Der Mönch und der Philosoph

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Ich lese zurzeit ein außergewöhnliches Buch, dessen besonderer Reiz ist, dass es ein Gespräch zwischen Vater und Sohn ist. Beide sind Franzosen. Der Vater, Jean-François Revel, ist ein erfolgreicher Schriftsteller und Philosoph, und der Sohn, Matthieu Ricard, ein Biologe, der eine aussichtsreiche Karriere an der Universität gegen eine Laufbahn als buddhistischer Mönch eingetauscht hat. Er ist der französische Übersetzer des Dalai Lama und wurde in den Medien als „glücklichster Mensch der Welt“ bezeichnet.

Das Buch ist leider nicht mehr ganz neu, aber da das Thema bis weit in die Antike zurückgeht, spielen ein paar Jahre da keine große Rolle. Das Buch ist ein Gespräch zwischen tibetischem Buddhismus und abendländischer Philosophie. Da Ricard selbst auch durch die europäische Kultur geprägt ist, sind ihm nun sowohl westliches als auch buddhistisches Denken vertraut, und er versucht in dem Gespräch u.a. Missverständnisse gegenüber dem Buddhismus auszuräumen.

Besonders beeindrucken tut mich die Ganzheitlichkeit buddhistischer Spiritualität und die hoch entwickelte tibetische Kultur. Die Verbindung von Denken und Leben und Charakter ist ein Ansatz, der in der abendländischen Philosophie früher auch zu finden war; in den vergangenen Jahrhunderten allerdings scheint die europäische Philosophie weitgehend verkopft geworden zu sein, wobei Verbindungen zu praktischer Erfahrung und Charakterbildung häufig nicht erkennbar sind.

Mir ist Ricard vor einer Weile im Internet aufgefallen. Ich weiß nicht, ob er auch Deutsch spricht, aber 2015 wurde ein nettes Interview mit ihm bei SRF Kultur (Sternstunde Philosophie) ausgestrahlt, wo er ins Deutsche übersetzt wird. Auch Bücher von ihm in Deutsch sind vorhanden.

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„Hungrige Missionierende“ (5. Teil): Mut zum Mangel

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

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Judäische Wüste, Foto von Yuvalr, via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
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(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

Mut zum Mangel

Schalom” ist einer der überragenden Begriffe der jüdisch-christlichen Überlieferung. Es ist die große Hoffnung jüdisch-christlicher Frömmigkeit, dass Gott selbst all unseren Mangel ausgleichen kann und wird. Das Evangelium ist eine Botschaft von Gnade, Hoffnung und dem Glauben an eine größere, gute Macht. Dies hilft, den Mut aufzubringen, Mängeln fest in die Augen zu sehen. – Mut zur Lücke. Das Kommen des Reiches Gottes hängt nicht davon ab, dass wir alles wissen, alles können und keine Fehler machen.

Buße und Um-denken (metanoia), von denen die neutestamentlichen Texte sprechen, beinhalten das Sehen und Anerkennen von Mangel, damit sich unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein verändern und es besser mit uns werden kann. Christen sind hungrig nach dem Hereinbrechen des Himmelreichs in unsere notleidende Welt und das Leben verlorener Menschen, und hungrig nach persönlicher Veränderung im eigenen Leben und Wachstum zur Fülle Christi hin. Das Wahrnehmen von Mängeln ist somit ein essentieller Bestandteil von Mission – und dabei sind es nicht nur die Ungläubigen, welche die Mängel haben.

 

„Unser Vater im Himmel!
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme…“
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(Anfang des Vaterunsers – Matthäus-Evangelium, 6. Kapitel)

 

Eine wesentliche Aufgabe von Religion ist Stabilisierung. (Besonders für Menschen in schweren Lebenskrisen eine lebenswichtige Funktion.) Anzuerkennen, dass diese Stabilisierung nur vorläufig und mangelhaft und die eigene Erkenntnis begrenzt ist, erfordert Mut, da es diese Stabilität zu bedrohen scheint. Man kann auch nicht ständig alles in in Frage stellen; wir müssen auch Entscheidungen treffen, um leben zu können.

Man kann Entscheidungen allerdings in Demut und Bescheidenheit treffen, ohne den Anspruch zu erheben, dass alle anderen dieselben Entscheidungen treffen müssen. Wenn ich für mich selbst einen gangbaren Weg gefunden habe, dann ist das schon eine sehr gute Sache. In gewissem Sinne sind ja alle unsere Lösungen vorübergehend und provisorisch.

 

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Sonnenuntergang über Lichtenrade, Foto von Sebastian Rittau, via flickr – creative commons CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

 

Hunger ist unangenehm bis schmerzhaft. Hunger macht Sinn, weil er (grundsätzlich) gestillt werden kann. Hunger ist ein Zustand des Leidens, den man vermeiden möchte, und zugleich eine lebenserhaltende Funktion unseres Körpers. Hunger macht uns rechtzeitig auf Mangel aufmerksam.

Die Bereitschaft zum (geistlichen) Hunger und zum Leiden ist eine wichtige Voraussetzung, um Mängel wahrzunehmen und zu lernen und zu reifen, und eine wichtige Voraussetzung für ein besseres Christentum und eine bessere Mission. Andere Menschen und sich selbst zu lieben, bedeutet auch, bereit zu sein genau hinzuschauen, um besser verstehen und besser helfen zu können. – Der Geist Jesu ist auch ein Geist des kritischen Blicks.

 

“Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder:

‚Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen!‘ –

und siehe, ein Balken ist in deinem Auge?

Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.”

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(Jesus in der Bergpredigt, Mt 7,3-5)

 

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„Dieses Toilettenpapier hat einen Produktionsfehler, eignet sich möglicherweise aber noch zum gewöhnlichen Gebrauch.“ via Wikimedia Commons – slgckgc [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)%5D
 

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

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Geist-licher Miss-brauch: Evangelium 21

 

Evangelium 21

 

Fürs 21. Jahrhundert? Echt jetzt?

Will man wirklich so Menschen im 21. Jahrhundert erreichen? Vielleicht sogar die nächste Generation?

Ich hab eher den Eindruck, dass man sich hier ängstlich an traditionelle „Werte“ klammert, weil man mit der Wirklichkeit nicht klar kommt. – Sollen auf diese Weise mündige Christen entstehen?

Man braucht doch keine Bibel-Ideologie, um herauszufinden, ob die biblischen Texte für einen selbst wertvoll sind. – Oder will man versuchen damit, die schillernde, auseinander-driftende Christenheit wieder zusammenzuführen?

Wer braucht ein „Evangelium21-Netzwerk“? – Rotten sich hier ein paar religiöse Extremisten zusammen, um die Moral in der Truppe zu stärken?

 

„… Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13. Kapitel, Vers 12; Bibel, Neues Testament)

 

Wahrhaftig?

Wissen die Macher von Evangelium 21 es nicht besser, oder verbreiten sie hier absichtlich die Unwahrheit:

 

„Wir vertrauen darauf, dass die Bibel entsprechend ihrem Selbstzeugnis das völlig vertrauenswürdige und in allen ihren Aussagen zuverlässige und autoritative Wort Gottes ist.“

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(evangelium21.net)

 

Selbstzeugnis“ ?  – Das ist ja gerade einer der auffälligen Unterschiede zum Koran, dass die Bibel  nicht  sich selbst zum Thema macht. Da die Bibel erst Jahrhunderte nach dem Abfassen der biblischen Texte gemacht worden ist, kann sie das auch gar nicht.

(Das einzig theoretisch denkbare wäre eine biblische Verheißung, dass es später einmal so ein heiliges Buch geben würde. Aber so eine Verheißung gibt es in der Bibel nicht. Noch nicht einmal so etwas wie eine Anspielung auf das Erschaffen eines heiligen Buches in der Zukunft.)

 

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Calvary Church bei Nacht; eine „non-denominational evangelical church“ in Charlotte, North Carolina; Foto von Fartbarker, via Wikimedia Commons – public domain

 

Moderne Kreuzzüge

Im Mittelalter wurden Kriege im Zeichen des Kreuzes geführt. Heute taucht das Wort „unbiblisch“ mancherorts als Kampfbegriff auf; vor allem in der Auseinandersetzung zwischen Christen. Manche haben sich das Dogma von der Unfehlbarkeit der Bibel auf die Fahne geschrieben und sind ausgezogen, die Wahrheit und die göttliche Autorität der Bibel zu verteidigen. – Heutzutage passiert das zum Glück ohne körperliche Gewaltanwendung.

 

„Alle Menschen sollen eure Güte und Freundlichkeit erfahren …“

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(Paulus im Brief an die Christen in Philippi 4,5; Neues Testament)

 

Evangelium21-Konferenzen

In Hamburg gab es 2016 eine Konferenz der Initiative Evangelium21, zu der internationale Redner angereist waren, um die Autorität der Bibel zu verteidigen. In ihrem Blog finden wir dazu Sätze wie diese:

Christen sollen der Autorität der Heiligen Schrift ganz vertrauen.

Die Bibel ist ein zutiefst verlässliches und vertrauenswürdiges Buch, unfehlbar, heilig und göttlich.

Wenn man der Bibel „Göttlichkeit“ zuspricht, wird sie damit nicht zum Götzen?

Wiedereinmal wird das Dogma von der Unfehlbarkeit der Bibel unkritisch mit dem richtigen christlichen Glauben an Jesus von Nazareth gleichgesetzt und eine „göttliche Autorität der Bibel“ verteidigt. – Woher kommt es, dass so viele Christen mit Eifer eine Lehre verteidigen, die sich noch nicht einmal in dem Buch findet, für dessen Autorität sie sich einsetzen?

 

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Altarbibel auf einem lutherischen Altar; von Leon Brooks [Public domain], via Wikimedia Commons
 

 

Was ist „biblisch“? Und was „unbiblisch“?

Biblisch“ im engeren Sinne wäre einfach etwas, das zur Bibel gehört oder mit ihr zu tun hat. So könnte man z. B. sagen, dass Matthäus-Evangelium ist ein biblischer Text, weil es ja zur Bibel gehört. Es würde hingegen wegen Sinn machen zu sagen „Kriege sind biblisch“, nur weil Kriege in der Bibel vorkommen. Eher könnte man denken, dass Kriege unbiblisch sind, da es ja in der Bibel heißt: „Du sollst nicht töten!“

Wenn man anfängt, so zu denken, hat schon eine Bedeutungsverschiebung stattgefunden. Es geht nicht mehr nur darum, ob etwas sachlich mit dem Buch der Bibel zu tun hat, sondern hier wird die Bibel schon als ein Maßstab, also normativ verwendet, für Denken und Handeln.

Das Wort „unbiblisch“ ist auch nicht der genaue Gegensatz zum Begriff „biblisch“, denn es würde z. B . komisch klingen zu sagen, Goethes Zauberlehrling wäre unbiblisch, weil der Text nicht in der Bibel steht (zumindest für meine Ohren). Hingegen könnte man durchaus sagen, dass der Zauberlehrling kein biblischer Text ist.

 

„Als Bibel (altgriechisch βιβλία biblia ‚Bücher‘; daher auch Buch der Bücher) bezeichnet man eine Schriftensammlung, die im Judentum und Christentum als Heilige Schrift mit normativem Anspruch für die ganze Religionsausübung gilt.“

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(Wikipedia)

 

Hat Wikipedia mal wieder recht?

 

Unser Bedürfnis nach Orientierung und die biblischen Texte

Unausgesprochen transportiert das Wort „biblisch“ oft, wenn es gebraucht wird, die Vorstellung, dass man Gottes Offenbarung oder seine Anweisungen für unser Leben eindeutig aus der Bibel ableiten kann. Nicht nur die Bibel selbst soll fehlerfrei sein, sondern auch die Art und Weise, wie wir sie anwenden.

Es würde z. B. keinen Sinn machen zu behaupten, Alkohol trinken sei unbiblisch, wenn es widersprüchliche Aussagen dazu in der Bibel gäbe oder man dies nicht  ein – deutig von ihr ableiten könnte.

Jeder, der sich nur ein bisschen mit dem Christentum beschäftigt hat, weiß, dass es u.a. die unterschiedliche Interpretation der biblischen Texte ist, die zu einer unüberschaubaren Vielzahl von christlichen Kirchen und Gruppen geführt hat. Es drängen sich alleine schon deshalb die Fragen auf:

Sprechen überhaupt alle biblischen Texte deutlich mit  einer  Stimme? Oder begegnet uns in den biblischen Texte eine Vielfalt an unterschiedlichen Stimmen, Perspektiven und Meinungen?

 

„Für die Unverheirateten hat mir der Herr keine ausdrückliche Anweisung gegeben. Aber weil der Herr mich in seiner Gnade zum Dienst berufen hat, sind meine Worte vertrauenswürdig. Darum möchte ich euch meine Meinung sagen…
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Dies ist kein Befehl, sondern meine Meinung, doch ich habe schließlich auch Gottes Geist empfangen.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 7,25-40; Neues Testament)

 

Wie interpretiert man die Bibel richtig ?  Und wie lässt sich prüfen, ob etwas richtig interpretiert worden ist?

 

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Mose, von José de Ribera via Wikimedia Commons – public domain

 

Heilige Texte im Judentum

Mich erinnern diese Überlegungen an die schier unglaubliche Fülle an Regeln für die Anwendung der Tora (5. Bücher Mose), wie wir sie im Rabbinischen Judentum finden. Wer schon einmal vor einer ungekürzten (!) Ausgabe des Talmud stand, weiß wovon ich rede.

In den Evangelien lesen wir, wie Jesus selbst sich mit dieser jüdischen Tradition auseinandersetzt. (Der Talmud selbst hat so zu Jesu Zeiten noch nicht existiert, aber ein Teil davon, in mündlicher Überlieferung.)

 

Ihr Heuchler! Wie recht hat Jesaja, wenn er von euch schreibt:
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‚Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber mit dem Herzen sind sie nicht dabei. Ihre Frömmigkeit ist wertlos, weil sie ihre menschlichen Gesetze als meine Gebote ausgegeben haben.'“

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(Matthäus-Evangelium 15,7-9; Neues Testament)

 

Hat sich nicht zwischen der Frömmigkeit, die Jesus gelehrt und vorgelebt hat, und der rabbinischen jüdischen Frömmigkeit des 1. Jahrhunderts deutlich etwas verändert?

 

„… der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig. “

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(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,6; Neues Testament)

 

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von Fra Angelico (circa 1395–1455) via Wikimedia Commons – public domain

 

Einfach Jesus

Inhalt, Qualität und Vielfalt der biblischen Texte inspirieren mich. Vor allem aber sind es das Leben und die Lehre Jesu, die mich gepackt haben (und auch von Paulus bin ich begeistert).

 

„Darum lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir…“

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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 2,20)

 

Die neutestamentlichen Texte sind die besten Zeugnisse über Jesus, die wir haben. Deshalb sind sie auch so wichtig.  Es geht beim christlichen Glauben in erster Linie um einen  Menschen,  Jesus von Nazareth  (von dem wir glauben, dass er der Messias Gottes, der Christus, ist), und um Menschlichkeit und Liebe (und nicht um Texte und deren Anwendung). Alle anderen Fragen sind zweitrangig. – Wir nennen uns ja auch nicht „Biblianer“ oder „Biblizisten“, sondern Christen.

 

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Benedikt von Nursia; Foto von Gerd A.T. Müller, via Wikimedia Commons – GNU-FDL, https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:GNU_Free_Documentation_License,_version_1.2

 

schein-heilig

Wenn Menschen die Bibel als heiliges Buch kaufen, lesen und benutzen, haben sie die Aufmerksamkeit auf Texte gerichtet und nicht mehr auf den Geist und das Heilige, auf das die Texte ja eigentlich selbst verweisen. Man verehrt ein Buch und beschäftigt sich mit Texten.

Ist dies der beste Weg sich für den Geist zu öffnen, aus dem heraus die Texte entstanden sind? – Eine der größten Gefahren für Christen sind Ablenkungen und Versuchungen; und über Texte kann man ja auch viel leichter verfügen und sie als Machtinstrumente benutzen…

Was sind das für Menschen, die unbedingt ein heiliges Buch besitzen wollen? Wer braucht eindeutige Aussagen, klare Ansagen und feste Regeln? Was sagt dieses Bedürfnis aus über ihre Persönlichkeit?

Wer innere Festigkeit besitzt und geistlich erfahren ist, kann sich auch dem Chaos und Herausforderungen des Lebens eher stellen.

 

„Wer nun auf das hört, was ich gesagt habe, und danach handelt, der ist klug. Man kann ihn mit einem Mann vergleichen, der sein Haus auf felsigen Grund baut. Wenn ein Wolkenbruch niedergeht, das Hochwasser steigt und der Sturm am Haus rüttelt, wird es trotzdem nicht einstürzen, weil es auf Felsengrund gebaut ist …“

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(Jesus am Ende der Bergpredigt, Matthäus-Evangelium 7,24-25)

 

„Gut gemeint“?

Das ist eine Entschuldigung, die oft gebracht wird:

„Aber es ist doch gut gemeint!“

Wie gut kann etwas gemeint sein, wenn ich versuche meine Überzeugung anderen aufzuzwingen und meine Meinungen durchzusetzen? Mit wem meint man es da gut? Mit sich selbst und seines Gleichen?

 

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Petersplatz im Morgengrauen, mit Petersdom (Vatikan), Foto von Islandoftrees via Wikimedia Commons – CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

 

Christen, die nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Überzeugungen kritisch zu hinterfragen, stehen in der Gefahr der Sache Gottes trotz ihres Eifers einen echten Bärendienst zu erweisen.

 

„Denn an Eifer für Gottes Sache fehlt es ihnen nicht; das kann ich bezeugen. Was ihnen fehlt, ist die richtige Erkenntnis.“

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(Paulus im Brief an die Christen in Rom 10,2)

 

Einander dienen

Wir haben nicht den Auftrag, einander den Kopf zu waschen, sondern die Füße.

Aber mache ich das nicht auch gerade? Versuche anderen Christen „den Kopf zu waschen“?

 

„Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben …“

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(Johannes-Evangelium 13,14-15; Neues Testament)

 

Ich erwarte nicht, dass all die Bibel-Ideologen von heut auf morgen ihre Überzeugung ändern. – Religion ist eine komplexe Angelegenheit. – Aber ich würde mir wünschen, dass sie vorsichtiger in ihrem Auftreten, mit ihren Ansprüchen und Formulierungen wären, und deutlich machen, dass sie für sich selbst persönliche Glaubensentscheidungen getroffen haben, wo andere Christen anders entscheiden. Ich hoffe, es wird auch durch diesen Artikel deutlich, dass es Christen gibt, die Bibel-Ideologie ablehnen.

Für die eigene Meinung göttliche Autorität zu beanspruchen ist eine gewagte Angelegenheit, für die man dann auch die Verantwortung übernehmen muss. Oft werden Menschen nachdenklicher und vorsichtiger, wenn sie Menschen besser kennenlernen, die auch tiefe religiöse Überzeugungen haben – aber andere.

 

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von Tinette (Nutzer der Italienischen Wikipedia) via Wikimedia Commons – GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

 

rechthaberisch

Es ist not-wendig, dass wir uns von einer unsäglichen Kultur der Rechthaberei (nicht gerade eine der christlichen Tugenden) distanzieren, um uns einen frischen, heilsamen Zugang zu den biblischen Texten zu erarbeiten. Ein enges Bibelverständnis nur zu kritisieren ist allerdings etwas unbefriedigend, wenn man nicht auch Wege aufzeigt, wie die biblischen Texte heute noch Licht in unsere Dunkelheit bringen können.

Ein leidenschaftliches Engagement für die Wahrheit der Bibel mag gut gemeint sein, aber das alleine verhindert leider nicht, dass wir mit der Bibel Menschen schaden. Gute Absichten alleine sind nicht ausreichend, sondern wir müssen auch verstehen, und brauchen eine Kultur der kritischen Distanz zur eigenen Überzeugung.

 

„Nehmt vielmehr bereitwillig Gottes Botschaft an, die er wie ein Samenkorn in euch gelegt hat. Sie hat die Kraft, euch zu retten.

Allerdings genügt es nicht, seine Botschaft nur anzuhören; ihr müsst auch danach handeln. Alles andere ist Selbstbetrug!

Wer Gottes Botschaft nur hört, sie aber nicht in die Tat umsetzt, dem geht es wie einem Mann, der in den Spiegel schaut. Er betrachtet sich, geht wieder weg und hat auch schon vergessen, wie er aussieht.

Ganz anders ist es dagegen mit dem, der nicht nur hört und es dann wieder vergisst, sondern auch danach handelt. Er beschäftigt sich gründlich mit Gottes vollkommenem Gesetz, das uns durch Christus gegeben ist und uns frei macht.“

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(Jakobusbrief 1,21-25)

[ Mit „Gottes vollkommenem Gesetz“ ist hier offensichtlich nicht die Bibel gemeint.  😉 ]

 

Abschied

Wir brauchen Mut, um liebgewonnene Traditionen aufzugeben oder sie zumindest erst einmal in Frage zu stellen. Ich kann die Sorge um den Verlust wichtiger Werte verstehen.

Aber ist es intellektuell redlich, wenn man an einem Konzept festhält und es verkündigt, nur weil man keine Alternative dazu sieht? – Man sollte nicht eine Erklärung als die Wahrheit verkaufen, nur weil man für sich selbst noch keine andere Erklärung gefunden hat.

Oft habe ich die Aussage gehört, dass wenn man an der Autorität der Bibel rüttelt, am Ende gar nichts mehr übrig bleibt. – Ich hoffe, dass ihr auf meinem Blog genug Belege dafür findet, dass dies nicht der Fall ist.

 

[Dies ist die neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]

 

Sandra Hauser | Wiedergeburt denken

 

Sandra Hauser auf ihrem Blog „Integrales Christsein“ zum Thema Reinkarnation:

Wiedergeburt denken

 

Deine Bibel, meine Bibel – Über das willkürliche Deuten biblischer Texte

 

Gott ist kein Schriftsteller

 

Übersicht

1.  Wozu Bibel lesen?

2.  Bibel „verstehen“ oder „deuten“?

3.  Vorstellungen von der Bibel

4.  Über den Umgang mit heiligen Texten

5.  Die Stimme Gottes im Herzen des Menschen

 


 

1.  Wozu Bibel lesen?

Es gibt viele unterschiedliche Gründe, weshalb Menschen zur Bibel greifen. Was dabei am Ende herauskommt, hängt davon ab, was Menschen antreibt.

 

„Bittet Gott, und er wird euch geben! Sucht, und ihr werdet finden! Klopft an, und euch wird die Tür geöffnet!“

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(Jesus in der Bergpredigt; Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium, 7. Kapitel, Vers 7)

 


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2.  Bibel „verstehen“ oder „deuten“?

Über das willkürliche Deuten biblischer Texte

 

Die beiden deutschen Worte „verstehen“ und „deuten“ sind in ihrer Bedeutung nicht identisch. Das Wort „verstehen“ suggeriert ein eher passives Erkennen des Sinns oder einer Absicht, wobei ein „richtiges Verstehen“ meist implizit ist („ich verstehe dich“); während das Wort „deuten“ ein aktiveres Herstellen eines Sinnes bezeichnet, bei dem die Subjektivität und mögliche Fehlerhaftigkeit in der Bedeutung mitschwingt.

 

„Denn was wir erkennen, ist immer nur ein Teil des Ganzen …“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth; Neues Testament; 13,9)

 

Willkür

“ Willkürliches  Deuten.“ – Klingt irgendwie nicht so gut. – Was soll bei Willkür schon Gutes herauskommen? – Wer Willkür am eigenen Leib erfahren hat, wird wohl eher einen weiten Bogen darum machen.

 

„Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“

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(Johann Jakob Wilhelm Heinse)

 

„Ganzheitliches Bibelverständnis“

Dies war der ursprüngliche Titel der ersten Version dieses Artikels, welcher übrigens der allererste Artikel meines Blogs war. Ihr findet ihn schnell, wenn ihr „Ganzheitliches Bibelverständnis“ in eine Suchmaschine eingebt. (Der Ausdruck „Ganzheitliches Bibelverständnis“ scheint wohl nicht so gebräuchlich zu sein. Ich mag ihn allerdings immer noch.)

Ich würde den ursprünglichen Artikel heute nicht mehr so formulieren. Deswegen also nun hier: die zweite Version  🙂

 

„Die Unterweisung in der Lehre unseres Glaubens hat nur das eine Ziel: die Liebe, die aus einem reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem aufrichtigen Glauben kommt.

Dieses Ziel haben jene Leute aus den Augen verloren, und daher ist alles, was sie von sich geben, leeres Gerede.  Sie wollen Lehrer des Gesetzes sein, das Gott durch Mose gegeben hat, und dabei verstehen sie nichts von dem, wovon sie reden und worüber sie solche selbstsicheren Behauptungen aufstellen.“

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(Paulus im ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 1,5)

 

„Bibelverständnis“

Warum ist dieser Begriff problematisch? – Weil er suggeriert, dass man biblische Texte „richtig verstehen“ kann. Ich glaube zwar auch, dass es biblische Texte gibt, die man richtig verstehen kann; aber das Problem liegt darin, dass Juden und Christen schon sehr viel Zeit und Kraft damit verbracht haben, sich über das „richtige Verständnis“ biblischer Texte streiten.

Wie kann man denn überprüfen, ob man einen Text richtig verstanden hat? – Wir können die Menschen, welche die Texte aufgeschrieben haben, ja nicht mehr fragen. Und wenn wir Gott fragen … was würde er wohl antworten?

 

 

Der erste Artikel meines Blogs

Der erste Artikel meines Blogs (also die erste Version dieses Artikels) basierte auf einer E-Mail, die ich Wolfgang Nestvogel als Anfrage an sein Bibelverständnis geschrieben hatte, nachdem ich einen Vortrag von ihm gehört hatte. – Leider habe ich nie eine Antwort bekommen, und wir haben uns nie über sein Bibelverständnis austauschen können.

Wolfgang Nestvogel ist Rektor der Akademie für Reformatorische Theologie (ART) und Pastor der Bekennenden Evangelischen Gemeinde (BEG) Hannover (Quelle: wolfgang-nestvogel.de).

Tja, wir alle glauben halt, was wir glauben wollen …

 

„… niemals wurde eine Prophetie durch den Willen eines Menschen hervorgebracht, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben Menschen im Auftrag Gottes geredet.“

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(Zweiter Petrusbrief; Neues Testament; 1,21)

 

will-kür-lich

Wenn wir einen Text lesen (was schon einmal voraussetzt, dass wir die Sprache verstehen), dann versuchen wir un-willkürlich – sozusagen vollautomatisch – ihn zu deuten. Es gibt gar kein Verstehen ohne Interpretation. Wir merken das, wenn wir z.B. eine Gebrauchsanweisung oder juristisches Kleingedrucktes lesen, wo wir zwar die einzelnen Worte eigentlich kennen, aber es trotzdem für uns keinen Sinn ergibt.

In „will-kür-lich“ steckt das Wort „Wille“. Wir  wollen ,  dass die Worte für uns Sinn machen. Unser Verstand ist dafür gemacht, Sinnzusammenhänge herzustellen. Dadurch ist es uns möglich zu lernen. – Wenn wir etwas falsch gedeutet haben, können wir die Deutung korrigieren. Wenn wir jedoch gar keinen Sinn erkennen können, geht das Gelesene höchstwahrscheinlich wieder verloren, weil es sich mit keiner Bedeutung in unserem Leben verbinden kann. Es bleibt nichts hängen.

 

„Wenn jemand die Botschaft vom Himmelreich hört und nicht versteht, ist es wie mit der Saat, die auf den Weg fällt. Der Böse kommt und raubt, was ins Herz dieses Menschen gesät worden ist.“

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(Jesus im Matthäus-Evangelium 13,19)

 

„ganzheitlich“

Es geht mir um einen gesunden Umgang mit den biblischen Texten, der möglichst viele Aspekte berücksichtigt, uns selbst positiv verändert und auch keine (oder möglichst wenig) unerwünschte Nebenwirkungen hat. Ein Umgang, der die Bibel für uns selbst und die Menschen unserer Zeit wertvoller macht.

Dies wollen im Grunde wahrscheinlich irgendwie die meisten Bibelleser. Aber wie können wir die Wirkungen überprüfen? Besteht überhaupt die Gefahr, dass Bibellesen unerwünschte Nebenwirkungen hat? Kann man zu viel in der Bibel lesen? Die Bedeutung der Bibel überschätzen?

 

„…alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben, und dementsprechend groß ist auch der Nutzen der Schrift: Sie unterrichtet in der Wahrheit, deckt Schuld auf, bringt auf den richtigen Weg und erzieht zu einem Leben nach Gottes Willen.

So ist also der, der Gott gehört und ihm dient, mit Hilfe der Schrift allen Anforderungen gewachsen; er ist durch sie dafür ausgerüstet, alles zu tun, was gut und richtig ist.“

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(Paulus in seinem zweiten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 3,16-17)

 

schwarz-weiß

Schwarz-Weiß-Denken ist so schön einfach. Das macht es auch so attraktiv. Es ist so praktisch. Nicht unbedingt immer leicht anzuwenden, aber es gibt immer eine eindeutige Orientierung: Klare Ansagen und eine bestimmte Richtung …

Aber unser Leben hat nicht nur viele Grau-Stufen. Leben ist bunt. Wild. Nicht in den Griff zu kriegen …

Schwarze Buchstaben auf weißem Grund. Der Versuch Bedeutendes ans vergängliche Papier zu heften.

Als Christen glauben wir ja eigentlich, dass Gott sich am besten nicht in heiligen Texten, sondern in einem Menschen aus Fleisch und Blut offenbart hat: Dem Juden Jesus aus Nazareth in Galiläa, geboren in Bethlehem zur Zeit der römischen Besatzung, noch vor der Zerstörung des jüdischen Tempels in Jerusalem und der Auslöschung jüdischen gesellschaftlichen Lebens in Palästina im zweiten Jahrhundert nach Christus.

 

„Ihr selbst seid unser Empfehlungsbrief, geschrieben in unsere Herzen, ein Brief, der allen Menschen zugänglich ist und den alle lesen können. Ja, es ist offensichtlich, dass ihr ein Brief seid, den Christus selbst verfasst hat und der durch unseren Dienst zustande gekommen ist.

Er ist nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, und die Tafeln, auf denen er steht, sind nicht aus Stein, sondern aus Fleisch und Blut; es sind die Herzen von Menschen.“

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(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,2-3)

 

menschlich – göttlich

Wenn fromme Menschen heilige Texte lesen, tun sie dies im Glauben, dass es nicht nur Worte von Menschen sind, sondern dass Gott selbst hier spricht. Es ist diese Doppelnatur heiliger Texte, die sie so kraftvoll sein lassen. Menschlich. Göttlich. Schwierig und gefährlich und nicht in den Griff zu kriegen …

Mich erinnert dies an die uralten Diskussionen und Spekulationen über die Natur von Jesus … – all die christologischen Streitereien. So alt wie das Christentum selbst. Die Doppel-Natur von Jesus. – Gott. Mensch. Nicht in den Griff zu kriegen …

 

„Es geht mir darum, dass ihr gestärkt und ermutigt werdet und dass ihr in Liebe zusammenhaltet. Dann werdet ihr eine tiefe und umfassende Erkenntnis erlangen, ein immer größeres Verständnis für das Geheimnis Gottes.
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Christus selbst ist dieses Geheimnis; in ihm sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen. Ich sage das, damit euch niemand mit kluger Überredungskunst auf einen falschen Weg führt.“
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(Kolosserbrief; Neues Testament; 2,2-4)

 

„ganzheitlich“ oder „homogen“

Das Wort „ganzheitlich“ hier bitte nicht mit „homogen“ verwechseln. Ich behaupte nicht, dass die Bibel einen „homogenen“ Inhalt besitzt und widerspruchsfrei wäre. (Eher glaube ich das Gegenteil.)

Auch gegenüber einem „homogenen“, einheitlichen Bibelverständnis bin ich skeptisch. Bei der Vielfalt all der Texte und Autoren … – sollte es da wirklich eine  Auslegungsmethode geben, die für alle passt?

 

„Viele Male und auf verschiedenste Weise sprach Gott in der Vergangenheit durch die Propheten zu unseren Vorfahren. Jetzt aber, am Ende der Zeit, hat er durch seinen Sohn zu uns gesprochen …“
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(Brief an die Hebräer; Neues Testament; 1,1-2)

 

„Bibelverständnis“

Das Thema an sich ist riesig. Ich möchte das mal in meinem Kopf sortieren in die Bereiche „die Vorstellung, die ich von der Bibel habe“ und „wie ich mit ihr umgehe“. – Die beiden Aspekte hängen natürlich zusammen und beeinflussen sich wechselseitig.

Dazu fallen mir dann auch noch Fragen ein, wie:

 

Warum beschäftigst du dich eigentlich mit der Bibel?

Hat sich das bis jetzt für dich gelohnt? Bringt dir das was? Was genau?

Was wünschst du dir von der Bibel?

 

Ich hab mir die Fragen auch selbst grad gestellt, und war überrascht …

 

„Die Bibel, bestehend aus den Schriften des Alten und Neuen Testaments, ist Offenbarung des dreieinen Gottes. Sie ist von Gottes Geist eingegeben, zuverlässig und höchste Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung.“

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(aus der „Glaubensbasis der Evangelischen Allianz vom 2. September 1846, überarbeitet 2018„)

 


 

3.  Vorstellungen von der Bibel

Dekonstruktion eines Ideals: Sind die biblischen Texte Gottes Worte an dich heute?

 

„Bibel = Wort Gottes?“

„Die Bibel ist das Wort Gottes.“ – Eine Aussage, die man immer noch hört. (Interessant, dass es bei der Glaubensbasis der Ev. Allianz nicht so formuliert worden ist.) – Aber wer dürfte so etwas eigentlich behaupten?

Glaubst du das?

Falls ja, bist du selbst durch das Studium der Texte zu dieser Erkenntnis gelangt oder haben es dir andere über die Bibel gesagt?

Das meiste, was über die Bibel gesagt wird und gesagt worden ist, wird von Menschen gesagt, die keine theologische Ausbildung besitzen, Übersetzungen benutzen und kaum Kenntnisse von Textkritik und der Entstehung der Bibel besitzen.

 

„Wenn ich in Sprachen rede, die von Gott eingegeben sind – in irdischen Sprachen und sogar in der Sprache der Engel – , aber keine Liebe habe, bin ich nichts weiter als ein dröhnender Gong oder eine lärmende Pauke.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13,1)

 

„Das Wort Gottes“

Dies ist eigentlich ein symbolischer Ausdruck. – Wir kennen Worte nur als Bestandteile menschlicher Sprache.

Welche Sprache spricht Gott? Keine? Alle? Hat Gott eine Muttersprache?

Paulus erwähnt im eben zitierten Vers im ersten Brief an die Christen in Korinth die Sprache von Engeln. Aber ich kenne eigentlich nur menschliche Sprache.

 

„‚Ihr Männer, liebe Brüder und Väter, hört mir zu, wenn ich mich jetzt vor euch verantworte.‘
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Als sie aber hörten, dass er auf Hebräisch zu ihnen redete, wurden sie noch stiller …“
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(Paulus in der Apostelgeschichte; Neues Testament; 22,1-2)

 

Heilige Sprachen

Von der Religionsgeschichte her kennen wir das Phänomen, dass manchmal Sprachen als „heilig“ betrachtet werden – z.B. das Hebräische im Judentum oder das Arabische des Koran im Islam. Dahinter steht die Überzeugung, dass Gott sich sprachlich offenbart hat, und das Bewusstsein, dass jede Sprache eine, ihr eigene, Natur besitzt, welche sie von anderen Sprachen unterscheidet.

Wenn Gott eine Sprache erwählt hat, um sich durch sie zu offenbaren, wird diese dadurch heilig. Nicht alle Juden fanden es z.B. so toll, dass ihre heiligen Schriften ins Griechische übersetzt worden waren (Septuaginta), und die Übersetzung des Koran in andere Sprachen ist auch für manche Muslime ein heikles Thema.

Natürliche Sprachen sind lebendig und verändern sich. Gott aber verändert sich nicht. (Oder doch?) – Kann es überhaupt eine heilige Sprache geben? – Beim Hebräischen sehen wir in der Geschichte, wie es über Jahrhunderte zu einer liturgischen Sprache erstarrt gewesen war, bevor es dann in der Neuzeit wiederbelebt wurde. (Wobei das moderne Ivrit nicht mit Biblischen Hebräisch identisch ist.)

Interessant ist, dass im Christentum meines Wissens „heilige Sprache“ nie so richtig ein Thema war. Vielleicht liegt das daran, dass unsere Bibel ja ursprünglich in mehreren Sprachen (Hebräisch, Aramäisch, Griechisch) geschrieben worden ist.

Sind vielleicht irgendwie alle Sprachen heilig? Offenbart sich Gott in den Worten, die Menschen einander sagen und die von Generation an Generation weitergegeben werden? Offenbart er sich vielleicht gerade auch in der lebendigen Veränderung von Sprache?

Im biblischen Narrativ ist die Entstehung von Sprachen ein Schöpfungsakt Gottes:

 

„… Wir werden hinuntersteigen und dafür sorgen, dass sie alle in verschiedenen Sprachen reden. Dann wird keiner mehr den anderen verstehen!“

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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Bereschith / Genesis / 1. Mose 11,7)

 

Kommunikation

Ich bin überzeugt, dass viel zu viel Fromme nicht genug darüber nachdenken, was Kommunikation eigentlich ist, und wie sie funktioniert. – Müsste jemandem, dem die Veränderung von lebendigen Sprachen bewusst ist, es nicht eigenartig und problematisch erscheinen, dass Gott sich in einem Text für alle Menschen aller Zeiten offenbart?

Während ich diese Zeilen schreibe, merke ich ständig, wie schwierig es ist, genau das auszudrücken, was ich sagen will. Es soll ja auch nicht missverstanden werden können. – Wer schreibt, will verstanden werden. – Wir alle kennen das vom SMS- und Briefe-Schreiben. Man möchte nicht zu viele Worte machen, aber auch nicht etwas so verkürzen, dass es missverständlich ist. Jeder, der es gewöhnt ist, öffentlich zu sprechen, oder wer regelmäßig Texte verfasst, dem ist diese Spannung vertraut.

Was man mit Worten ausdrücken kann, ist auch so begrenzt. Wir hätten oft so viel zu sagen … so große Gefühle … tiefe Gedanken …

 

Ich habe noch so vieles auf dem Herzen, aber das möchte ich euch lieber persönlich sagen und nicht schreiben …“

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(Johannes‘ zweiter Brief; Neues Testament; Vers 12)

 

Wer kann die Bibel lesen, wie ein antiker Gläubiger?

Niemand, weltweit, beherrscht die biblischen Sprachen auf muttersprachlichen Niveau. Und diese Situation ist nicht neu. Es war schon immer so, seitdem Bibeln produziert worden sind. – Verlage suchen für Übersetzungen Menschen, welche die jeweiligen Sprachen auf muttersprachlichen Niveau beherrschen. Für Bibel-Übersetzungen kann es solche kompetenten Leute naturgemäß leider einfach nicht geben.

Wer in der Lage ist, zwei Sprachen auf (annähernd) muttersprachlichem Niveau zu sprechen und Bücher im Original und Übersetzung vergleichen kann, der weiß genau, dass eine Übersetzung immer eine Reduzierung bzw. Veränderung des ursprünglichen Inhalts ist. In Bezug auf Bibel-Übersetzungen müsste man hier eigentlich ins Nachdenken kommen – gerade bei so schwer greifbaren Themen wie „Glaube“, „Geist“ und „Frömmigkeit“.

Wir müssen auch davon ausgehen, dass nicht alle Verfasser der biblischen Texte die jeweiligen Sprachen, die sie benutzten, auf muttersprachlichen Niveau beherrscht haben. Das Griechisch, das in der Offenbarung benutzt wird, soll z.B. etwas eigenartig sein. – Konnte der Verfasser kein besseres Griechisch oder hat er den Text absichtlich so geschrieben? – Schwer zu sagen …

Übrigens sprach Jesus mit ziemlicher Sicherheit Aramäisch. Die Evangelien sind aber alle in Griechisch.

 

„Fassungslos hörte jeder die Jünger in seiner eigenen Sprache reden.

‚Wie ist das möglich?‘, riefen sie außer sich. ‚Alle diese Leute sind doch aus Galiläa, und nun hören wir sie in unserer Muttersprache reden …'“

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(Apostelgeschichte 2,6-8)

 

Die Bibel im Original lesen?

Pech gehabt. Die Originale der biblischen Texte haben wir leider nicht mehr. Ist bei antiken Texten eigentlich auch nichts Ungewöhnliches. Von den allermeisten Texten wird allerdings auch nicht angenommen, dass sie heilig sind.

 

„… Wer diesen Worten etwas hinzufügt, dem wird Gott all das Unheil zufügen, das in diesem Buch beschrieben wurde. Und wer etwas von diesen prophetischen Worten wegnimmt, dem wird Gott auch seinen Anteil am Baum des Lebens und an der Heiligen Stadt wegnehmen, die in diesem Buch beschrieben sind.“

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(Offenbarung von Johannes; Neues Testament; 22,18-19)

 

Wie gut sind die Rekonstruktionsversuche?

Schwer zu sagen … – Meines Wissens ist es bisher noch nicht gelungen einen soliden Rekonstruktionsvorschlag für alle Texte herzustellen, weil der zeitliche Abstand zwischen den Handschriften und Originalen zum Teil ziemlich groß ist, und der Zustand relevanter Handschriften teilweise kaum eine eindeutige Rekonstruktion zulassen. In den Bibelübersetzungen sind diese Probleme in der Regel natürlich – das Lesen soll ja einigermaßen „Spaß“ machen – nicht mehr zu erkennen.

 

„Bei Karpus in Troas ließ ich meinen Mantel zurück. Bring ihn mit, wenn du kommst, und ebenso die Buchrollen, vor allem die Pergamente.“

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(Paulus im zweiten Brief an Timotheus 4,13)

 

Gibt es in der Christenheit überhaupt eine einheitliche Bibel?

Weder das Alte noch das Neue Testament ist zu einem bestimmten Zeitpunkt vom Himmel gefallen, sondern sie sind beide über einen längeren Zeitpunkt entstanden, und die Diskussion über den biblischen Kanon, also die Frage, welche Schriften zur Bibel gehören sollen, hat nie aufgehört. – Diese Aussage ist natürlich abhängig davon, wen man als Christ akzeptiert. Wenn man nur die Gläubigen als Christen anerkennt, welche dieselbe Bibel benutzen, hat man hier keine Probleme.

Wann wurde überhaupt die allererste Bibel hergestellt?

Es geht beim Problem des Kanons hauptsächlich um die Frage der Kanonisierung der alttestamentlichen Texte, also quasi um die Kanonisierung der jüdischen Bibel. – Gab es aber im Judentum überhaupt jemals ein dem evangelikalen Fundamentalismus entsprechendes Bibelverständnis? Und wenn ja, wann? Und wer hat es vertreten? – Mir ist so etwas jedenfalls noch nicht begegnet – außer bei den sogenannten „messianischen Juden“, die das vom Christentum übernommen haben.

Auffällig ist, dass Juden Unterschiede zwischen ihren heiligen Texten machen. Am heiligsten ist die Tora.

Meines Wissens war auch der Kanon der jüdischen Bibel zur Zeit der ersten Christen noch gar nicht abgeschlossen. Juden benutzten damals ja Schriftrollen – und nicht  ein  dickes Buch.

Das Wort „Bibel“ kommt in der Bibel selbst natürlich nicht vor. Die Bibel als „feste“ Sammlung entstand ja erst Jahrhunderte, nachdem der letzte biblische Text verfasst worden war.

 

„… weil du der Stimme von JHWH, deines Gottes, gehorchst und hältst seine Gebote und Rechte, die geschrieben stehen im Buch dieses Gesetzes …

Siehe, ich lege dir heute das Leben und das Gute vor, den Tod und das Böse … dass du … wandelst in seinen Wegen und seine Gebote, Gesetze und Rechte hältst …“

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(Bibel / Tanach / Altes Testament; Devarim / Deuteronomium / 5. Mose 30,10-15)

 

„Freeze!“

Jeder biblische Vers ist zu einem festen Zeitpunkt in der Geschichte unter ganz bestimmten sprachlichen und außersprachlichen Rahmenbedingungen in einer festen Form erstarrt und wurde von dem Zeitpunkt an – mehr oder weniger gut – bis heute überliefert. In der Regel lässt sich dieser Zeitpunkt noch nicht einmal genau datieren.

Deshalb ist wissenschaftliche Bibelauslegung und Bibelübersetzung nichts für Anfänger; denn dabei geht es – unter Verwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel – um das Ausloten des Deutungs-Raumes eines Textes. (Schon die Rekonstruktion des Deutungs-Raums der einzelnen altsprachlichen Worte ist nicht einfach – wie Altsprachler wissen.)

Selbst alle „Urtext-Varianten“ des biblischen Textes sind nur Rekonstruktionsversuche, da die historischen Handschriften der biblischen Texte leider nicht in allem übereinstimmen. – Wenn es anders wäre, bräuchte man keine Textkritik.

 

„Von oben kommen nur gute Gaben und nur vollkommene Geschenke; sie kommen vom Schöpfer der Gestirne, der sich nicht ändert und bei dem es keinen Wechsel von Licht zu Finsternis gibt.“

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(Brief von Jakobus; Neues Testament; 1,17)

 

Kontext, Kontext, Kontext

Sprache ist  immer  untrennbar mit einem konkreten, zeitlichen kulturellen Kontext verbunden. Jeder, der schon einmal versucht hat, eine Fremdsprache zu lernen, kann das verstehen. Eine Sprache zu lernen, bedeutet, auch eine Kultur zu lernen.

Manche Worte beschreiben grundlegende menschliche Erfahrungen, wie Atmen, Essen, Laufen, usw. – aber selbst da gibt es Nuancen (tief/flach atmen, schnell/langsam laufen/gehen/rennen …). Andere Worte haben einen sehr spezifischen Kontext, wie z. B. Passah, Abendmahl, Weihnachten, …

Sprache ist grundsätzlich der Veränderung in der Zeit unterworfen, was man sofort merkt, wenn man Luther im Original liest, oder wenn man an die Bedeutung von Worten wie „toll“ oder „geil“ denkt. (Wenn man älter wird, merkt man immer mehr, wie sich die eigene Muttersprache verändert.)

In den religiösen Schriften wird nun der Text durch die Tradition konserviert, aber löst sich zunehmend von dem historischen und sprachlichen Kontext. Es wird zunehmend schwieriger den Text richtig zu interpretieren, da sich Kultur und Sprache des Lesers verändern und Wissen um Anlass und Zusammenhänge des Verfassens der Texte immer mehr abnimmt. Die Gefahr von Missverständnissen steigt.

Um einen Text richtig zu interpretieren, muss man versuchen, den ursprünglichen Kontext zu rekonstruieren. Inwieweit einem das jeweils gelungen ist, kann man kaum überprüfen. – Je fremder einem Leser der ursprüngliche historische Kontext ist, desto schwieriger wird es zu verstehen, was der Verfasser mit dem Text bezwecken wollte.

 

„… wer Freude hat am Gesetz von JHWH und darüber nachdenkt – Tag und Nacht.“

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(Erster Psalm, Vers 2)

 

Die Bibel, ein vollkommenes, fehlerfreies Buch? Eine zuverlässige Quelle der Wahrheit?

Dies dürfte jemand eigentlich nur behaupten, wenn er dies persönlich Text für Text und Vers für Vers überprüft hat. Aber wie sollte so etwas funktionieren? Wir haben ja noch nicht einmal die Originale?

Und was ist mit Wahrheit gemeint? Müssen alle Details einer Erzählung historisch korrekt sein?

Wie wollen wir die Historizität einer biblischen Aussage überprüfen, wenn es dazu gar keine anderen historischen Quellen gibt?

Die Korrektheit historischer Dokumente ist ja auch nicht nur ein theologisches Thema und ist auch immer relativ zum wissenschaftlichen Standpunkt des Historikers. – Und auch „wissenschaftliche Erkenntnis“ verändert sich …

Und wie wollte man als kleiner Mensch die Korrektheit von Aussagen über die Schöpfung oder Gott selbst beurteilen? – Die Frage nach der Wahrheit der Bibel führt ganz tief hinein in grundlegende erkenntnistheoretische philosophische und religiöse Fragen. Wer versucht, sich an diesen Fragen vorbei zu schummeln, leistet sich selbst und anderen einen schlechten Dienst.

Und  selbst wenn  wir sicher sein könnten, dass unsere Bibeln fehlerfrei wären und absolute, göttliche Autorität besäßen, welche praktische Bedeutung hätte dies, wenn wir nicht überprüfen können, ob wir einen Text richtig verstanden haben?

Ist der Glaube an eine vollkommene Bibel nicht nur ein persönliches Glaubensbekenntnis und ein frommer Wunsch mancher Christen, weil wir Menschen so gerne etwas Zuverlässiges haben, an das wir uns klammern und über das wir verfügen können?

Selbst der Apostel Petrus, einer der 12 Jünger von Jesus, soll ja schon vor fast 2000 Jahren geschrieben haben, dass Paulus schwer zu verstehen ist. – Wie können wir da heutzutage sicher sein, dass wir einen Text richtig verstanden haben? Und ist so ein rechthaberischer Umgang mit der Bibel überhaupt sinnvoll und gut?

 

„… Es gibt in ihnen [den Briefen von Paulus] allerdings einige schwierige Stellen. Die werden von unverständigen Leuten missdeutet, die im Glauben nicht gefestigt sind. Aber so verfahren diese Leute ja auch mit den übrigen Heiligen Schriften. Sie verurteilen sich damit selbst zum Untergang.“

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(Zweiter Petrusbrief 3,16)

 

„Ich präsentiere Ihnen: Das WORT GOTTES“

Wie kann ein Mensch Texte, die offensichtlich auch von Menschen geschrieben worden sind und deren Rekonstruktion und Übersetzung von Menschen gemacht worden sind, als „Wort Gottes“ präsentieren? Ist das nicht immer auch ein Anspruch auf Deutungshoheit und Anmaßung göttlicher Autorität für menschliche Interpretationen, Überzeugungen und Meinungen?

Auch das Hören und Lesen biblischer Texte ist immer schon ein Interpretationsvorgang. – Der Sinn von Worten entsteht immer erst durch den Zusammenhang. – Wie groß ist da die Gefahr, dass man anstatt das Reden Gottes aus einem biblischen Text zu hören, doch nur seine eigenen Gedanken hört und sie mit der Stimme Gottes verwechselt?

Die Überzeugung, dass Gott durch heilige Texte zu mir redet, und was er mir durch sie sagt, ist immer auch eine Glaubensentscheidung, die ich dann besser auch vor mir selbst und anderen vertreten kann.

 

„… Es sollten sich nicht so viele in der Gemeinde um die Aufgabe drängen, andere im Glauben zu unterweisen. Denn ihr wisst ja: Wir, die andere lehren, werden von Gott einmal nach besonders strengen Maßstäben beurteilt.“

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(Jakobusbrief; Neues Testament; 3,1)

 

Gott ist kein Schriftsteller

Ganz offensichtlich erheben die meisten Texte in der Bibel gar nicht den Anspruch, dass Gott sie geschrieben oder gesprochen hat. Und bezüglich der Bibelverse, wo der Schreiber sagt „Gott hat gesagt“, können wir ihn leider nicht mehr fragen, was genau er denn damit meint und wie das zustande kam. – Ich kenne persönlich niemanden, der behauptet, dass Gott zu ihm direkt gesprochen hat, und wenn ich mal jemand treffen sollte, würde ich mich wahrscheinlich fragen, was es denn damit auf sich hat.

Die Entstehung vieler biblischen Texte liegt im Dunkel, und wir können oft nur vom Text selbst her versuchen zu rekonstruieren, wer, wann genau, warum, etc. etwas geschrieben hat. Das ist die Aufgabe von Theologen; und die sind oft auch nicht einer Meinung.

Die antike Welt war eine andere als unsere heutige. Die Kulturen waren selbstverständlich polytheistisch geprägt und vor diesem Hintergrund, mit Göttern, Halb-Göttern, Mythen, Orakeln, Ritualen, etc., erzählten Juden und Christen von dem  einen  Gott und der Rettung der Menschheit. – Musste ein Reden von Gott damals nicht notwendigerweise anders sein als heute? Worum geht es beim Leben mit Gott eigentlich?

 

„Gott ist Liebe, und die in der Liebe bleiben, bleiben in Gott, und Gott in ihnen.“

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(Erster Brief von Johannes 4,16b)

 

Jesus war kein Schriftsteller!

Wir glauben an Jesus, aber wir haben keinen einzigen Satz, den Jesus selbst aufgeschrieben hat. Obwohl viele Christen über Jesus reden oder schreiben, habe ich noch nie gehört, dass sich jemand über diese erstaunliche Tatsache Gedanken gemacht hat.

 

“ … der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“

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(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,6)

 

Probe am Exempel: Paulus erster Brief an die Christen in Korinth

Beispiele sind eine tolle Methode, Dinge zu erklären und ein Gefühl für Themen zu bekommen.

 

„Bei euch bringt es doch tatsächlich jemand fertig, seinen Streit mit einem anderen Gemeindeglied vor einem weltlichen Gericht auszutragen, statt die Sache von denen entscheiden zu lassen, die zu Gottes heiligem Volk gehören!“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 6,1)

 

Manche sagen mit Verweis auf diesen Vers, dass es uns als Christen verboten ist, gegen andere Christen vor Gericht zu ziehen. Das klingt für mich wie ein Verweis auf einen Gesetzestext. Der Text ist aber nicht aus der Tora oder einem anderen biblischen Gesetzestext, sondern aus einem Brief. – Ich finde Paulus‘ Standpunkt auch gut und würde mich dem vom Grundsatz her anschließen. Aber wie kommt jemand darauf, dass diese Worte wörtlich Worte Gottes sind und ein Christ sich deswegen daran halten muss? Nur weil sie in der Bibel stehen?

 

„Nun zu eurer Anfrage im Hinblick auf die, die noch unverheiratet sind. Ich habe diesbezüglich keine ausdrückliche Anweisung vom Herrn; aber weil der Herr mir sein Erbarmen erwiesen und mich in seinen Dienst gestellt hat, könnt ihr meinem Urteil vertrauen …

 Eins ist sicher, Geschwister: Es geht immer schneller dem Ende zu. Deshalb darf es in der Zeit, die uns noch bleibt, beim Verheirateten nicht die Ehe sein, die sein Leben bestimmt …

Wenigstens ist das meine Meinung, und ich denke, dass auch ich den Geist Gottes habe.“

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(7,25-40)

 

Laut Paulus‘ eigener Aussage sind doch mindestens diese 16 Verse nicht Gottes-, sondern Menschen-Wort! Er beruft sich vorsichtig auf eine gewisse Autorität, eine gewisse Inspiration, aber macht gleichzeitig deutlich, dass er diese Anweisungen  NICHT  direkt von Gott oder Jesus bekommen hat.

Jetzt könnte man natürlich sagen:

„Auch diese 16 Verse sind Gottes Wort – Paulus hat das nur nicht gewusst.“

Oder man könnte sagen:

„Die Bibel ist überall da Gottes Wort, wo nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es nicht Gottes Wort ist.“

Aber werden solch eigenartige Gedankenspiele wirklich der Natur der Texte gerecht? Tragen wir hier nicht ganz offensichtlich unsere eigenen Vorstellungen an die Bibel heran und machen sie uns so zu recht, wie wir sie haben wollen?

 

„Was ich verkünde, ist nicht meine eigene Lehre; es ist die Lehre dessen, der mich gesandt hat. Wenn jemand bereit ist, Gottes Willen zu erfüllen, wird er erkennen, ob das, was ich lehre, von Gott ist oder ob ich aus mir selbst heraus rede.“
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(Jesus im Johannes-Evangelium 7,17)

 

Heilige Texte im Vergleich:  Die Bibel und der Koran

Für mich war es sehr hilfreich die Bibel mit dem Koran zu vergleichen.

Manche Christen gehen mit der Bibel um, wie manche Muslime mit ihrem Koran umgehen. Es gibt aber deutliche Unterschiede im Charakter der beiden Bücher und in ihrer Entstehung.

Bei Wikipedia heißt es:

 

„Ein wichtiges Kennzeichen des Korans ist seine Selbstreferentialität. Das bedeutet, dass der Koran sich an vielen Stellen selbst thematisiert.“

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(Wikipedia)

 

In der Bibel finden wir dies so nicht, und können es so auch gar nicht finden, weil die Bibel anders entstanden ist. Die erste Bibel wurde erst Jahrhunderte nach dem Abfassen des letzten neutestamentlichen Textes gemacht. Deshalb gibt es keinen Bibelvers, der die Bibel selbst zum Thema hat.

Wir finden in der Bibel auch  keine einzige  Verheißung oder Andeutung, dass es einmal ein solches heiliges Buch wie die Bibel geben wird!!

Stattdessen lesen wir in der Bibel Verse wie diese:

 

„… Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.
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Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: ‚Erkenne den HERRN‘, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß“

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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Jeremia 31,33-34)

 

„Denkt daran: Der Heilige Geist, mit dem Christus euch gesalbt hat, ist in euch und bleibt in euch. Deshalb seid ihr nicht darauf angewiesen, dass euch jemand belehrt.

Nein, der Geist Gottes, mit dem ihr ausgerüstet seid, gibt euch über alles Aufschluss, und was er euch lehrt, ist wahr und keine Lüge. Darum bleibt in Christus, wie Gottes Geist es euch gelehrt hat!“

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(Erster Brief von Johannes 2,27)

 

Bibel = Anthologie?

Wie wäre es, wenn wir die Bibel einfach als Anthologie der historisch wichtigsten christlichen Schriften lesen würden? Und wenn auf unseren Bibelausgaben nicht „Heilige Schrift“, sondern „Sammlung der grundlegenden Schriften des Christentums“ stehen würde?

Wie wär’s, wenn anstatt uns über die Inspiration der Bibel zu streiten, wir mehr ausprobieren würden, ob die Texte  uns  zu einem besseren Leben inspirieren? – Jemand hat mal gesagt, dass ihn nicht die Stellen in der Bibel beunruhigen, die er nicht versteht, sondern die, welche er versteht.

 

„Prüft jedoch alles und behaltet das Gute!“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Thessalonich 5,21)

 


 

4.  Über den Umgang mit heiligen Texten

 

Willkür?

Wir alle machen mit den biblischen Texten, was wir wollen. (Wie könnte es auch anders sein?) Wichtig ist, dass wir uns dessen bewusst sind, unsere Motivation klären, uns transparent darüber austauschen und auch bereit sind, selbst die Verantwortung dafür zu übernehmen und nicht versuchen, sie auf andere abzuschieben.

Bei Gottesvertrauen und Wiedergeburt geht es um Gotteserfahrungen im Menschen. Bibel-Traditionen, Dogmen, traditionelle Glaubensbekenntnisse und „christliche“ Normen hingegen werden von außen an den Menschen herangetragen. Es ist, meiner Meinung nach, von entscheidender Bedeutung, ob ein Mensch die Stimmigkeit dieser äußeren Dinge in sich selbst erfahren kann.

 

„Von diesen Worten [der Predigt über Jesus] waren die Zuhörer bis ins Innerste getroffen:

‚Liebe Brüder, was sollen wir jetzt tun?‘, fragten sie Petrus und die anderen Apostel.

Ändert eure Einstellung‘, erwiderte Petrus …“

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(Apostelgeschichte 2,37-38)

 

Zwei Aspekte

Beim Umgang mit der Bibel kann man auch wieder zwei Aspekte berücksichtigen:

Zum einen, wie ich die Bibel für mich selbst benutze, und dann, wie ich sie gegenüber anderen benutze. Hängt natürlich auch wieder beides zusammen.

 

„Darum geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern … und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“
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(Matthäus-Evangelium 28,19-20)

 

Biblizismus

Ist es eine den Texten und Sachverhalten angemessene Strategie, alles wörtlich zu nehmen (Biblizismus), außer dann, wenn es offensichtlich nicht funktioniert? Wird die Bibel da nicht zum magischen Zauberbuch? Was für eine Bibel-Ideologie steckt da dahinter?

Lenkt uns das Kopfzerbrechen über Bibelverse und das Streiten über die Bibel nicht ab von dem, worum es eigentlich geht?

Manche biblischen Texte präsentieren sich selbst als das Reden Gottes (z.B. ein Teil der alttestamentlichen Schriftpropheten). Doch die meisten tun dies nicht. Und selbst wenn alle  biblischen Texte sich als direkte Worte Gottes an die Adressaten der Texte präsentieren würden, woher wüssten wir, dass Gott uns heutzutage, 2000 (!) Jahre später, dasselbe durch die Texte sagen will? (Den Menschen in biblischen Zeiten hat Gott ja auch nicht allen dasselbe gesagt. – Vergleicht mal Gottes Anweisungen durch die Propheten Jeremia, Jesaja, etc.)

Und  selbst wenn  er uns heute durch sie dasselbe sagen wollte, wie könnten wir überprüfen, ob wir ihn richtig verstanden haben? Und wie abhängig sind wir im Verstehen biblischer Texte von einem Heer von Textkritikern, Altertums-Wissenschaftlern, Altsprachlern, Bibel-Übersetzern, Bibel-Experten, Theologen, Pfarrern, Pastoren, Predigern, Bibel-Lehrern, Bibel-Gesellschaften, Verlagen, Kommentatoren, … und von kirchlichen Traditionen, persönlichen Prägungen und Glaubensentscheidungen  ANDERER ? Sollte ein gesunder Umgang mit der Bibel uns nicht auch zu mündigen Christen machen, die ihren Glauben selbst verantworten können und nicht auf theologisch Gebildetere verweisen müssen?

Fragen, Fragen, Fragen … und die Antworten, die ich darauf meistens bekomme, laufen darauf hinaus, dass Menschen, die Gottes Geist besitzen, verstehen, was Gott ihnen sagen will. – Aber wozu brauchen wir dann heilige Texte, wenn Gott sowieso seine Kinder unmittelbar durch seinen Geist belebt, inspiriert, Verstehen seines Willens schenkt und leitet?

 

„Alle, die sich von Gottes Geist regieren lassen, sind Kinder Gottes.“

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(Paulus‘ Brief an die Christen in Rom 8,14)

 

Wie viel Anstrengungen wurden schon von Christen unternommen, um ein fundamentalistisches Bibelverständnis zu verteidigen, das eine mehr als wacklige Grundlage hat. – Lässt sich die Zeit und Kraft nicht besser investieren?

Wenn einem Bibel-Leser heutzutage ein biblischer Text persönlich wertvoll wird, braucht er dann noch eine theologische Theorie, die dies rechtfertigt?

 

“ Die Tora von JHWH ist vollkommen,
sie belebt und schenkt neue Kraft …
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Die Weisungen von JHWH sind zuverlässig und erfreuen das Herz …
.
Sie lassen sich nicht mit Gold aufwiegen, sie sind süßer als der beste Honig.“
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(Psalm 19,8-11)

 

Wenn die Bibel so toll ist, warum lesen wir Christen dann nicht mehr darin?

Warum haben so viele Christen Probleme, sich fürs Bibellesen zu begeistern?

Wer kann schon erklären, worum es im langen Jesaja-Buch geht? Oder wann hast du das letzte Mal Leviticus gelesen? – Viele Christen kennen nur ein paar Lieblingsverse.

Ein verehrtes Buch, das im Bücherregal einstaubt. – Biblische Texte sind oft keine gefällige Lektüre.

 

„… die Legenden und endlosen Geschlechtsregister, mit denen sie sich befassen, führen nur zu Spekulationen, statt dass sie den Glauben fördern und damit der Verwirklichung von Gottes Plan dienen.“

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(Paulus im ersten Brief an Timotheus 1,4)

 

Woher stammt überhaupt die fundamentalistische Bibel-Ideologie?

Die ersten Christen konnte sie offensichtlich noch nicht besitzen, denn da gab es die Bibel ja noch gar nicht.

Wie alt ist das fundamentalistische Bibelverständnis, das uns heute so vertraut ist? Genauer gesagt: Wann hat in der Geschichte das erste Mal jemand die Überzeugung gehabt, dass die 66 Bücher unserer heutigen protestantischen Bibel das fehlerfreie Wort Gottes an alle Menschen für alle Zeit sind, und wie schnell und auf welche Weise hat sich diese Überzeugung ausgebreitet?

Ich hab schon verschiedene Leute gefragt und selbst etwas recherchiert, aber es ist gar nicht so leicht, da ein klares Bild zu bekommen. Scheint ein bisschen komplexer zu sein …

 

 

Hermeneutik

Hermeneutik ist die Wissenschaft vom Verstehen von Texten und ein Bereich der Theologie. Dort scheint man nun mehr und mehr mit allgemeinen literaturwissenschaftlichen Methoden an die Bibel heranzugehen. Ein Ansatz, den ich an sich sinnvoll finde und der sich sicherlich auch schon als fruchtbar erwiesen hat.

Aber braucht man für religiöse, heilige Texte nicht auch eine spezielle religionswissenschaftliche Hermeneutik? Und ist es nicht unbedingt notwendig, religiöse Texte innerhalb ihrer religiösen Tradition zu verstehen? – Die Komparative Theologie und der inter-religiöse Dialog kann uns hier bestimmt auch noch sensibler werden lassen und ein Stück weiter bringen.

Ein angemessener Umgang mit der Bibel muss differenziert sein und der Vielfalt und dem Inhalt der Texte, sowie dem Wissen über die Entstehungsgeschichte dieser Sammlung Rechnung tragen.

 

„JHWH ernst nehmen, ist der Anfang aller Erkenntnis …“

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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Mischle / Sprüche 1,7)

 

Wie können wir richtig leben? Wie sollten wir leben?

Manche Menschen greifen zur Bibel, weil sie Rat und Orientierung suchen in einer immer komplexer werdenden Welt. Religion war traditionell eine der großen gesellschaftlichen Kräfte, die Menschen verbunden und gemeinsames Leben gestaltet hat.

Heutzutage ist Kirche „out“ und Spiritualität „in“ wie schon lange nicht mehr. – Welche Rolle spielt die Bibel dabei?

Die Frage des Bibelverständnis ist eng verbunden mit christlicher Ethik. In den Diskussionen der Christenheit geht es oft um ethische Fragen (Homosexualität, Geschlechterrollen, Scheidung, Abtreibung, …), bei denen dann die entsprechenden Bibelverse in die Diskussion eingebracht werden.

 

„Sündigt deine Schwester oder dein Bruder, so weise sie oder ihn zurecht …“

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(Matthäus-Evangelium 18,15)

 

Ethik – Gebote & Verbote

Die Bibel hat weit mehr als nur eine ethische Dimension. Aber gerade die ethischen Fragen sind oft dafür verantwortlich, dass Christen sich wegen Bibelversen in die Haare kriegen, und sie dominieren manchmal christliche Diskussionen. – Ist das sinnvoll, wenn moralische Fragen im Vordergrund stehen?

Wie müsste ein Umgang mit der Bibel aussehen, damit er bei ethischen Entscheidungen hilfreich ist?

Wenn man sich an einzelnen Bibelversen festbeißt, bleibt man immer in einem antiken Christentum hängen und von Theologen abhängig. Allein wenn sich der christliche Diskurs über biblische Texte mit dem spirituellen Leben des Einzelnen verbindet, kann er wirklich hilfreich sein. Eine Hilfe zur Orientierung ist etwas anderes als eine eindeutige Anweisung.

 

„Wir alle, die der Glaube an Christus zu geistlich reifen Menschen gemacht hat, wollen uns ganz auf dieses Ziel ausrichten. Und wenn eure Einstellung in dem einen oder anderen Punkt davon abweicht, wird Gott euch auch darin die nötige Klarheit schenken.“

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(Paulus im Brief an die Christen in Philippi 3,15)

 

Situationsethik

Die theologische Diskussion um Situationsethik hat ganz viel mit Bibelverständnis zu tun und macht gut das Dilemma zwischen dem Bedürfnis des Menschen nach Rat und Orientierung und dem Umgang mit den biblischen Texten deutlich.

Man hat der Situationsethik, glaube ich, zu Recht vorgeworfen, dass der Mensch damit überfordert ist. Kein Mensch kann in einer Situation rein logisch eine perfekte Entscheidung treffen. Alleine schon deshalb nicht, weil unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit immer begrenzt ist.

Aber wer sagt, dass wir vollkommene Denkfähigkeit besitzen müssen? Oder Vollkommenes leisten? Wie wäre es, wenn wir getragen von Gnade und Vertrauen leben könnten, die der Geist Gottes schenkt? – Und aus vielen Situationen werden wir gar nicht herauskommen, ohne anderen etwas schuldig zu bleiben.

 

„Bleibt niemand etwas schuldig! Was ihr einander jedoch immer schuldet, ist Liebe …“

.
(Paulus im Brief an die Christen in Rom 13,8)

 

Der harte Gemeinde-Alltag

Was sollten wir z. B. Lesben und Schwulen heute von der Bibel her sagen? Oder Geschiedenen, die wieder geheiratet haben und vielleicht sogar Kinder aus zweiter Ehe haben? Oder Gläubigen, die mit einem Ungläubigen zusammenleben und ein gemeinsames Kind haben? (Spielen die Kinder in den Bibelversen überhaupt eine Rolle?)

Früher hätte ich bei solchen Fragen fast reflexartig mit der Konkordanz passende Bibelverse gesucht. Heute graut mir vor Christen, die auf alle Fragen eine „passende“ Bibel-Antwort parat haben. Als hätte sich die letzten 2000 Jahre nichts geändert …

 

„…  wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“

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(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,17)

 

Guter Rat teuer

Es ist natürlich wenig hilfreich, wenn man Menschen nur sagt „da musst du tun, was du für richtig hältst“. Und doch kennt sicherlich jeder viele Situationen, in denen man einfach keinen Rat hat; wo man nur einfach dem anderen zur Seite stehen kann. Aber vielleicht ist die wortlose Unterstützung oft genau das, was der andere braucht, um für sich selbst zu einer Entscheidung zu finden.

In der oben zitierten, „berühmten“ Bibelstelle zur Inspiration (2. Tim. 3,16-17) geht es auch um viel mehr als nur um Wissen über biblische Gebote. Es geht um eine Veränderung des Menschen und Befähigung zum guten Leben.

Wir sind manchmal schwach und möchten uns an andere anlehnen. Aber über kurz oder lang sollte jeder lernen, selbst die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen und ein reifer Christ zu werden. Leben bedeutet Veränderung. Wenn ein Mensch nicht reifer wird, stimmt etwas nicht.

 

„Eigentlich müsstet ihr längst in der Lage sein, andere zu unterrichten; stattdessen braucht ihr selbst wieder jemand, der euch die grundlegenden Wahrheiten der Botschaft Gottes lehrt. Ihr habt sozusagen wieder Milch nötig statt fester Nahrung.“

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(Brief an die Hebräer 5,12)

 

„norma normans“

Die Bibel als Norm für Glaube und Leben (siehe „Glaubensbasis der Ev. Allianz“). Ein immer noch aktuelles Thema. – Welche Auswirkungen hatte dieses Denken in der Kulturgeschichte der Menschheit? Und warum gab es gerade im Protestantismus so viele Spaltungen, Konfessionen und Denominationen?

Da es das Christentum schon gab, bevor der erste neutestamentliche Text geschrieben wurde, kann die Bibel keine notwendige Voraussetzung fürs Christentum sein. Es gab unter den ersten Christen allerdings die mündliche Überlieferung, charismatische Gaben und den praktischen Gemeinde-Alltag.

 

„… so hat Christus denn auch seine Gemeinde beschenkt:
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Er hat ihr die Apostel gegeben, die Propheten und Verkündiger der rettenden Botschaft, genauso wie die Hirten und Lehrer, welche die Gemeinde leiten und im Glauben unterweisen. Sie alle sollen die Christen für ihren Dienst ausrüsten, damit die Gemeinde, der Leib von Christus, aufgebaut und vollendet wird.
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Dadurch werden wir im Glauben immer mehr eins werden und miteinander den Sohn Gottes immer besser kennen lernen. Wir sollen zu mündigen Christen heranreifen, zu einer Gemeinde, die ihn in seiner ganzen Fülle widerspiegelt.“
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(Epheser-Brief; Neues Testament; 4,11-13)

 

Wer braucht heilige Texte?

Wenn Gott der Christenheit ein heiliges Buch als Maßstab hätte geben wollen, warum hat er das dann nicht schon im 1. oder 2. Jahrhundert gemacht? – Zu Pfingsten kam nicht ein Update der Tora, sondern der Heilige Geist! – Jahrhundertelang lebte die Christenheit mit einer Vielzahl von jüdischen und christlichen Texten (von denen viele nicht Eingang in die Bibel gefunden haben), aber ohne eine heilige Bibel.

Bei manchen Menschen befriedigt eine Bibel ein Bedürfnis nach Sicherheit. Aber diese Sicherheit ist trügerisch. Denn der Besitz eines heiligen Buches wird uns nicht retten. Unsere einzige Sicherheit besteht im Wirken Gottes. Dies ist eine Sicherheit des Glaubens.

 

„Darum gleicht jeder, der meine Worte hört und danach handelt, einem klugen Mann, der sein Haus auf felsigen Grund baut …“

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(Bergpredigt, Matthäus-Evangelium 7,24)

 

Heilige Texte und Glaubens-Systeme als Machtinstrumente

Der Glaube an die Bibel ist bei vielen Christen Teil eines theologischen Systems. Ein Glaube an die Bibel (wie auch immer er aussieht) kann allerdings niemals identisch mit dem Glauben der ersten Christen sein, denn die ersten Christen hatten die Bibel noch nicht.

Manche verteidigen solch ein theologisches System und monolithisches Bibelverständnis, das sich im Laufe der Kirchengeschichte herausgebildet hat. Man geht dabei von dem Ergebnis einer Entwicklung aus und schaut durch diese Brille zurück in die Vergangenheit.

Solch ein „christlicher“ Glaube kann dann allerdings kein „biblischer“ Glaube mehr sein – selbst wenn er sich „bibeltreu“ schimpft -, denn er geht ja klar über das hinaus, was wir in den biblischen Texten selbst lesen und stülpt ihnen eine deutlich jüngere Bibel-Ideologie über.

Warum machen Menschen das?

Es ist interessant sich anzuschauen, welchen Einfluss der Römische Kaiser und die „Verstaatlichung des Christentums“ unter Konstantin auf die Entstehung der Bibel hatten.

Heilige Texte, Rituale, Sakramente, etc. lassen sich kirchlich verwalten. Der Heilige Geist jedoch nicht.

 

„Der Wind weht, wo er will. Du hörst zwar sein Rauschen, aber woher er kommt und wohin er geht, weißt du nicht. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.“

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(Jesus im Johannes-Evangelium 3,8)

 

Das beste Projekt zum Thema Bibel und christlicher Glaube, das ich kenne, ist das Worthaus-Projekt. Zimmer sagt da auch was zu „Brillen“ und einem unverstellten Blick:

 

 

Subjektivität

Wenn es uns wirklich um die Sache Jesu geht und nicht um die Verteidigung unseres eigenen persönlichen theologischen Standpunkts, müssen wir bereit sein, unsere theologische Theorie zu hinterfragen – egal wer und wie viele diesen Standpunkt mit uns vertreten oder in der Vergangenheit vertreten haben.

Natürlich kann jeder für sich persönlich an eine perfekte Bibel glauben. – Es gibt auch Amerikaner, die glauben, dass die King-James-Bible die einzig richtige Bibel ist. – Aber mit welchem Recht oder welcher Begründung darf ich andere dazu drängen, dass auch so zu sehen oder sie auffordern, die Konsequenzen, die ich persönlich ziehe, auch zu ziehen?

 

Liebe ist geduldig, Liebe ist freundlich. Sie kennt keinen Neid, sie spielt sich nicht auf, sie ist nicht eingebildet. Sie verhält sich nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie verliert nicht die Beherrschung, sie trägt keinem etwas nach.
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Sie freut sich nicht, wenn Unrecht geschieht, aber wo die Wahrheit siegt, freut sie sich mit. Alles erträgt sie, in jeder Lage glaubt sie, immer hofft sie, allem hält sie stand.
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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13,4-7)

 

Verantwortung

Alles bis jetzt Gesagte zwingt mich dazu, vorsichtig und mit Bescheidenheit über die biblischen Texte zu sprechen. In unserem Umgang mit und Reden über die Bibel muss auch die Begrenztheit und Unvollkommenheit unseres Verstehens zum Ausdruck kommen.

Wenn ich mich von Gott oder meinem Gewissen zum Reden gedrängt fühle, aber mir gleichzeitig die Fehlerhaftigkeit meines Verstehens bewusst ist, stehe ich in einer Spannung, die sich nicht auflösen lässt; und wir brauchen Kraft und Gnade, diese Spannung auszuhalten.

 

„Gottes Wort ist voller Leben und Kraft. Es ist schärfer als die Klinge eines beidseitig geschliffenen Schwertes, dringt es doch bis in unser Innerstes, bis in unsere Seele und unseren Geist, und trifft uns tief in Mark und Bein. Dieses Wort ist ein unbestechlicher Richter über die Gedanken und geheimsten Wünsche unseres Herzens.“

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(Brief an die Hebräer 4,12)

 

Wenn biblische Texte wie ein besonders scharfes Schwert sein können, sollten wir vorsichtig damit umgehen.

Wenn ich das Gefühl habe, mit meinem Auto stimmt vielleicht was nicht, sollte ich vorsichtig weiterfahren oder vielleicht sogar anhalten. Ähnlich ist es mit unserem Bibelverständnis.

Es geht bei diesen Fragen auch nicht um akademische Spielereien, sondern es geht um Sinn und Sinnlosigkeit, Glaube und Verzweiflung, Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod. Um die größten Fragen eines Menschen und der Menschheit.

 

„Wenn keine Offenbarung da ist, verwildert ein Volk …“

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(Mischle / Sprüche 29,18)

 

Nebenbemerkung: Autobiographisches

Gemeinde Christi – Church of Christ (non-instrumental)

 

Ich bin in einer kleinen Freikirche aufgewachsen, einer „Gemeinde Christi“. Das ist eine Denomination, die nach dem 2. Weltkrieg durch amerikanische Missionare nach Deutschland gekommen ist. In den USA heißen diese Gemeinden „Churches of Christ“ (non-instrumental) und die Ausbildungsstätten Pepperdine University, Abilene University, Harding University u.a. sind mit ihnen affiliiert. Die sogenannte „Boston-Bewegung“ / „International Churches of Christ“ sind aus ihnen hervorgegangen.

Entstanden ist diese Denomination aus dem sogenannten „restoration movement“ im 18. Jahrhundert in den USA. Bei den Pionieren, die nach Westen drängten und dort ihre Äcker absteckten, entstand ständig die Situation, dass in einem Dorf Menschen zusammen kamen, die durch unterschiedliche christliche Traditionen geprägt waren.

Damals hatten ein paar Christen (ganz im Sinne der Renaissance – „zurück zu den Quellen“) die Idee, man müsste die Spaltung in der Christenheit überwinden können durch eine Rückkehr zu den Wurzeln. Bald kam es in dieser Bewegung selbst dann allerdings auch wieder zu Spaltungen und neuen Denominationen.

Die Churches of Christ haben das Ziel, neutestamentliches Christentum zu verwirklichen und leben in der Vorstellung, dass sie dies erreichen, indem sie die Bibel möglichst wörtlich nehmen und sogar das Vorbild der ersten Christen als verbindlich für alle Christen ansehen. Dies hat u.a. dazu geführt, dass sie den Gebrauch von Musikinstrumenten im Gottesdienst ablehnen (daher „non-instrumental“).

Die Vielfalt der Meinungen in der frühen Christenheit wird kaum wahrgenommen und die in den neutestamentlichen Schriften zum Ausdruck kommenden Ansichten werden als normativ fürs Christentum aller Zeiten angesehen. Unstimmiges und Widersprüchlichkeiten werden „harmonisiert“. Der protestantische Kanon wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Mit Christen anderer Konfessionen und Denominationen wird grundsätzlich nicht zusammengearbeitet, da die anderen ja nicht so „biblisch“ und damit potentielle Nicht-Wiedergeborene oder sogar Irrlehrer sind.

Heute kann ich kaum noch nachvollziehen, wie unkritisch ich das damals geglaubt habe. Aber wir sind halt alle durch unsere persönliche Geschichte geprägt und glauben, was wir glauben wollen …

 

„… YHWH ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser …“

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(Psalm 23,1-2)

 

5.  Die Stimme Gottes im Herzen des Menschen

 

„… In das Herz des Menschen hat er den Wunsch gelegt, nach dem zu fragen, was ewig ist. Aber der Mensch kann Gottes Werke nie voll und ganz begreifen …“

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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Kohelet / Prediger 3,11)

 

„Kür“

In „will-kür-lich“ stehen auch die Buchstaben „k-ü-r„.

 

„Ihr wisst doch, wie es ist, wenn in einem Stadion ein Wettlauf stattfindet: Viele nehmen daran teil, aber nur einer bekommt den Siegespreis.

Macht es wie der siegreiche Athlet:

Lauft so, dass ihr den Preis bekommt!“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 9,24)

 

In manchen Wettkampf-Sportarten gibt es einen Pflicht- und einen Kür-Teil. Im Kür-Teil haben die Sportler viel Freiheit, ihn kreativ zu gestalten – nach ihren Stärken und Schwächen und Vorlieben.

Menschen sind keine Inseln. Wir sind soziale Lebewesen und sind für ein gemeinschaftliches Leben „programmiert“. In der Gemeinschaft müssen Interessen und Bedürfnisse ständig ausgehandelt werden, und die Frage nach der Identität der Gruppe, also das, was verbindet, ist von existentieller Bedeutung.

Auch in religiösen Gemeinschaften findet ein ständiges Ausbalancieren statt: Sowohl im Leben des Einzelnen, als auch im gemeinsamen Leben. In diesem Ausbalancieren haben die Tradition und heilige Texte ihre Bedeutung – aber auch die gelebte, private Spiritualität des einzelnen Gläubigen.

Die Kunst der „sportlichen Frommen“ ist nun die „Kür“: Das kreative Gestalten dieses Ausbalancierens – sowohl im Leben des Einzelnen, als auch im Leben der Gemeinschaft. Dabei müssen sowohl die Bedürfnisse des Einzelnen als auch die der Gemeinschaft berücksichtigt werden. Das organische Bild des Körpers kann hier viel Orientierung geben.

Durch den Austausch über die heiligen Texte entsteht eine Diskurs-Gemeinschaft. Tradition verbindet und sorgt dafür, dass Traditions-Linien nicht abreißen und kulturelle Kontinuität gewährleistet sind. Es ist aber die erlebte Spiritualität des Einzelnen und die Stimmigkeit dieser religiösen Erfahrungen, aus denen sich das religiöse Leben speist.

Menschen stimmen mit ihren Füßen ab. Dort, wo kein geistliches Leben erfahrbar ist, wird auch bald kein geistlicher Mensch mehr hingegen.

Wenn wir einen Bibeltext lesen, versuchen wir in der Regel ihn so zu deuten, dass er wertvoll für uns wird. Das ist ja auch wirklich sinnvoll. – Das Leben ist hart, und wir brauchen Quellen der Kraft und der Inspiration.

 

„… das Reich Gottes gründet sich nicht auf Worte, sondern auf Gottes Kraft.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 4,20)

 

Beim Lesen geht es ja nicht nur um das „richtige“ Verstehen dessen, was der Verfasser ursprünglich vermitteln wollte, sondern es geht darum, dass ich Gott zu mir reden lasse. Ein kontemplatives Lesen, welches schon eine lange Tradition hat:

 

 

Je mehr mein Wille und mein Denken mit dem Wirken Gottes in unserer Welt und in meinem Leben übereinstimmt, desto mehr höre ich das Reden Gottes durch die biblischen Texte.

 

Ihr seid zur Freiheit berufen … dient einander in Liebe! …
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Lasst den Geist Gottes euer Leben bestimmen …
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… die Frucht, die der Geist wachsen lässt, ist: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung. Dagegen hat das Gesetz nichts einzuwenden.
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(Paulus an die Christen in Galatien, 5,13-23)

 

Dem, was dem gemeinsamen Leben, was  allem  Leben dient, kann auch ein Reden Gottes durch heilige Texte nicht widersprechen.

Einfach gemeinsam leben.

 

[Dies ist die neuere Überarbeitung meines ersten Blog-Artikels, welchen ihr hier findet.]

 

Blüten, Watte, Kletten und Kleber

 

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Blütenstand der Kletten-Ringdistel; Foto von Franz Xaver via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)

 

Blüten, Watte, Kletten und Kleber. – Was könnte man damit wohl anfangen?

 

„Schönster Herr Jesu …“

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(Titel eines alten Kirchenliedes)

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„He’s the ‚Lily of the Valley,‘ the Bright and Morning Star
He’s the fairest of ten thousand to my soul.“

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(Refrain eines alten Gospel-Songs)

 

Vor fast 2000 Jahren nahm mit dem Mann aus Nazareth eine Bewegung ihren Anfang, die bis heute nicht zum Erliegen gekommen ist. – Erstaunlich

 

Blüten

Farbenprächtige Blüten. – Das Make-up von Frauen kann da kaum mithalten. – Schönheit ist anziehend.

Schönheit wirkt in ihrer Unmittelbarkeit. Der schweifende Blick verweilt dort, und schenkt ihr Aufmerksamkeit. Eine Verbindung entsteht zwischen der sinnlichen Wahrnehmung und dem eigenen Bewusstsein für Schönheit.

 

… Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!

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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Psalm 133, Vers 1)

 

Herzens-Schönheit kommt aus der Tiefe eines Lebens. – Es gibt wohl kaum etwas Attraktiveres als wahre Liebe …

Wie müsste wohl eine schöne Frömmigkeit und eine attraktive Spiritualität aussehen?

Welche Bedeutung hat Ästhetik in der Theologie?

 

„Ihr seid das Licht der Welt …“

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(Jesus in der Bergpredigt, Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium, 5. Kapitel, Vers 14)

 

Blüten haben farbenfrohe Leuchtkraft. Sie sind ein Anziehungspunkt für die Sinne und erregen Aufmerksamkeit, machen neugierig. Sie stimulieren unsere Wahrnehmung.

Kenner können eine Pflanze an den Blüten identifizieren. Die Gestalt der Blüte ist Teil der Identität einer Pflanze. Durch die Blüten sind Pflanzen leichter für uns erkennbar. Blüten geben uns Information und Orientierung. Sie locken Insekten an und werben um Aufmerksamkeit.

Auch Jesus erregte Aufmerksamkeit, und sein Leben hatte ein deutliches Profil. Schon bald hatte er den Ruf eines Freundes der „Zöllner und Sünder“. – Schönheit, von einer anderen Art.

Wie entsteht eine gesellschaftliche Bewegung? Wie führt man Menschen und auseinander-strebende Kräfte zusammen? Wie bündelt man Energie und Ressourcen?

Ein Licht in der Dunkelheit bringt Menschen zusammen. Eine Kerze im Fenster in dunkler Nacht zeigt dem Verlorenen den Weg nach Haus.

Manche Gottesdienste sind kaum mehr als christliche Selbstdarstellung, und manche Gemeinden lediglich Vereine frommer Typen, die nicht gestört werden möchten.

Wie müsste eine anziehend schöne Gemeinschaft von Menschen aussehen?

Es gibt eine Schönheit des Lebens, in all seiner Wildheit und Unberechenbarkeit. Helfende Hände für Menschen in Not. Offene Türen für Einsame. Gastfreundschaft für Fremde. Freundlichkeit für Verbitterte. Herzenswärme für frierende Seelen … – Lichter der Hoffnung und Blüten der Hoch-zeit des Lebens.

 

Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, schön wie eine Braut, die sich für ihren Bräutigam geschmückt hat.

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(Neues Testament, Offenbarung, 21,2)

 

Watte

Watte ist sanft und schützt Zerbrechliches. Lebendiges ist zerbrechlich.

Babys werden weich eingepackt. Weiches, das nachgeben kann, schützt vor Verletzungen. Weiches kann sich auch an harte Stellen und Kanten anpassen.

Nicht alle Lebewesen sind allerdings in gleichem Maße zerbrechlich, und manche haben einen konflikt-freudigeren Lebensstil. Immer wieder prallen wir Menschen aufeinander, und das kann weh tun.

 

Vertraut euch meiner Leitung an und lernt von mir. Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. Dann werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn dieser Weg ist einfach, und die Last leicht.

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(Matthäus-Evangelium 11,29-30)

 

Von Gruppen, die hart und glatt sind, prallen manche Menschen ab. Eine jesuanische Gemeinschaft, die sich an der Überlieferung von Jesus orientiert, müsste einladend weich und flexibel sein, und einen Ruf haben, der Zaghaften Mut macht, sich zu nähern und anzuschließen. Ein klares jesuanisches Profil, das erkannt wird und leuchtet. Weit ausgestreckte Arme, die auch noch den letzten Verlorenen erreichen.

Wo Menschen sich nahe kommen, lassen sich Spannungen und Konflikte nicht vermeiden. Sie sind auch notwendig, um an ihnen zu wachsen. Es gibt allerdings gewaltige Unterschiede, wie mit ihnen umgegangen wird. Und wer sich angenommen weiß, läuft auch bei Schwierigkeiten nicht gleich davon.

Nicht jeder empfindliche Mensch ist auch sanft. Sanfte Menschen gehen sanft mit anderen Menschen um. Auch Sanftmut kommt aus der Tiefe eines Lebens. Sie entsteht in einem Leben mit Gott.

 

Die Frucht, die der Geist Gottes hervorbringt, besteht in Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung …
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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien, 5,22-23)

 

Kletten

Viele biblischen Texte können für uns ein Vorbild sein. Ihre Motive haben sich in der Kulturgeschichte der Menschheit festgesetzt wie Kletten. Gedanken mit Widerhaken. Worte, die sich festsetzen und bleiben. Reizvoll und herausfordernd.

Nachhaltige Kommunikation. Dauerhafte Veränderung. Bilder, die begleiten und verfolgen. Eindrücke und Erfahrungen mit Kraft. Lebensenergie. – Gelockt und gereizt, eingewickelt und verwoben. Gezogen mit Stricken der Liebe.

 

Denkt an den Regen und den Schnee! Sie fallen vom Himmel und bleiben nicht ohne Wirkung: Sie tränken die Erde und machen sie fruchtbar; alles sprießt und wächst. So bekommt der Bauer wieder Samen für die nächste Aussaat, und er hat genügend Brot zu essen.
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Genauso ist mein Wort: Es bleibt nicht ohne Wirkung, sondern erreicht, was ich will, und führt das aus, was ich ihm aufgetragen habe.
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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Jesaja 55,10-11)

 

Es wäre gut, wenn da die Theologen ihre sprachliche Kompetenz, neben ihren altsprachlichen Fähigkeiten noch erweitern würden:

Poesie der Theologie

Vielleicht regt dieses Beispiel auch ein bisschen dazu an:

 

 

 

Denn Gottes Reich gründet sich nicht auf Worte, sondern auf seine Kraft.

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(Paulus im Ersten Brief an die Christen in Korinth, 4,20, Neues Testament)

 

Was am Ende bleibt, ist das Ergebnis. Die Wirkung unseres Denkens und unserer Worte und Taten. Die Frucht eines kurzen oder langen Lebens, und der Ertrag von viel oder wenig Investitionen.

Etwas das gut ist, muss auch gut sein für die, die nach uns kommen.

 

Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte; das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, dass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen.
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(Matthäus-Evangelium 13,31-32)

 

Kleber

Jemand, schon vor längerer Zeit, hatte die Idee den damals beliebten Aufkleber „Jesus lebt“ in „Jesus klebt“ umzuwandeln. – Wie passend für einen Aufkleber. – Es hat auch einen tieferen Sinn:

Jesus verbindet Menschen.

Schon in einem älteren Kirchenlied hieß es ja:

 

„… an dir wir kleben
in Tod und Leben.
Nichts soll uns scheiden …“

 

Menschen verbinden Menschen mit einander. Manche Menschen haben dafür eine besondere Begabung und werden immer wieder zur Keimzelle für neue Gruppen und Netzwerke. Ob dies dann allerdings auch von Dauer ist, hängt von dem ab, was die Menschen darüber hinaus miteinander verbindet.

Eigentlich ist im Universum irgendwie sowieso alles mit allem verbunden. Und noch darüber hinaus verbindet uns  als Menschen  viel mehr, als uns trennt.  Unser Menschsein  verbindet uns und gibt uns eine Identität, die wir nicht abschütteln könnten, selbst wenn wir es wollten. Unser Menschsein klebt an uns, und wir kleben an der Menschheit und ihrer Geschichte.

Das Geheimnis des Lebens verbindet alles Lebende. Unsere Menschlichkeit verbindet uns als Menschheitsfamilie. Eine religiöse Überlieferung verbindet Gläubige. Eine gemeinsame Sprache verbindet eine Sprachgemeinschaft. Gemeinsame Werte und kulturelle Tradition verbindet ein Volk. Eine Gegend verbindet Nachbarn. Menschen, die sich treffen, verbindet Zeit und Ort.

Alles ist uns geschenkt worden. Nichts haben wir als Einzelne in diese Welt hineingebracht, das nicht schon da gewesen wäre, und auch unsere Einzigartigkeit als Individuum haben wir nicht selbst hervorgebracht.

Ein Bewusstsein dessen, das uns anvertraut worden ist, könnte uns alle mit einander verbinden; das, was uns wertvoll ist. – Fürsorge für alles, das lebt.

 

„… Es kommt die Zeit, da werde ich meinen Geist ausgießen über alle Menschen. Männer und Frauen werden die Worte Gottes sprechen. Alte Menschen werden noch Träume haben, und junge Menschen Visionen. Sogar über unfreie Menschen werde ich meinen Geist ausgießen.“
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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Joel 3,1-2)

 

Geist erzeugt eine geistige Bewegung. Der heilige Geist des Lebens und der Liebe lässt eine Gemeinschaft der Liebenden entstehen. Er berührt Menschen, erfasst, erneuert und verbindet sie.

 

… Gott ist Liebe; und die in der Liebe bleiben, bleiben in Gott, und Gott in ihnen.

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(Neues Testament, Erster Brief von Johannes 4,16)

 

Wie entsteht aus einzelnen Menschen Gemeinschaft und eine gesellschaftliche Bewegung?

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Wenn Menschen in Kontakt kommen ereignet sich etwas: Man verändert sich gegenseitig und Verbindungen entstehen. Wenn Menschen sich treffen, ist es, wie wenn Galaxien sich annähern und beeinflussen, und Neues entsteht. Es entsteht auch eine Kultur der Wahrnehmung und des Umgangs mit einander. Menschliche Gemeinschaft ist wie vielschichtiges, komplexes Gewebe, gesponnen aus vielen Fäden.

Blüten, Watte, Kletten und Kleber. Scheinbar zufällig auf einander treffende Wörter; wie die Menschen in einer Stadt, wenn sie sich begegnen, oder in einen neuen Kiez mit fremden Menschen ziehen.

Die Community der Menschen, die dem Vorbild von Jesus folgen, ist deutlich zu erkennen und anziehend wie eine leuchtende Blüte.

Sie ist weich wie Watte, so dass auch die empfindlichsten Seelen sich nicht verletzen. Einladend und liebevoll, so dass Menschen dort leicht ankommen und sich zuhause fühlen können.

In einer solchen Gemeinschaft entstehen reizvolle, inspirierende, klettige Eindrücke. Bilder und Worte, die hängenbleiben und im Alltag begleiten. Erfahrungen, die die Seele satt machen, und die bleiben.

Mit einer verantwortungsbewussten, herzlichen Liebe, die Menschen verklebt, wie Pech und Schwefel.

Anziehen, annehmen, anreizen und ankleben; und oft alles gleichzeitig.
.

Mit Blüten, Watte, Kletten und Kleber bauen wir eine
neue, schöne Welt.

 

Sandra Hauser | Integral und Christ – passt das überhaupt zusammen?

 

Sandra Hauser auf ihrem Blog „Integrales Christsein“ über die Verträglichkeit von Christentum und Integralem Denken:

Integral und Christ – passt das überhaupt zusammen?

 

Der Bibel-Mythos

 

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Alte Bibel; von Ajel auf pixabay.com (CC0 Public)

 

Der Titel ist zugleich die Behauptung:

Ich behaupte, es gibt eine weit verbreitete Vorstellung von der Bibel, die nicht stimmt!

 

Die gewöhnlichen Menschen trachten, so scheint es wenigstens, nach nichts weniger als nach einem der Heiligen Schrift entsprechenden Leben. Vielmehr sehen wir, dass sie fast alle ihre Hirngespinste für Gottes Wort ausgeben und nur darauf bedacht sind, unter dem Deckmantel der Religion andere Leute dazu zu zwingen, dass sie denken wie sie selbst.

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(Baruch de Spinoza (1632 – 1677), eigentlich Benedictus d’Espinoza, holländischer Philosoph; Quelle: Spinoza, Tractatus theologico-politicus, via aphorismen.de)

 

Mythos

Der Begriff „Mythos“ ist hier also nicht streng wissenschaftlich, sondern umgangssprachlich gemeint. Ich meine, dass die Bibel ein religiöses Image hat, das nicht der Wirklichkeit entspricht.

Und dies hat nicht nur speziell mit der  deutschen  Sprache oder Kultur zu tun, sondern ist ein religiös-kulturelles Problem  aller  christlich geprägten Gesellschaften und darüber hinaus.

 

Bibel  (Deutsch)

Bedeutungen:

[1] kein Plural: Titel des Buches (ursprünglich Sammlung von Büchern beziehungsweise Schriften), welches nach christlicher Auffassung Gottes Wort ist
[2] eine Ausgabe von [1]
[3] übertragen: ein bedeutendes Standardwerk in einem bestimmten Gebiet

(Quelle: Wiktionary.org)

 

Das Wort „Bibel“

Sachlich kann man erst einmal festhalten, dass die Bibel eine Sammlung von Schriften ist, welche grundlegend für den christlichen Glauben geworden sind. Diese Aussage, wird wohl niemand bestreiten.  (Auch wenn man über den Wortlaut vielleicht noch Haare spalten könnte.)

Wir assoziieren mit dem Wort „Bibel“ allerdings darüber hinaus noch etwas anderes. Um dieses „andere“ geht es in diesem Post.

 

The books you think I wrote are way too thick.

(aus dem Lied „From God’s Perspective“ von Bo Burnham)

 

Die Bibel als Nachschlagewerk und Einführung ins Christentum?

Das Wort „Bibel“ wird im Deutschen und Englischen (und vermutlich auch noch in weiteren Sprachen) auch für eine bestimmte Art von Büchern benutzt. Es ist, sozusagen, auch die Bezeichnung für eine Art von „Genre“. Es wird benutzt für Bücher, die maßgeblich für ein Wissensgebiet geworden sind.

So könnte man, z.B., von einer “Heimwerker-Bibel” sprechen und gemeint wäre ein allgemein anerkanntes Buch, in dem man alles Wichtige zum Thema “Heimwerken” findet. Es geht dabei sowohl um die Art, wie man das Buch benutzt (praktisches Nachschlagen), als auch um die Zuverlässigkeit der Information und die allgemeine Anerkennung.

 

… Die Schrift ist Gottes Atem. Sie soll uns unterweisen; sie hilft uns, unsere Schuld einzusehen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen und so zu leben, wie es Gott gefällt. So werden wir reife Christen und als Diener Gottes fähig, in jeder Beziehung Gutes zu tun.
 .

(Paulus in der Bibel, Neues Testament, der zweite Brief an Timotheus, 3. Kapitel, Verse 16-17)

 

Unsere Bibeln sind gar keine Bibeln!

Die Frage ist nun, ist DIE BIBEL in diesem Sinne überhaupt eine „Bibel“ für den christlichen Glauben? (Ich hoffe, ich verwirre hier niemanden …)

Wer die Bibel auch nur ein bisschen kennt, weiß schon längst, dass die christliche Bibel nicht nur vom Thema, sondern auch vom Wesen her, ein so ganz anderes Buch ist als die Heimwerker-Bibeln, Koch-Bibeln, Auto-Bibeln, usw.  Die Bibel wurde ursprünglich NICHT als EIN Buch konzipiert und veröffentlicht. Sie behandelt eine Vielfalt von Themen, und sie enthält eine Vielfalt von Genres. Sie ist halt über einen sehr langen Zeitraum auf eine sehr eigentümliche Weise entstanden.

Wie konnte es dann überhaupt dazu kommen, dass das Wort „Bibel“ für Bücher benutzt wird, die so ganz anders sind?

 

Bitte gib mir Antworten auf meine Fragen!

 

Bedürftigkeit

Ich denke, es hat damit zu tun, dass die Bibel von den Frommen wie ein Nachschlagewerk benutzt worden ist. – Willst du wissen, was Gott zu diesem Thema meint? Kein Problem! Ich zitiere mal schnell einen passenden Bibelvers. Und da die Bibel im Original ja leider nicht alphabetisch sortiert ist und ohne Inhaltsverzeichnis und Sachregister kommt, haben wir dann etwas nachgebessert und entsprechende Bibelausgaben geschaffen.

Mit einer zusätzlichen Bibel-Konkordanz ist es noch einfacher, und am besten natürlich mit Bibel-Software. Da bleiben kaum noch Wünsche offen. Man muss die Texte selbst auch gar nicht mehr richtig kennen. Mit der Suchfunktion findet man schnell die gewünschte Aussage, die man benutzen will. Wir haben die Bibel in den Griff gekriegt! (Falls dies ein bisschen nach Instrumentalisierung klingt, ist es bestimmt kein Zufall.)

 

… der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

.
(Paulus‘ zweiter Brief an die Christen in Korinth, 3,6)

 

Zauberbuch

Aus unzähligen Filmen kennt man die Szene, wo jemand zum Schwören die Hand auf eine Bibel legt. Sicherlich eher eine symbolische als eine magische Handlung, aber wiederum eine öffentliche Benutzung der Bibel, die bestimmte Vorstellungen erzeugt. Es gibt bei manchen sogar die Vorstellung, dass man mit diesem Buch Dämonen und okkulte Mächte vertreiben kann.

Solange eine Bibel nur im Bücherregal steht, tut sie keinem weh. Wenn aber die Bibel für bestimmte Zwecke benutzt wird, dann formt sich eine gewisse Vorstellung von diesem Buch, selbst bei denen, die nie hineingeschaut haben. Verursacht natürlich von denen, die von der Bibel reden und sie zitieren.

 

… es ist offensichtlich, dass ihr ein Brief seid, den Christus selbst verfasst hat und der durch unseren Dienst zustande gekommen ist. Er ist nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, und die Tafeln, auf denen er steht, sind nicht aus Stein, sondern aus Fleisch und Blut; es sind die Herzen von Menschen.

.
(Paulus‘ zweiter Brief an die Christen in Korinth, 3,6)

 

Wort Gottes?

Nicht alle biblischen Texte präsentieren sich als Wort Gottes. Aber im Laufe der Kirchengeschichte hat man EIN Buch gemacht, das als „Heilige Schrift“ und „Wort Gottes“ verkauft wurde und normativen Charakter für den christlichen Glauben haben sollte. Man wollte so ein Buch haben, und man hat es sich gemacht.

Die historische Analyse dieser Entwicklung ist eine wichtige Aufgabe für alle Kirchen und alle, die meinen, dass diese Texte auch für uns heute noch wertvoll sind. Die entscheidende Frage ist:

Wollen wir die Texte BENUTZEN, oder wollen wir von ihnen LERNEN?

 

Die Unterweisung in der Lehre unseres Glaubens hat nur das eine Ziel: die Liebe, die aus einem reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem aufrichtigen Glauben kommt.

.
(Paulus‘ erster Brief an Timotheus, 1,5)

 

Meine Vorstellungen und Gottes Plan

Die Klärung und Überprüfung der eigenen Vorstellungen, die ich von der Bibel habe, ist besonders für  die  Menschen wichtig, denen die Bibel am Herzen liegt. So ist die Klärung dieser Fragen von existenzieller Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft des christlichen Glaubens.

 

[Dies ist eine neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]

 

Lernen, schwach zu sein

 

Cethosia_cyane
Cethosia cyane, by AirBete via Wikipedia, (CC BY-SA 3.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

 

schwach

Warum sollte man das lernen wollen? Schwach sein, ist ja nicht gerade erstrebenswert, oder?

 

… Was nach dem Urteil der Welt ungebildet ist, das hat Gott erwählt, um die Klugheit der Klugen zunichte zu machen, und was nach dem Urteil der Welt schwach ist, das hat Gott erwählt, um die Stärke der Starken zunichte zu machen.

 

(Bibel, Neues Testament, Paulus‘ erster Brief an die Christen in Korinth, 1. Kapitel, Vers 27)

 

stark

Demonstration von Stärke ist eine Lebens- und Überlebensstrategie: Imponiergehabe, Muskeln, Beeindrucken, Macht, Abschreckung, Waffen, Einschüchtern, Gewaltandrohung …

 

Der Weg Jesu

Der Weg Jesu erscheint als ein Entgegengesetzter: Das Leben von Schwachheit als Übereinstimmung mit der Wirklichkeit.

 

 Von sich aus kann der Sohn gar nichts tun, sondern er tut nur das, was er den Vater tun sieht. Was immer aber der Vater tut, das tut auch der Sohn!

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(Neues Testament, Johannes-Evangelium 5,19)

 

zerbrechlich

Schwachheit ist eine grundlegende Lebenserfahrung aller Menschen – vielleicht die grundlegendste überhaupt. Bevor wir die Welt uns er-denken, werden wir im Bauch unser Mutter herumgetragen. Passivität. Geboren-werden. Wir erleiden all die Dinge, die uns als Werdende entgegenkommen.

Auch in der vollen Blüte des Lebens, des Er-wachsen-seins und der Fruchtbarkeit, ist Leben ständig bedroht. Leben existiert nur im Schatten des Todes. Von einer Sekunde zur nächsten kann das Leben zu Ende sein oder eine Katastrophe über uns hereinbrechen, dass nichts mehr so ist, wie wir es kennen.

 

vergänglich

Der Vergänglichkeit unterworfen. Wenn es uns geschenkt ist, alt zu werden, spüren wir, wie die Kräfte nachlassen und wir zerbrechlicher werden. – Es ist nicht erstrebenswert, schwach zu sein; aber die Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens zu erkennen und anzuerkennen, ist eine Frage der Wahrheit.

 

Was ist denn der Mensch, Herr, dass du ihn beachtest? Was bedeutet er dir, der vergängliche Mensch, dass du dich mit ihm abgibst? Wie ein Hauch ist der Mensch und sein Leben gleicht dem schwindenden Schatten.

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(Altes Testament / Tanach, Psalm 144, Verse 3-4)

 

Das Wahrnehmen, Bejahen, Annehmen dieser Tatsache erscheint mir als grundlegend für den Weg Jesu.

 

Dem Leben vertrauen

Leben ist ein Geschenk. Jeder Atemzug. Nichts ist selbstverständlich oder verdient, könnte eingefordert werden. Unser Leben kann nur bestehen als Teil von etwas Größerem, das wir nicht in der Hand haben oder kontrollieren können.

Wir brauchen Vertrauen und Mut, um schwach sein zu können. Verabschiedung von Selbsttäuschung. Nachhaltigkeit, anstelle von kurzsichtigen Zielen.

 

… Gott tritt den Stolzen entgegen, den Demütigen aber schenkt er seine Gnade. Ordnet euch also Gott unter …

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(Neues Testament, Jakobusbrief 4,6-7)

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Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich.

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(Psalm 139,5)

 

weich, flexibel und formbar

Starrheit zerbricht, Flexibeles gibt nach. Beim harten Aufschlag geht etwas kaputt – Weichheit kann Energie aufnehmen und einen Schlag abfedern. Elastisch.

 

Der Klügere gibt nach!

 

Ich kann ein Teil des Problems sein, oder ein Teil der Lösung.

Die Bibel benutzt manchmal das Bild des Töpferns. Wir sind der weiche, formbare Ton, und Gott ist der Töpfer, der aus uns etwas machen will, das ihm gefällt.

Vielleicht ist das auch der beste Zugang zu der Bibelstelle, zu der schon so viel gesagt worden ist:

 

… Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.

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(Neues Testament, Matthäus-Evangelium 18,3)

 

wahrhaftig

Wenn wir die Perfektion, Heiligkeit, Vollkommenheit, zu der wir aufgefordert werden, versuchen darzustellen, sind wir zum Burnout verdammt. Allein das AUSSTRECKEN nach Vollkommenheit ist leb-bar. Ein Leben aus Gnade und Vergebung, des Immer-neu-anfangen-dürfens. Authentisch.

 

Wenn wir behaupten, ohne Schuld zu sein, betrügen wir uns selbst und verschließen uns der Wahrheit.

(1. Brief des Johannes 1,8)

 

Unser Wille und Denken stören, solange wir nicht mit der Wirklichkeit und dem Wirken Gottes übereinstimmen.

 

Im Fluss

Ob wir Öl oder Sand im Getriebe der Herrschaft Gottes sind, entscheidet sich daran, wie sehr wir mit seinem Wesen im Einklang sind. Wir können entweder ein festverwurzelter Stein im Fluss sein, an dem sich das Wasser bricht, oder wir können uns ausrichten an der Strömung des Wirkens Gottes und uns mitnehmen lassen, dahin, wohin Gott uns trägt.

 

… die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes.

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(Paulus‘ Brief an die Christen in Rom, 8,14)

 

sterben und auferstehen

Manche Menschen, die schon dem Tode nahe, vielleicht todkrank, waren, haben dadurch zu einem intensiven Leben gefunden. Als Christen leben wir unser Leben im Schatten des Kreuzes Jesu, an dem Gott schwach wurde und an dem wir selbst gestorben sind, um zu einem besseren Leben aufzuerstehen.

 

[Dies ist die neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]

 

Progressive Theologie

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Innenansicht eines Stanford-Torus. Gemälde von Donald E. Davis, via Wikimedia Commons – public domain

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Seit 2017 gibt es die Facebook-Gruppe „Progressive Theologie“ mit inzwischen mehr als 1000 Mitgliedern (Stand 2021). – Nicht nur für Theologen!

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„Und Lots Frau sah hinter sich und ward zur Salzsäule.“

(Bibel / Tanach / Altes Testament, Bereschit / Genesis / 1. Mose 19. Kapitel, Vers 26)

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Theologie ist oft rückwärtsgewandt und beschäftigt sich mit Ideen aus der Vergangenheit. In dieser Gruppe geht es um gute, bessere Theologie für die Zukunft. Mir ist dabei auch ganz wichtig, dass es nicht eine Diskussion zwischen „Experten“ ist, sondern dass die wichtigen theologischen Themen endlich auch mehr in die breite Christenheit hineinkommen.

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„Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

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(Lukas-Evangelium 9,62 – Bibel, Neues Testament)

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Theologie wird meist auf Professor*innen-Schreibtischen gemacht. Dort bringt sie noch nicht viel. Was wir brauchen, ist ein Denken über Gott und ein Reden von Gott, dass für Menschen funktioniert und im Alltag spürbar ist. Kann dies eine Theologie sein, die von Profis dem einfachen Gläubigen verklickert werden muss?

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So spricht der HERR: Es kommt die Zeit, in der ich mit dem Volk Israel und dem Volk von Juda einen neuen Bund schließe. Er ist nicht mit dem zu vergleichen, den ich damals mit ihren Vorfahren schloss, als ich sie bei der Hand nahm und aus Ägypten befreite. Diesen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich doch ihr Herr war! Der neue Bund, den ich dann mit dem Volk Israel schließe, wird ganz anders aussehen: Ich schreibe mein Gesetz in ihr Herz, es soll ihr ganzes Denken und Handeln bestimmen. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.Niemand muss dann den anderen noch belehren, keiner braucht seinem Bruder mehr zu sagen: ›Erkenne doch den HERRN!‹ Denn alle – vom Kleinsten bis zum Größten – werden erkennen, wer ich bin. Ich vergebe ihnen ihre Schuld und denke nicht mehr an ihre Sünden …

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(Die Bibel, Tanach / Altes Testament, Jirmejahu / Jeremia, 31,31-34)

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Schon in den biblischen Texten selbst erkennen wir eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Gott und seinen Menschen. Manche sprechen von einer fortschreitenden Offenbarung. Eine grundlegende Frage in der Christenheit ist, in welchem Umfang sich das Reden von Gott nach dem Abfassen der biblischen Texte noch ändern darf. Das Beantworten dieser Frage ist von entscheidender Bedeutung für das geistliche Leben der Christenheit heute und für das christliche Leben eines jeden einzelnen. Dabei ist zu erwarten, dass verschiedene Christen diese Frage auch unterschiedlich beantworten werden, denn unsere Traditionen sind unterschiedlich und unsere persönlichen Erfahrungen und Rahmenbedingungen auch.

Es gibt schon viele gute Projekte und Webseiten zu Themen wie Bibel, Theologie, christlicher Glaube, Kirche, Religionen, …  Die Beschäftigung mit Vergangenem nimmt bei Religionen notwendigerweise auch einen großen Raum ein, da Überlieferung wichtig ist, damit gute Traditionen nicht abreißen und wichtige Werte nicht verloren gehen.

Gerade in der jüdisch-christlichen Überlieferung begegnet uns allerdings auch eine starke Ausrichtung auf die Zukunft (messianische Erwartungen, Wiederkunft Christi, …). Der Geist Gottes ist eine innovative Kraft. In dieser Facebook-Gruppe soll es darum gehen, wie unsere Überlieferung für die Zukunft fruchtbar sein kann und was wir an Neuem brauchen. Auf der Facebook-Seite der Gruppe findet ihr schon Links zu interessanten Inhalten, Projekten, …

Ich habe beim flüchtigen Googeln keinen einheitlichen Begriff „Progressive Theologie“ gefunden. Er wird z.B. auch für bestimmte islamische Theologie benutzt. Könnt ihr euch erinnern, ob und in welchem Zusammenhang ihr den Begriff schon einmal gehört habt? (Im Englischen gibt auch den Begriff „Progressive Christianity„.)

Wo ihr diesen Artikel anscheinend bis zum Ende durchgelesen habt, interessiert euch vielleicht auch ein neuestes Projekt, das zur Zeit leider wegen Corona auf Eis liegt:

THEOLOGY FOR TOMORROW – Theologie geht besser. Ein theologisches Labor fürs Leben und ein Public Theology Projekt.

[aktualisiert 08/2021]

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