Enneagramm und/oder Bibel?

.

.

Manch einem mag schon diese Frage seltsam erscheinen …

Wo ist das Problem?

Während manche Gläubige über Jahrzehnte hinweg von der Weisheit des Enneagramms beeindruckt sind und damit arbeiten, erscheint anderen bereits das Enneagramm-Symbol als mysteriös und verdächtig. Schleicht sich da vielleicht eine unchristliche Selbsterlösungslehre in die Christenheit ein?

Kritik kommt sogar aus dem katholischen Lager, obwohl gerade Katholik*innen maßgeblich an der Verbreitung des Enneagramms in der christlichen Szene beteiligt waren (Jesuiten, Richard Rohr, Suzanne Zuercher usw.). Die Befürworter und Gegner des Enneagramms scheinen sich allerdings gemischt in den unterschiedlichen christlichen Milieus zu befinden.

.

Woran liegt es, dass Christ*innen so unterschiedlich auf die Enneagramm-Theorie reagieren?

Manche Menschen wehren sich dagegen, vom Enneagramm „in eine Schublade gesteckt“ zu werden, andere argumentieren, die Arbeit mit dem Enneagramm widerspräche der christlichen Überzeugung, dass wir durch den Tod Jesu am Kreuz erlöst werden (und nicht durch „Selbsterlösung“ oder irgendeine besondere Erkenntnis). Dabei lassen sich religiöse und nicht-religiöse Argumente kaum sauber von einander trennen. Das nicht spezifisch religiöse Unbehagen, in eine Schublade gesteckt zu werden, könnte z.B. religiös begründet werden: „Es widerspricht dem biblischen Menschenbild!“ (oder ähnlich).

.

„Du bist einzigartig!“ (Genauso einzigartig, wie alle anderen …)

Es geht im Grunde wahrscheinlich um die Problematik aller Persönlichkeitstypologien. Sollte es wirklich Kriterien geben, nach denen man alle Menschen in bestimmten Gruppen zusammenfassen kann? – Wissenschaftlich durchgesetzt haben sich im Moment wohl vor allem die „Big Five„. – Sind wir Menschen nicht zu komplex und einzigartig, als dass man uns einfach so vergleichen und sortieren könnte?

.

„Autsch! Ich hab einen Balken im Auge …“

„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn wie ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen! – und siehe, ein Balken ist in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.“

(Bergprdigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium, 7. Kapitel, Verse 2-5)

.

Dieser Text aus der schönen Bergpredigt ist für mich die beste biblische Hinführung zum Enneagramm: Es geht darum, den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen und zu entfernen, damit man besser sehen kann. (Schattenarbeit)

.

Das emergierende Enneagramm

Insbesondere da die Entstehung und Herkunft des Enneagramm aufgrund eines Mangels an historischen Quellen weitgehend im Dunkeln liegt, erscheint es mir wichtig aufzuzeigen, warum und wie die Enneagramm-Theorie an den Inhalt der biblischen Texte anknüpft und sich in die christliche Tradition einfügt. Ich habe vor mich im Rahmen meiner Bachelorarbeit in den nächsten Monaten damit zu beschäftigen.

.

Welche Bedeutung hat das Enneagramm für die Zukunft der Christenheit?

.

Wenn ihr Informationen, Ideen, Hinweise etc. zu diesem Themenkomplex habt, dann hinterlasst sie gerne in den Kommentaren. 🙂

.

Die Spiritualität Jesu und spirituelles Erwachen

.

Sonnenaufgang in den Pieninen (Polen). Foto von Pudelek, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

.

Hättest du gerne inneren Frieden? So, als einen ständigen Begleiter? Als eine robuste Grundlage für dein Leben?

Friede(n) ist auch eines der ganz großen Themen in der Bibel:

Äußerer Friede & innerer Friede.

.

“… der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren”

.

(Paulus im Brief an die Gemeinde in Philippi – Bibel, Neues Testament, 4. Kapitel, Vers 7)

.

Der christliche Glaube ist kein Rätsel, das wir mit unserem Verstand lösen könnten. Glaube ist ein Geheimnis.

.

“Die Himmel verkünden die Herrlichkeit Gottes,
und das Firmament erzählt vom Werk seiner Hände.

Ein Tag erzählt es dem anderen,
und eine Nacht tut es der anderen kund.

Ohne Sprache und ohne Worte,
unhörbar ist ihre Stimme.”

.

(Psalm 19,2-4 – Bibel, Tanach / Altes Testament)

.

Falls ihr euch nach dem Lesen dieses Textes fragt, worum es hier eigentlich geht, dann könnte das daran liegen, dass sich dies mit Worten kaum fassen lässt. Die Wirklichkeit, die ich meine, geht über die Ausdrucksmöglichkeiten von Sprache hinaus.

Und beim „Kleinen Prinzen“ von De Saint-Exupéry heißt es ja sogar:

.

“Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.”

.

Ihr werdet allerdings bestimmt hier und da den Eindruck haben, dass euch das, worüber ich schreibe, irgendwie bekannt vorkommt. Das es sich stimmig anfühlt.

.

Ich erzähle euch jetzt eine Geschichte von einem anderen kleinen Prinzen. (Wer möchte, darf sich dabei auch gerne eine Prinzessin vorstellen.)

.

Also …

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, da lebte ein kleiner Junge in einem kleinen Dorf. Er war was ganz Besonderes – und seine Mama hatte das natürlich auch schon immer gewusst. Doch eigentlich passierte dann kaum irgendetwas Außergewöhnliches. Er wuchs einfach auf in seinem kleinen Dorf wie die andern Jungs auch. Aus dem Jungen wurde ein Mann …

Eines Tages verließ er sein Dorf und machte sich auf den Weg Richtung Süden. Er war eine ganze Weile auf staubigen Straßen unterwegs. Doch dann endlich sah er eine große Menschenmenge und hörte die kräftige Stimme eines Predigers:

“Die Zeit ist reif für das Gericht Gottes. Macht euch bereit!”

Er bahnte sich den Weg durch die Menschenmenge und reihte sich ein in die Schar derer, die sich taufen ließen.

Endlich war er an der Reihe. Er tauchte ein in das kalte Wasser und für einen Augenblick war er begraben in den Wassern des Jordan.

Jetzt richtet er sich auf. Das Wasser tropft von ihm herab, und er wischt es sich aus den Augen. Und der Geist Gottes kommt vom Himmel herab und bleibt auf ihm, und er hört eine Stimme vom Himmel: “Du bist mein geliebtes Kind!”

Er schreitet aus dem Wasser heraus, und der Geist führt ihn in die Einsamkeit, in die nahegelegene Wüste.

Tagsüber brennt die Sonne, und nachts ist es kalt. Über ihm leuchten die Sterne am Firmament.

Nach 40 Tagen begegnet ihm das Böse.

“Mach doch die Steine hier zu Brot! Für ein Kind Gottes ist das kein Problem.”

“Stürz dich herab von diesem Felsen! Dein himmlischer Vater wird dich beschützen.”

“Beuge dich doch endlich und gib mir deine Anerkennung!”

Doch Jesus entgegnet: “Hinweg mit dir Satan! Ich diene meinem Gott!”

Jetzt kommen Engel vom Himmel herab und dienen ihm.

Gestärkt durch Kraft aus der Höhe und erfüllt von heiligem Geist geht er nun zu den Menschen und trifft sie auf Marktplätzen und in Synagogen. Er erzählt ihnen:

“Der Himmel ist uns ganz nahe. Das Himmelreich ist schon unter uns! Habt Vertrauen!

Das Himmelreich beginnt klitzeklein wie ein Senfkorn, kaum zu sehen. Doch wenn es auf einen guten Acker fällt, dann wächst es und wird zu einem großen Gestrüpp, in dessen obersten Zweigen die Vögel des Himmels sicher ihre Nester bauen.

(Quelle: Die Evangelien Matthäus, Markus und Lukas in der Bibel)

.

Es ist interessant, dass die Versuchung Jesu in der Wüste von den verschiedenen Evangelien nicht in derselben Form erzählt wird.

Was ist damals genau passiert? Und was kommt darin zum Ausdruck?

.

Eine Frage, die mich schon lange beschäftigt, ist: Warum scheint es Kirchen und Gemeinden kaum zu gelingen, attraktiv für spirituell suchende Menschen zu sein? Die meisten scheinen eher zum Yoga oder zu einem spirituellen Lehrer zu gehen, als zu einer christlichen Gruppe.

Jene Menschen hingegen, welche christliche Angebote in Anspruch nehmen, scheinen häufig Menschen zu sein, die entweder schon aus christlichen Familien stammen, oder die Gemeinschaft und Halt in der christlichen Tradition suchen. Man/frau sucht sich etwas, das passt, und versucht sich so gut es geht in die bestehenden Strukturen einzufügen. – Das macht auch durchaus Sinn und muss nicht schlecht sein.

Bei Jesus sehen wir allerdings noch etwas anderes. Jesus hat sich nicht allein in bestehende Traditionen eingefügt, sondern er ist über die Tradition und seine Kindheit und Jugend hinausgewachsen. – Die Zeit war reif…

Wir alle machen eine religiös-spirituelle Entwicklung durch (Kinderglaube, Atheismus, Familienandachten, Agnostizismus, Kindergottesdienst, Jugendarbeit …), und es gibt immer wieder Zeitpunkte, wo “die Zeit reif ist” für etwas Neues.

.

Jesus hat einen Geist erfahren und ist diesem Geist gefolgt. Er hat uns etwas vorgemacht und fordert uns auf, es ihm nachzumachen:

.

„Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach.“

(Jesus im Lukas-Evangelium 9,23)

.

Es gibt eine häufig zitierte Aussage von Karl Rahner, einem der großen Theologen des vergangenen Jahrhunderts:

.

„Der Fromme der Zukunft wird ein ‚Mystiker‘ sein, einer, der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein.“

(Karl Rahner)

.

Ich glaube, da ist was dran. Und ich habe den Eindruck, dass es Frauen leichter fallen wird, dies zu verstehen, als Männern.

.

Ich will euch hier zu nichts überreden. Ich will euch herausfordern, über die Tellerränder eurer Traditionen zu gucken, und dem Wirken von Gottes Geist in euch Raum zu geben. Probiert Neues aus, und macht eure eigenen Erfahrungen.

Was wir heute dringend brauchen, sind Menschen, die das Wirken Gottes erkennen, das uns in die Zukunft führt. Menschen, welche die Dunkelheit ihrer Seele durchlebt haben, sich in Versuchungen bewährt haben und angetrieben werden von einer Kraft, die „nicht von dieser Welt“ ist.

.

Kann man sowas lernen?

Von Jesus lesen wir, dass er durch die Zeit der Einsamkeit in der Wüste verändert worden ist. Dennoch scheint er deswegen nicht seine Anhänger aufgefordert zu haben, in die Wüste zu gehen.

In letzter Zeit hab ich viel Eckhart Tolle gehört, besonder das Hörbuch zum Buch „Jetzt! Die Kraft der Gegenwart“ (zu dem es sogar einen Wikipedia-Artikel gibt). Wie spirituelles Erwachen praktisch funktionieren kann, habe ich in keinem christlichen Buch so gut erklärt gefunden, wie in diesem Buch von Eckhart Tolle.

Das Buch ist nicht ganz neu (es erschien Ende der 90er Jahre), ist aber immer noch lesenswert, weil es um zeitlose Dinge geht. Die amerikanische Originalausgabe war jahrelang auf der New York Times-Bestseller-Liste (auch auf Platz 1). Tolle ist mittlerweile international einer der bedeutendsten spirituellen Lehrer unserer Zeit.

Ich habe den Eindruck, dass Menschen in der spirituellen Szene häufig in der Lage sind, in Jesus etwas zu entdecken, was die meisten Christ*innen verpassen. Ihr „frischer Zugang“ zu Jesus könnte so manch einen alten „christlichen Hasen“ neu beleben. Und auch diejenigen, die Tolle nicht in allen Aussagen zustimmen, werden hier wahrscheinlich trotzdem Inspiration bekommen, biblische Texte und Jesus-Worte (welche Tolle immer wieder zitiert) mit einem frischen Blick zu lesen.

.

Jesus sagt am Ende der Bergpredigt:

Wer meine Worte HÖRT und sie TUT [der also Erfahrungen beim Umsetzen der Lehre Jesu macht] gleicht einem Menschen, der sein Haus auf ein festes Fundament baut. (Matthäus-Evangelium 7,24 – Hervorhebungen von mir)

.

Der Aramäische Jesus

.

Inschrift eines der Edikte des Ashoka aus der Nähe von Kandahar in griechischer Sprache und Schrift (oben) und reichsaramäischer Sprache und Schrift (unten). (Quelle: Wikipedia, Public domain)

.

Ich bin durch meine Freundin auf Bücher aufmerksam geworden, die mich echt verblüfft haben. Anscheinend gibt es Theologen, die zeigen, dass es eine direkte Überlieferung von Teilen des Neuen Testaments im Aramäischen gibt. Ich dachte immer, das wären Rückübersetzungen aus dem Griechischen.

Jesus war ein orientalischer Jude aus Nazareth in Galiläa. Das ist nichts Neues. Dass seine Muttersprache Aramäisch war, darin scheinen sich die Theolog*innen wohl auch einig zu sein. Die größte christliche Konfession ist allerdings wohl die römisch-katholische Kirche bzw. der Katholizismus, bei dem westliche Kultur und die lateinische Sprache über viele Jahrhunderte eine dominierende Rolle gespielt haben. Und der Protestantismus hat seine Wurzeln im Katholizismus. – Welche Rollen spielen dabei Sprachen und Kultur? Haben wir den aramäischen Jesus richtig verstanden?

GEORGE M. LAMSA: Ursprung des Neuen Testaments

GEORGE M. LAMSA: Die Evangelien in aramäischer Sicht

ROCCO A. ERRICO

ROCCO A. ERRICO: Es werde Licht – Die sieben Schlüssel zur aramäischen Welt der Bibel

ROCCO A. ERRICO: Das aramäische Vaterunser – Jesu ursprüngliche Botschaft entschlüsselt

GEORG BUBOLZ: Ohne Taube und Kamel – Die vier Evangelien des Neuen Testaments aus der aramäischen Peschitta übersetzt und mit Anmerkungen versehen

Interessant dazu sind sicherlich auch die Beiträge von Günther Schwarz und Franz Alt:

Günther Schwarz: Untersuchungen über die „Sprache Jesu“ (Wikipedia)

Franz Alt: „Den wirklichen Jesus finden wir in seiner Muttersprache“

Habt ihr euch damit schon mal beschäftigt?

.

Das Enneagramm

.

Grafik des Enneagramms, von Consci (Public domain) via Wikimedia Commons

.

Altes, echt ökumenisches, christliches Kulturgut. Im deutschen Sprachraum hat sich mittlerweile über drei Jahrzehnte hinweg der „Ökumenische Arbeitskreis Enneagramm (ÖAE)“ etabliert. Die Wurzeln des Enneagramms reichen zurück bis in die Antike.

Auch über die ökumenische Arbeit hinaus eignet sich das Enneagramm sehr gut für interkulturelle und interreligiöse Arbeit.

Beim Sonntagsblatt (360° Evangelisch) erschienen allein dieses Jahr mind. zwei Artikel zum Enneagramm:

Was ist das Enneagramm?

Enneagramm: Wie uns das Typenmodell hilft, Menschen besser einzuschätzen

Einen Wikipedia-Artikel gibt es natürlich auch:

Enneagramm

Das Enneagramm ist ein Modell für Persönlichkeitstypen. Andere bekannte Modelle sind z.B. die Vier Temperamente (sanguinisch, melancholisch, cholerisch, phlegmatisch) oder der Myers-Briggs-Typenindikator.

Das große Ziel des Enneagramms ist allerdings nicht die Einschätzung anderer Menschen, sondern der eigene persönliche Reifungsprozess. Das Enneagramm hat spirituelle Wurzeln und ist ein spiritueller Weg

.

Einer der bekanntesten Enneagramm-Lehrer: Richard Rohr

.

Für alle des Englischen Mächtige sind die Videos von Richard Rohr dazu sehr zu empfehlen. (Das Buch von Rohr und Ebert ist eins der wichtigen Bücher zum Enneagramm, das immer wieder neu aufgelegt wird.)

The Enneagram: The Discernment Of Spirits (Introduction)

Wer gerne an einer kostenlosen Online-Enneagramm-Lerngruppe teilnehmen möchte (dienstags 19:30 – 21 Uhr) darf mich gern kontaktieren!

.

Christliche Mission im 21. Jahrhundert – Anachronismus oder Avantgarde

 

missionary-jansson
Der Missionar Eric Jansson taufend in Brasilien, 1910; unbekannter Fotograf, via Wikimedia Commons – Public domain

 

Ein katholischer Priester schreitet langsam in weißem Gewand durch das grüne Paradies des Dschungels. Die dunkelhäutigen Indios seiner noch jungen Gemeinde werden kämpfend einer nach dem andern von feindlichen Soldaten erschossen. Rotes Blut im grünen Paradies. Opfer des europäischen Imperialismus.

Ein in die Jahre gekommener, feuriger Prediger legt seine schwarze Bibel vor den Bagger und rettet so sein Gemeindehaus vor dem Abriss. Als Teil einer “Chain Gang” predigt er später noch seinen schwitzenden Mitgefangenen. Er war verurteilt worden, weil er im Affekt den Liebhaber seiner Frau mit einem Baseballschläger erschlagen hatte.

Mission hat eine lange Geschichte

“Christliche Mission”. Der Begriff weckt je nach Weltanschauung und persönlicher Erfahrung sehr unterschiedliche Gefühle. Sogar für die Kinoleinwand wurde das Thema bearbeitet. Vom katholischen Priester im Lateinamerika des 18. Jahrhunderts in “Mission”, bis hin zum charismatischen Prediger in den Südstaaten der USA des 20.. Jahrhunderts in “Apostel!”. Mission hat eine lange Geschichte. Viele Orte, viele Menschen, viele Kulturen, viele Sprachen,…

Viele kennen unangenehme Missionierungsversuche

Mission findet heutzutage nicht mehr nur in weit entfernter Übersee statt. Durch Säkularisierung und Migration wohnen auch im “christlichen Abendland” Christen und “Heiden” Tür an Tür. Wo auch immer Mission betrieben wird, “avantgardistisch” wird wohl kaum die Bezeichnung sein, welche den meisten Menschen dabei einfällt.

Viele bezweifeln sogar, dass Mission überhaupt jemals eine gute Sache gewesen ist. In ihr wird ein Mangel an Toleranz und eine Respektlosigkeit gegenüber der Individualität des einzelnen Menschen vermutet. Manche sprechen von “Kulturimperialismus”. Christliche Mission hat den unangenehmen Beigeschmack von Egozentrik bekommen, die bemüht ist, andere für die eigene Überzeugung zu gewinnen. Die historische Selbst-verständlichkeit von Kirche und Christentum im in die Jahre gekommenen christlichen Abendland gehört mittlerweile der Vergangenheit an.

Die bunte Vielfalt christlicher Identität(en)

Die alte Bezeichnung “christlich” ist über viele Jahrhunderte hinweg zu einem schillernden Begriff geworden. Manche sprechen sogar in der Mehrzahl von “Christenheiten” und “Christentümern”. Es soll die kaum noch überschaubare Uneinheitlichkeit christlicher Identität in Vergangenheit und Gegenwart zum Ausdruck bringen. Dem entspricht auch eine Fülle unterschiedlicher missionarischer Aktivitäten. Von großflächigen Plakaten, über Glaubenskurse, hin zu Missionierenden, welche an die Tür klopfen. Man könnte auch von “christlichen Missionen” im Plural sprechen.

Was ist “christliche Mission”?

Nach fast 2000 Jahren Christentum ist die Frage, was genau man unter “christlicher Mission” zu verstehen hat, nicht so einfach zu beantworten. All die unterschiedlichen Selbstverständnisse und Ausdrucksformen gegeneinander abzuwägen, würde allerdings den begrenzten Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen. Stattdessen richte ich – inspiriert vom Begriff “avantgardistisch” – den Blick in die Zukunft, und frage:

Wie müsste christliche Mission denn aussehen, um das Prädikat “avantgardistisch” zu verdienen? Welche Kriterien müsste sie erfüllen?

Ein neues altes Christentum?

Kann etwas so Altes wie das aus der Antike stammende Christentum überhaupt noch avantgardistisch sein? – Altes nur aufzuwärmen und hübsch garniert erneut zu servieren, würde man doch wohl kaum als “avantgardistisch” bezeichnen, oder?

“Christlich” ist heute eine Sammelbezeichnung für eine Fülle religiöser Erscheinungs-formen, welche sich irgendwie auf Jesus von Nazareth berufen. All die Widersprüche und Streitigkeiten innerhalb des Christentums lassen allerdings erahnen, dass die Christenheit in ihrer Breite wohl noch nicht ganz verstanden haben kann, was Jesus gewollt hatte.

Der Jesus-Impuls

Jesus selbst hat uns keinen einzigen Text hinterlassen. Aber in den vielen Texten des frühen Christentums und den Erzählungen von Jesus begegnet uns die innovative spirituelle Kraft dieses Menschen. Die christliche Religion ist heute statistisch die größte Weltreligion. Offensichtlich war der Impuls, der von dem Mann aus Nazareth ausging, stark genug, um das Christentum entstehen und über den gesamten Erdball wachsen zu lassen.

Ein Visionär aus einem galiläischen Dorf

Haben all die Christen, welche sich nach Jesus Christus benennen, auch die große Vision verstanden, welche dieser Mann aus Nazareth gehabt hat? Ist das kirchliche Christentum in seiner Breite vielleicht zurückgefallen auf eine Stufe organisierter, kleinbürgerlicher Religiosität, welche es in ähnlicher Weise auch schon vor Jesus gegeben hatte? Wenn es gelänge, die innovative Kraft der Spiritualität von Jesus und vom frühen Christentum für unsere Zeit wiederzuentdecken, wäre das dann avantgardistisch?

Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft

Avantgarde ist kein Tagesgeschäft, sondern hat zu tun mit den langfristigen Prozessen einer Kultur. Die fortschrittlichsten Menschen einer Epoche wurden häufig erst nach ihrem Tod von der Masse der Menschen als solche erkannt. Entscheidendes Kriterium für das Prädikat “avantgardistisch” ist nicht die Popularität dessen, was man tut, in der Gegenwart, sondern dessen Wirkung in der Zukunft.

Wir können als Menschheit zurückblicken auf eine spektakuläre Geschichte, voller Errungenschaften und Grausamkeiten. Um im Zeitalter von Superlativen und Globalisierung als Menschheit überleben zu können, brauchen wir für die Zukunft allerdings eine bessere Kultur. Finanzielle Macht, militärische Stärke oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dürfen nicht länger die gestaltenden Kräfte sein. – Wie mag die Avantgarde einer solchen Kultur wohl aussehen?

Visionen haben eine Quelle

Visionäres erwächst in der Kultur, in der es beheimatet ist. Es sind nicht einfach nur neue verrückte Ideen, sondern es besteht ein innerer Zusammenhang zum Alten. Die Orientierungskraft ergibt sich aus der aus dem Alten erwachsenen und schon im Alten angelegten Richtung einer Entwicklung.

Jesus erwuchs aus der Frömmigkeit und den Hoffnungen seines Volkes und seiner Kultur. In den Erzählungen der frühen Christenheit, die von Jesus überliefert sind, knüpft Jesus an vielfältigen Erfahrungen von Menschen an, Alltagserfahrungen und religiöse Vorstellungen, und einige erkannten offensichtlich das Visionäre seiner Botschaft.

Menschen erzählen von Jesus

Die Erzählungen von Jesus sind voll von uralten menschlichen Themen: Suchen und Finden, Himmel und Erde, Schuld und Vergebung, Dämonen und Engel, Gerechtigkeit und Unrecht, Heil und Scheinheiligkeit, Krankheit und Heilung, Gott und Teufel, Frieden und Unfriede. Die multi-ethnische Jesus-Bewegung des 1.. Jahrhunderts war eine Lerngemeinschaft. Christen lernten durch Jesus über das Himmelreich und wurden zugleich Teil von ihm. Inmitten der harten Realität nahm eine bessere Welt in der Gemeinschaft der Jesus-Anhänger Gestalt an. In der frühen Christenheit breitete sich schnell die Überzeugung aus, dass Jesus nicht einfach nur die Mängel einer alten Religion reparieren wollte, sondern dass mit ihm etwas völlig Neues gekommen war.

Harter Alltag, aktive Hoffnung, neuer Wein

Kultur kann sich abnutzen und ihre gestaltende Kraft verlieren. Alte Traditionen reichen nicht mehr aus, um den Erfordernissen der Gegenwart gerecht zu werden. Es entsteht ein Bedürfnis nach Neuem. Avantgarde ist ein Angebot zur Befriedigung dieses Bedürfnisses.

Zur Zeit von Jesus litt sein Volk unter der gewaltsamen Unterdrückung und Ausbeutung durch das römische Imperium. Im Wirken von Jesus wurden für die Menschen gewaltlose Alternativen zum trostlosen Alltag deutlich und Hoffnung greifbar. In der Entstehung des Christentums findet die religionsgeschichtliche Entwicklung des Judentums einen vorläufigen Höhepunkt. Unterschiedliche Motive und Traditionslinien jüdischer Frömmigkeit münden in einer innovativen Spiritualität, welche das Judentum vorher so noch nie gesehen hatte.

Jesus gründete seine Botschaft auf der alten Frömmigkeit seines Volkes, und macht gleichzeitig deutlich, dass nun etwas Neues kommt. Er sprach von der Notwendigkeit von neuen Verpackungen für einen jungen, noch gärenden Wein: Neuer Wein in neuen Schläuchen!

Eine familienfreundliche und generationengerechte Alternative

Es ist schwer, etwas Genaues über die Zukunft zu sagen. Eines hat bis heute allerdings immer gestimmt: Die Kinder sind die Zukunft. Wer die Kultur von Morgen sucht, sollte dabei die Kinder von heute nicht vergessen. Die frühe Christenheit knüpft an eine Verheißung aus den heiligen Texten des Judentums an: “Siehe, ich will euch senden den Propheten […] Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern…” (Maleachi). Wenn man eine Kultur sucht, die generationsübergreifend funktionieren soll, wäre es sinnvoll, diese familienfreundlich zu gestalten. – In einem Jesus-Zitat heißt es: “Wer das Reich Gottes nicht wie ein Kind annimmt, wird nicht hineinkommen.”

Die Religion der Bergpredigt

In den Texten der Evangelien fordert Jesus eine radikale Solidarität mit jedem Mitmenschen – nicht nur Solidarität zwischen den Generationen. “Selig sind die Barmherzigen…” heißt es z.B. in der Bergpredigt. Sogar Feindesliebe wird von ihm gefordert. Statt Superlative, Konkurrenzkampf und Ellenbogenmentalität ein solidarisches Miteinander. Insbesondere im Zeitalter nuklearer Bedrohung wohl alternativlos. Wir haben als hochgerüstete Menschheitsfamilie nur eine gemeinsame Zukunft, oder wir haben gar keine. Auch unsere moderne Hochleistungsgesellschaft funktioniert nicht gut für alle Menschen. Kranke, Alte und Behinderte fallen schnell aus dem “normalen” Leben raus. Eine Gesellschaft der Nächstenliebe würde anders aussehen.

Wir brauchen zeitlose Werte

In unserer schnelllebigen Zeit kann man schnell das Bewusstsein für die größeren Zusammenhänge und den Blick für zeitlose Werte verlieren. Wir brauchen Werte, welche auch in der Zukunft noch Bestand haben werden, einer Zukunft, die ganz anders sein wird als unsere Vergangenheit, die wir kennen. Avantgarde ist genau die Kultur, die Neues und Altes in solcher Weise verbindet, dass sie sich in der Zukunft etablieren wird. Damit wir als Menschheit überleben können, muss dies eine lebensfreundliche Kultur für alle Lebewesen sein. Vertrauen ist ein kostbares Gut.

Vom Sammeln himmlischer Schätze

Die frühe Christenheit weiß um die Vergänglichkeit weltlichen Luxus und strebt nach höheren Idealen. In einer Zeit der Massenproduktion und des maßlosen Konsums weist das Vorbild jesuanischer Spiritualität den Weg in eine nachhaltige Zukunft. Liebe ist mit Abstand der wichtigste Wert der Religion von Jesus. Liebe zu Gott, zum Mitmenschen, zu sich selbst und zur ganzen Schöpfung. In einer Welt, die kleiner wird, und wo die Ressourcen knapper werden, brauchen wir Kompetenz, die Wertvolles zu bewahren weiß.

Wir leben in komplexem Terrain

Unsere moderne, globalisierte Welt ist komplex. Wir brauchen Dinge in unserem Leben, die uns helfen uns zu orientieren und einen Lebensweg für uns zu finden, der zu uns selbst und unseren Rahmenbedingungen passt. Eine Art “Lebensphilosophie” oder Bauchgefühl, das auch in Krisen noch funktioniert und uns in einer manchmal chaotischen Welt noch Zuhause fühlen lässt. “Spiritualität” ist wohl ein populärer Begriff unserer Zeit, der gut dazu passt. Bestsellerautor Harari ist nicht der Einzige, der Spiritualität für eine Schlüsselkompetenz des Menschen von Morgen hält. Wir sollten heute lernen, was wir morgen brauchen werden. In der Bergpredigt beschreibt Jesus den Weg einer einfachen, verinnerlichten Spiritualität.

Christentum als Quelle von Jesus-Spiritualität

Das Christentum hat noch nicht ausgedient. Wir könnten heute in ihm die Spiritualität finden, die wir morgen brauchen werden, und eigentlich schon gestern gebraucht haben. Mission ist viel mehr als der Aufruf zur Anerkennung von Glaubenssätzen. Sie ist der Ver-such die Notwendigkeit eines Mentalitätswechsels aufzuzeigen, und die Einladung in eine himmlische Gegenkultur zu einer kranken Welt.

Christliche Mission hat seit jeher ein avantgardistisches Moment: Sie verweist auf eine bessere Welt, die noch nicht Gestalt gewonnen hat. Seit fast 2000 Jahren reden Christen von dem Zukünftigen, das bis heute im großen Stil noch nicht verwirklicht worden ist:

Das Kommen des Himmelreiches.

Leben mit Utopien und ohne Illusionen

Die ersten Christen hofften auf eine bessere Welt und erlebten gleichzeitig die raue Wirklichkeit. Sie machten sich keine Illusionen über einen sanften Weg in die Zukunft. Sie erlebten und glaubten, dass die neue Welt durch Leiden zu uns kommt. Die Gemeinschaft der ersten Christen bildete sich unter dem Symbol des Kreuzes, an dem ihr Held für seinen Glauben gestorben war und der Menschheit den gewaltlosen Weg in eine bessere Zukunft weist. Liebe muss gelebt werden, um zu überzeugen.

Zusammenarbeit von Wissen und Glaube

Wissenschaftler haben in der Moderne ein enormes Wissen zusammengetragen. Auch christliche Gelehrte sind in den vergangenen Jahrhunderten nicht untätig gewesen. Moderne Bibelwissenschaft, Theologie und interdisziplinäre Forschung ermöglichen es uns heute den christlichen Glauben besser zu verstehen, als jemals zuvor. Ein breiteres Geschichtsbewusstsein und Verständnis für andere Kulturen gibt uns dafür zusätzlich noch einen weiten Horizont.

Ein modernes Konzept, das die avantgardistische Qualität des christlichen Glaubens aufzeigt, nennt sich beispielsweise “Integrales Christentum”. Es macht den Reichtum, die kreative Kraft und das richtungsweisende Potential der christlichen Tradition nachvollziehbar. Die Spiritualität von Jesus nimmt hier für unsere Zeit erneut Gestalt an.

Ein Integrales Christentum

Behaupten tut dies zumindest die evangelische Theologin Marion Küstenmacher. Zusammen mit ihrem Mann und einem weiteren Theologen hatte sie vor ein paar Jahren das Buch “Gott 9.0” herausgebracht. Wie auch viele andere Christen, setzt sie sich für ein avantgardistisches Christentum ein. Marion Küstenmacher veröffentlichte dann vor zwei Jahren ein Buch mit dem Titel “Integrales Christentum” und reagierte damit auf die Wünsche vieler Leser von “Gott 9.0”, die sich mehr praktische Anleitungen zum Konzept des Integralen Christentums wünschten.

Die erfolgreiche Schriftstellerin Marion Küstenmacher

Die 1956 in Würzburg geborene Marion Küstenmacher ist eine der erfolgreichsten christlichen Schriftstellerinnen. Ähnlich wie ihr Mann, Werner Tiki Küstenmacher, verfasste sie eine Vielzahl von Büchern. Beide haben drei erwachsene Kinder. Über ihre schriftstellerische Tätigkeit hinaus ist Marion Küstenmacher in den Bereichen Lebenshilfe und Persönlichkeitsentwicklung tätig.

Eine spirituell erfahrene christliche Biographie

Marion Küstenmacher besitzt jahrzehntelange intensive Erfahrungen aus der christlichen Szene. Sie stammt aus einer Familie, in der seit 150 Jahren gemischt konfessionell geheiratet wurde. Bereits als Kind und Jugendliche hatte sie einige naturmystische Erlebnisse und las ihr erstes Mystikbuch, welches sie tief beeindruckte. Anfang der 70er besuchte sie “Hippiegottesdienste” im Saal eines Missionsordens und wurde Teil einer Teestubengemeinde. Sie studierte Theologie und Germanistik und arbeitete als Lektorin beim Claudius-Verlag mit den Schwerpunkten Psychologie und Spiritualität.

Ken Wilber – Philosoph und Visionär

1997 verlor Marion Küstenmacher in der Mitte der Schwangerschaft ihr Baby und fiel danach in eine seelische Krise. Halfen tat ihr ein Buch des amerikanischen Philosophen Ken Wilber. Sie vertraute Wilber, weil sie wusste, dass dieser selbst nach wenigen Jahren Ehe seine Frau durch Krebs verloren hatte. Ken Wilber, von der Transpersonalen Psychologie kommend, formulierte in den 90er Jahren die Integrale Theorie, von der auch das Integrale Christentum seinen Namen bekommen hat. Entstanden ist das Integrale Christentum in den USA, wo es mittlerweile auch schon integral ordinierte Pastoren und ein internationales integral-christliches Netzwerk gibt.

Kann Christentum multiperspektivisch sein?

Die Integrale Theorie erklärt u.a. auch, warum es unterschiedliche Perspektiven – auch im christlichen Glauben – geben muss. Sie weist damit einen Weg für Ökumene, interreligiösen Dialog und Interspiritualität. Laut Marion Küstenmacher hat all dies eine klare Richtung: “hin zu immer mehr Mitgefühl, Inklusivität und Liebe, wie sie uns Jesus, der Lebendige, vorgelebt hat.”

Es gibt avantgardistische christliche Mission!

Die Einladung zum Integralen Christentum ist ein Bespiel für eine avantgardistische christliche Mission. Integrales Christentum ist keine vage philosophische Idee und auch kein neues Arrangement alter religiöser Symbole, sondern ein bis ins Alltägliche heruntergebrochenes und durchdekliniertes zeitgemäßes und innovatives Christentum. Es hilft, die Bedeutung der biblischen Texte und die mystische Tiefe der Überlieferung von Jesus aus Nazareth für unsere Zeit zu verstehen. Integrales Christentum führt die unter-schiedlichen christlichen Traditionslinien zusammen und verbindet sie in einem in sich stimmigen Narrativ. Es erklärt den Reifungsprozess des einzelnen Menschen in Verbindung mit der kulturgeschichtlichen Entwicklung der Menschheit und zeigt die Bedeutung von Spiritualität für die Zukunft auf. Sie gibt dem Einzelnen praktische Übungen an die Hand, mit denen er selbst gleich anfangen kann.

Eine Vision, die man leben kann

Der Umfang dieses Artikels reicht nicht aus, um Integrales Christentum hier noch detaillierter zu erklären. Aber er reicht aus um darauf hinzuweisen: Es gibt sie schon die avantgardistische christliche Mission, und wer neugierig geworden ist, hat die Möglichkeit, sich damit vertraut zu machen und sie auszutesten. Integrales Christentum beschreibt eine zeitgemäße christliche Spiritualität. Darüber hinaus ist es visionär und lässt erahnen, was alles noch vor uns liegt. Es ist die lebendige Weiterführung einer Entwicklung, die wir schon in Geschichte und Gegenwart erkennen können.

Himmelreich: Die Transformation der Welt

Es gibt Menschen, die Marion Küstenmacher und ihre Mitstreiter kritisieren. Dies ist auch notwendig, da kein Konzept die Wirklichkeit hundertprozentig abbilden kann. Es ist wichtig, sich mit Stärken und Schwächen eines Konzepts vertraut zu machen. Mit solch modernen Konzepten erscheint es allerdings mehr als plausibel, dass Religion, Spiritualität und auch noch das Christentum in der Zukunft von großer Bedeutung sein werden. Christen verstehen sich als Teil des kommenden Himmelreiches, von dem Jesus gesprochen hat. Christliche Mission hatte in diesem Sinne seit jeher den Anspruch, Avantgarde zu sein. Mit dem integral-christlichen Konzept kann jeder praktisch ausprobieren, wie dies in unser modernen Welt aussehen kann.

“Reformation war gestern. Die Zukunft des Christentums gehört der Transformation.”

(Marion Küstenmacher)

Das Jahr 2020 – Twennytwenny

 

Sonnenaufgang (bearbeitet)
Foto von Girtompir via Wikimedia Commons (bearbeitet) – CC0

 

Für alle Freunde der Arithmetik und biblischer Zahlensymbolik:

20 + 20 = 40

Und wie Bibelkenner wissen, spielt die Zahl „40“ eine besondere Rolle in biblischen Texten:

 

Es regnete 40 Tage und Nächte als die Sintflut kam…

Als Isaak 40 Jahre alt war, nahm er Rebekka zur Frau…

Die Israeliten aßen 40 Jahre lang Manna…

Mose war 40 Tage und Nächte auf dem Berg…

Nach 40 Tagen kehrten die Kundschafter zurück…

Ein Schuldiger soll 40 mal geschlagen werden…

Das Land hatte jeweils 40 Jahre Ruhe unter den Richtern Otniël und Gideon…

Eli war Richter 40 Jahre lang…

Isch-Boschet, Sauls Sohn, war vierzig Jahre alt, als er König wurde über Israel…

David regiert 40 Jahre…

… und Jesus wurde versucht vom Bösen, nachdem er 40 Tage in der Wüste gefastet hatte…

… und vierzig Tage lang erschien er als der Auferstandene und redete vom Reich Gottes…

 

Übrigens stammt das Wort „Quarantäne“ auch von der Zahl 40.

Die Zahl „40“ deutet in biblischen Texten manchmal auf Epochen hin. Nächstes Jahr ist das Jahr 2020 der christlichen Zeitrechnung.

Neulich meinte jemand, das Christentum würde noch in den Kinderschuhen stecken. Vielleicht ist ja endlich die Zeit gekommen für eine bessere Theologie und ein besseres Christentum und eine bessere Welt…  😉

 

Die Bibel ist NICHT Gottes Wort!

 

lutherbibel
Die erste vollständige Bibelübersetzung von Martin Luther 1534, Druck Hans Lufft in Wittenberg, Titelholzschnitt von Meister MS. Foto von Torsten Schleese (Selbstfotografiert im Lutherhaus Wittenberg), via Wikimedia Commons – Public domain

 

„Die Bibel ist  NICHT  Gottes Wort!“

Dies wird in der Christenheit nicht deutlich genug gemacht. – Es gibt leider auch viele Christen, die dem sogar energisch widersprechen würden. – Deswegen möchte ich dies in diesem Artikel so deutlich wie möglich machen.

Mir geht es dabei um all die Menschen, die sich schon für die Bibel interessieren, und auch jene, welche vielleicht in der Zukunft zur Bibel greifen werden, weil sie Gott suchen und Antworten auf drängende Fragen ihres Lebens haben möchten.

Die biblischen Texte könnten für uns so viel wertvoller sein, wenn wir besser mit ihnen umgingen…

 

Gott ist kein Schriftsteller

 

Die Aussage

die Bibel ist das Wort Gottes“

ist

unbiblisch,

unchristlich

ungeistlich

und frech.

 

 

1. Die Aussage „die Bibel ist das Wort Gottes“ ist  unbiblisch !

Diese Tatsache ist so offensichtlich, dass es schon fast peinlich ist, überhaupt darüber zu reden. Da manche Christen in diesem Zusammenhang allerdings sogar von einem „Selbstzeugnis“ der Bibel sprechen, ist es leider wirklich nötig, ausdrücklich darauf hinzuweisen.

Der letzte der biblischen Texte wurde um das Jahr 100 verfasst. Bibeln wurden aber erst ab dem 4. Jahrhundert hergestellt. Demzufolge kann die Aussage „die Bibel ist das Wort Gottes“ in keinem der biblischen Texte zu finden sein, da es Bibeln zur Zeit des Abfassens noch gar nicht gab. Die Aussage ist somit unbiblisch.

 

codex_sinaiticus_matthew_82c28-92c23
Eine Seite des Codex Sinaiticus, eine der bedeutendsten Bibel-Ausgaben aus dem 4. Jahrhundert; via Wikimedia Commons – Public domain

 

2. Die Aussage „die Bibel ist das Wort Gottes“ ist  unchristlich !

Das stimmt allerdings nicht ganz bzw. muss näher erklärt werden.

Da viele Christen behaupten, dass die Bibel das Wort Gottes ist, könnte man auch sagen, es wäre somit im weiteren Sinn „eine christliche Aussage“. Die Christen der ersten Jahrhunderte konnten allerdings gar nicht behaupten, dass die Bibel das Wort Gottes ist, da es unseren Begriff „Bibel“ (bzw. die entsprechenden Begriffe in anderen Sprachen) noch überhaupt nicht gab. Wenn man also auf die Anfänge des Christentums schaut, stellt man fest, dass die Aussage „die Bibel ist Gottes Wort“ damals keine christliche Aussage war und auch nicht sein konnte.

Die ersten Christen erlebten die Offenbarung Gottes auch nicht nur in einem Buch. Im Menschen Jesus aus Nazareth und im Heiligen Geist war Gott selbst zu ihnen gekommen, und Gott sprach nun zu ihnen z.B. auch durch die christliche Schwester und den christlichen Bruder, und er lehrte vor allem den einzelnen Gläubigen in seinem Herzen durch den Heiligen Geist.

 

„Doch der Heilige Geist, den euch Christus gegeben hat, er bleibt in euch. Deshalb braucht ihr keine anderen Lehrer, der Heilige Geist selbst ist in allen Fragen euer Lehrer. Was er euch sagt, ist wahr und ohne Lüge…“

.
(Erster Brief von Johannes, 2. Kapitel, Vers 27 – Bibel, Neues Testament)

 

Dies führt uns gleich zu dem nächsten Punkt…

 

Minolta DSC
Die Taube des Heiligen Geistes von Bernini (Rom, Vatikan, Petersdom); Foto von Dnalor 01 via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 at (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/at/deed.en)

 

3. Die Aussage „die Bibel ist das Wort Gottes“ ist  ungeistlich !

Die Jesus-Bewegung war eine „spirituelle Bewegung“. Zum frühen Christentum gehörte wesentlich die Gegenwart und die Wirkungen des Heiligen Geistes. Dies sieht man besonders in der Bekehrung  und im Wirken von Paulus. Das Wesen der Frömmigkeit hatte sich geändert: Weg vom Leben nach Texten, und hin zu einem innigen Leben in der Gegenwart des Heiligen Geistes.

 

„… der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“

.
(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,6 – Neues Testament)
.

„… Wenn ihr aber mit der Kraft des Geistes euer selbstsüchtiges Verhalten tötet, werdet ihr leben. Alle, die sich von Gottes Geist regieren lassen, sind Kinder Gottes.“

.
(Paulus im Brief an die Christen in Rom 8,13-14 – Neues Testament)

 

Die Bibel-Ideologie und Bibel-Frömmigkeit, welche sich in der Kirchengeschichte entwickelt haben, sind ein Rückschritt. Anstatt einem Leben im Geist Gottes zu vertrauen, klammert man sich wieder an heilige Texte.

Das Ganze ist auch eine Machtfrage in den religiösen Systemen der Christenheit:

Über Texte kann man verfügen (Bibelzitate, Dogmen, Bibel-Ausleger,…) – über den Heiligen Geist nicht!

 

pied_imperial_pigeon2c_ducula_bicolor_bicolor
Fruchttaube, Foto von Lip Kee Yap [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)%5D, via Wikimedia Commons
 

 

4. Die Aussage „die Bibel ist das Wort Gottes“ ist  frech !

Viele biblischen Texte nehmen für sich überhaupt nicht in Anspruch „Wort Gottes“ oder besonders „inspiriert“ zu sein.

Das Lukas-Evangelium ist dafür ein gutes Beispiel. Im Unterschied zu den anderen Evangelien, macht der Verfasser hier wenigstens Angaben über die Umstände der Entstehung des Textes. Er nimmt dabei allerdings gar nicht in Anspruch, irgendwie göttlich inspiriert worden zu sein. Im Gegenteil! Er schreibt, er habe gründlich recherchiert (Lukas 1,3).

Dennoch zu behaupten, die biblischen Texte sein „Gottes Wort“ ist frech, denn man geht damit – aus welchen Gründen auch immer – eindeutig über das hinaus, was viele der biblischen Texte für sich selbst in Anspruch nehmen.

Und es ist vor allem frech, weil man damit auch etwas über Gott sagt, was er selbst gar nicht gesagt hat.

 

„Es sollten sich nicht so viele in der Gemeinde um die Aufgabe drängen, andere im Glauben zu unterweisen. Denn ihr wisst ja: Wir, die andere lehren, werden von Gott einmal nach besonders strengen Maßstäben beurteilt.“

.
(Jakobusbrief 3,1 – Neues Testament)

 

Warum nehmen wir die biblischen Texte nicht einfach so, wie sie sind?

Wir wären überrascht, welche Wirkung sie entfalten können, wenn man sie von den Ketten von Bibel-Ideologie und menschlicher Instrumentalisierung befreit. – Ein Buch des Lebens…

 

„Hungrige Missionierende“ (1.Teil): Überlegenheit oder Unterordnung?

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

 

court_function_at_the_palace_of_ribeira_in_1748
Der katholische Ritus der Fußwaschung (in Bezug auf die Fußwaschung Jesu) im Palast „Paço da Ribeira“ durchgeführt durch den portugiesischen König Johann V.; via Wikimedia Commons – public domain

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
.
(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

In einer Welt, in der Millionen von Menschen physisch hungern, erscheint es fast zynisch, das Wort “Hunger” als Metapher zu verwenden. Gleichzeitig steigt die Weltbevölkerung noch immer dramatisch an, und durch die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und die atomare Bedrohung ist die Zukunft der Menschheit gefährdet wie niemals zuvor. Christliche Mission geschieht heute unter anderen Vorzeichen und Rahmenbedingungen als vor 2000 Jahren.

Mein Eindruck ist, dass vieles, was sich heute als christliche Mission präsentiert, diese Bezeichnung kaum verdient, wenn man die Überlieferung von Jesus als Maßstab nimmt. Der Begriff “christlich” ist dabei allerdings ähnlich problematisch wie eine 2000-jährige Geschichte von Christianisierung und Ansprüchen “christlicher” Deutungshoheit; wobei die Auswirkungen der Mängel umso gravierender sind, desto höher der Anspruch auf die eigene Deutung und Bedeutung ist.

 

„…Es sollten sich nicht so viele in der Gemeinde um die Aufgabe drängen, andere im Glauben zu unterweisen. Denn ihr wisst ja: Wir, die andere lehren, werden von Gott einmal nach besonders strengen Maßstäben beurteilt.“

.
(Jakobusbrief 3,1 – Neues Testament)

 

Eine bessere Mission ist ohne ein besseres Christentum schwer vorstellbar. Es geht in diesem Text um Fragen nach dem Wesen des Christentums und christlicher Identität, sowie um die Unterscheidung zwischen besseren und schlechteren Ausdrucksformen christlicher Tradition. Es ist ein Text über die Bedeutung des Wahrnehmens von Mangel und Mängeln für die Erneuerung und Belebung von Christentum und Mission. Was ich im Einzelnen damit meine, kann ich in dieser kurzen Serie von Texten nur andeuten. Ich will auch versuchen einige Ansätze aufzuzeigen, wie sich diese Situation verbessern könnte.

Dies ist der erste Post zu einer Serie über Mission und Christentum. – Ich will dich mitnehmen auf einen Weg des Mangels…

 

vincent_willem_van_gogh_022-2
Vincent van Gogh: Der gute Samariter (nach Delacroix), 1890, via Wikimedia Commons – public domain

Der Weg Jesu

Ein Begriff ist nur sinnvoll, wenn verstanden wird, was damit gemeint ist. Der Begriff “christlich” wird heutzutage auf so vielfältige Weise benutzt, dass man Zusammenhänge und Hintergrundinformationen benötigt, um zu ahnen, was wohl genau verstanden werden soll. Mit der Verneinung “unchristlich” ist es ähnlich. – Dies alles hat auch mit dem Profil und der Vielfalt der christlichen Religion zu tun.

Da allerdings alles letztlich historisch auf den jüdischen Mann Jesus aus Nazareth zurückgeht, erscheint es mir sinnvoll bei der Überlieferung über diesen Mann anzufangen. Dabei zählen die biblischen Texte sicherlich zu den wichtigsten Quellen.

 

»…Für wen halten die Leute eigentlich den Menschensohn?«
.
Die Jünger erwiderten:
.
»Einige meinen, du seist Johannes der Täufer. Manche dagegen halten dich für Elia und manche für Jeremia oder einen anderen Propheten von früher.«
.
»Und ihr – für wen haltet ihr mich?«, fragte er sie.
.
Da antwortete Simon Petrus: »Du bist der Christus, der von Gott gesandte Retter! Du bist der Sohn des lebendigen Gottes.«
.
(Matthäus-Evangelium 16,13-16)

 

Überlegenheit oder Unterordnung?

Seitdem der Wanderprediger und Wunderheiler Jesus aus Nazareth über die staubigen Wege Palästinas gegangen ist, versuchen Menschen zu verstehen, welche Bedeutung Leben und Tod dieses Mannes für sie hat. Entstehung und Fortbestand des Christentums sind Zeugnis von der außerordentlichen Wirkung dieses Menschen. Gleichzeitig fällt allerdings auch auf, dass sich seine Anhänger noch nie völlig einig gewesen zu sein scheinen, was die Deutung dieses Phänomens “Jesus” betrifft. Ein Mangel an Einheitlichkeit scheint auch die öffentliche Wahrnehmung dieses Mannes von Anfang an begleitet zu haben (Mt 16,13-16).

Die Entstehung des Christentums bezeugt sowohl die Anziehungskraft, als auch den missionarischen Eifer der Anhängerschaft von Jesus. Bis heute fühlen sich manche Menschen vom christlichen Glauben und christlicher Gemeinschaft angezogen. Auch gibt es viele, welche ein tiefgreifendes Bekehrungserlebnis in Hinwendung zum Christentum erfahren.

 

Montagna_di_VernC3A02C_sicily2C_mounts_peloritani
Sonnenaufgang von Fondachelli-Fantina (Montagna di Verná / Monti Peloritani, Gebirge im Nordosten von Sizilien) Foto von Girtompir, via Wikimedia Commons – CC0

 

Mission geschieht nicht nur aus Gehorsam gegenüber einem Auftrag, sondern auch aus einem inneren Drang heraus, Wertvolles, welches man selbst empfangen hat, mit anderen zu teilen. Dabei merkt man jedoch schnell, dass die meisten Menschen den Wert einer christlichen Botschaft nicht erkennen; und man merkt auch bald, dass sich selbst die Christen nicht darüber einig sind, was denn genau diese Botschaft überhaupt ist. Die neutestamentlichen Texte erzählen in unterschiedlicher Weise von Jesus, und auch schon im Judentum zur Zeit Jesu waren die messianischen Vorstellungen unterschiedlich.

In der Botschaft vom Kreuz (1 Kor 1,18) verdichtet sich dann allerdings ein Aspekt des Lebens Jesu, welcher knapp in dem Vers zusammengefasst ist:

 

“Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.”

.
(Markus-Evangelium 10,45 – Neues Testament)

 

Das Vorbild Jesu wird zur Vorgabe für die innere Haltung christlicher Mission: Nicht von oben herab, sondern als Dienende. Der Geist Jesu ist ein Geist der Demut (Mt 12,15-23; Lk 4,16-22), und Missionieren im Sinne Jesu bedeutet dienen. Dieser Dienst macht nicht einmal vor den Feinden oder dem Sterben für die eigene Überzeugung halt. Der Dienst am Nächsten wurde zu einem grundlegenden Wert des Christentums.

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

Weiter zum 2. Teil

 

Würde Gott in einer persönlichen Beziehung nicht auch persönlich reden?

 

27adam27s_creation_sistine_chapel_ceiling27_by_michelangelo_jbu33cut
Erschaffung Adams von Michelangelo (Sixtinische Kapelle), Foto von Jörg Bittner Unna (Own work), via Wikimedia Commons – CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)

 

„Persönliche Beziehung zu Gott bzw. Jesus“ scheint eine beliebte Formulierung in bestimmten christlichen Milieus zu sein. – Meines Wissens nicht gerade eine biblische Formulierung…

Gleichzeitig wird dann allerdings oft von denselben Leuten behauptet, die Bibel sei Gottes Wort, und gemeint ist dabei, die Bibel wäre Gottes Wort für alle Menschen, aller Kulturen, aller Zeiten (zumindest seitdem es Bibeln gibt).

 

„Viele Male und auf verschiedenste Weise sprach Gott in der Vergangenheit durch die Propheten zu unseren Vorfahren.“

.
(Hebräerbrief, 1. Kapitel, Vers 1 – Bibel, Neues Testament)

 

In den biblischen Texten selbst lesen wir, dass Gott bzw. Jesus  nicht  allen Menschen, aller Kulturen zu allen Zeiten dasselbe sagt.

 

„Und es trat ein Schriftgelehrter herzu und sprach zu ihm:

‚Meister, ich will dir folgen, wohin du gehst.‘

Jesus sagt zu ihm:

‚Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.‘

Ein anderer aber, einer seiner Jünger, sprach zu ihm:

‚Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.‘

Aber Jesus spricht zu ihm:

‚Folge mir nach und lass die Toten ihre Toten begraben!'“

.
(Jesus im Matthäus-Evangelium 8,19-22 – Bibel, Neues Testament)

 

Sollte Gott wirklich seine Art des Redens geändert haben und sagt heute mit Bibelversen allen Menschen dasselbe?

Angenommen, Gott würde durch die biblischen Texte unterschiedlich zu Menschen sprechen, welche Bedeutung hätte dann noch die Formulierung „die Bibel ist Gottes Wort“? Wie könnte man dann Bibelkommentare schreiben und die Texte für andere Menschen „auslegen“?

Tatsache ist, dass die meisten biblischen Texte für sich selbst überhaupt nicht den Anspruch erheben, Wort Gottes zu sein.

Sollten wir vielleicht auch alle mit unseren Ansprüchen ein bisschen bescheidener sein?

Würde es nicht reichen zu bezeugen „Gott hat durch einen Bibeltext zu mir gesprochen“ (wenn man davon überzeugt ist), anstatt zu versuchen, die eigene Erkenntnis auch anderen aufzuzwingen? – Paulus jedenfalls scheint der Meinung gewesen zu sein, dass all unsere Erkenntnis noch mangelhaft ist.

 

„Jetzt sehen wir nur ein undeutliches Bild wie in einem trüben Spiegel. Einmal aber werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt.

 Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Liebe. Von diesen dreien aber ist die Liebe das Größte.“

.
(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13,12-13)

 

Sandra Hauser | „Integrales Christentum“ von Marion Küstenmacher

 

Sandra Hauser auf ihrem Blog „Integrales Christsein“ über einen Meilenstein in der Geschichte christlicher Bücher:

„Integrales Christentum“ von Marion Küstenmacher