„Hungrige Missionierende“ (9. Teil): Ein erneuert werdendes Bewusstsein

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

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Computer-Simulation der verzweigten Architektur der Dendriten von Pyramidenzellen (Neuronen), von Hermann Cuntz via Wikimedia Commons – CC BY 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.5)

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
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(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

Ein erneuert werdendes Bewusstsein

Göttlicher Geist schenkt auch einen weiten Blick und macht Menschen zu Visionären. Gottes Absicht ist immer noch größer als unser Verstehen. Sie ist der Ausgleich unseres Mangels und das Ziel der Weltgeschichte: Die Rückkehr ins Paradies. Bis hin zu unserem Ziel der Fülle Christi (Eph 4,13) befinden wir uns auf einem Weg des Segens und des Mangels.

Schon im ersten Teil unserer Bibeln (Altes Testament) wird deutlich, dass Gottes Absicht größer ist, als die Fürsorge für ein einzelnes Volk. Das Buch Jona, z.B., ist ein erstaunliches Dokument jüdischer Feindesliebe (Ninive war eine Metropole der Feinde Israels).

 

„…Und ich sollte kein Mitleid haben mit Ninive, dieser große Stadt, in der mehr als 120.000 Menschen leben, die Gut und Böse nicht unterscheiden können, und dazu noch so viele Tiere?“

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(Mit diesen Worten Gottes endet das kleine Buch „Jona“, Jona 4,11 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Es ist diese Perspektive, die sich dann schon in der ersten Generation der Christen Bahn bricht: Die gute Nachricht eines liebenden Gottes für alle Völker. Kein Platz bleibt mehr für die Vorherrschaft eines einzelnen Volkes. Universalisierung des Glaubens an einen einzigen, einenden Gott. Menschen aller Völker werden Schwestern und Brüder…

Schon die ersten Christen taten sich schwer damit, die Konsequenzen aus dieser großartigen Vision zu verstehen. Heftige Streitigkeiten begleiteten das Christentum von Anfang an. Gleichzeitig erlebten sie allerdings auch die außerordentliche zusammenführende und verbindende Kraft des Glaubens an den Mann aus Nazareth. So war die Vision der einen Menschheitsfamilie gleichzeitig auch Auftrag an die Christen, eine solche Einheit zu verwirklichen und vorzuleben.

 

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Kapelle des Heiligen Ananias aus dem 1. Jahrhundert; Foto von Axilera via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

 

„Ich bete darum, dass sie alle eins sind – sie in uns, so wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin. Dann wird die Welt glauben, dass du mich gesandt hast.

Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich nun auch ihnen gegeben, damit sie eins sind, so wie wir eins sind. Ich in ihnen und du in mir – so sollen sie zur völligen Einheit gelangen, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und dass sie von dir geliebt sind, wie ich von dir geliebt bin.“

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(Johannes-Evangelium 17,21-23 – Neues Testament)

 

Es ist sicherlich kein Zufall, dass es einer der späteren neutestamentlichen Texte ist, in dem Jesus betet: “…dass sie alle eins seien (Joh 17,21)” Der Text verweist zugleich auch auf die Quelle dieser Einheit: Das Geheimnis der Einheit von Jesus und Gott. In den darauffolgenden Jahrhunderten wurde dann gerade das Definieren dieses Geheimnisses der Anlass, aufgrund dessen sich Menschen, die sich Christen nannten, bis aufs Blut bekämpft haben. Eine der vielen Fragwürdigkeiten in der Geschichte der Christenheit. Und der Streit darüber hat bis heute nicht aufgehört!

Als Schüler von Jesus sind wir Lernende. Die Bezeichnung “Lernende” setzt Mangel voraus. Wir sind Menschen, die auf ein klares Ziel hin reifen. Unser Bewusstsein wird erneuert und unsere Sinne geschärft, um das Wirken Gottes in unserer Zeit und Welt und in unserem persönlichen Leben immer besser wahrzunehmen und immer mehr damit übereinzustimmen. – Sattheit macht uns dumpf und träge, Hunger schärft unsere Sinne.

 

„Das soll dazu führen, dass wir alle in unserem Glauben und in unserer Kenntnis von Gottes Sohn zur vollen Einheit gelangen und dass wir eine Reife erreichen, deren Maßstab Christus selbst ist in seiner ganzen Fülle. Denn wir sollen keine unmündigen Kinder mehr sein…“

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(Epheserbrief 4,13-14 – Neues Testament)

 

Teil der Erneuerung des Bewusstseins ist ein moralisches Leben: Übernehmen von Verantwortung für das eigene Leben, Wahrhaftigkeit, Anerkennen von Schuld usw.  Moralität, Wertesysteme und generationsübergreifende Wertetraditionen sind grundlegend nicht nur für das Christentum. Leben mit einem guten Gewissen gibt Stabilität, Klarheit und Kraft.

 

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Die „Zehn Gebote“ vor dem State Capitol in Austin (USA), via Wikimedia Commons – public domain

 

Als moralische Wesen sind wir Teil von Wertesystemen. Wir erlernen Werte beim Aufwachsen in unserem Umfeld und unserer Kultur. Diese Werte sind relativ. Andere Kulturen haben abweichende Werte. Zu einem reifen Menschen gehört die Fähigkeit, über die eigenen Wertesysteme hinaus denken und das Deuten und Bewerten von Situationen in anderen kulturellen Zusammenhängen lernen zu können. – In einer anderen Kultur erfahren wir schnell Mangel, den wir Zuhause nie erlebt hätten…

Die Entstehung von Wertesystemen, Wertevermittlung und generationsübergreifende Wertetradition sind wichtige Themen für Christentum und Mission. Ein geistliches Leben geht allerdings über Moralität noch weit hinaus. Es geht um die Reifung des ganzen Menschen, die Entfaltung allen menschlichen Potentials, die Entwicklung einer persönlichen und kollektiven Spiritualität, das Christusbewusstsein des neuen Menschen und der neuen Schöpfung. Ein Lern- und Reifungsprozess, mit dem wir nie fertig werden.

 

„Liebe ist geduldig, Liebe ist freundlich. Sie kennt keinen Neid, sie spielt sich nicht auf, sie ist nicht eingebildet. Sie verhält sich nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie verliert nicht die Beherrschung, sie trägt keinem etwas nach. Sie freut sich nicht, wenn Unrecht geschieht, aber wo die Wahrheit siegt, freut sie sich mit.
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Alles erträgt sie, in jeder Lage glaubt sie, immer hofft sie, allem hält sie stand.“
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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13,4-7 – Neues Testament)
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„Die Frucht hingegen, die der Geist Gottes hervorbringt, besteht in Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Rücksichtnahme und Selbstbeherrschung…“
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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 5,22-23)

 

Wir sehen uns heute mit Herausforderungen konfrontiert, wie niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Aber wir haben auch Möglichkeiten des Lernens und der Zusammenarbeit wie niemals zuvor. Die modernen Schüler von Jesus tragen mit allem, was ihnen gegeben ist, eine große Verantwortung.

 

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Bild: Emergent Forum / Christoph Bartels

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

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Voraus-eilendes Mitleid

 

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Ausgegrabene Steine der Mauer des zweiten Tempels (Jerusalem), die bei der Zerstörung durch die Römer auf die Straße gestürzt sind; Foto von Wilson44691, via Wikimedia Commons – public domain

 

 

„Zu ihnen drehte sich Jesus um und rief:

‚Weint nicht über mich, ihr Frauen von Jerusalem! Weint über euch und eure Kinder!

Es kommt eine Zeit, in der man sagen wird:

‚Glücklich schätzen können sich die Frauen, die keine Kinder bekommen können. Ja, glücklich schätzen können sich alle, die niemals ein Kind geboren und gestillt haben!‘

Die Menschen werden sich wünschen, dass die Berge auf sie herabstürzen und die Hügel sie unter sich begraben, damit ihr Leid ein Ende hat.'“

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(Lukas-Evangelium 23. Kapitel, Verse 28-30 – Bibel, Neues Testament)

 

Selbstmitgefühl

Ein populärer Begriff zur Zeit: Man ist nicht nur empathisch gegenüber anderen, sondern hat auch Mitgefühl für sich selbst.

Eigentlich ein eigenartiger Begriff: Was auch immer man fühlt, es sind ja immer die eigenen Gefühle; was soll man da mit-fühlen, was man sowieso schon fühlt?

Der Begriff weist auf eine bestimmte Fähigkeit hin: Die Fähigkeit in kritischer Distanz zu sich selbst zu gehen; sich sozusagen selbst über die Schulter zu gucken. Solch eine selbst-betrachtende und selbstkritische Fähigkeit ist ein Kennzeichen einer reiferen Persönlichkeit und ist normalerweise erlernbar.

 

„Erkenne dich selbst!“

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(Eine vielzitierte Inschrift am Apollotempel von Delphi, als deren Urheber Chilon von Sparta, einer der „Sieben Weisen“, angesehen wird.)

 

Der selbstkritische Blick auf das eigene Leben kann auch ein Blick des Erbarmens sein. So, wie ich gewohnt bin, mich selbst anzuschauen, blicke ich dann wahrscheinlich auch auf meine Mitmenschen.

 

„Warum kümmerst du dich um den Splitter im Auge deines Bruders oder deiner Schwester und bemerkst nicht den Balken in deinem eigenen? Wie kannst du zu deinem Bruder oder deiner Schwester sagen:

‚Komm her, ich will dir den Splitter aus dem Auge ziehen,‘

wenn du selbst einen ganzen Balken im Auge hast?

Scheinheilig bist du!

Zieh doch erst den Balken aus deinem eigenen Auge, dann kannst du dich um den Splitter in einem anderen Auge kümmern!“

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(Matthäus-Evangelium 7,3-5 – Bibel, Neues Testament)

 

„Der Mensch prüfe aber sich selbst …“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 11,28 – Bibel, Neues Testament)

 

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Vincent van Gogh: Der gute Samariter (nach Delacroix), 1890, via Wikimedia Commons – public domain

 

Wahrnehmung und Empathie

Faszinierend ist die Empathie von Tieren. Tiere scheinen manchmal etwas zu können, was schon viele Menschen verlernt haben. – Wofür gebrauchen wir Menschen unsere überragende Intelligenz eigentlich?

Trauerhunde, Therapie-Pferde und -Delfine. Bei der tiergestützten Therapie sollte man darauf achten, dass die Tiere Geschäftspartner, und nicht schlecht bezahlte Angestellte sind.

 

 

 und mich sollte nicht jammern … Menschen …, die nicht wissen, was rechts oder links ist, und auch viele Tiere?“

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(YHWH spricht zu Jona; Jona 4,11 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Mitleiden mit Tieren

Welche Rechte haben Tiere eigentlich, und wo können sie sie einklagen? – Unsere Mitgeschöpfe sind praktisch meist rechtlos und werden von profitorientierten Menschen wie Produkte mit Barcode behandelt. Wenn sie keiner gebrauchen kann, landen sie oft in der Mülltonne.

Viele Tierarten haben die Intelligenz und Maßlosigkeit des Menschen nicht überlebt.

 

„Gott sah alles, was er gemacht hatte, und da, es war sehr gut…“

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(Bereschit / Genesis / 1. Mose 1,31 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Mitleiden mit Menschen

Den Schmerz eines anderen Menschen fühlen. Man braucht dazu keinen Schulabschluss, und es ist erstaunlich, wie man dies schon bei kleinen Kindern beobachten kann.

Die Fähigkeit des Mitleidens ist eine Eigenschaft unserer Seelen. – Wie kommt es, dass wir dann trotzdem alle anderen Lebewesen in systematischer Grausamkeit übertreffen?

 

KZ Auschwitz, Einfahrt
Blick von der Zugrampe innen auf die Haupt­ein­fahrt des KZ Auschwitz-Birkenau, 27. Januar 1945; Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha, via Wikimedai Commons – CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de](https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

 

„Gott, der Herr, brachte also den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen.“

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(Bereschit / Genesis / 1. Mose 2,15)

 

„… Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet…“

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(Bereschit / Genesis / 1. Mose 1,28)

 

Mitleiden mit Mutter Erde

Haben wir Menschen da was falsch verstanden oder einfach schlecht gemacht?

In unserer Geschichte haben wir uns die Erde mit Gewalt, wie militärische Besatzer unterworfen.

Wir haben uns in Häuser und Städte hinter Mauern zurückgezogen, haben Felder und Schürfrechte abgesteckt, im Tagebau das Antlitz der Erde aufgerissen und sind im Bergbau tief in sie eingedrungen. – Rechtfertigt der Profit die Folgen?

Atomtests und Chemie-Unfälle haben Erde und Wasser verseucht, und die Müllberge wachsen – Wie viel hält unser Planet noch aus?

 

„Das Meer soll brausen mit allem, was darin lebt;
die Erde soll jubeln mit allen, die darauf wohnen;
die Ströme sollen in die Hände klatschen
und alle Berge vor Freude singen!“

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(98. Psalm, Vers 7-8 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

 

Vorauseilendes Mitleid

Ist unsere Welt noch zu retten?

Wer kann sagen, wie viel Unheil und Leid uns selbst und andere Menschen und Mitgeschöpfe noch erwartet?

 

„Kyrie, eleison! – Herr, erbarme dich!“

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(Christliche Liturgie)

 

Wir brauchen noch mehr als Mitleiden mit akutem Leid. Wir brauchen ein präventives Mitleiden. Ein Mitleiden im Blick auf das, was die Welt und einzelne noch erwartet, auch wenn im Moment noch gar nicht akut gelitten wird. Ein vorausschauendes Mitleiden, das Bedrohung wittert und uns in Gang setzt und zum Handeln bewegt, wo wir oder andere auf Gefahr zusteuern.

Wir brauchen Visionäre und Propheten; Zukunftsforscher, Seher, Menschen mit Vorahnung, die schon im voraus spüren, was sich unter der Oberfläche zusammenballt und im Begriff ist, hervorzubrechen und sich zu verwirklichen.

Und kreative Menschen, die herbei-sehen und wirkkräftig in die Existenz sprechen können, was noch nicht da ist. – Kreative „Kulturschaffende“, im besten Sinne des Wortes. Kultur, die bewahrt und schützt und Unheil abwendet.

 

„Jeremia, was siehst du? …“

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(Gott zu Jeremia; Jirmejahu / Jeremia 1,11 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Voreiliges Vorauseilen

Man könnte in Panik oder blinden Aktionismus verfallen … – Gute Absichten garantieren leider noch keinen Erfolg.

Wir brauchen ein tiefes Verstehen und ein hartnäckiges Umsetzen dessen, was wir meinen, als richtig erkannt zu haben. Und wir brauchen eine gesunde Spiritualität, die uns verbinden kann und Orientierung gibt.

Veränderung ist ein Prozess. – Wir könnten uns ja schon mal auf den Weg machen …

 

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Abraham, Gemälde von József Molnár, via Wikimedia Commons – public domain

 

nicht zu weit voraus-eilen

Vorauseilen birgt die Gefahr, dass man eine Situation verkompliziert, weil man sie falsch einschätzt. Man ist versucht, Menschen zu bevormunden oder zu etwas zu drängen, weil man eine Bedrohung empfindet, die sich dann vielleicht als unbegründet herausstellt.

Vorsorge hat mit Lebenserfahrung und Erkenntnis zu tun. Je mehr Erfahrungen wir haben und Situationen dadurch schnell und gut erfassen, desto besser können wir auch Vorsorge treffen und uns auf die Zukunft einstellen.

 

„Betet darum, dass ihr nicht im Winter oder am Sabbat fliehen müsst! Denn es wird eine Zeit der Not kommen…“

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(Jesus im Matthäus-Evangelium 24,20-21)

 

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„Got you, daddy!“ von Clarence Goss, USA (Flickr), via Wikimedia Commons – CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)

 

Vorauseilende Gnade

Es ist die Schönheit des Lebens, die Güte und Treue Gottes, die uns kitzeln und locken zu einem besseren Leben; die uns begegnen in unserer Not und Hoffnung machen.

Liebe kann den Hunger unserer Seele stillen; und in der Gemeinschaft der Liebenden wird sie berührbar und empfangen … und Menschen werden in Liebende verwandelt. – Vom Saulus zum Paulus.

 

„Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Liebe. Von diesen dreien aber ist die Liebe das Größte.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13,13)

 

Was ist mit den Teenagern los?

 

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Teenager in Moskau, von Alagich Katya [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

Sorgt sich unsere Gesellschaft um ihre Jugend? Besteht Anlass zur Sorge? Wer oder was beeinflusst und prägt die Jugendlichen, und welche Interessengruppen versuchen, sie an sich zu binden?

 

Wer die Jugend hat, hat die Zukunft.

Napoléon Bonaparte

 

Wenn wir zurückblicken in unsere deutsche Geschichte, finden wir schnell Beispiele für die gezielte Beeinflussung der Jugend (Nationalsozialismus, DDR, …). Es muss auch nicht die gesamte Jugend sein, die erreicht und überzeugt wird. Eine ausreichende Zahl, eine kritische Masse, ist genug. Ein nachhaltiges System der Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen dient der Stabilisierung einer Bewegung, einer Organisation oder eines Systems.

Darüber hinaus hat die Erziehung von Kindern und Jugendlichen natürlich auch einfach die Aufgabe, das Fortbestehen und Wohlergehen der eigenen Familie oder Gruppe zu sichern. Früher war diese Erziehungsaufgabe noch gleichförmiger. Durch den beschleunigten historischen Wandel in den vergangenen beiden Jahrhunderten (gesteigerte Produktivität, Industrialisierung, moderne Wissenschaft, technische Neuerungen, …) ist es heute allerdings gar nicht mehr so leicht zu sagen, was eine gute Erziehung ist. Auf was für eine Zukunft sollen wir die Kinder und Jugendlichen denn vorbereiten? Und vor welchen Gefahren müssen wir sie ständig beschützen?

Wenn es nicht gelingt, Jugendliche dafür zu gewinnen, sich auf positive Weise in die Gesellschaft miteinzubringen und für ein nachhaltiges Gemeinwohl der Menschheit zu sorgen, so wird es genug Interessengruppen geben, die mehr als bereit sind, Geld, Kraft und Zeit von Jugendlichen für ihre eigenen Zwecke zu gebrauchen. Jugendliche sind eine wichtige Konsumentengruppe und potentielle Mitarbeiter und Unterstützer für alles Mögliche.

Welche Rolle spielt der christliche Glaube in diesem Zusammenhang? Gibt es ein spezielles Interesse des Christentums an der Jugend? Vielleicht sogar eine Art christliche Theologie für junge Leute?

Religion im Allgemeinen und der christliche Glaube im Besonderen haben kulturgeschichtlich eine gewaltige Bedeutung für die Erziehung, auch wenn diese nicht immer positiv war und ist. Glaube kann helfen, Leben zu deuten und sich in ihm zurechtzufinden. Wir glauben ja sowieso alle etwas, auch wenn unser Glaube nicht immer eine religiöse Gestalt hat. Religion hat den Vorteil, dass die Tradition einer religiösen Gemeinschaft die individuelle Prägung durch die Eltern relativieren und so vor den immer vorhandenen Macken und Einseitigkeiten schützen kann. Sie erweitert das Familienleben, gibt einen weiten Horizont.

Im Gegensatz zum Judentum, wo Religion doch sehr eine ethnische Angelegenheit ist, ist das Christentum nicht die Religion eines bestimmten Volkes. Man wird auch nicht Christ durch die Geburt, sondern dadurch, dass man irgendwann, wenn man von der Wahrheit des christlichen Glaubens überzeugt worden ist, die Entscheidung trifft, mit Jesus zu leben. Wie sollte oder kann eine Erziehung aussehen, die Jugendliche zu diesem Glauben führt?

Ein klassischer Bibelvers zur Jugend dürfte wohl dieser sein:

 

Niemand verachte dich wegen deiner Jugend; du aber sei den Gläubigen ein Vorbild im Wort, im Wandel, in der Liebe, im Glauben, in der Reinheit.

(Neues Testament, 1. Brief des Paulus an Timotheus, 4. Kapitel, Vers 12)

 

Auch Kinder und Jugendliche tragen Verantwortung, und mit wachsenden Fähigkeiten und größer werdender Freiheit wächst diese mit. Ich denke, es ist gut, sie schon früh an das bewusste Übernehmen von Verantwortung heranzuführen. Dies eröffnet die Möglichkeit, Potential zu entfalten und Persönlichkeit und Charakter zu formen. Manche Kinder werden künstlich klein gehalten, indem die Eltern und andere Menschen im Leben der Kinder viele Aufgaben übernehmen.

Übernehmen von Verantwortung setzt die Fähigkeit eigenverantwortlichen Denkens und Handelns voraus. Diese Fähigkeit zu fördern, ist eine der wichtigsten erzieherischen Aufgaben. Bei einer christlichen Erziehung betrifft dies dann auch den Glauben:

Erziehung zu einem mündigen Glauben.

Jugendliche sind Teil einer Kultur, die das gesamte zukünftige gesellschaftliche Leben beeinflussen wird. Deswegen ist es sehr wichtig, dass die Jugend auch eine Stimme hat, die gehört wird – auch in den Kirchen und Gemeinden. Wir brauchen engagierte Jugendliche, die sprachfähig und kreativ sind, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen, und wir brauchen eine Kultur, die solche Jugendliche hervorbringt.

Teenager. Kein Kind mehr, aber auch noch nicht ganz erwachsen. Ein Vorrecht und eine wichtige Aufgabe der Jugend ist zu hinterfragen. Das Leben muss dahingehend abgeklopft werden herauszufinden, was zukunftstauglich ist. Ein Glaube und Traditionen, die Jugendliche nicht mehr erreichen, werden wohl bald in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.

Was ist mit den Teenagern los?

Diese Frage können wohl am besten die Teenager selbst beantworten. Und wir täten gut daran, hinzuhören …