Das Anbrechen der christlichen Weltherrschaft

 

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„The Ascension“, attributed to Dosso Dossi [Public domain], via Wikimedia Commons

 

… Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde.

(Jesus im Matthäus-Evangelium; die Bibel, Neues Testament, Matthäus 28. Kapitel, Vers 18)

 

Vier unserer deutschen Feiertage erinnern an wichtige Ereignisse aus den Erzählungen über den Mann aus Nazareth: Weihnachten, Karfreitag, Ostern und Himmelfahrt. Ein jedes Jahr wiederkehrendes Zeichen dafür, wie tief unsere abendländische Kultur durch den christlichen Glauben geprägt worden ist.

„Himmelfahrt“. Wer in Deutschland lebt, kennt dieses Wort ziemlich bald. Nicht jeder verbindet damit allerdings noch etwas Religiöses. Wer sich ein kleines bisschen auskennt, weiß allerdings, dass das Wort sich auf die Himmelfahrt von Jesus bezieht.

 

… aufgefahren in den Himmel …

(aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis)

 

Ich selbst bin christlich aufgewachsen und habe, wenn ich an Himmelfahrt denke, immer die Szene auf dem Ölberg im Kopf, wo Jesus sich von seinen Jüngern verabschiedet und dann auf einer Wolke gen Himmel entschwindet und zwei Engel dabei sind. Diese Vorstellung stammt von der Beschreibung im ersten Kapitel der Apostelgeschichte. Am Ende des Johannes-Evangeliums kommt diese Szene überhaupt nicht vor. In der ursprünglichen Fassung von Markus kommt dies Szene wahrscheinlich auch nicht vor. Einige Handschriften haben allerdings ein paar Verse am Ende von Markus, wo Jesus den Jüngern bei einer Mahlzeit erscheint, zu ihnen spricht und dann „in den Himmel aufgenommen wird“. Auch keine Szene mit Berg und Wolke und Engeln.

Am Ende von Matthäus erscheint Jesus den Jüngern erstaunlicherweise auf einen Berg in Galiläa und es wird gar nichts von einer Himmelfahrt erzählt. Nur am Ende vom Lukas-Evangelium finden wir auch eine Himmelfahrt in der Nähe von Jerusalem und Bethanien (Ölberg), was als Buch natürlich eine große Nähe zur Apostelgeschichte hat. Die Apostelgeschichte knüpft genau an der Stelle wieder an.

Ich war überrascht, dass sich die Szene, so wie ich sie im Kopf hatte, nur in der Apostelgeschichte findet. Was wollen all diese Erzählungen zum Ausdruck bringen? Und in welcher Form finden wir das in den restlichen neutestamentlichen Schriften? Und knüpft all das an Motive an, die den Menschen zur Zeit Jesu schon vertraut waren?

Menschen in der Antike, so z.B. Ägypter, Griechen und Römer, kannten das religiöse Motiv der Himmelfahrt. So finden wir bei den Römern die Himmelfahrt des Romulus und die Griechen hatten die Legende von der Aufnahme des Herakles in den Olymp. Wahrscheinlich waren dem antiken Menschen solche Vorstellungen sogar vertrauter als dem Menschen heute.

Auch im Judentum finden wir dieses Motiv. So wird Henoch von Gott hinweggenommen, ohne dass er stirbt (Genesis 5,24), und ebenso Elija (2. Könige 2,11). Aus späterer Zeit stammt die apokryphe Schrift der Himmelfahrt des Mose.

 

Und weil er mit Gott wandelte, nahm ihn Gott hinweg und er ward nicht mehr gesehen.

(Die Bibel, Tanach / Altes Testament, Bereschith /Genesis / 1. Mose, 5. Kapitel, Vers 24)

 

Was in dem Motiv der Himmelfahrt zusammenfließt und zum Ausdruck kommt, ist religionsgeschichtlich im Einzelnen nicht ganz einfach zu klären. Klar scheint allerdings zu sein, dass es ein Protest gegen die Vergänglichkeit und Glaube an die Unsterblichkeit ist. Das Menschliche geht ins Göttliche über.

 

Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben.

(Neues Testament, 2. Brief des Paulus an die Korinther, 5,4)

 

Der Glaube an ein Leben nach dem Tod ist von großer Bedeutung in der jüdisch-christlichen Überlieferung und ist auch in anderen Kulturen und Religionen zu finden. Es entspricht der Sehnsucht von vielen Menschen auch heute, dass ihr Leben nicht nur für sie selbst, sondern auch für andere Menschen von Bedeutung ist – auch über den Tod hinaus.

Befreites, unaufhaltsames Leben, das auch der Tod nicht mehr aufhalten kann. Anteilhaben an der Lebenskraft Gottes, die sich in seiner Schöpfung Bahn bricht. Ein spirituelles Sein, gegründet auf einer mystischen Vereinigung mit dem Anfänger des christlichen Glaubens: Jesus.

 

… Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben …
(Johannes-Evangelium, 11,25-26)

 

Die christliche Weltherrschaft besteht nicht im Durchsetzen „christlicher Werte“, sondern im Hereinbrechen der Wirklichkeit Gottes in seine Welt. Wahre Macht liegt nicht bei den Mächtigen dieser Welt (egal ob römischer Kaiser oder amerikanischer Präsident), sondern im Vertrauen zu Gott. Menschen, die von Gottes Geist erfasst und belebt worden sind, können nicht nur in ihrem eigenen Leben herrschen, sondern können auch Mitarbeiter Gottes sein dabei, die Strukturen des Bösen in dieser Welt auszuhebeln.

 

… die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.

(Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Rom, 5,5)

 

Schalom. Gottes ewiges Friedensreich bricht an. Liebe ist stärker als der Tod.

 

Die unheimliche Nähe zwischen Gott und der Macht

 

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Weitere Einzelheiten Ludwig XIV. im Krönungsornat (Porträt von Hyacinthe Rigaud, 1701) [Public domain], via Wikimedia Commons

… von Gottes Gnaden?

Wenn wir zurückblicken in die Geschichte, so ist die Nähe zwischen Religion und Macht kaum zu übersehen. In den biblischen Texten lesen wir auch davon, und auch heute, in unseren Tagen, reden mächtige Männer und Frauen von Gott.

Wie sieht es aus mit unserer Gottesvorstellung? Ist die Herrlichkeit Gottes vergleichbar mit dem Prunk eines absolutistischen Alleinherrschers? Gott ist doch der Alleinherrscher, oder? Ist der Gott des Jesus von Nazareth ein Gott im Monarchen-Gewand?

 

Da rief Jesus sie zu sich und sagte: „Ihr wisst, wie die Herrscher sich als Herren aufspielen und die Großen ihre Macht missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein. Wer bei euch groß sein will, soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele zu geben.
(Die Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 20 Kapitel, Verse 25-28)

 

Das Bild des Königs wird in den biblischen Texten für Gott selbst gebraucht und wird dann auch in der christlichen Tradition in Bezug auf Jesus entfaltet. Das sprachliche Bild vom Monarchen ist allerdings nicht unproblematisch. Sind doch alle souveränen Herrscher, die Menschen aus eigener Erfahrung kennen, immer nur mangelhafte Menschen, mit Stärken und Schwächen.

Sehr interessant ist auch die Kritik an der Monarchie in den biblischen Texten selbst. Als in der Epoche der Richterzeit Gottes Diener Samuel alt geworden war, sagten alle Ältesten Israels zu ihm:

 

So setze nun einen König über uns, der uns richte, wie ihn alle Heiden haben … Der HERR aber sprach zu Samuel: Gehorche der Stimme des Volks in allem, was sie zu dir gesagt haben; denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, dass ich nicht mehr König über sie sein soll.

(Die Bibel, Tanach / Altes Testament, 1. Samuel 8, 4-7)

 

Macht ist ein wichtiges Thema in der Bibel. Auch bei Jesus. Jesus hat den Willen zur Macht. Er hat sich diese Macht allerdings nicht selbst genommen, sondern sie ist ihm gegeben worden.

 

Ich habe von Gott alle Macht im Himmel und auf der Erde erhalten …

(Neues Testament, Matthäus-Evangelium, 28. Kapitel, Vers 18)

 

Macht bedeutet Möglichkeiten und Kraft zu Veränderung. Gott wird uns für so manches nicht gebrauchen können, wenn wir uns davor drücken von ihm bevollmächtigt zu werden. Dies funktioniert bei Jesus allerdings anders, als wir es ständig in dieser Welt erleben. Die Autorität der Anhänger von Jesus ist eine Autorität, die aus dem Dienen erwächst und von Gott geschenkt wird. Sie ist eine Macht zum Dienen.

 

Jesus. Revolution.

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„Rebranding Jesus“ by Daniel Silliman (CC BY-NC-ND 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/)

 

Ich bin gekommen, um auf der Erde ein Feuer anzuzünden; ich wünschte, es würde schon brennen!

Jesus aus Nazareth

 

In der abendländischen Kultur begegnet uns Jesus etwas angestaubt und vergilbt in Kirchen und Museen. Als die Füße dieses Wanderpredigers jedoch noch über die staubigen Straßen Palästinas liefen, war Jesus nicht so harmlos …

 

Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Entzweiung. Von jetzt an wird es so sein: Wenn fünf Menschen unter einem Dach leben, werden sich drei gegen zwei stellen und zwei gegen drei. Der Vater wird sich gegen den Sohn stellen und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.

 

Nichts, was verborgen ist, bleibt verborgen; alles wird ans Licht kommen. Und nichts, was geheim ist, bleibt geheim; alles wird bekannt gemacht werden. … Fürchtet euch nicht vor denen, die euch das irdische Leben nehmen können; sie können euch darüber hinaus nichts anhaben. … Fürchtet den, der nicht nur töten kann, sondern auch die Macht hat, in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage euch: Ihn müsst ihr fürchten!

 

Wehe euch, ihr Reichen! Ihr habt euer Glück schon auf Erden genossen. Wehe euch, ihr Satten! Ihr werdet Hunger leiden. Wehe euch, die ihr jetzt sorglos lacht! Ihr werdet trauern und weinen. Wehe euch, die ihr jetzt von allen umschmeichelt werdet, denn die falschen Propheten waren schon immer beliebt.

 

Wenn dich dein rechtes Auge zur Sünde verführt, dann reiß es heraus und wirf es weg! Besser, du verlierst eins deiner Glieder, als dass du unversehrt in die Hölle geworfen wirst. Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, so hack sie ab und wirf sie weg! Es ist besser, verstümmelt zu sein, als unversehrt in die Hölle geworfen zu werden.

Der Diener, der den Willen seines Herrn kennt und sich nicht vorbereitet und nicht tut, was sein Herr will, wird hart bestraft werden. Wer hingegen den Willen seines Herrn nicht kennt und etwas tut, was Strafe verdient, wird weniger hart bestraft werden. Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel gefordert, und wem viel anvertraut wurde, von dem wird umso mehr verlangt.

 

Wer von euch mir nachfolgen will, muss sich selbst verleugnen und sein Kreuz auf sich nehmen und mir nachfolgen. Wer versucht, sein Leben zu behalten, wird es verlieren. Doch wer sein Leben für mich aufgibt, wird das wahre Leben finden. Was nützt es, die ganze Welt zu gewinnen und dabei seine Seele zu verlieren? Gibt es etwas Kostbareres als die Seele?

 

Jesus rief die Kinder zu sich und sagte: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Amen, das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.

 

Freut euch, ihr Armen! Ihr werdet mit Gott leben in seiner neuen Welt. Freut euch, die ihr jetzt Hunger habt! Gott wird euch satt machen. Freut euch, die ihr jetzt weint! Bald werdet ihr lachen. Freuen dürft ihr euch, wenn euch die Leute hassen, ja, wenn sie euch aus ihrer Gemeinschaft ausstoßen und beschimpfen und verleumden, weil ihr euch zum Menschensohn bekennt! Freut euch und springt vor Freude, wenn das geschieht; denn Gott wird euch reich belohnen.

 

Ich bin gekommen, um ihnen das Leben in ganzer Fülle zu schenken. Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte opfert sein Leben für die Schafe.

 

Mir ist alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben. Darum geht zu allen Völkern und macht sie zu Jüngern. … Ich bin immer bei euch bis ans Ende der Zeit.

 

(Jesus in der Bibel, Neues Testament, Evangelien: Matthäus 5,29-30; 16,24-26; 28,18-20; Lukas 6,20-26; 12,2-5.47-49.51-53; 18,16-17; Johannes 10,10-11)

 

Bedeutet Christsein heutzutage wirklich nicht mehr, als in einem Taufregister eingetragen zu sein, einen Mitgliedsbeitrag an eine Kirche zu überweisen, eine christliche Weltanschauung zu teilen oder an christlichen Veranstaltungen teilzunehmen?

Heute wie damals leben verirrte Menschen, wie Schafe, die keinen Hirten haben …