Das Ev. Johannesstift. Ein christliches Dorf.

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Die Stiftskirche des Ev. Johannesstifts; von Wolfgang Kern (Evangelisches Johannesstift Berlin) [Public domain], via Wikimedia Commons

Ein paar Straßen und viele Häuser, in der Mitte die Kirche. Das Evangelische Johannesstift wirkt wie ein christliches Dorf. Wohnhäuser, Büros, ein Lebensmittelgeschäft, Frisör, Kita, Schule, Turnhalle, Sportplatz, Restaurants und Cafés, eine Buchhandlung, Arztpraxen, Diakonie-Station, Berufsfachschulen, ein Festsaal, ein Hotel, eine Wäscherei, eine Tischlerei und andere Werkstätten, eine Gärtnerei, Betriebshöfe, eins der ältesten Hallenschwimmbäder Berlins, eine Reithalle mit Pferdekoppel, ein Senioren-Zentrum, Jugendhilfe-Einrichtungen, ein Krankenhaus und zwei Hospize, Therapie- und Pflegeeinrichtungen, ein Wasserwerk. Auf dem Lageplan bekommt man einen guten Überblick.

[ Ich habe dieses Semester im Rahmen meines Theologie-Studiums auch einen interessanten Kurs zum Thema Diakonie belegt. Dort hielt ich ein Referat über den Johannesstift. Dieser Artikel geht darauf zurück. ]

Geschichte

In diesem Jahr feiert das Johannesstift seinen 160. Geburtstag. Der gesellschaftliche Wandel im 19. Jahrhundert hatte zu sozialer Not in den wachsenden Städten geführt. Christ*innen reagierten darauf u.a. mit der Gründung entsprechender Institutionen: Rauhes Haus (1833), Kaiserswerther Diakonie (1836), Magdalenenstift (1840/41), Diakonissenanstalt Dresden (1844), Neukirchener Erziehungsverein (1845), Diakonie Neuendettelsau (1954), Diakonissenhaus Elisabethenstift (1858), Siechenhaus Bethesda (1863), Bethel (1867), Oberlinverein (1871), Gallneukirchen (1877), Caritas (1897), Lobetal (1905), Bethanien/Lötzen (1909), …

Schon davor, im Mittelalter, hatte die zunehmende Urbanisierung der Bevölkerung zur Gründung von sozialen Einrichtungen wie Hospitälern geführt, um den mit der Urbanisierung verbundenen sozialen Problemen zu begegnen. Je weiter sich der Mensch im Laufe der Geschichte von seiner ursprünglichen, natürlichen Lebensweise distanzierte, desto mehr musste er die damit verbundene Not kompensieren.

Johann Hinrich Wichern war es (auf den auch das Rauhe Haus in Hamburg und die Innere Mission in der Ev. Kirche zurückgehen), der 1858 das Ev. Johannesstift gründete. Der ursprüngliche Standort war allerdings in Plötzensee (Berlin, Charlottenburg-Nord). Um 1900 musste das Johannesstift dann von dort weichen, um dem Bau des Westhafens Platz zu machen. Mancher mag darin die Verdrängung der Nicht-Leistungsfähigen an den Rand der Gesellschaft erkennen.

Lage

Heute liegt das Johannesstift wunderschön im Spandauer Forst, am Berliner Stadtrand im Nordwesten Spandaus. Für einen Menschen, der in seiner Mobilität eingeschränkt ist, ist es allerdings ein langer Weg bis zu den kulturellen Angeboten der Innenstadt. Man muss erst den Bus nehmen, um am Rathaus Spandau zu U- und S-Bahnanschluss zu gelangen; und selbst dort befindet man sich noch westlich der Havel. Die Entfernung zum Johannesstift war für mich auch der Grund gewesen, warum ich eine Bewerbung auf ein Stellenangebot des Johannesstifts wieder zurückzog. Ich hätte noch vor 4 Uhr morgens aus dem Haus gehen müssen, um rechtzeitig zum Dienstwechsel um 5:45 Uhr auf Arbeit zu sein.

Hospitation

Nachdem meine letzte Berufstätigkeit geendet hatte, hatte ich mich u.a. auf ein Stellenangebot hin auch als Betreuungshilfskraft beim Johannesstift beworben und wurde zu einem Bewerbungsgespräch und einer Hospitation eingeladen. Die Begegnung mit den Menschen dort hat mich tief berührt.

Die Bushaltestelle ist nur ein paar Schritte vom Haupteingang und Informations-Pavillion entfernt. Auf dem Gelände selbst war ich dann allerdings noch etliche Minuten unterwegs, bis ich endlich das entsprechende Haus und das richtige Zimmer fand. Bei den Menschen, die ich im Johannesstift traf, hatte ich immer den Eindruck, dass sie gerne dort leben und arbeiten. – Ein Dorf mit einer besonderen Atmosphäre.

Die Begegnung mit den schwerstbehinderten Menschen in einer betreuten Wohngemeinschaft war eine emotionale Herausforderung. Ich war verunsichert. Ich verstand kaum etwas von dem, was die Bewohner kommunizierten und war mir nicht sicher, wie ich mich verhalten sollte. – Die Betreuer hingegen, welche die Bewohner dort zum Teil über viele Jahre begleitet hatten, konnten sich gut mit den Bewohnern verständigen. – Es verunsicherte mich auch, kaum Augenkontakt zu bekommen. Das Kennenlernen war hier anders, als ich es bis dahin kannte.

Schwachheit und Hilfsbedürftigkeit zu begegnen, kann uns etwas darüber offenbaren, wer wir wirklich sind und was Menschsein und menschliche Gemeinschaft ausmacht. Vielleicht kommt man sogar dahin zu hinterfragen, wer denn die Schwachen und wer die Starken sind …

Die Erfahrungen im Johannesstift erinnerten mich an die Lebensgeschichte von Henri Nouwen, von der ich oft gehört hatte. Er verließ seine Theologie-Professur an der Harvard University, um mit behinderten Menschen zu leben. Die Behinderten wurden zu seinen Lehrern, und durch die Bücher, die er in jener Zeit schrieb, wurde er zu einem international beachteten spirituellen Schriftsteller und Lehrer. Es ist sicherlich auch kein Zufall, dass wir in den Evangelien fiel von Begegnungen Jesu mit hilfsbedürftigen Menschen lesen.

In modernen Gesellschaften wird die Erfahrung menschlichen Lebens zunehmend zerstückelt: Geboren wird im Krankenhaus, gestorben wird im Krankenhaus; Kinder sind in der KiTa, Schüler in der Schule, die Eltern auf Arbeit; die Großeltern wohnen wo anders, die Nachbarn kennt man nicht und behinderte Menschen werden in abgesonderten Einrichtungen betreut.

Alles hat Vor- und Nachteile. Ein entscheidender Nachteil unserer modernen Lebensweise ist, dass man die Fülle des Lebens immer weniger als etwas stimmiges Ganzheitliches in einer vertrauten Welt (Zuhause, Heimat) erfahren kann. Inklusion ist nach wie vor ein grundlegendes, wichtiges Thema. Der selbst mit einer Behinderung lebende Theologe Ulrich Bach hat dazu auch wichtige Impulse gegeben.

Das Johannesstift ist leider (noch) nicht ganz ein christliches Dorf, weil es keine natürlich gewachsene, gemischte Bevölkerungsstruktur hat. Aber was nicht ist, kann ja noch werden …

Integral

Wir verändern uns alle – kollektiv und auch persönlich; und wenn wir Glück haben, bedeutet Veränderung mehr als nur älter werden. Je umfassender und tiefgehender wir mit dem Menschlichen und Menschlichkeit vertraut werden, desto eher können Veränderungen auch positive Reifungsprozesse sein.

Den umfassendsten, interdisziplinären Ansatz, den ich kenne, ist die Integrale Theorie Ken Wilbers. Da sie alle Aspekte des Menschseins umfasst, finden wir auch Begriffe wie „Integrale Medizin“, „Integrale Wirtschaft“, „Integrale Ökologie“ und „Integrale Spiritualität“. Obwohl die aus dem Amerikanischen kommende Integrale Theorie nicht mehr ganz neu ist, ist sie im deutschen Sprachraum doch noch nicht so weit verbreitet. – In diesem Monat kommt das Buch „Integrales Christentum“ von Marion Küstenmacher heraus.

Es bleibt zu hoffen (für das Johannesstift, alle ähnlichen Einrichtungen, unsere Gesellschaft und die ganze Welt), dass wir Schwachheit, Krankheit, Behinderung, Altern, Ohnmacht und Sterben nicht länger aus dem gemeinsamen gesellschaftlichen Leben verdrängen, sondern sie wieder immer mehr integrieren und zu einer gemeinsamen Lebenserfahrung und einem Schatz für die Gegenwart und Zukunft werden lassen.

Schwachheit und Sterben ist ein Lebensprinzip des Himmelreichs.

Geliebt und gehasst: Christmas is coming soon to a place near you

 

New Life
By The Cookiemonster [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

Weihnachten. Nur eine leere Verpackung? Tradition ohne Bedeutung? Hübsch eingepackt – aber nichts drin? Eine Mogelpackung?

Was feiern wir noch mal?

Auch für die Menschen, die wirklich noch die Erzählung von der Geburt von Jesus aus Nazareth ernst nehmen, stellt sich die Frage, welchen Sinn das Feiern von etwas macht, das 2000 Jahre her ist? Mit welchen frommen, oder auch weniger frommen, Weihnachtstricks können wir diesem Spitzenprodukt christlicher Tradition wieder Bedeutung für das Leben der Menschen verschaffen? Und ist dieses Anliegen überhaupt sinnvoll? Gibt es vielleicht Wichtigeres zu tun?

Weihnachten ist kein jüdisches Fest und es war auch kein Feiertag der ersten Christen. Die Frage, ob Weihnachten überhaupt ein christliches Fest ist, kann man stellen. Und das in mehr als einer Hinsicht.

Wenn man in diesen Tagen um sich schaut, können einem bei dem Marktführer christlicher Feiertage schon Zweifel kommen: die umsatzstärkste Zeit des Jahres, ein Exzess unseres Wirtschaftssystems, Hochkonjunktur für die Müllabfuhr … und wir alle machen mit – alle Jahre wieder.

Aber inmitten aller „Jingle Bells“ ist auch noch eine kleine, leise Stimme zu hören –
für alle, die lauschen:

 

Und ein Spross wird hervorgehen aus dem Stumpf Isais,
und ein Schössling aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen.
Und auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN,
der Geist der Weisheit und des Verstandes,
der Geist des Rates und der Kraft,
der Geist der Erkenntnis und Furcht des HERRN

(Die Bibel / Tanach, Jesaja, 11. Kapitel, Verse 1-2)

 

Es ist ein Ros entsprungen
aus einer Wurzel zart,
wie uns die Alten sungen,
von Jesse kam die Art
und hat ein Blümlein bracht
mitten im kalten Winter,
wohl zu der halben Nacht.

 

(https://de.wikipedia.org/wiki/Es_ist_ein_Ros_entsprungen)

 

 

Hat der Weihnachtsfrust und die enttäuschten Erwartungen auf familiäre Harmonie vielleicht auch etwas damit zu tun, dass wir den Mittelpunkt des Lebens verloren haben?

Gleichgewicht verloren. Sinn aus den Fugen geraten. Verirrte müssten sich wieder finden lassen …

Hoffnung. Licht in der Dunkelheit. Ein Gedenktag, der Orientierung geben kann. Gott wird Mensch. Majestät wird zum Kind. Großes ganz klein. Große Erwartungen nicht an uns selbst, unsere Familie und Verwandten oder an einen alljährlichen Feiertag, sondern große Erwartungen an den, der aus dem Senfkorn einen Baum wachsen lässt. Glaube, der Berge versetzt.

Auch heute noch suchen Menschen einen Ort der Ruhe und Sicherheit – wie Maria & Josef. Und auch heute noch sucht Jesus eine Welt, die er auf den Kopf stellen kann. Vielleicht kann der Advent Gottes in seine Welt noch einmal, diese Welt verzaubern. Vielleicht fängt es in deinem Leben an.

 

Allergisch auf Frommes

 

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Allergietest auf der Haut, by Wolfgang Ihloff (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 4.0-3.0-2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0-3.0-2.5-2.0-1.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

Es ist mal wieder so weit. Die meiste Zeit des Jahres kann ich mit meiner Pollenallergie ganz gut leben; aber im Moment ist sie wirklich lästig. – Haaatschi!!! – Probleme lassen sich halt nur bis zu einem gewissen Grad ausblenden. Schon blöd, dass mein Körper sich von etwas bedroht fühlt, was eigentlich gar nicht gefährlich ist.

Manche Menschen reagieren allergisch auf Christliches oder Religiöses. Ein Gefühl der Abneigung und des Unbehagens, das sie vielleicht nicht einmal selbst ganz verstehen. Es gibt sogar welche, die sich aufregen und aggressiv werden …

Ich bin in einer frommen Familie und einer kleinen christlichen Freikirche aufgewachsen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich als Heranwachsender manchmal dachte: „Ich mag das ganze Fromme eigentlich nicht so wirklich …“ – Worauf sich dann natürlich ein entsprechendes schlechtes Gewissen einstellte. Frommes muss man doch mögen, oder?

Gefühle hat man einfach. Auch wenn sie stören, kann man sie nicht sofort abschalten. Sinnvoller als abschalten wäre sowieso sich zu fragen, wo die Gefühle herkommen und welche Bedeutung sie haben.

Wenn Menschen allergisch auf „Frommes“ reagieren, müssen sie irgendwann & irgendwie einmal Frommes als etwas Negatives kennengelernt haben. Dies kann einfach ein Vorurteil oder eine Geschmacksfrage sein. Es ist allerdings leider auch gut möglich, dass sich etwas Schlechtes als fromm präsentiert hat, obwohl es echter Frömmigkeit gar nicht entsprach. Wer echten, gesunden christlichen Glauben nicht kennt, hat kaum eine Chance eine „Fälschung“ zu erkennen.

Schon der Begriff „fromm“ selbst ist problematisch. Auch manche Christen empfinden ihn als negativ, weil man leicht eine oberflächliche Form von Religiosität damit verbindet. Ich selbst mag das alte Wort „fromm“, weil ich dabei an Charakter und Lebensstil denke. Eine mögliche Alternative „gläubig“, oder vielleicht sogar „christlich gläubig“, wird leider zu oft sehr theoretisch verstanden. Beim christlichen Glauben geht es aber unbedingt darum, wie man (auch im Alltag) lebt und was für ein Mensch man wirklich ist.

Ich habe lange gebraucht, unterscheiden zu lernen, zwischen dem, was als „christlich“ präsentiert wird, und dem, was wirklich der Überlieferung des Mannes aus Nazareth entspricht; und ich bin damit auch noch lange nicht fertig.

Unser „christliches“ Abendland wurde so nachhaltig durch „christliches“ Gedankengut und kirchliche Praxis geprägt, dass man genau hinschauen muss, um erkennen zu können, wieviel davon wirklich auf den jüdischen Messias Jesus zurückgeht und was nur als „christlich“ etikettiert wurde. Was wir brauchen, ist nichts Geringeres als eine neue Reformation. Aber diesmal richtig.

 

Ich hasse und verachte eure religiösen Feste und kann eure feierlichen Zusammenkünfte nicht riechen. Ich will eure Brand- und Speiseopfer nicht haben; die Friedensopfer eurer Mastkälber will ich nicht sehen! Hört auf mit dem Lärm eures Lobpreises! Eure Anbetungsmusik werde ich mir nicht anhören. Stattdessen will ich Recht fließen sehen wie Wasser und Gerechtigkeit wie einen Fluss, der niemals austrocknet.

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(Die Bibel, Tanach / Altes Testament, das Buch des Propheten Amos, 5. Kapitel, Verse 21-24)

 

Religionskritik an der eigenen Religion ist ein Wesensmerkmal der jüdisch-christlichen Überlieferung. Und es ist oft gerade diese selbstkritische Distanz zur eigenen Überzeugung und Praxis, die bei denen fehlt, die den christlichen Glauben für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren.

Es gibt zu viel Falsches und Missverständliches, was mit dem Brustton der eigenen Überzeugung als die absolute „christliche Wahrheit“ präsentiert wird. Zu viel „christlichen“ Murx, der in einer Aura von Heiligkeit und mit dem Anspruch auf Vollkommenheit einherschreitet. Der eigene Glaube wird mit „doch so einleuchtenden und logischen“ Argumenten verteidigt, welche nur die überzeugen können, die sich sowieso überzeugen lassen wollen, und welche statt brillianter Intelligenz eher ein zu niedriges intellektuelles Niveau offenbaren.

So manche „christliche“ Institution ist eine geistliche und geistige Ruine. Kritische Fragen sind nicht erwünscht. Alle sind schon gleichgeschaltet und auf Linie gebracht. Statt Echtheit und Natürlichkeit trifft man auf Heuchelei und Verstellung. Es ist eng, muffig und stickig, bedrückend und beklemmend. Kein Ort, wo kranke Seelen aufatmen können.

Das alte Deutsch einer Lutherübersetzung oder von schönen alten Kirchenliedern ist nicht christlich, sondern einfach alt. Viele Kirchen mögen Christen über lange Zeit ein wertvoller Versammlungsort gewesen sein – aber verstaubt sind sie trotzdem. Talare, Weihrauch, Altäre, Kirchenglocken, etc. stammen aus einer vergangenen Zeit. Ob sie in der Zukunft geeignet sein werden, etwas von Jesus deutlich werden zu lassen, ist die Frage. (Man kann sich auch fragen, ob sie das überhaupt jemals wirklich getan haben.)

Blödheit wird nicht dadurch besser, dass man es für Gott oder Jesus tut. Auch wirkt so manches Gut-gemeinte verkrampft und angestrengt, ängstlich und besorgt, und aus manchem Frommen leuchtet nur ein schwacher Schein des Wesen Jesu hervor. Und Gott weiß, wie oft das bei mir selbst der Fall war und ist. – Herr, erbarme dich!

 

„Bessere Lieder müßten sie mir singen, daß ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müßten mir seine Jünger aussehen!“

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(aus Nietzsches „Also sprach Zarathustra“)

 

Das Leben wäre oft einfacher, wenn wir in einer Schwarz-Weiß-Welt leben würden: Gut oder schlecht? Richtig oder falsch? Ja oder Nein? – Aber unsere Welt ist bunt mit unendlich vielen Schattierungen. Oft müssen wir sagen: Sowohl, als auch. Nicht ganz falsch, und nicht ganz richtig. Etwas hat Vor- und Nachteile.

Auch das real-existierende Christentum ist seinem Selbstverständnis nach eigentlich mangelhaft und relativ. Nur Gott ist absolut und allmächtig. Wir hingegen sind begrenzt, und unser Tun und Verstehen bleibt immer bruchstückhaft und unvollkommen. Nichts Konkretes in dieser Welt ist so heilig, dass es nicht auch Schattenseiten hätte. Gerade unser Mangel begründet unser Bedürfnis nach Gott, den wir selbstverständlich auch weiterhin brauchen, nachdem wir Christ geworden sind.

Von Christus heißt es, dass er sich erniedrigte und Mensch wurde, und dass er sich nicht geschämt hat, uns Schwester und Brüder zu nennen (Bibel, Neues Testament, Paulus‘ Brief an die Philipper 2,5-8; Hebräerbrief 2,11). Sollten nicht gerade Christen, die als begnadigte Sünder leben, kein Problem damit haben, Mängel und Fehler zuzugeben und anderen Sündern einladend zu begegnen? Anstelle als Glaubenshelden und Superheilige umherzuwandeln, dürfen wir andere unsere Schwächen und Fehler sehen lassen. Schwachheit ist eine Strategie des Wirken Gottes in dieser Welt. Jesus bejahte menschliche Schwachheit, um für uns zu leben und zu sterben.

Ist Bescheidenheit nicht auch eine christliche Tugend? Wäre es nicht dem Weg Jesu angemessener, die Kompliziertheit vieler Entscheidungen anzuerkennen und auf die eigene Begrenztheit hinzuweisen, als mit irgendwelchen Auslegungstricks Antworten auch auf die schwierigsten Fragen herbeizuzaubern? An der Seite von Menschen mit zu leiden und ungelöste Probleme auszuhalten, anstatt durch „theologische“ Schnellschüsse die Intaktheit des eigenen, mangelhaften Weltbildes zu beschützen?

Wenn Menschen auf „Frommes“ allergisch reagieren, so ist dies leider allzu oft eine richtige und gesunde Reaktion, weil das, was sich fromm gibt, nicht wirklich der Frömmigkeit von Jesus entspricht.

 

Liebe ist geduldig, Liebe ist freundlich. Sie kennt keinen Neid, sie spielt sich nicht auf, sie ist nicht eingebildet. Sie verhält sich nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie verliert nicht die Beherrschung, sie trägt keinem etwas nach. Sie freut sich nicht, wenn Unrecht geschieht, aber wo die Wahrheit siegt, freut sie sich mit. Alles erträgt sie, in jeder Lage glaubt sie, immer hofft sie, allem hält sie stand. Die Liebe vergeht niemals …

… was wir erkennen, ist immer nur ein Teil des Ganzen …

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(Die Bibel, Neues Testament, der erste Brief des Apostel Paulus
an die Gemeinde in Korinth, 13,4-9)

 

… Richtet eure Gedanken ganz auf die Dinge, die wahr und achtenswert, gerecht, rein und unanstößig sind und allgemeine Zustimmung verdienen; beschäftigt euch mit dem, was vorbildlich ist und zu Recht gelobt wird.

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(Paulus‘ Brief an die Philipper, 4,8)

 

[Dies ist die Überarbeitung eines älteren Artikels. Den älteren Artikel mit Kommentar findet ihr hier.]