht.

Die nicht ausreichend geklärte Frage unseres Umgangs mit der Bibel, ist eines der größten Probleme des Christentums. Wir haben einen Hunderte von Jahren alten Bibel-Mythos, der wie ein gewaltiger Klotz am Bein des wunderbaren Evangeliums ist. Es ist mehr als überfällig, dass das Dogma der Unfehlbarkeit der Bibel von seinem Sockel gestoßen wird, um zu einem Glauben im Sinne Jesu und der ersten Christen zurückzukehren. (Wenn all die Frommen der Jahrhunderte Jesus und die biblischen Texte ernster genommen hätten, wäre es nie zu diesem Dogma gekommen.)

 

Wehe euch Schriftgelehrten! Denn ihr beladet die Menschen mit unerträglichen Lasten …

Weh euch, … die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein und die hinein wollen, lasst ihr nicht hineingehen.  … Weh euch, ihr verblendeten Führer …

(Jesus von Nazareth; Bibel, Neues Testament, Lukas-Evangelium 11. Kapitel, Vers 46 und Matthäus 23,13-16)

 

Nehmt doch endlich das Joch eurer Bibel-Verehrung von den Schultern so vieler Gläubiger! Jesus hat keinen heiligen Text aufgeschrieben und auch zu Pfingsten kam keine neue Tora vom Himmel. Es war gerade der normative Charakter heiliger Schriften, der in der frühen Christenheit zur Diskussion Stand. Um Gottes und der Menschen willen müssen wir DEUTLICH widersprechen:

Die Bibel ist NICHT das Wort Gottes !!!

Ich sage dies nicht, weil ich GEGEN die biblischen Texte bin, sondern FÜR sie! Und für die MENSCHEN, die sie lesen.

Wer es nicht glauben will, soll doch einfach selbst mal in seiner Bibel nachschauen:

Lukas, zum Beispiel. Behauptet der Verfasser des Lukas-Evangelium an irgendeiner Stelle, dass seine Worte die Worte Gottes wären oder dass er sie von Gott empfangen hätte? Gibt es irgendeinen anderen Vers in der Bibel, der  behauptet, dass das Lukas-Evangelium Gottes Worte sind? Wann hat überhaupt in der Kirchengeschichte sich zum ersten Mal jemand angemaßt zu behaupten, dass dies Evangelium Wort Gottes ist? Und warum?

Die biblischen Texte wurden im Glauben überliefert, dass sie Zeugnisse des Wirken Gottes sind. Dadurch werden sie aber nicht zu vollkommenen Worten Gottes für den modernen Leser. Nehmt doch die Texte selbst ernst, anstatt einfach eure liebgewonnenen Ideen in die Texte hineinzulesen! Und all dies auch noch unter dem Deckmantel von Frömmigkeit und mit dem Anspruch auf Wahrheit!!!

Ich glaube auch, dass Gott spricht. Ich glaube auch, dass er durch einen biblischen Text zu einem Menschen sprechen kann. Dies ist dann aber eine persönliche, subjektive religiöse Erfahrung und sollte auch als solche behandelt werden.

Auch Theologen, die Fundamentalismus ablehnen, sind in ihrem Gebrauch der biblischen Texte und in ihrem Reden über die Bibel nicht immer „sauber“. (Mich eingeschlossen.) Wir, die „Wissenden“, tragen aber Verantwortung dafür, wie wir die Bibel darstellen und welche Erwartungen an diese Texte wir erzeugen.

Wie wäre es, wenn wir endlich einmal eine Bibelausgabe hätten, wo nicht „Bibel“ oder sogar „Heilige Schrift“ drauf steht, sondern „Sammlung der grundlegenden Schriften des Christentums“? Das Wort „Bibel“ allein suggeriert schon eine Homogenität des Buches, die nicht gegeben ist. (Wer weiß schon, dass das Wort „Bibel“ eigentlich ein Plural ist?)

Denen, die sich schon freuen, dass sie jetzt vielleicht auch als Christen endlich machen dürfen, was Spaß macht, sei gesagt:  Ihr durftet schon immer machen, was Spaß macht; es ist nur nicht alles gut!  😉

 

Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt – aber nichts soll Macht haben über mich.

Alles ist erlaubt – aber nicht alles nützt. Alles ist erlaubt – aber nicht alles baut auf.

(Paulus‘ erster Brief an die Gemeinde in Korinth; 6,12 und 10,23)

 

Das Bibel-Dogma aufzugeben, bedeutet überhaupt nicht, dass christlicher Glaube dadurch beliebig würde, es keine Orientierung mehr gäbe oder die Nachfolge Jesu weniger verbindlich wäre. Aber so vielfältig wie Kulturen und Menschen und das Leben selbst, so vielfältig müssen auch unsere Antworten sein. – Und wer sagt überhaupt, dass ich selbst die richtige Antwort für einen anderen Menschen haben muss?

Haben wir Angst vor der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes?

 

Alle, die sich von Gottes Geist regieren lassen, sind Kinder Gottes. Denn der Geist Gottes, den ihr empfangen habt, führt euch nicht in eine neue Sklaverei, in der ihr wieder Angst haben müsstet. Er hat euch vielmehr zu Gottes Söhnen und Töchtern gemacht. Jetzt können wir zu Gott kommen und zu ihm sagen: »Abba, lieber Vater!
(Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Rom; 8,14-15)

 

Lösen vom Vertrauten

 

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„Wellenreiter“ von Jon Sullivan, via Wikimedia Commons – public domain

 

 

Gottes Kommen kündigt sich darin an, dass wir fühlen: So darf ich nicht bleiben!

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(Friedrich Rittelmeyer, protestantischer Pfarrer und Gründer der Christengemeinschaft; zitiert aus „Gott 9.0„, S.19)

 

Vertrautes gibt uns Sicherheit und macht unser Leben leichter …

… und die Zufriedenheit mit dem Vertrautem ist der größte Feind des Besseren. – Warum etwas Gutes aufgeben, wenn ich noch nicht kenne, was vielleicht besser sein könnte?

 

»Herr, wenn du es bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen!« – »Komm!«, sagte Jesus. Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser auf Jesus zu. Doch als er merkte, wie heftig der Sturm war, fürchtete er sich. Er begann zu sinken. »Herr«, schrie er, »rette mich!« Sofort streckte Jesus seine Hand aus und hielt ihn fest. »Du Kleingläubiger«, sagte er, »warum hast du gezweifelt?«

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(Die Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium, 14. Kapitel, Verse 28-31)

 

Ein anderes Bild:

Der Wasserspiegel steigt. Noch sitzt das Boot fest auf dem Grund. Aber dann kommt der Moment, wo ich merke, dass sich das ganze Boot bewegt und schwankt. Das Boot hat die Bodenhaftung verloren. Ich bin unterwegs. Die Landratte ist auf dem Weg ins offene Meer hinaus. Und mein Boot trägt.

Wer meint „ich glaube nur, was ich sehe,“ täuscht sich selbst. Realismus ist eine Illusion. Wir erfassen nie die gesamte Wirklichkeit. Wir wissen noch nicht einmal genug, um abschätzen zu können, wie viel uns zur Allwissenheit noch fehlt. Wir können nicht beurteilen, ob wir viel oder wenig wissen, und wir können auch nicht sicher sein, welchen Wert unser Wissen im Zusammenhang mit dem großen Ganzen hat, da wir das große Ganze noch nicht vollständig kennen.

Darum aber geht es im Glauben an Gott: Um das große Ganze. Das Unbegrenzte, Absolute. – Wir, hingegen, sind begrenzt. Unsere Wahrnehmungen und unser Verstehen sind ganz offensichtlich mangelhaft.

 

Gottesfurcht ist Anfang der Erkenntnis …

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(Tanach / Altes Testament, Sprüche 1,7)

 

Glauben heißt, sich vom Vertrauten zu lösen. Leap of Faith. Sprung des Glaubens. Es ist ein Lebensstil, der dem Wissen um die eigene Begrenztheit entspricht und der offen ist für neue Erfahrungen; offen dafür, Neues zu lernen. Umso schlimmer ist es, wenn sich vermeintlich „Gläubige“ als die „Wissenden“ präsentieren, die alle Antworten besitzen. Besserwisser, die es offensichtlich nicht mehr nötig haben, von anderen zu lernen, da sie ja schon die Wahrheit besitzen.

So, wie es nicht möglich ist, alles zu wissen, so ist es allerdings auch nicht möglich zu leben, ohne Entscheidungen zu treffen. Wir müssen uns durchs Leben wurschteln, obwohl wir wissen, dass unser Verstehen der Wirklichkeit mangelhaft ist. Wir sind schwach und bedürftig. Menschen, die Hilfe und Orientierung brauchen.

Um glauben zu können, muss man auch nicht alles aufgeben, was sich schon bewährt hat. Aber man muss die totale Selbstkontrolle und seine Eigenwilligkeit aufgeben, wenn man will, dass man von  Gott  bewegt wird und für ihn brauchbar ist. Man muss Gott das Ruder überlassen. Kontrollfreaks tun sich schwer mit dem Evangelium.

Ich hab mich im Leben schon oft im Kreis gedreht. Gegrübelt und gegrübelt und bin immer wieder an denselbem Punkt angekommen. Auch so manche Diskussion zwischen Christen erscheint als festgefahren. Vielleicht ließen sich sinnlose Debatten und Spaltungen der Christenheit überwinden, wenn wir mehr bereit wären loszulassen und uns von Gott auf eine höhere Ebene heben ließen.

Was wir brauchen ist eine gute Kraft, die uns trägt und ans Ziel bringt. Eine Kraft, die über unsere eigenen Möglichkeiten hinaus geht. Es geht schließlich nicht nur um uns, sondern um alle Menschen und die gesamte Schöpfung. Wir brauchen einen Lebensstil, der einladend ist, und offen für die Möglichkeiten Gottes; Konzepte, durch die sich die guten Absichten Gottes verwirklichen können.

 

Darum gleicht jeder, der meine Worte hört und danach handelt, einem klugen Mann, der sein Haus auf felsigen Grund baut. Wenn dann ein Wolkenbruch niedergeht und die Wassermassen heranfluten und wenn der Sturm tobt und mit voller Wucht über das Haus hereinbricht, stürzt es nicht ein; es ist auf felsigen Grund gebaut.

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(Matthäus-Evangelium 7,24-25)

 

Dieses feste Fundament findet man nur in der relativen Unsicherheit des Glaubens.

 

Heilige Texte = gute Texte ?

 

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Der Anfang der Gutenberg-Bibel [Text von Hieronymus (* ca 347, † 420), Druck durch Johannes Gutenberg (* ca. 1400, † 1468), Illustrationen von verschiedenen Angestellten], public domain, via Wikimedia Commons

 

Die Frage selbst scheint schon ein bisschen blasphemisch und ein bisschen absurd: Wenn heilige Texte keine guten Texte sind, was dann?

Ich bin mit der Bibel aufgewachsen, und sie hat mich ein Leben lang begleitet. Wenn ich auf eine einsame Insel müsste und könnte nur  ein  Buch mitnehmen, wäre die Frage für mich nur,  welche Bibel-Ausgabe  ich mitnehme. Und doch gibt es immer noch Teile der Bibel, denen ich nicht viel abgewinnen kann. Liegt das an mir oder am Text?

Als ich in der Oberschule war, beschloss ich, in einem Jahr die Bibel durchzulesen, und ich hab es auch geschafft.  🙂  Ca. 3 Kapitel Altes Testament und 1 Kapitel Neues Testament pro Tag. Ich hätte natürlich auch einfach Alles von vorne bis hinten durchlesen können, aber ich wollte nicht so lange aufs Neue Testament warten müssen.

Manchmal war es so spannend, dass ich nach 3 Kapiteln gar nicht aufhören wollte, und andere Male war es ziemlich öde. – Darf man das überhaupt zugeben? – 3. Buch Mose / Leviticus / Wajikra ist für einen Teenager nicht unbedingt fesselnde Lektüre. – Wie wär’s mit etwas Harry Potter? Oder Stephen King?

Es ist allerdings auch eine absurde Vorstellung, dass antike heilige Texte für Kinder, Teenager oder auch Erwachsene spannende Lektüre sein müssen. Wenn man dies von den Texten oder deren Lesern verlangt, ist man in Gefahr, die Texte so verbiegen zu wollen, dass sie für den Leser interessant werden. Auch sich selbst oder anderen vorzumachen, dass man die biblischen Texte ganz toll findet, klingt nicht nach einer christlichen Strategie.

Oft habe ich es erlebt, dass man mit Gewalt versucht die Texte zu „aktualisieren“:

 

Dies sind aber die Namen der Männer, die euch beistehen sollen: von Ruben: Elizur, der Sohn Schedëurs; von Simeon: Schelumiël, der Sohn Zurischaddais; von Juda: Nachschon, der Sohn Amminadabs; von Issachar: Netanel, der Sohn Zuars; von Sebulon: Eliab, der Sohn Helons; von den Söhnen Josefs: von Ephraim: Elischama, der Sohn Ammihuds; und von Manasse: Gamliël, der Sohn Pedazurs; von Benjamin: Abidan, der Sohn des Gidoni; von Dan: Ahiëser, der Sohn Ammischaddais; von Asser: Pagiël, der Sohn Ochrans; von Gad: Eljasaf, der Sohn Deguëls; von Naftali: Ahira, der Sohn Enans.

(Die Bibel, Altes Testament, 4. Buch Mose / Numeri / Bemidbar, 1. Kapitel, Verse 5-15)

 

„Wie kannst du diese Verse heute praktisch in deinem Alltag anwenden?“

Die Gefahr, dass man gerade bei diesem Zitat „falsche Schlüsse“ zieht, ist sicherlich gering: Man „zieht“ wahrscheinlich einfach gar nichts. Für Bibelforscher vielleicht interessante Verse, aber wieviel Zeit und Nachschlagewerke braucht man, um von diesen Versen etwas für sein Leben zu lernen?

Bei anderen Versen ist es viel einfacher, etwas Praktisches abzuleiten:

 

Nun gebe ich dir noch einen persönlichen Rat: Trink nicht länger nur Wasser. Du bist so oft krank, und da würde etwas Wein deinem Magen gut tun.

(Neues Testament, Paulus‘ 1. Brief an Timotheus)

 

Das, was man hier lernen kann, scheint auf der Hand zu liegen. Bei anderen Versen, hingegen, ist es nicht ganz so einfach. Aber wenn man lange genug auf einem Vers herumgekaut hat, kann man da vielleicht auch etwas Brauchbares heraussaugen. Dies ist auch nicht unbedingt schlecht, aber die Frage ist, ob das, was man gelernt hat, der Text auch lehren wollte.

Selbst bei einem göttlichen Gebot, wie „Du sollst den Sabbat heiligen!“, kann ich mich fragen, ob das auch für mich heute gilt. (Gott hat es schließlich nicht direkt zu mir gesagt.) Und noch schlimmer wird es, wenn man jemand anderem einen Bibelvers unter die Nase reibt und behauptet: „Dies ist Gottes Wille für  dein  Leben heute !“

Man kann aus vielen Büchern irgendwelche mehr oder weniger guten Ideen ableiten – auch aus der Bibel. Wie kann ich aber überprüfen, ob ich einen biblischen Text auf eine sinnvolle Weise benutzt habe, bzw., ob ich ihn „richtig“ verstanden habe?

Was sind überhaupt  gute  Texte?  Was macht einen guten Text aus?  „Gut“ für was oder wen?

Das Prädikat „gut“ hat mindestens zwei Aspekte:

1. Hat es der Schreiber geschafft, das auszudrücken, was er sagen wollte? Hat der Herausgeber des Textes, den Text so veröffentlicht, dass er die gewünschte Wirkung erzielt hat? Hat der Text „funktioniert“?

2. Kann der Leser dem Text etwas Positives abgewinnen? Bewirkt das Lesen des Texts etwas Gutes im Leser?

Die erste Frage ist schwer zu beantworten, da wir nur wenig oder gar nichts über den unmittelbaren Zusammenhang der Texte wissen.

Die zweite Frage wird wohl am besten der Leser selbst beantworten können.

Texte werden auch nicht dadurch gut oder besser, dass sie jahrhundertelang verehrt werden. Im Gegenteil, macht der zeitliche Abstand zur Zeit der Entstehung das Verstehen immer schwieriger. Wer bestimmt überhaupt, welche Texte heilig sind? Und gibt es da Unterschiede oder sind alle heiligen Texte gleich heilig? Sind wir irgendwie in der Lage Prozent von Heiligkeit zu messen, oder ist es Gott allein, der sagen könnte, wie heilig ein Text ist? Ist Heiligkeit zeitlos oder hat sie ein Verfallsdatum?

Ein wesentliches Merkmal der abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) ist, dass sie die klassischen Buchreligionen verkörpern. Heilige Texte sind fundamental; in diesem Sinne sind auch alle drei Religionen fundamentalistisch. Deshalb ist die folgende Frage für alle drei Religionen von zentraler Bedeutung:

Können unsere heiligen Texte für den heutigen Menschen noch gute Texte sein? Oder anders formuliert: Wie muss man mit diesen Texten umgehen, damit sie für Menschen heute gut sein können?

Wir hätten gerne ein Paradies. Ein Schlaraffenland. Kein Stress. Mit Bedienung. Alles Inklusive. Rundum-Sorglos. Wir hätten auch gerne Texte, die uns einfache Antworten geben und alles für uns regeln. Nicht viel anstrengendes Nachdenken. Einfach umrühren – und fertig! Instant-Glauben aus der Bibel-Tüte. Das Leben ist schon anstrengend genug.

Deshalb ist die Bibel auch für manche Christen nicht mehr so attraktiv. Man liest lieber sein Andachtsbuch oder sein Kalender-Blättchen oder guckt einen christlichen Film. Man lässt andere für sich denken und Entscheidungen treffen, und lässt sich die Bibel und den christlichen Glauben erklären: „Es sage mir doch bitte jemand, was ich glauben und wie ich leben soll! Bibel und Theologie ist mir zu kompliziert.“

Die Verantwortung für die Entscheidungen in unserem Leben und in unserem Glauben kann uns kein Mensch und auch kein heiliger Text abnehmen. Die geistliche Reife eines Frommen drückt sich auch nicht darin aus, dass er die biblischen Texte möglichst wörtlich nimmt.

Gute Texte zeichnen sich dadurch aus, dass sie uns begleiten; uns auf unterschiedliche Art und Weise ein Stückchen weiter helfen. Sie bewahren uns vorm Absturz eher, indem sie uns in der Schwebe halten, als dass sie uns in ein Paradies retten, wo uns nichts mehr passieren kann. Sie helfen eher, indem sie unsere Situation erhellen, als dass sie die eindeutige Richtung weisen.

Das Lesen eines von Gottes Geist inspirierten oder benutzten Text kann zur inneren Klärung in meiner Seele beitragen. Der Zweck ist in erster Linie nicht ein Zuwachs an Wissen, sondern die Veränderung des  ganzen  Menschen im Sinne Gottes.

Es ist ja gerade eine erstaunliche Tatsache bzgl. der Bibel, dass diese Texte bis heute gelesen, studiert und geschätzt werden. Es gibt biblische Texte, die Kinder mögen, und Texte, die Professoren mit Begeisterung studieren. Es gibt wohl kaum ein zweites Buch, mit dem Menschen sich so intensiv beschäftigt haben, und das schon für so viele Menschen ein Lebensbegleiter gewesen ist.

Eine abergläubische Verehrung der Bibel und ein schlechter Umgang mit ihren Texten erschweren leider so manchen Lernprozess. Die biblischen Texte sind für uns heute immer noch ein großer Schatz; aber wie wir mit ihnen umgehen, ist entscheidend dafür, ob diese Texte gut für uns sind, oder nicht. Kein Text ist so heilig, dass er nicht auch missbraucht werden und Schaden anrichten kann.

Für mich als Christ sind die biblischen Texte vor allem gut, weil ich durch sie Jesus kennenlerne. Dazu ist eines der Evangelien dann sicherlich auch besser geeignet als z.B. Numeri / 4. Buch Mose. Aber alle biblischen Texte sind Zeugnisse der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Und vor diesem Hintergrund fange ich dann auch an zu verstehen, wer Jesus war, wie er gelebt hat, was er wollte und warum er eine solche Wirkung hatte, dass heute auf der ganzen Welt eine gute Nachricht über ihn verbreitet wird.

Wenn wir doch bloß gute, verstehbare Worte finden könnten für die Menschen unserer Welt heute. Worte, die neugierig machen. Worte eines Vetrauens, wie es Jesus gelehrt und vorgelebt hat:

 

Dein Vertrauen hat dir geholfen.

(Neues Testament, Matthäus-Evangelium 22,9)