„Hungrige Missionierende“ (10.Teil): 1. Ansatzpunkt: Die individuelle religiöse Erfahrung von Christus ernst nehmen

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

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Religionen, von Neitram via Wkimedia Commons – public domain

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
.
(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

Die nächsten Schritte

Ich will nun versuchen zu skizzieren, was die nächsten Schritte sein könnten. Bestimmt gibt es auch sinnvolle Ansätze, an die ich nicht gedacht habe. Benutzt also gerne die Kommentar-Funktion und lasst eurer Fantasie freien Lauf…  😉

 

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Segensgestus auf einer Christus-Ikone (14. Jahrhundert) via Wikimedia Commons, public domain

 

1. Ansatzpunkt: Die individuelle religiöse Erfahrung von Christus ernst nehmen

Bei dieser Überschrift werden bei einigen Traditionsliebhabern wahrscheinlich die Alarmglocken läuten. Manche Christen werden bei Begriffen wie „Liebe“, „Freiheit“, „Heiliger Geist“, „Spiritualität“, u. Ä. nervös, und sicherlich haben viele von uns schon negative Erfahrungen mit bestimmten christlichen Individualisten gemacht, die gerne ihren Stil leben wollen, sich nicht gut in die Gemeinschaft einfügen und sich nichts sagen lassen. – Am Umgang mit solchen Typen wird so einiges deutlich von christlicher Freiheit und der Qualität christlicher Gemeinschaft.

 

„Alles ist erlaubt – aber nicht alles nützt. Alles ist erlaubt – aber nicht alles baut auf.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 10,23 – Neues Testament)

 

Als soziale Wesen bedeutet Leben für uns immer individuelles und kollektives Leben zugleich – so auch beim geistlichen Leben. Kein Baby überlebt, wenn nicht andere Menschen da sind, die sich um es kümmern. Im Johannes-Evangelium wird das Entstehen geistlichen Lebens („ins Reich Gottes kommen“) mit der Geburt eines Kindes verglichen. Gut, wenn auch dann eine Gemeinschaft da ist, die sich um zartes geistliches Leben kümmert.

 

„Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“

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(Jesus im Johannes-Evangelium 3,3 – Neues Testament)

 

Die authentische, subjektive religiöse Erfahrung des Einzelnen ist der Ausgangspunkt für geistliche Gemeinschaft. Geistliche Gemeinschaft ist die Gemeinschaft von Menschen, welche eine solche Erfahrung gemacht haben. Eine „geistliche Geburt“ ist Teil der persönlichen Biografie. Diese Erfahrungen und Biografien gilt es angemessen zu würdigen und Menschen in ihrer spirituellen Entfaltung zu begleiten und Verbindendes aufzuspüren.

Religiöse Gruppen haben oft einen Hang zum Konservativen, und die Bedürfnisse des Einzelnen kommen da manchmal gegenüber den Interessen der Gruppe und der Tradition zu kurz. Dabei ist es doch der Einzelne, der erlöst und neu geboren wird. Christliche Gemeinschaft besteht doch gerade aus Menschen, welche solch eine individuelle Erfahrung gemacht haben und machen.

 

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Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher – via Wikimedia Commons

 

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

Schleiermacher (1786-1834) ist in diesem Zusammenhang sicherlich immer noch einer, der maßgeblichen Theologen:

 

„Schleiermacher hatte einen klaren Blick für die Selbständigkeit der Religion, er bekräftigte die Bedeutung des religiösen Erlebens des einzelnen Glaubenden und leitete damit eine entscheidende Wende ein.“

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(Lauster, Die Verzauberung der Welt)

 

In Wissenschaft und Theologie ist in den vergangenen 200 Jahren viel passiert. In der Breite der real-existierenden Christenheit, in kirchlicher Praxis und persönlicher Frömmigkeit sind wir allerdings kaum weiter als vor 200 Jahren. Es ist höchste Zeit, dass wir eine (selbst-)kritische Bestandsaufnahme machen und den Mut haben für einen weiten Blick auf unseren christlichen Glauben.

 

 

 

Gedeutete Erfahrung

Erfahrung ist immer gedeutete Erfahrung. Unsere Biografie und unsere Kultur stellen uns Deutungsmuster zur Verfügung. Die religiöse Erfahrung selbst ist nicht mangelhaft, die Deutung der religiösen Erfahrung kann dies allerdings schon sein.

Erst die Verbindung zur christlichen Tradition (Kollektiv) macht eine Erfahrung zu einer „christlichen“ Erfahrung, und die Deutung unserer Erfahrungen mag sich im Laufe unseres Lebens auch verändern. Im ersten Teil unserer Bibeln können wir beobachten, wie das jüdische Volk im Lauf ihrer Geschichte immer wieder erwogen hat, welche Bedeutung ihre Tradition (die Erfahrungen der Ahnen) für ihr gegenwärtiges Leben hat.

 

„Höre, mein Volk; lass dich warnen, Israel! – Wenn du doch auf mich hören würdest!

Du sollst keine anderen Götter neben mir haben, wie sie bei fremden Völkern verehrt werden – bete solche Götzen nicht an!

Denn ich bin der HERR, dein Gott, ich habe dich aus Ägypten herausgebracht. Von mir sollst du alles erwarten, und ich werde dir geben, was du brauchst!“

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(81. Psalm, Verse 9-11 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Individuelle religiöse Erfahrungen haben ihren eigenständigen Wert, auch wenn die „kollektive Verwertbarkeit“ in der christlichen Gemeinschaft nicht immer erkennbar ist.

Wenn es in der jüdisch-christlichen Überlieferung etwas gibt, das zeitlos bestand hat und für jeden Menschen aller Zeiten, Kulturen und Sprachen (also auch für die Menschen bei uns auf der Straße) von Bedeutung ist, dann muss auch jede echte religiöse Gotteserfahrung – logischerweise – mit diesen zeitlosen Werten Überschneidungen haben. Diese Überschneidungen gilt es jeweils aufzuspüren und zu integrieren, um Kontinuität und Zukunftstauglichkeit einer lebendigen religiösen Kultur zu gewährleisten.

 

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„Lasst doch die Kinder zu mir kommen, und hindert sie nicht daran! Gottes Reich ist ja gerade für solche wie sie bestimmt.“ (Markus 10,14) – Gemälde von Carl Heinrich Bloch, 19. Jahrhundert, via Wikimedia Commons – Public domain

 

Jesus und die Kinder

Komplizierter wird es durch die Kinder, welche in die christliche Gemeinschaft hineinwachsen. Sie lernen christliche Inhalte und Werte kennen, ohne dass sie notwendigerweise ein tiefgreifendes religiöses Erlebnis im Sinne von Joh 3 haben. In christlichen Traditionslinien ist dieses Problem unterschiedlich gelöst worden. Die Praxis der Konfirmation scheint mir dabei allerdings keine optimale Lösung zu sein.

 

„Ich versichere euch: Wer sich Gottes Reich nicht wie ein Kind schenken lässt, der wird ganz sicher nicht hineinkommen.“

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(Jesus im Lukas-Evangelium 18,17 – Neues Testament)

 

Die Frage, ob es eine „christliche Sozialisation“ im Geiste Jesu überhaupt gibt bzw. was das denn genau sein soll, trifft das Herz des Christentums. Sie hat grundlegende Bedeutung für die Geschichte und Gegenwart der Christenheit und hat mit wichtigen Begriffen der Theologie und Praxis zu tun (z.B. „Taufe“).

 

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Der Apostel Paulus. Ein Gemälde von Bartolomeo Montagna, via Wikimedia Commons. – Unwahrscheinlich, dass Paulus eine Bibel auf dem Arm gehabt hat.  😉  – Public domain

 

Paulus – ein hungriger Missionierender

Die Briefe von Paulus gehören wahrscheinlich zu den ältesten erhaltenen christlichen Texten und geben uns tiefe Einblicke in das Seelenleben eines Missionierenden. Obgleich wir bei Paulus kaum Details aus dem Leben Jesu finden, ist die Nähe des Jesus, von dem die Evangelien erzählen, auch bei Paulus greifbar.

Wir sehen in seinen Briefen auch die große Bedeutung, welche seine persönlichen mystischen Erfahrungen des Christus für seine Mission gespielt haben, und wir können erkennen, welch große Bedeutung er dem Wirken des Geistes Gottes im Leben des Einzelnen beigemessen hat (z.B. Röm 7-8, Gal 5).

 

„Paulus, Apostel, berufen nicht von Menschen oder durch menschliche Vermittlung, sondern unmittelbar von Jesus Christus…

Das Evangelium, das ich verkünde, ist nicht menschlichen Ursprungs. Ich habe diese Botschaft ja auch nicht von einem Menschen empfangen und wurde auch nicht von einem Menschen darin unterwiesen; nein, Jesus Christus selbst hat sie mir offenbart…

…dann hat Gott beschlossen, mir seinen Sohn zu offenbaren…

Als er mir nun seinen Sohn offenbarte – mir ganz persönlich – , gab er mir den Auftrag, die gute Nachricht von Jesus Christus unter den nichtjüdischen Völkern zu verkünden…“

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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien, 1. Kapitel – Neues Testament)

 

Mein Eindruck ist, dass wir heutzutage weitgehend eine bessere Balance zwischen der Übermacht der Traditionsgemeinschaft (2000 Jahre Christentum in einer Vielfalt von Traditionslinien) und dem religiösen Erleben und der Lebenserfahrung des Einzelnen brauchen.

Manche Menschen neigen dazu, sich der Mehrheitsmeinung anzupassen. Dies ist nicht immer gut. Auch in der „Heiligen allgemeinen Kirche“ und der “Gemeinschaft der Heiligen” gibt es stinknormale gruppendynamische Prozesse.

 

„Wenn ihr jedoch wie wilde Tiere aufeinander losgeht, einander beißt und zerfleischt, dann passt nur auf! Sonst werdet ihr am Ende noch einer vom anderen aufgefressen.

Was will ich damit sagen?

Lasst den Geist Gottes euer Verhalten bestimmen, dann werdet ihr nicht mehr den Begierden eurer eigenen Natur nachgeben.“

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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 5,15-16)

 

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Jesus und die samaritanische Frau am Brunnen, Johannes-Evangelium 4. Kapitel; Gemälde von Henryk Siemiradzki via Wikimedia Commons – Public domain

 

Jesus und Du

In den Erzählungen über Jesus lesen wir, wie er einzelnen Menschen besondere Aufmerksamkeit schenkte und sich Ausgegrenzten zuwendete. – Die Beachtung des Einzelnen mit seinen Bedürfnissen und Nöten, mit seiner persönlichen Biografie und seinen Lebensumständen ist beste jüdische und jesuanische Tradition.

 

„Wenn ihr begriffen hättet, was das heißt:

‚Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer,‘ [Hosea 6,6]

dann hättet ihr nicht Unschuldige verurteilt.“

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(Jesus im Matthäus-Evangelium 12,7)

 

Mitgefühl und Barmherzigkeit sind grundlegende Begriffe nicht nur im Christentum, sondern auch in anderen Religionen. Empathie ist auch nicht nur eine menschliche Fähigkeit.

 

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Bonobo, Foto von Kabir via Wikimedia Commons – CC BY-SA 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)

 

„Grau ist alle Theorie…“

Die theoretische Beschäftigung mit der Überlieferung von Jesus ist nicht der einzig mögliche Zugang zum christlichen Glauben. Man kann auch einfach das, was man über diesen Mann lernen kann, als Einzelner und in christlicher Gemeinschaft praktisch ausprobieren.

Ein Christ, der sich nicht real in seinem alltäglichen Leben auf den Weg Jesu begibt und die Lehre von Jesus selbst ausprobiert, ist ein toter Christ. Es gibt kein lebendiges Christsein, das sich nur im Kopf abspielt.

„Darum gleicht jeder, der meine Worte hört und danach handelt, einem klugen Mann, der sein Haus auf felsigen Grund baut…“

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(Jesus im Matthäus-Evangelium 7,24)

 

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Kampf auf der Karriereleiter: Plastik von Peter Lenk an der Invesitionsbank, Bundesallee 210, Berlin; von Bukk [Public domain], from Wikimedia Commons

Geistliche Armut – individuell und kollektiv

Auch wenn Christen vom „erfüllten Leben“ durch Jesus sprechen, fühlt man sich auch als Christ manchmal leer und hofft auf Erbauung durch die Gemeinschaft mit anderen Christen. Anstatt dem Mangel Aufmerksamkeit zu schenken und Gründe zu erforschen, wird leider häufig oberflächlich darüber hinweggegangen.

Ich habe in Gemeinden und Kirchen auch manchmal den Eindruck bekommen, dass das Interesse an „erfolgreichen“ Veranstaltungen und soliden Finanzen größer war, als das Interesse an der Seele des einzelnen Menschen.

 

„Du sagst:

‚Ich bin reich und habe alles im Überfluss, es fehlt mir an nichts‘,

und dabei merkst du nicht, in was für einem jämmerlichen und erbärmlichen Zustand du bist – arm, blind und nackt.“

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(Offenbarung 3,17 – Neues Testament)

 

Natürlich kann das Interesse am Einzelnen auch übergriffig werden und zu geistlichem Missbrauch führen, aber Gefahren sind immer die Begleiterscheinung von Freiheit. Wo Menschen frei sind, können sie diese Freiheit auch missbrauchen oder einfach Fehler machen. Eine grundsätzlich gesunde Kultur des Umgangs mit einander ist da ein guter Schutz.

Wenn wir den erlebten geistlichen Mangel transparent machen würden und offen damit umgingen, als Einzelne und als Gruppen, dann wäre dies schon der erste Schritt in die richtige Richtung. Das Um-denken im Wahrnehmen des Mangels könnte zur Quelle von Leben werden. Stattdessen wird leider häufig die Not überspielt und man will sich lieber an scheinbar „christlichen“ Aktivitäten erfreuen. Die Musik spielt, während die Seele lautlos schreit…

 

„Wenn jemand an mich glaubt, werden aus seinem Inneren, wie es in der Schrift heißt, Ströme von lebendigem Wasser fließen.“

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(Johannes-Evangelium 7,38)

 

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Big Spring (Missouri, USA), Foto von Kbh3rd, via Wikimedia Commons – GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC BY-SA 2.5-2.0-1.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5-2.0-1.0)

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

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„Hungrige Missionierende“ (3. Teil): Einladung zum Leiden

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

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Tragödien-Maske an der Fassade des Königlichen Dramatischen Theaters in Stockholm; von Holger.Ellgaard via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
.
(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

Einladung zum Leiden

In den ersten drei Jahrhunderten des Christentums war meist klar, dass eine Einladung zum Leben mit Jesus auch eine Einladung zum Leiden war. Paulus sieht seine eigenen Leiden als Fortsetzung des Leidens Jesu (Röm 8,17), und bei den Synoptikern fordert Jesus die Menschen auf, ihr Kreuz auf sich zu nehmen (Mt 10,38; Mk 8,34; Lk 9,23). Auch die Verehrung von Märtyrern hatte in den ersten Jahrhunderten eine große Bedeutung.

Jesus zu glauben und zu lieben und zu dienen, bedeutet zu leiden. Leiden ist eine Grunderfahrung der Schüler von Jesus. Der Geist Jesu führt ins Leid (Mt 4,1; 2 Kor 4,7-12; 7,10). Die Welt und sich selbst im Geiste Jesu wahrzunehmen, das Schöne und das Hässliche, bedeutet zu leiden. Die Entscheidung, an der Seite Jesu eine bessere Welt herbeizuglauben, ist eine Entscheidung zum Leiden. Es ist ein Leiden in der Hoffnung, dass dieses Leiden einen Sinn hat.

 

„Wir allerdings sind für diesen kostbaren Schatz, der uns anvertraut ist, nur wie zerbrechliche Gefäße, denn es soll deutlich werden, dass die alles überragende Kraft, die in unserem Leben wirksam ist, Gottes Kraft ist und nicht aus uns selbst kommt.

Von allen Seiten dringen Schwierigkeiten auf uns ein, und doch werden wir nicht erdrückt. Oft wissen wir nicht mehr weiter, und doch verzweifeln wir nicht. Wir werden verfolgt und sind doch nicht verlassen; wir werden zu Boden geworfen und kommen doch nicht um. Auf Schritt und Tritt erfahren wir am eigenen Leib, was es heißt, am Sterben Jesu teilzuhaben.

Aber gerade auf diese Weise soll auch sichtbar werden, dass wir schon jetzt, in unserem irdischen Dasein, am Leben des auferstandenen Jesus teilhaben. Ja, mitten im Leben sind wir um Jesu willen ständig dem Tod ausgeliefert, und eben dadurch soll sich in unserem sterblichen Dasein zeigen, dass wir auch am Leben von Jesus Anteil haben. Unser Dienst bringt es also mit sich, dass an uns der Tod zur Auswirkung kommt; aber er führt auch dazu, dass an euch das Leben wirksam ist.“

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(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 4,7-12)

 

Empathie hat im Christentum eine große Bedeutung. Wir leiden an uns selbst, an unseren Mitmenschen, an den Schwestern und Brüdern der Christenheit und am real-existierenden Christentum und seiner Geschichte. – Die neue Schöpfung kommt nicht auf leichte, angenehme Weise…

 

“Nicht alle, die sterben, weinen, alle aber weinen, die geboren werden.”

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(Ficino, Theologia Platonica, XVI 8 – zitiert nach Lauster: Die Verzauberung der Welt)

 

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Kreuz an der Ostsee von Caspar David Friedrich (Schloss Carlottenburg, Neuer Pavillon) [Public domain], via Wikimedia Commons

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

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Voraus-eilendes Mitleid

 

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Ausgegrabene Steine der Mauer des zweiten Tempels (Jerusalem), die bei der Zerstörung durch die Römer auf die Straße gestürzt sind; Foto von Wilson44691, via Wikimedia Commons – public domain

 

 

„Zu ihnen drehte sich Jesus um und rief:

‚Weint nicht über mich, ihr Frauen von Jerusalem! Weint über euch und eure Kinder!

Es kommt eine Zeit, in der man sagen wird:

‚Glücklich schätzen können sich die Frauen, die keine Kinder bekommen können. Ja, glücklich schätzen können sich alle, die niemals ein Kind geboren und gestillt haben!‘

Die Menschen werden sich wünschen, dass die Berge auf sie herabstürzen und die Hügel sie unter sich begraben, damit ihr Leid ein Ende hat.'“

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(Lukas-Evangelium 23. Kapitel, Verse 28-30 – Bibel, Neues Testament)

 

Selbstmitgefühl

Ein populärer Begriff zur Zeit: Man ist nicht nur empathisch gegenüber anderen, sondern hat auch Mitgefühl für sich selbst.

Eigentlich ein eigenartiger Begriff: Was auch immer man fühlt, es sind ja immer die eigenen Gefühle; was soll man da mit-fühlen, was man sowieso schon fühlt?

Der Begriff weist auf eine bestimmte Fähigkeit hin: Die Fähigkeit in kritischer Distanz zu sich selbst zu gehen; sich sozusagen selbst über die Schulter zu gucken. Solch eine selbst-betrachtende und selbstkritische Fähigkeit ist ein Kennzeichen einer reiferen Persönlichkeit und ist normalerweise erlernbar.

 

„Erkenne dich selbst!“

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(Eine vielzitierte Inschrift am Apollotempel von Delphi, als deren Urheber Chilon von Sparta, einer der „Sieben Weisen“, angesehen wird.)

 

Der selbstkritische Blick auf das eigene Leben kann auch ein Blick des Erbarmens sein. So, wie ich gewohnt bin, mich selbst anzuschauen, blicke ich dann wahrscheinlich auch auf meine Mitmenschen.

 

„Warum kümmerst du dich um den Splitter im Auge deines Bruders oder deiner Schwester und bemerkst nicht den Balken in deinem eigenen? Wie kannst du zu deinem Bruder oder deiner Schwester sagen:

‚Komm her, ich will dir den Splitter aus dem Auge ziehen,‘

wenn du selbst einen ganzen Balken im Auge hast?

Scheinheilig bist du!

Zieh doch erst den Balken aus deinem eigenen Auge, dann kannst du dich um den Splitter in einem anderen Auge kümmern!“

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(Matthäus-Evangelium 7,3-5 – Bibel, Neues Testament)

 

„Der Mensch prüfe aber sich selbst …“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 11,28 – Bibel, Neues Testament)

 

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Vincent van Gogh: Der gute Samariter (nach Delacroix), 1890, via Wikimedia Commons – public domain

 

Wahrnehmung und Empathie

Faszinierend ist die Empathie von Tieren. Tiere scheinen manchmal etwas zu können, was schon viele Menschen verlernt haben. – Wofür gebrauchen wir Menschen unsere überragende Intelligenz eigentlich?

Trauerhunde, Therapie-Pferde und -Delfine. Bei der tiergestützten Therapie sollte man darauf achten, dass die Tiere Geschäftspartner, und nicht schlecht bezahlte Angestellte sind.

 

 

 und mich sollte nicht jammern … Menschen …, die nicht wissen, was rechts oder links ist, und auch viele Tiere?“

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(YHWH spricht zu Jona; Jona 4,11 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Mitleiden mit Tieren

Welche Rechte haben Tiere eigentlich, und wo können sie sie einklagen? – Unsere Mitgeschöpfe sind praktisch meist rechtlos und werden von profitorientierten Menschen wie Produkte mit Barcode behandelt. Wenn sie keiner gebrauchen kann, landen sie oft in der Mülltonne.

Viele Tierarten haben die Intelligenz und Maßlosigkeit des Menschen nicht überlebt.

 

„Gott sah alles, was er gemacht hatte, und da, es war sehr gut…“

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(Bereschit / Genesis / 1. Mose 1,31 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Mitleiden mit Menschen

Den Schmerz eines anderen Menschen fühlen. Man braucht dazu keinen Schulabschluss, und es ist erstaunlich, wie man dies schon bei kleinen Kindern beobachten kann.

Die Fähigkeit des Mitleidens ist eine Eigenschaft unserer Seelen. – Wie kommt es, dass wir dann trotzdem alle anderen Lebewesen in systematischer Grausamkeit übertreffen?

 

KZ Auschwitz, Einfahrt
Blick von der Zugrampe innen auf die Haupt­ein­fahrt des KZ Auschwitz-Birkenau, 27. Januar 1945; Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha, via Wikimedai Commons – CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de](https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

 

„Gott, der Herr, brachte also den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen.“

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(Bereschit / Genesis / 1. Mose 2,15)

 

„… Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet…“

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(Bereschit / Genesis / 1. Mose 1,28)

 

Mitleiden mit Mutter Erde

Haben wir Menschen da was falsch verstanden oder einfach schlecht gemacht?

In unserer Geschichte haben wir uns die Erde mit Gewalt, wie militärische Besatzer unterworfen.

Wir haben uns in Häuser und Städte hinter Mauern zurückgezogen, haben Felder und Schürfrechte abgesteckt, im Tagebau das Antlitz der Erde aufgerissen und sind im Bergbau tief in sie eingedrungen. – Rechtfertigt der Profit die Folgen?

Atomtests und Chemie-Unfälle haben Erde und Wasser verseucht, und die Müllberge wachsen – Wie viel hält unser Planet noch aus?

 

„Das Meer soll brausen mit allem, was darin lebt;
die Erde soll jubeln mit allen, die darauf wohnen;
die Ströme sollen in die Hände klatschen
und alle Berge vor Freude singen!“

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(98. Psalm, Vers 7-8 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

 

Vorauseilendes Mitleid

Ist unsere Welt noch zu retten?

Wer kann sagen, wie viel Unheil und Leid uns selbst und andere Menschen und Mitgeschöpfe noch erwartet?

 

„Kyrie, eleison! – Herr, erbarme dich!“

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(Christliche Liturgie)

 

Wir brauchen noch mehr als Mitleiden mit akutem Leid. Wir brauchen ein präventives Mitleiden. Ein Mitleiden im Blick auf das, was die Welt und einzelne noch erwartet, auch wenn im Moment noch gar nicht akut gelitten wird. Ein vorausschauendes Mitleiden, das Bedrohung wittert und uns in Gang setzt und zum Handeln bewegt, wo wir oder andere auf Gefahr zusteuern.

Wir brauchen Visionäre und Propheten; Zukunftsforscher, Seher, Menschen mit Vorahnung, die schon im voraus spüren, was sich unter der Oberfläche zusammenballt und im Begriff ist, hervorzubrechen und sich zu verwirklichen.

Und kreative Menschen, die herbei-sehen und wirkkräftig in die Existenz sprechen können, was noch nicht da ist. – Kreative „Kulturschaffende“, im besten Sinne des Wortes. Kultur, die bewahrt und schützt und Unheil abwendet.

 

„Jeremia, was siehst du? …“

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(Gott zu Jeremia; Jirmejahu / Jeremia 1,11 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Voreiliges Vorauseilen

Man könnte in Panik oder blinden Aktionismus verfallen … – Gute Absichten garantieren leider noch keinen Erfolg.

Wir brauchen ein tiefes Verstehen und ein hartnäckiges Umsetzen dessen, was wir meinen, als richtig erkannt zu haben. Und wir brauchen eine gesunde Spiritualität, die uns verbinden kann und Orientierung gibt.

Veränderung ist ein Prozess. – Wir könnten uns ja schon mal auf den Weg machen …

 

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Abraham, Gemälde von József Molnár, via Wikimedia Commons – public domain

 

nicht zu weit voraus-eilen

Vorauseilen birgt die Gefahr, dass man eine Situation verkompliziert, weil man sie falsch einschätzt. Man ist versucht, Menschen zu bevormunden oder zu etwas zu drängen, weil man eine Bedrohung empfindet, die sich dann vielleicht als unbegründet herausstellt.

Vorsorge hat mit Lebenserfahrung und Erkenntnis zu tun. Je mehr Erfahrungen wir haben und Situationen dadurch schnell und gut erfassen, desto besser können wir auch Vorsorge treffen und uns auf die Zukunft einstellen.

 

„Betet darum, dass ihr nicht im Winter oder am Sabbat fliehen müsst! Denn es wird eine Zeit der Not kommen…“

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(Jesus im Matthäus-Evangelium 24,20-21)

 

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„Got you, daddy!“ von Clarence Goss, USA (Flickr), via Wikimedia Commons – CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)

 

Vorauseilende Gnade

Es ist die Schönheit des Lebens, die Güte und Treue Gottes, die uns kitzeln und locken zu einem besseren Leben; die uns begegnen in unserer Not und Hoffnung machen.

Liebe kann den Hunger unserer Seele stillen; und in der Gemeinschaft der Liebenden wird sie berührbar und empfangen … und Menschen werden in Liebende verwandelt. – Vom Saulus zum Paulus.

 

„Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Liebe. Von diesen dreien aber ist die Liebe das Größte.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13,13)