Verkaufe alles, was du hast!

 

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Einsammeln der Kollekte in einer schottischen Kirche. Gemälde von John Phillip, via Wikimedia Commons – Public domain

 

„Verkaufe alles, was du hast!“ – Radikaler Minimalismus?

Sorry, wenn ich dir mit dieser Aufforderung zu nahe getreten bin. Die Idee stammt nicht von mir….

 

Und als er hinausging auf den Weg, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn:

„Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“

Aber Jesus sprach zu ihm:

„Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als der eine Gott. Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.«…“

Er aber sprach zu ihm:

„Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.“

Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm:

„Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach!“

Er aber wurde betrübt über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.

Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern:

„Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!“

.
(Markus-Evangelium 10. Kapitel, Verse 17-23 – Bibel, Neues Testament)

 

Wenn wir ein bisschen mehr in den Evangelien lesen, werden wir auch merken, dass Jesus nicht allen Menschen dasselbe sagt. Er hat auch nicht alle dazu aufgefordert, ihm hinterher zu gehen.

 

 

Geh nach Afrika!

 

„Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden…“

.
(Apostelgeschichte 8,26 – Neues Testament)

 

„… geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern…“

.
(„Missionsbefehl“ von Jesus im Matthäus-Evangelium 28,19 – Neues Testament)

 

Wenn wir ein bisschen mehr im Neuen Testament lesen, werden wir allerdings feststellen, dass nicht alle Christen nach Süden geschickt wurden, und dass auch nicht alle Christen dazu aufgefordert werden, als Wanderprediger durch die Welt zu ziehen.

Es geschieht allerdings immer wieder, dass Christen einen Vers aus der Bibel nehmen und meinen, er muss für alle gelten

 

 

Hätte nicht einer gereicht?

 

„…die sieben Leuchter sind sieben Gemeinden.

Schreib an den Engel der Gemeinde in Ephesus…

An den Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe…

Schreib an den Engel der Gemeinde in Pergamon…

Schreib an den Engel der Gemeinde in Thyatira…

Schreib an den Engel der Gemeinde in Sardes…

Schreib an den Engel der Gemeinde in Philadelphia…“

.
(Offenbarung 1-3 – Neues Testament)

 

Sieben Gemeinden bekommen sieben jeweils unterschiedliche Briefe, und es gibt auch noch etliche andere Briefe in der Bibel, und nicht in allen steht dasselbe.

Wenn man in einem einzigen Text alles Wichtige hätte sagen können, warum haben dann Jesus und die Apostel nicht schon einen solchen „Universal-Text“ verfasst? – Es ist doch gerade die Vielfalt an Texten, Menschen und Situationen, die uns zum Denken anregt und uns hilft, das Wesentliche besser zu verstehen.

Wenn schon den Menschen in der Antike, nicht allen dasselbe gesagt worden ist, warum behaupten dann manche Christen heute, dass Gott durch die biblischen Texte allen Menschen dasselbe sagen will?

Der normative Missbrauch der Bibel macht keinen Sinn!

Gottvertrauen braucht keine Glaubenszwänge und kein todsicheres theologisches System.

 

„Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir…“

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(Jesus im Johannes-Evangelium 10,27 – Neues Testament)

 

„Hungrige Missionierende“ (9. Teil): Ein erneuert werdendes Bewusstsein

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

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Computer-Simulation der verzweigten Architektur der Dendriten von Pyramidenzellen (Neuronen), von Hermann Cuntz via Wikimedia Commons – CC BY 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.5)

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
.
(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

Ein erneuert werdendes Bewusstsein

Göttlicher Geist schenkt auch einen weiten Blick und macht Menschen zu Visionären. Gottes Absicht ist immer noch größer als unser Verstehen. Sie ist der Ausgleich unseres Mangels und das Ziel der Weltgeschichte: Die Rückkehr ins Paradies. Bis hin zu unserem Ziel der Fülle Christi (Eph 4,13) befinden wir uns auf einem Weg des Segens und des Mangels.

Schon im ersten Teil unserer Bibeln (Altes Testament) wird deutlich, dass Gottes Absicht größer ist, als die Fürsorge für ein einzelnes Volk. Das Buch Jona, z.B., ist ein erstaunliches Dokument jüdischer Feindesliebe (Ninive war eine Metropole der Feinde Israels).

 

„…Und ich sollte kein Mitleid haben mit Ninive, dieser große Stadt, in der mehr als 120.000 Menschen leben, die Gut und Böse nicht unterscheiden können, und dazu noch so viele Tiere?“

.
(Mit diesen Worten Gottes endet das kleine Buch „Jona“, Jona 4,11 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Es ist diese Perspektive, die sich dann schon in der ersten Generation der Christen Bahn bricht: Die gute Nachricht eines liebenden Gottes für alle Völker. Kein Platz bleibt mehr für die Vorherrschaft eines einzelnen Volkes. Universalisierung des Glaubens an einen einzigen, einenden Gott. Menschen aller Völker werden Schwestern und Brüder…

Schon die ersten Christen taten sich schwer damit, die Konsequenzen aus dieser großartigen Vision zu verstehen. Heftige Streitigkeiten begleiteten das Christentum von Anfang an. Gleichzeitig erlebten sie allerdings auch die außerordentliche zusammenführende und verbindende Kraft des Glaubens an den Mann aus Nazareth. So war die Vision der einen Menschheitsfamilie gleichzeitig auch Auftrag an die Christen, eine solche Einheit zu verwirklichen und vorzuleben.

 

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Kapelle des Heiligen Ananias aus dem 1. Jahrhundert; Foto von Axilera via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

 

„Ich bete darum, dass sie alle eins sind – sie in uns, so wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin. Dann wird die Welt glauben, dass du mich gesandt hast.

Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich nun auch ihnen gegeben, damit sie eins sind, so wie wir eins sind. Ich in ihnen und du in mir – so sollen sie zur völligen Einheit gelangen, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und dass sie von dir geliebt sind, wie ich von dir geliebt bin.“

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(Johannes-Evangelium 17,21-23 – Neues Testament)

 

Es ist sicherlich kein Zufall, dass es einer der späteren neutestamentlichen Texte ist, in dem Jesus betet: “…dass sie alle eins seien (Joh 17,21)” Der Text verweist zugleich auch auf die Quelle dieser Einheit: Das Geheimnis der Einheit von Jesus und Gott. In den darauffolgenden Jahrhunderten wurde dann gerade das Definieren dieses Geheimnisses der Anlass, aufgrund dessen sich Menschen, die sich Christen nannten, bis aufs Blut bekämpft haben. Eine der vielen Fragwürdigkeiten in der Geschichte der Christenheit. Und der Streit darüber hat bis heute nicht aufgehört!

Als Schüler von Jesus sind wir Lernende. Die Bezeichnung “Lernende” setzt Mangel voraus. Wir sind Menschen, die auf ein klares Ziel hin reifen. Unser Bewusstsein wird erneuert und unsere Sinne geschärft, um das Wirken Gottes in unserer Zeit und Welt und in unserem persönlichen Leben immer besser wahrzunehmen und immer mehr damit übereinzustimmen. – Sattheit macht uns dumpf und träge, Hunger schärft unsere Sinne.

 

„Das soll dazu führen, dass wir alle in unserem Glauben und in unserer Kenntnis von Gottes Sohn zur vollen Einheit gelangen und dass wir eine Reife erreichen, deren Maßstab Christus selbst ist in seiner ganzen Fülle. Denn wir sollen keine unmündigen Kinder mehr sein…“

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(Epheserbrief 4,13-14 – Neues Testament)

 

Teil der Erneuerung des Bewusstseins ist ein moralisches Leben: Übernehmen von Verantwortung für das eigene Leben, Wahrhaftigkeit, Anerkennen von Schuld usw.  Moralität, Wertesysteme und generationsübergreifende Wertetraditionen sind grundlegend nicht nur für das Christentum. Leben mit einem guten Gewissen gibt Stabilität, Klarheit und Kraft.

 

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Die „Zehn Gebote“ vor dem State Capitol in Austin (USA), via Wikimedia Commons – public domain

 

Als moralische Wesen sind wir Teil von Wertesystemen. Wir erlernen Werte beim Aufwachsen in unserem Umfeld und unserer Kultur. Diese Werte sind relativ. Andere Kulturen haben abweichende Werte. Zu einem reifen Menschen gehört die Fähigkeit, über die eigenen Wertesysteme hinaus denken und das Deuten und Bewerten von Situationen in anderen kulturellen Zusammenhängen lernen zu können. – In einer anderen Kultur erfahren wir schnell Mangel, den wir Zuhause nie erlebt hätten…

Die Entstehung von Wertesystemen, Wertevermittlung und generationsübergreifende Wertetradition sind wichtige Themen für Christentum und Mission. Ein geistliches Leben geht allerdings über Moralität noch weit hinaus. Es geht um die Reifung des ganzen Menschen, die Entfaltung allen menschlichen Potentials, die Entwicklung einer persönlichen und kollektiven Spiritualität, das Christusbewusstsein des neuen Menschen und der neuen Schöpfung. Ein Lern- und Reifungsprozess, mit dem wir nie fertig werden.

 

„Liebe ist geduldig, Liebe ist freundlich. Sie kennt keinen Neid, sie spielt sich nicht auf, sie ist nicht eingebildet. Sie verhält sich nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie verliert nicht die Beherrschung, sie trägt keinem etwas nach. Sie freut sich nicht, wenn Unrecht geschieht, aber wo die Wahrheit siegt, freut sie sich mit.
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Alles erträgt sie, in jeder Lage glaubt sie, immer hofft sie, allem hält sie stand.“
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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13,4-7 – Neues Testament)
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„Die Frucht hingegen, die der Geist Gottes hervorbringt, besteht in Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Rücksichtnahme und Selbstbeherrschung…“
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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 5,22-23)

 

Wir sehen uns heute mit Herausforderungen konfrontiert, wie niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Aber wir haben auch Möglichkeiten des Lernens und der Zusammenarbeit wie niemals zuvor. Die modernen Schüler von Jesus tragen mit allem, was ihnen gegeben ist, eine große Verantwortung.

 

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Bild: Emergent Forum / Christoph Bartels

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

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„Hungrige Missionierende“ (5. Teil): Mut zum Mangel

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

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Judäische Wüste, Foto von Yuvalr, via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
.
(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

Mut zum Mangel

Schalom” ist einer der überragenden Begriffe der jüdisch-christlichen Überlieferung. Es ist die große Hoffnung jüdisch-christlicher Frömmigkeit, dass Gott selbst all unseren Mangel ausgleichen kann und wird. Das Evangelium ist eine Botschaft von Gnade, Hoffnung und dem Glauben an eine größere, gute Macht. Dies hilft, den Mut aufzubringen, Mängeln fest in die Augen zu sehen. – Mut zur Lücke. Das Kommen des Reiches Gottes hängt nicht davon ab, dass wir alles wissen, alles können und keine Fehler machen.

Buße und Um-denken (metanoia), von denen die neutestamentlichen Texte sprechen, beinhalten das Sehen und Anerkennen von Mangel, damit sich unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein verändern und es besser mit uns werden kann. Christen sind hungrig nach dem Hereinbrechen des Himmelreichs in unsere notleidende Welt und das Leben verlorener Menschen, und hungrig nach persönlicher Veränderung im eigenen Leben und Wachstum zur Fülle Christi hin. Das Wahrnehmen von Mängeln ist somit ein essentieller Bestandteil von Mission – und dabei sind es nicht nur die Ungläubigen, welche die Mängel haben.

 

„Unser Vater im Himmel!
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme…“
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(Anfang des Vaterunsers – Matthäus-Evangelium, 6. Kapitel)

 

Eine wesentliche Aufgabe von Religion ist Stabilisierung. (Besonders für Menschen in schweren Lebenskrisen eine lebenswichtige Funktion.) Anzuerkennen, dass diese Stabilisierung nur vorläufig und mangelhaft und die eigene Erkenntnis begrenzt ist, erfordert Mut, da es diese Stabilität zu bedrohen scheint. Man kann auch nicht ständig alles in in Frage stellen; wir müssen auch Entscheidungen treffen, um leben zu können.

Man kann Entscheidungen allerdings in Demut und Bescheidenheit treffen, ohne den Anspruch zu erheben, dass alle anderen dieselben Entscheidungen treffen müssen. Wenn ich für mich selbst einen gangbaren Weg gefunden habe, dann ist das schon eine sehr gute Sache. In gewissem Sinne sind ja alle unsere Lösungen vorübergehend und provisorisch.

 

Sonnenuntergang über Lichtenrade
Sonnenuntergang über Lichtenrade, Foto von Sebastian Rittau, via flickr – creative commons CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

 

Hunger ist unangenehm bis schmerzhaft. Hunger macht Sinn, weil er (grundsätzlich) gestillt werden kann. Hunger ist ein Zustand des Leidens, den man vermeiden möchte, und zugleich eine lebenserhaltende Funktion unseres Körpers. Hunger macht uns rechtzeitig auf Mangel aufmerksam.

Die Bereitschaft zum (geistlichen) Hunger und zum Leiden ist eine wichtige Voraussetzung, um Mängel wahrzunehmen und zu lernen und zu reifen, und eine wichtige Voraussetzung für ein besseres Christentum und eine bessere Mission. Andere Menschen und sich selbst zu lieben, bedeutet auch, bereit zu sein genau hinzuschauen, um besser verstehen und besser helfen zu können. – Der Geist Jesu ist auch ein Geist des kritischen Blicks.

 

“Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder:

‚Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen!‘ –

und siehe, ein Balken ist in deinem Auge?

Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.”

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(Jesus in der Bergpredigt, Mt 7,3-5)

 

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„Dieses Toilettenpapier hat einen Produktionsfehler, eignet sich möglicherweise aber noch zum gewöhnlichen Gebrauch.“ via Wikimedia Commons – slgckgc [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)%5D

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

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„Hungrige Missionierende“ (3. Teil): Einladung zum Leiden

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

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Tragödien-Maske an der Fassade des Königlichen Dramatischen Theaters in Stockholm; von Holger.Ellgaard via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
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(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

Einladung zum Leiden

In den ersten drei Jahrhunderten des Christentums war meist klar, dass eine Einladung zum Leben mit Jesus auch eine Einladung zum Leiden war. Paulus sieht seine eigenen Leiden als Fortsetzung des Leidens Jesu (Röm 8,17), und bei den Synoptikern fordert Jesus die Menschen auf, ihr Kreuz auf sich zu nehmen (Mt 10,38; Mk 8,34; Lk 9,23). Auch die Verehrung von Märtyrern hatte in den ersten Jahrhunderten eine große Bedeutung.

Jesus zu glauben und zu lieben und zu dienen, bedeutet zu leiden. Leiden ist eine Grunderfahrung der Schüler von Jesus. Der Geist Jesu führt ins Leid (Mt 4,1; 2 Kor 4,7-12; 7,10). Die Welt und sich selbst im Geiste Jesu wahrzunehmen, das Schöne und das Hässliche, bedeutet zu leiden. Die Entscheidung, an der Seite Jesu eine bessere Welt herbeizuglauben, ist eine Entscheidung zum Leiden. Es ist ein Leiden in der Hoffnung, dass dieses Leiden einen Sinn hat.

 

„Wir allerdings sind für diesen kostbaren Schatz, der uns anvertraut ist, nur wie zerbrechliche Gefäße, denn es soll deutlich werden, dass die alles überragende Kraft, die in unserem Leben wirksam ist, Gottes Kraft ist und nicht aus uns selbst kommt.

Von allen Seiten dringen Schwierigkeiten auf uns ein, und doch werden wir nicht erdrückt. Oft wissen wir nicht mehr weiter, und doch verzweifeln wir nicht. Wir werden verfolgt und sind doch nicht verlassen; wir werden zu Boden geworfen und kommen doch nicht um. Auf Schritt und Tritt erfahren wir am eigenen Leib, was es heißt, am Sterben Jesu teilzuhaben.

Aber gerade auf diese Weise soll auch sichtbar werden, dass wir schon jetzt, in unserem irdischen Dasein, am Leben des auferstandenen Jesus teilhaben. Ja, mitten im Leben sind wir um Jesu willen ständig dem Tod ausgeliefert, und eben dadurch soll sich in unserem sterblichen Dasein zeigen, dass wir auch am Leben von Jesus Anteil haben. Unser Dienst bringt es also mit sich, dass an uns der Tod zur Auswirkung kommt; aber er führt auch dazu, dass an euch das Leben wirksam ist.“

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(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 4,7-12)

 

Empathie hat im Christentum eine große Bedeutung. Wir leiden an uns selbst, an unseren Mitmenschen, an den Schwestern und Brüdern der Christenheit und am real-existierenden Christentum und seiner Geschichte. – Die neue Schöpfung kommt nicht auf leichte, angenehme Weise…

 

“Nicht alle, die sterben, weinen, alle aber weinen, die geboren werden.”

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(Ficino, Theologia Platonica, XVI 8 – zitiert nach Lauster: Die Verzauberung der Welt)

 

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Kreuz an der Ostsee von Caspar David Friedrich (Schloss Carlottenburg, Neuer Pavillon) [Public domain], via Wikimedia Commons

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

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„Hungrige Missionierende“ (1.Teil): Überlegenheit oder Unterordnung?

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

 

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Der katholische Ritus der Fußwaschung (in Bezug auf die Fußwaschung Jesu) im Palast „Paço da Ribeira“ durchgeführt durch den portugiesischen König Johann V.; via Wikimedia Commons – public domain

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
.
(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

In einer Welt, in der Millionen von Menschen physisch hungern, erscheint es fast zynisch, das Wort “Hunger” als Metapher zu verwenden. Gleichzeitig steigt die Weltbevölkerung noch immer dramatisch an, und durch die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und die atomare Bedrohung ist die Zukunft der Menschheit gefährdet wie niemals zuvor. Christliche Mission geschieht heute unter anderen Vorzeichen und Rahmenbedingungen als vor 2000 Jahren.

Mein Eindruck ist, dass vieles, was sich heute als christliche Mission präsentiert, diese Bezeichnung kaum verdient, wenn man die Überlieferung von Jesus als Maßstab nimmt. Der Begriff “christlich” ist dabei allerdings ähnlich problematisch wie eine 2000-jährige Geschichte von Christianisierung und Ansprüchen “christlicher” Deutungshoheit; wobei die Auswirkungen der Mängel umso gravierender sind, desto höher der Anspruch auf die eigene Deutung und Bedeutung ist.

 

„…Es sollten sich nicht so viele in der Gemeinde um die Aufgabe drängen, andere im Glauben zu unterweisen. Denn ihr wisst ja: Wir, die andere lehren, werden von Gott einmal nach besonders strengen Maßstäben beurteilt.“

.
(Jakobusbrief 3,1 – Neues Testament)

 

Eine bessere Mission ist ohne ein besseres Christentum schwer vorstellbar. Es geht in diesem Text um Fragen nach dem Wesen des Christentums und christlicher Identität, sowie um die Unterscheidung zwischen besseren und schlechteren Ausdrucksformen christlicher Tradition. Es ist ein Text über die Bedeutung des Wahrnehmens von Mangel und Mängeln für die Erneuerung und Belebung von Christentum und Mission. Was ich im Einzelnen damit meine, kann ich in dieser kurzen Serie von Texten nur andeuten. Ich will auch versuchen einige Ansätze aufzuzeigen, wie sich diese Situation verbessern könnte.

Dies ist der erste Post zu einer Serie über Mission und Christentum. – Ich will dich mitnehmen auf einen Weg des Mangels…

 

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Vincent van Gogh: Der gute Samariter (nach Delacroix), 1890, via Wikimedia Commons – public domain

Der Weg Jesu

Ein Begriff ist nur sinnvoll, wenn verstanden wird, was damit gemeint ist. Der Begriff “christlich” wird heutzutage auf so vielfältige Weise benutzt, dass man Zusammenhänge und Hintergrundinformationen benötigt, um zu ahnen, was wohl genau verstanden werden soll. Mit der Verneinung “unchristlich” ist es ähnlich. – Dies alles hat auch mit dem Profil und der Vielfalt der christlichen Religion zu tun.

Da allerdings alles letztlich historisch auf den jüdischen Mann Jesus aus Nazareth zurückgeht, erscheint es mir sinnvoll bei der Überlieferung über diesen Mann anzufangen. Dabei zählen die biblischen Texte sicherlich zu den wichtigsten Quellen.

 

»…Für wen halten die Leute eigentlich den Menschensohn?«
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Die Jünger erwiderten:
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»Einige meinen, du seist Johannes der Täufer. Manche dagegen halten dich für Elia und manche für Jeremia oder einen anderen Propheten von früher.«
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»Und ihr – für wen haltet ihr mich?«, fragte er sie.
.
Da antwortete Simon Petrus: »Du bist der Christus, der von Gott gesandte Retter! Du bist der Sohn des lebendigen Gottes.«
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(Matthäus-Evangelium 16,13-16)

 

Überlegenheit oder Unterordnung?

Seitdem der Wanderprediger und Wunderheiler Jesus aus Nazareth über die staubigen Wege Palästinas gegangen ist, versuchen Menschen zu verstehen, welche Bedeutung Leben und Tod dieses Mannes für sie hat. Entstehung und Fortbestand des Christentums sind Zeugnis von der außerordentlichen Wirkung dieses Menschen. Gleichzeitig fällt allerdings auch auf, dass sich seine Anhänger noch nie völlig einig gewesen zu sein scheinen, was die Deutung dieses Phänomens “Jesus” betrifft. Ein Mangel an Einheitlichkeit scheint auch die öffentliche Wahrnehmung dieses Mannes von Anfang an begleitet zu haben (Mt 16,13-16).

Die Entstehung des Christentums bezeugt sowohl die Anziehungskraft, als auch den missionarischen Eifer der Anhängerschaft von Jesus. Bis heute fühlen sich manche Menschen vom christlichen Glauben und christlicher Gemeinschaft angezogen. Auch gibt es viele, welche ein tiefgreifendes Bekehrungserlebnis in Hinwendung zum Christentum erfahren.

 

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Sonnenaufgang von Fondachelli-Fantina (Montagna di Verná / Monti Peloritani, Gebirge im Nordosten von Sizilien) Foto von Girtompir, via Wikimedia Commons – CC0

 

Mission geschieht nicht nur aus Gehorsam gegenüber einem Auftrag, sondern auch aus einem inneren Drang heraus, Wertvolles, welches man selbst empfangen hat, mit anderen zu teilen. Dabei merkt man jedoch schnell, dass die meisten Menschen den Wert einer christlichen Botschaft nicht erkennen; und man merkt auch bald, dass sich selbst die Christen nicht darüber einig sind, was denn genau diese Botschaft überhaupt ist. Die neutestamentlichen Texte erzählen in unterschiedlicher Weise von Jesus, und auch schon im Judentum zur Zeit Jesu waren die messianischen Vorstellungen unterschiedlich.

In der Botschaft vom Kreuz (1 Kor 1,18) verdichtet sich dann allerdings ein Aspekt des Lebens Jesu, welcher knapp in dem Vers zusammengefasst ist:

 

“Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.”

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(Markus-Evangelium 10,45 – Neues Testament)

 

Das Vorbild Jesu wird zur Vorgabe für die innere Haltung christlicher Mission: Nicht von oben herab, sondern als Dienende. Der Geist Jesu ist ein Geist der Demut (Mt 12,15-23; Lk 4,16-22), und Missionieren im Sinne Jesu bedeutet dienen. Dieser Dienst macht nicht einmal vor den Feinden oder dem Sterben für die eigene Überzeugung halt. Der Dienst am Nächsten wurde zu einem grundlegenden Wert des Christentums.

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

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Ein anderes Evangelium?

 

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Calvary Church bei Nacht; eine „non-denominational evangelical church“ in Charlotte, North Carolina; Foto von Fartbarker, via Wikimedia Commons – public domain

 

Die Lage der Christenheit ist sehr ernst; uns sie ist es nicht erst seit gestern, sondern schon seit langem.

 

„Wenn ihr jedoch wie wilde Tiere aufeinander losgeht, einander beißt und zerfleischt, dann passt nur auf! Sonst werdet ihr am Ende noch einer vom anderen aufgefressen.“

.
(Paulus im Brief an die Christen (!) in Galatien; Bibel, Neues Testament; 5. Kapitel, Vers 15)

 

Eine gute Nachricht?

Das ist, was das Wort „Evangelium“ wörtlich bedeutet. Antike Fromme dachten da an Rettung von Gott, Bedrohungen, die abgewendet werden konnten, Überwindung des Bösen und Zukunft, die möglich geworden ist.

Die ersten Christen waren überzeugt, dass sie eine gute Nachricht für die ganze Welt haben. Diese Überzeugung war entstanden durch die Erfahrungen, die sie mit Jesus aus Nazareth als Teil der spirituellen Bewegung gemacht hatten, die von diesem Menschen ausging.

Sie waren überzeugt, dass sie in einer Zeit leben, wo Gottes Geist auf Menschen herabkommt, sie erfasst, neu belebt und befähigt ein Leben zu führen, das Gott gefällt.

 

„Der Geist Gottes dagegen lässt als Frucht eine Fülle von Gutem wachsen, nämlich: Liebe, Freude und Frieden, Geduld, Freundlichkeit und Güte, Treue, Bescheidenheit und Selbstbeherrschung. Gegen all dies hat die Tora nichts einzuwenden.
.
Menschen, die zum Messias Jesus gehören, haben ja doch ihre selbstsüchtige Natur mit allen Leidenschaften und Begierden ans Kreuz genagelt.“
.
(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 5,22-24)

 

Was glauben Christen heutzutage noch?

Wenn man sich heutzutage in der christlichen Szene umschaut, ist es gar nicht so leicht zu erkennen, was all diese Christen noch gemeinsam haben. Ich wohne in Berlin und die christliche Szene ist hier (besonders seit dem Mauerfall) sehr bunt geworden. Wenn man mit Christen ins Gespräch kommt, weiß man oft nicht, was einen erwartet, und einem wird dann alles Mögliche erzählt.

Was für eine gute Nachricht haben wir als Christen heutzutage noch für die Menschen um uns herum? Was ist unsere Message an die Welt? Ist das Christentum noch ein gutes Angebot?

 

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Apostel Paulus (rechts mit Buch, Schwert und Halbglatze) und Markus. Eine der beiden Tafeln des Diptychons (Die vier Apostelvon Albrecht Dürer (1526) via Wikimedia Commons – public domain

 

Ein anderes Evangelium

Der bibel-kundige Leser hat es sofort gemerkt:

Der Titel ist eine Anspielung auf einen Bibelvers im Brief des Apostels Paulus an die Christen in Galatien:

 

„Ich wundere mich sehr über euch. Gott hat euch doch in seiner Gnade das neue Leben durch den Messias Jesus  geschenkt, und ihr seid so schnell bereit, ihm wieder den Rücken zu kehren. Ihr meint, einen anderen Weg zur Rettung gefunden zu haben?

Doch es gibt keinen anderen! Es gibt nur gewisse Leute, die unter euch Verwirrung stiften, indem sie die Botschaft vom Messias verfälschen. Wer euch aber einen anderen Weg zum Heil zeigen will als die rettende Botschaft, die wir euch verkündet haben, den wird Gottes Urteil treffen – auch wenn wir selbst das tun würden oder gar ein Engel vom Himmel.

Ich sage es noch einmal: Wer euch eine andere Botschaft verkündet, als ihr angenommen habt, den wird Gottes Urteil treffen!“

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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 1,6-9, in der Übersetzung der „Hoffnung für alle“; die Formulierung „anderes Evangelium“ stammt aus der Luther-Übersetzung)

 

Hatten die Galater Jesus den Rücken gekehrt und sich wieder den Vergnügungen der Welt zugewandt? Oder sich von „modernen“ Irrlehren verführen lassen?

 

Ist Jesus allein nicht genug?

Das Problem war nicht, dass sich die Galater völlig von Jesus abgewandt hätten, sondern dass nachdem Paulus die gute Nachricht vom  neuen  Leben in Jesus verkündet hatte, andere kamen, die gesagt haben: Jesus ist zwar der Messias, aber Jesus allein genügt nicht, sondern ihr müsst auch nach der alten Tora leben.

 

„Allerdings mussten wir uns mit einigen falschen Brüdern auseinander setzen, mit Eindringlingen, die sich bei uns eingeschlichen hatten und ausspionieren wollten, wie wir mit der Freiheit umgehen, die Jesus, der Messias, uns gebracht hat. Ihr Ziel war, uns wieder zu Sklaven der Tora zu machen.

Aber wir haben ihnen nicht einen Augenblick nachgegeben und haben uns ihren Forderungen nicht gebeugt; denn die Wahrheit, die uns mit dem Evangelium gegeben ist, sollte euch unter allen Umständen erhalten bleiben.“

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(Galaterbrief 2,4-5)

 

Die Leute, gegen die sich Paulus im Galaterbrief wehrt, waren Menschen, die sich auf die heiligsten Texte ihrer heiligen Schriften beriefen: Die Tora. Der Galaterbrief selbst zeigt uns also schon, dass es nicht nur theoretisch möglich ist, sondern dass in der Geschichte der Christenheit es schon real passiert ist, dass Menschen mit heiligen Texten ein anderes Evangelium verkündet  haben .

 

„Biblisch an Jesus glauben“

Das Problem der Galater damals scheint mir sehr ähnlich dem Problem, das wir schon seit langem in der Christenheit haben. Vielleicht ist es im Wesentlichen sogar dasselbe. Der Glaube an die Bibel ist bei vielen Christen an die Stelle des Glaubens an Jesus getreten. Jesus wird „verpackt“ in der Bibel und nur wer „biblisch“ an Jesus glaubt, wird gerettet.

 

„Bevor uns Gott diesen Weg des Glaubens geöffnet hat, waren wir unter der Aufsicht des Gesetzes in das Gefängnis der Sünde eingeschlossen. Das sollte so lange dauern, bis Gott den vertrauenden Glauben als Weg in die Freiheit bekannt machen würde,  und das heißt: bis Christus kam.
.
So lange war das Gesetz unser Aufseher; es war für uns wie der Sklave, der die Kinder mit dem Stock zur Ordnung anhält. Denn nicht durch das Gesetz, sondern einzig und allein durch vertrauenden Glauben sollten wir vor Gott als gerecht bestehen.
.
Jetzt ist der Weg des Glaubens geöffnet; darum sind wir nicht mehr unter dem Aufseher mit dem Stock.“
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(Galaterbrief 3,23-25)

 

Eine andere Welt

Die Welt, in der wir heute leben, ist nicht mehr dieselbe, wie die Welt der ersten Christen. Ganz abgesehen davon, dass die ersten Christen keine Mitteleuropäer waren und nicht Deutsch sprachen.

In unser modernen Zeit verändert sich unsere Gesellschaft und unser Leben schneller als jemals zuvor, und wir stehen vor Herausforderungen, die die Menschheit in ihrer Geschichte noch nie erlebt hat.

 

 

Eine andere Situation

Alle  neutestamentlichen Texte entstanden im Zusammenhang bzw. Umfeld jüdischer Frömmigkeit des 1. Jahrhunderts. Diese religiöse Situation ist für  fast alle  Christen heutzutage eine andere.

Leider trennt das Christentum und das Judentum heute eine tiefe Kluft, die auch durch viel Leid entstanden ist. Die Christenheit hatte sich im Laufe seiner Geschichte schnell von der jüdischen Kultur und seinen jüdischen Wurzeln entfernt. Die Adressaten der neutestamentlichen Texte waren allerdings noch eng mit dieser Kultur verbunden.

 

„… Im Übrigen finden sich alle diese Forderungen im Gesetz des Mose, das seit vielen Generationen in allen Städten verkündet und Sabbat für Sabbat in allen Synagogen vorgelesen wird …
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Der Heilige Geist selbst und unter seiner Führung auch wir haben nämlich beschlossen, euch nur die folgenden unbedingt nötigen Anweisungen zu geben und euch darüber hinaus keine weitere Last aufzuerlegen:
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Esst kein Fleisch, das den Götzen geopfert wurde, unterlasst den Genuss von Blut und von nicht ausgeblutetem Fleisch und haltet euch fern von jeder Unmoral!“
.
(Apostelgeschichte; Neues Testament; 15,21-29)

 

Ein anderer Leser

Wir sind auf Grund des historischen Wandels und einer anderen kulturellen und religiösen Situation heutzutage gar nicht mehr in der Lage, die biblischen Texte so zu lesen wie ein antiker Christ im 1. Jahrhundert.

Wen wollen wir fragen, ob wir einen Bibeltext richtig verstanden haben?

Und wie werden wir zu mündigen Christen, die befähigt sind, ihre Glaubensentscheidungen selbst zu vertreten, ohne am Rockzipfel eines Pastors oder Propheten zu hängen?

 

„Euch aber hat der, der heilig ist, Jesus Christus, seinen Geist gegeben, und durch diese Salbung habt ihr alle die nötige Erkenntnis.“

.
(Erster Johannesbrief 2,20)

 

Tradition oder Erfahrung? Vermittelte Glaubensinhalte oder unmittelbare Gotteserfahrung?

Manchmal ist der Unterschied kaum erkennbar, aber er ist dennoch fundamental. Ist das Fundament meines Glaubens eine bestimmte christliche Tradition, die ich von anderen gelernt habe, oder ist es meine eigene Wahrnehmung und die Erfahrung, die ich selbst im Glauben an Jesus gemacht habe?

 

„Wer nun auf das hört, was ich gesagt habe, und danach handelt, der ist klug. Man kann ihn mit einem Mann vergleichen, der sein Haus auf felsigen Grund baut.

Wenn ein Wolkenbruch niedergeht, das Hochwasser steigt und der Sturm am Haus rüttelt, wird es trotzdem nicht einstürzen, weil es auf Felsengrund gebaut ist.“

.
(Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 7,24-25)

 

Durch die Überlieferung über Jesus haben wir von ihm gelernt. Aber es ist nicht nur ein theoretisches Wissen, sondern es sind lebendige Worte, die etwas in unserer Seele berühren und uns in ein neues Leben locken. Es ist das unmittelbare geistige Wirken Gottes durch Jesus, das Menschen zu einem neuen Menschen werden lässt. Und das nicht nur am Anfang bei der Bekehrung, sondern auch danach, in einem Leben aus dem Vertrauen.

Ein Leben des Lernens von Jesus kann sich verkehren in ein Leben nach heiligen Texten und schriftlichen Anweisungen; und ein göttliches Buch, eine Heilige Schrift, kann zum Vermittler der Gnade werden. Und da die antiken, biblischen Texte nicht so leicht zu übersetzen und zu interpretieren sind, brauchen wir dann auch noch ein Heer an Experten, Bibel-Lehrern, Schriftgelehrten, Pastoren, Theologen, … die uns verklickern, wie wir die Bibel richtig zu verstehen haben.

 

„Beantwortet mir nur diese eine Frage: Wodurch habt ihr den Geist Gottes empfangen? Indem ihr die Forderungen der Tora erfüllt habt oder weil ihr die Botschaft des Glaubens gehört und angenommen habt?

Wie könnt ihr nur so blind sein! Wollt ihr jetzt etwa aus eigener Kraft zu Ende führen, was Gottes Geist in euch begonnen hat?“

.
(Galaterbrief 3,2-3)

 

Die Balance zwischen dem Einzelnen und der Gruppe

Die christliche Traditions-Gemeinschaft ist dennoch wichtig. Es ist in der Gemeinschaft der Liebenden, in der ich selber lerne zu lieben. In einer solchen Gemeinschaft wird man auch sensibel für Gefahren von Gruppendruck und geistlichem Missbrauch sein.

Ein weiterer Grund für die Bedeutung von Gemeinschaft ist die Deutung meiner eigenen Erfahrungen. Ich deute meine persönlichen Gotteserfahrungen im Rahmen meiner kulturellen Prägung und der religiösen Tradition, die ich gelernt habe. Ich kann mich auch irren. Austausch mit anderen schenkt mir zusätzliche Perspektiven und erweitert meinen Horizont.

Wir haben – abgesehen von persönlichen Visionen und Träumen von Jesus – nur den Jesus der Tradition und den in der Gemeinschaft erlebten Jesus durch prophetische Worte und das gemeinsame Leben im Geiste von Jesus. Bei all dem ist eine gesunde Balance zwischen dem Einzelnen und der Gruppe existentiell.

 

„Die Unterweisung in der Lehre unseres Glaubens hat nur das eine Ziel: die Liebe, die aus einem reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem aufrichtigen Glauben kommt.“

.
(Paulus im ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 1,5)

 

Wann wird das „Wir-Gefühl“ zu eng?

Wir sind alle noch Menschen mit unseren persönlichen Interessen und Bedürfnissen; und auch eine christliche Gemeinschaft hat Gruppeninteressen. Wenn Freiheit nicht mehr spürbar ist und Gemeinschaft als einengend empfunden wird, ist das ein Alarmsignal.

Gemeinschaft ist auch Träger von Kultur. In christlicher Gemeinschaft können wir eine liebevolle Kultur schaffen, in der die Botschaft von Jesus Gestalt in Fleisch und Blut gewinnt und christlicher Glaube berührbar und berührend wird.

Liebe und Freiheit eröffnen den Raum, in dem wir lernen, vertrauen und wachsen können. In Freiheit und Liebe lernen wir gemeinsam geistlichen Missbrauch und Gruppendruck einerseits, und ein Dominieren durch Einzelne andererseits zu verhindern und können das Entstehen einer echten Gegenkultur zur Welt erleben.

 

„‚Der Wind weht, wo er will. Du hörst zwar sein Rauschen, aber woher er kommt und wohin er geht, weißt du nicht. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.‘

‚Aber wie kann das geschehen?‘, fragte Nikodemus.

‚Du als Lehrer Israels weißt das nicht?‘, entgegnete Jesus.“

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(Johannes-Evangelium 3,8-10)

 

Das Wesen der Jesus-Bewegung

Die Jesus-Bewegung im ersten Jahrhundert war vom Wesen her eine spirituelle Bewegung, die an die jüdische Kultur und Tradition anknüpfte. Ihre geistliche Kraft entstand aus dem individuellen spirituellen Erleben der einzelnen Gläubigen. Jede Form von Christentum, die sich auf diese Jesus-Bewegung und ihre Texte bezieht, muss dies ernst nehmen, wenn sie nicht in einen inneren Widerspruch geraten will.

Einer der wichtigsten Texte der Christenheit, die sogenannte „Bergpredigt“ von Jesus, stellt einer „äußeren“ Frömmigkeit, die durch Traditionen und ein oberflächliches Erfüllen von Normen der Glaubensgemeinschaft geprägt ist, eine tiefe „innere“ Frömmigkeit gegenüber, bei der äußeres Verhalten und innere Haltung in Übereinstimmung sind.

Es ist dieser „innere Weg“ aus dem Herzen heraus, durch den Glaube und Tradition zu etwas werden können, das als ein in sich stimmiges Ganzes erfahren werden kann.

 

„Glücklich sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott sehen.“

.
(Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 5,8)

 

Ein anderes Evangelium?

Obwohl wir in einer anderen Zeit und Welt leben, machen auch heute Menschen ähnliche Erfahrungen wie die Christen in Galatien zur Zeit von Paulus. Menschen finden durch den inneren Weg im Vertrauen zu Jesus zu einer Gotteserfahrung und werden erneuert, belebt und befähigt durch seinen Geist. – Es gibt eigentlich noch eine gute Nachricht für Menschen heute!

Wir sind Empfangende. Menschen, die durch diesen inneren Weg des Vertrauens zu Jesus zu Christen werden, erleben dies nicht, weil sie so ein tolles Bibelverständnis haben oder in Übereinstimmung mit der Bibel leben, sondern weil Gott selbst durch seinen Geist dort etwas Neues geschaffen hat.

Wer die Bibel ins Zentrum des Glaubens rückt oder zur Voraussetzung von neuem Leben macht, hat ein  anderes  Evangelium geschaffen, das auch in sich nicht mehr stimmig sein kann, weil die biblischen Text von einer anderen Frömmigkeit reden.

Wenn all diejenigen, die sich so gern „bibeltreu“ nennen doch endlich aufhören würden, die biblischen Texte für ihre Bibel-Ideologie und zur Durchsetzung ihrer eigenen Meinung zu missbrauchen. Anstatt zu versuchen, im Austausch mit anderen zu einem besseren Bibelverständnis und einer tieferen Einsicht in den christlichen Glauben zu finden, lassen sie sich von ihrer Angst dazu verleiten, alles kontrollieren und bestimmen zu wollen und schotten sich ab.

 

„In unserem Inneren fehlt es nicht an Platz für euch; eng ist es in euren eigenen Herzen. Macht es doch wie wir – ich spreche zu euch als zu meinen Kindern – und öffnet auch ihr euch weit!“

.
(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 6,12-13)

 

Eine  g u t e  Nachricht

Religion ist eine komplexe Angelegenheit, und auch das mittlerweile fast 2000 Jahre alte Christentum ist vielfältig und vielschichtig. Da kann es schnell passieren, dass ein Mensch, der Jesus lieb hat und Gott gefallen möchte, abhängig wird von den religösen Profis, die ihm den christlichen Glauben erklären.

Oder ein anderer Mensch, bei dem gerade die Hoffnung aufgekeimt ist, dass sein hartes und verrücktes Leben vielleicht doch irgendwie Sinn machen könnte und spirituelle Tiefe spürt, wird frustriert wegen all den endlosen Diskussionen und Streitereien in der Christenheit. – Eine gute Nachricht muss auch für einen Menschen als gut-tuend erfahrbar sein.

Es gibt eine Alternative. Menschen könnten christliche Spiritualität und die Offenbarung Gottes in dem Menschen aus Nazareth wieder als ein kraftvolles, faszinierendes Geheimnis für sich entdecken, das nicht sofort alle Fragen beantwortet, aber den Menschen auf einen spürbar guten Weg bringt.

 

„… Groß und einzigartig ist das Geheimnis unseres Glaubens: In die Welt kam der Messias als ein Mensch, und der Geist Gottes bestätigte seine Würde. Er wurde gesehen von den Engeln und gepredigt den Völkern der Erde. In aller Welt glaubt man an ihn, und er wurde aufgenommen in Gottes Herrlichkeit.“

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(Paulus im ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 3,16)

 

Die Zeit ist reif für Veränderung

Heute, nachdem die Bibel-Ideologie schon seit Jahrhunderten ihre Wirkung entfaltet hat, sollten wir klare Glaubensentscheidungen treffen und Konsequenzen für unsere religiöse Praxis ziehen. Jeder für sich persönlich und auch gemeinsam.

Wäre es nicht viel besser, wenn Christentum, anstatt die moderne Zeit bloß misstrauisch zu beäugen und kritisch zu kommentieren, wieder selbst als eine wirklich  gute  Nachricht für Menschen und als gesellschaftliche Kraft erfahrbar würde?

 

„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen …

So trägt jeder gute Baum gute Früchte; ein schlechter Baum hingegen trägt schlechte Früchte.“

.
(Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 7,16-17)

 

Den Schatten fest im Blick

Viele christliche und andere Persönlichkeiten sind schon über ihren eigenen Schatten gestolpert, und der Schaden ist oft groß. Ich glaube Schattenarbeit ist die wichtigste Hausaufgabe für engagierte Christen. – Haben wir genug Glauben und den Mut uns unserem persönlichen und kollektiven Schatten zu stellen?

Viele Christen lieben schöne Gefühle und mögen es, Jesus im Worship zu feiern oder neue trendige Projekte anzustoßen. Wenn wir nachhaltig arbeiten und Menschen nicht schaden wollen, müssen wir aber unbedingt auch bereit sein, uns die dunklen Seiten unserer Aktivitäten anzuschauen und gerade da genau hinzuschauen, wo Dinge nicht so schön sind und nicht funktionieren.

Es gibt immer auch Wirkungen, die uns überraschen oder die wir eigentlich nicht beabsichtigen. Auch Fresh X oder irgendein anderer moderner Anstrich wird uns nicht retten, wenn wir uns dem negativen Anteil des Christentums und der christlichen Geschichte nicht stellen.

 

 Warum siehst du jeden kleinen Splitter im Auge deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“

.
(Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 7,3)

 

Eine gute Nachricht auch für die kommenden Generationen

Um den Herausforderungen unserer Zeit begegnen zu können und unsere Kinder gut für die Zukunft vorzubereiten, brauchen wir eine nachhaltig gute christliche Kultur. Einen christlichen Glauben, den wir selbst als einen guten Weg in unserem persönlichen Leben erfahren und der auch unsere Kinder befähigt, sich in unserer real-existierenden modernen Welt zurecht zu finden. Neugieriges Erkunden wäre hier wahrscheinlich hilfreicher als kritische Distanz.

Das beste, was ich in dieser Hinsicht gefunden habe, ist die Integrale Theorie. Integrales Christentum und Integrale Spiritualität sind  meiner Meinung nach in diesem Zusammenhang die spannendsten Themen zur Zeit und werden zum Glück auch immer bekannter.

Vielleicht wird das Christentum mit Jesus und Jesus mit dem Christentum doch noch zu einer guten Nachricht für die leidende Welt von heute?

 

„Ihr seid das Licht der Welt“

.
(Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 5,14)

 

[Dies ist die neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]

 

Jesus. Die Biografie.

 

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Jesus als guter Hirte, frühchristliche Deckenmalerei in der Calixtus-Katakombe in Rom (um 250) via Wikimedia Commons – public domain

 

Ich muss euch leider die traurige Mitteilung machen, dass die Biografie von Jesus zur Zeit leider vergriffen ist und auch antiquarisch nicht mehr aufzutreiben ist.

Ich weiß, es wäre ein ganz besonders schönes – und auch zum Anlass so passendes – Weihnachtsgeschenk gewesen, aber ihr müsst euch da doch leider noch was anderes ausdenken.

Scherz!“  😉

Es sieht wohl doch eher so aus, als ob es eine Jesus-Biografie gar nicht gibt.

 

„Das Neue Testament (NT) ist als Glaubensdokument der Urchristen zugleich die wichtigste Quelle der historischen Jesusforschung.“

.
(Wikipedia)

 

Die Autobiografie von Jesus

Das wäre natürlich der absolute Knaller! Jesus schreibt eine Autobiografie über sein Leben als Sohn Gottes.

Tja, leider heißt es auch in diesem Fall:

„Pech gehabt!“ – Leider auch keine Autobiografie.

 

„Jesus sprach:

‚Wer sucht, soll nicht aufhören zu suchen, bis er findet;
und wenn er findet, wird er erschrocken sein;
und wenn er erschrocken ist, wird er verwundert sein,
und er wird über das All herrschen.'“

.
(Thomas-Evangelium, 2. Sprichwort)

 

Es sind zwar entsprechende Texte aufgetaucht, aber die Echtheit ist umstritten.  😉

 

[Leider Französisch. – Was Englisches gibt’s allerdings hier.]

 

2013 wurde eine Autobiografie von Jesus veröffentlicht, deren Verfasser sich  Jürg Amann  nennt. – Scheint wohl auch nicht ganz echt zu sein.  😉  (Vielleicht ist es auch schon vergriffen. Auf der Verlags-Seite hab ich es nicht gefunden.)

Jesus selbst scheint wohl doch eher keinen einzigen Text hinterlassen zu haben. – Wirklich schade! – Und auch eine erstaunliche Tatsache, über die sich kaum jemand ernsthaft Gedanken zu machen scheint. – Auch Schade. – Denn bei allem, was wir über sein Leben „wissen“, wäre es ihm sicherlich möglich gewesen, Texte zu hinterlassen.

 

„Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.
.
Im Buch des Propheten Jesaja heißt es:
.
‚Ich sende meinen Boten vor dir her; er wird dein Wegbereiter sein.‘ …
.
In jener Zeit kam auch Jesus aus Nazaret in Galiläa zu Johannes und ließ sich im Jordan von ihm taufen …“
.
(Markus-Evangelium; Bibel, Neues Testament; 1. Kapitel, Verse 1-9)

 

Interviews mit Jesus

Es sind schon Interviews mit Jesus aufgetaucht; aber auch in diesen Fällen ist die Echtheit sehr umstritten.  😉

Schon in den neutestamentlichen Texten wird allerdings von Begegnungen von Menschen mit Jesus nach dessen Tod berichtet:

 

„Später, als ich wieder in Jerusalem war und im Tempel betete, hatte ich eine Vision:

Ich sah Jesus, und er sagte zu mir:

‚Verlass Jerusalem, so schnell du kannst! Lass dich durch nichts aufhalten! Denn die Menschen hier werden nicht annehmen, was du ihnen als mein Zeuge über mich berichtest.‘

‚Aber Herr‘ wandte ich ein, ‚gerade sie müssten mir doch Glauben schenken …'“
.
(Paulus in der Apostelgeschichte; Neues Testament; 22,17-19)

 

Keine Jesus-Biografie!

Also, eine Biografie haben wir leider nicht.  😦

Aber wie wär’s mit einem „Evangelium“?

Jemand ist vielleicht schon der Gedanke gekommen, dass die Evangelien Jesus-Biografien wären; aber, wer anfängt sie zu lesen, merkt bald, dass dies keine Biografien sind, so wie wir sie heute kennen. Dennoch erzählen die Evangelien eine Menge interessanter Details. Das Meiste seiner Lebensgeschichte ist uns allerdings unbekannt.

 

„Schon viele haben die Aufgabe in Angriff genommen, einen Bericht über die Dinge abzufassen, die in unserer Mitte geschehen sind und die wir von denen erfahren haben, die von Anfang an als Augenzeugen dabei waren und dann Diener der Botschaft Gottes geworden sind.
.
Darum hielt auch ich es für richtig, nachdem ich allem bis zu den Anfängen sorgfältig nachgegangen bin, diese Ereignisse für dich, hochverehrter Theophilus, in geordneter Reihenfolge niederzuschreiben, damit du erkennst, wie zuverlässig all das ist, worin du unterrichtet worden bist.
.
In der Zeit, als Herodes König von Judäa war, lebte dort Zacharias …“
.
(Lukas-Evangelium; Neues Testament; 1,1-5)

 

Der Jude Jesus

Meine Oma hatte meine Mutter einmal gefragt:

„Weißt du eigentlich, dass Jesus ein Jude war?!“

Komisch. – Wie kann man das verpassen?

Das Christentum hat sich allerdings auch angestrengt, ihn zu ent-judaisieren. Und das haben die nicht nur mit der Person von Jesus gemacht, sondern auch mit heiligen Texten.

Anscheinend war Jesus sogar nur ein Jude zweiter oder dritter Klasse. Ein Jude aus der Provinz, ein Galiläer; und ein Galiläer aus einem kleinen Kaff, Nazareth.

 

„‚Aus Nazaret?‘

entgegnete Natanaël.

‚Was kann aus Nazaret Gutes kommen?‘

Doch Philippus sagte nur:

‚Komm mit und überzeuge dich selbst!'“

.
(Johannes-Evangelium; Neues Testament; 1,46)

 

Jesus bezieht Stellung zu Weihnachten und den Umständen seiner Geburt

Dank unseres Weihnachtsfestes sind die Umstände der Geburt von Jesus zum Glück hinreichend bekannt.

Jesus‘ erste Wochen außerhalb des Bauchs seiner Mutter waren anscheinend recht dramatisch; wobei man sich fragen muss, wie viel der Kleine davon mitbekommen hat. – Wie oft mögen die Eltern von Jesus ihm wohl von den Umständen um seine Geburt herum erzählt haben?

Weihnachten.  Der  christliche Klassiker! In der Geschichte des Christentums und mittlerweile auch global in vielen Konsumgesellschaften ein echt wichtiges Thema. Komisch, dass Jesus selbst kaum etwas über die Umstände seiner Geburt gesagt zu haben scheint. Zumindest wüsste ich jetzt auf Anhieb keine einzige Bibelstelle, wo Jesus selbst etwas dazu sagt.

 

„Jesus erwiderte:
.
‚Wenn ich mir selbst eine solche Ehre anmaßen würde, wäre sie nichts wert. Aber nun ist es mein Vater, der mich ehrt – er, von dem ihr sagt, er sei euer Gott. Und dabei habt ihr ihn nie gekannt; ich dagegen kenne ihn.
.
Würde ich behaupten, ihn nicht zu kennen, dann wäre ich ein Lügner wie ihr. Aber ich kenne ihn und richte mich nach seinem Wort.
.
Abraham, euer Vater, sah dem Tag meines Kommens mit jubelnder Freude entgegen. Und er hat ihn erlebt und hat sich darüber gefreut.‘
.
Die Juden entgegneten:
.
‚Du bist noch keine fünfzig Jahre alt und willst Abraham gesehen haben?‘
.
Jesus gab ihnen zur Antwort:
.
‚Ich versichere euch: Bevor Abraham geboren wurde, bin ich.‘
.
Da hoben sie Steine auf, um ihn zu steinigen.“
.
(Erzählung vom Evangelisten Johannes; Johannes-Evangelium 8,54-58)

 

Die Evangelisten

Eine eigenartige Berufsbezeichnung. – Wie wird man eigentlich „Evangelist“? Gibt es da so was wie eine Ausbildung?

 

„… Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7):
.
‚Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!‘
.
Aber nicht alle waren dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1):
.
‚Herr, wer glaubte unserm Predigen?‘
.
So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“
.
(Paulus im Brief an die Christen in Rom 10,14-17)

 

Im Neuen Testament gibt es vier „Evangelisten.“ Einer von ihnen ist Johannes, ein anderer Lukas (oder wer auch immer die Verfasser des Johannes- und Lukas-Evangeliums gewesen sein mögen).

Lukas hat sich ja anscheinend zumindest mal die Mühe gemacht und recherchiert, um aufzuschreiben, was er über Jesus in Erfahrung bringen konnte. Was die Kindheit und Jugend und die ganze Zeit vor dem öffentlichen Auftreten von Jesus betrifft, ist da bei der Recherche allerdings auch nicht gerade viel herausgekommen.

Auf jeden Fall ist das Lukas-Evangelium auch keine Biografie in dem Sinne, was man heute von einer modernen Biografie erwarten würde. Bei den anderen drei Evangelisten sind die Informationen über die Kindheit und Jugend von Jesus allerdings noch deutlich magerer.

 

„Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“

.
(Johannes-Evangelium 1,14)

 

Jesus, Flüchtlingskind.

Matthäus (bzw. der Verfasser des Matthäus-Evangeliums) erzählt von einem unfreiwilligen Abstecher nach Ägypten. Genauer gesagt: Josef und Maria schützten das Leben ihres Kindes, indem sie nach Ägypten flüchteten. (In den heiligen Texten der Juden zu dieser Zeit übrigens keine ganz ungewöhnliche Geschichte.)

Wie alt war Jesus, als er dann nach Nazareth kam?

Im Matthäus-Evangelium heißt es, dass Josef den Auftrag bekommt, nach Israel zurückzukehren, als Herodes gestorben war. Kann man daraus das ungefähre Alter von Jesus bestimmen, als er nach Nazareth kam? Und sind die Erzählungen überhaupt historisch gemeint?

 

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„Rebranding Jesus“ von Daniel Silliman – (CC BY-NC-ND 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/)

 

Angry Young Man

Was hat Jesus eigentlich die ganze Zeit gemacht, bevor er öffentlich in Erscheinung trat? Wie viel kann man spekulieren über seine Beziehung zu Johannes den Täufer, vielleicht sogar zu den Essenern oder anderen gesellschaftlichen Gruppen, und der Zeit, die er eventuell mit ihnen verbracht hat?

Auf jeden Fall hat Jesus, anscheinend im Unterschied zum Rest seiner Familie, irgendwann sein Heimatdorf Nazareth verlassen. (Vielleicht war das auch ein Grund, weshalb die nicht so gut auf ihn zu sprechen waren?)

 

„Doch es musste so kommen, weil sich erfüllen sollte, was in ihrer Tora steht:

‚Sie haben mich ohne Grund gehasst.'“

.
(Johannes-Evangelium 15,25)

 

Jesus, Migrant.

Auf jeden Fall war Jesus Migrant. Er migrierte durch Israel. Und nachdem die ehemaligen Nachbarn und Bekannten aus seinem Heimatdorf versucht hatten ihn umzubringen, wollte er wahrscheinlich auch nicht mehr zurück nach Hause.

Als Wanderprediger verkündete er – wie schon Johannes der Täufer vor ihm – das über die Welt hereinbrechende Himmelreich. Und wie er selbst es tat, so schickte er auch seine Schüler aus, von Ort zu Ort zu gehen:

 

Geht und verkündet:
.
‚Das Himmelreich ist nahe.‘
.
Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus. Was ihr umsonst bekommen habt, das gebt umsonst weiter …“
.
(Matthäus-Evangelium 10,7-8)

 

Auch kam es anscheinend vor, dass Jesus verschiedene Menschen, die sich für Jesus-Nachfolge interessierten, vor der Vorstellung einer komfortablen „christlichen Ausbildung“ warnte:

 

„Die Füchse haben ihren Bau, die Vögel ihre Nester, aber der Menschensohn hat keinen Platz, an dem er sich ausruhen kann.“

(Lukas-Evangelium, 9,58)

 

Jesus, vom Bau

Jesus‘ Adoptiv-Vater war übrigens Bauhandwerker von Beruf. (Die Berufsbezeichnung „Zimmermann“ stimmt wohl nicht so ganz.)

Hatte auch Jesus diesen Beruf erlernt? Vielleicht von seinem Adoptiv-Papa? Hat Jesus später dann auch als Bauhandwerker gearbeitet? Hat er noch irgend etwas anderes gelernt oder einfach ungelernt gemacht? Karriere vielleicht? – So weit ich weiß, haben wir dazu keine Informationen – mit Ausnahme der Karriere, die er später als Wanderprediger und Messias gemacht hat.

 

„‚Für wen halten die Leute den Menschensohn?‘
.
‚Manche halten dich für Johannes den Täufer,‘
.
antworteten sie, ‚manche für Elia und manche für Jeremia oder einen der anderen Propheten.‘
.
‚Und ihr?‘
.
fragte er, ‚für wen haltet ihr mich?‘
.
Simon Petrus antwortete:
.
‚Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!‘ …
.
Dann schärfte Jesus den Jüngern ein, niemand zu sagen, dass er der Messias sei.
.
Danach redete Jesus mit seinen Jüngern zum ersten Mal offen darüber, dass er nach Jerusalem gehen und dort von den Ältesten, den führenden Priestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden müsse; er werde getötet werden und drei Tage danach auferstehen.“

.
(Matthäus-Evangelium 16,13-21)

 

Das „frühere“ Leben eines Superstars

Komisch, dass sich nicht einmal einer der 12 Jünger von Jesus die Zeit genommen hat, eine Biografie von Jesus zu schreiben. Aber vielleicht wussten sie auch einfach gar nicht so viel über das Leben von Jesus. Vielleicht hat Jesus nicht so viel über sein „früheres Leben“ geredet, über die Zeit, bevor er berühmt geworden war.

 

„Während Jesus noch zu der Menge redete, waren seine Mutter und seine Brüder gekommen. Sie standen vor dem Haus und wollten ihn sprechen.
.
Einer aus der Menge sagte zu Jesus:
.
‚Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen dich sprechen!‘
.
Jesus wandte sich zu dem, der ihm diese Nachricht brachte, und erwiderte:
.
‚Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?‘
.
Dann wies er mit der Hand auf seine Jünger und fuhr fort:
.
‚Seht, das sind meine Mutter und meine Brüder!'“
.
(Matthäus-Evangelium 12,46-49)

 

Geschäftige Christen

Und die ersten Christen hatten ja dann auch wirklich alle Hände voll zu tun. Man muss nur mal die Apostelgeschichte lesen. Da war echt was los. Kein Wunder, dass die nicht so richtig die Zeit gefunden haben, nun auch noch eine Jesus-Biografie zu schreiben.

Außerdem war Schreibmaterial damals auch noch teurer, und die Spendeneinnahmen waren wahrscheinlich auch nicht so üppig.

Sie hatten am Anfang auch gar keine Kirchen oder eigenen Gemeindehäuser und trafen sich u.a. einfach im Tempel.

 

„Einmal, als Zacharias vor Gott seinen Dienst als Priester versah, weil seine Abteilung damit an der Reihe war, wurde er nach der für das Priesteramt geltenden Ordnung durch das Los dazu bestimmt, in den Tempel des Herrn zu gehen und das Rauchopfer darzubringen …
.
Draußen wartete das Volk auf Zacharias, und alle wunderten sich, dass er so lange im Tempel blieb.
.
Als er endlich herauskam, konnte er nicht mit ihnen sprechen. Da merkten sie, dass er im Tempel eine Erscheinung gehabt hatte …“
.
(Lukas-Evangelium 1,8-22)

 

Jesus im Heiligtum

Lukas erzählt davon, dass es in der Verwandtschaft von Jesus einen Priester gab, Zacharias, der auch im Tempel Dienst hatte. (Gibt es eigentlich noch andere Texte, die dies berichten?)

Dieser Priester wurde dann auch der Papa von Johannes, dem sogenannten Täufer, der wiederum dann eine der wohl bekanntesten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zur Zeit Jesu wurde. (Find ich schon interessant, dass Jesus solche Leute in seiner Verwandtschaft hatte.)

 

Jesus erwiderte:

‚Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich im Haus meines Vaters sein muss?'“

.
(Lukas-Evangelium 2,49)

 

In Lukas 2,49, als Jesus noch ein kleiner Junge und seinen Eltern im Heiligtum abhandengekommen war – Alptraum aller Eltern -, antwortete er ihnen, als sie ihn endlich gefunden hatten:

„Wusstet ihr nicht, dass ich im Haus meines Vaters sein muss?“

Das Heilige scheint für Jesus kein fremder Ort gewesen zu sein.

Auch in anderen Erzählungen in den Evangelien lesen wir davon, dass Jesus im Tempel war, besonders in den letzten Tagen vor seiner Hinrichtung, als es sogar zu einer öffentlichen Auseinandersetzung im Tempel kam.

 

„In Jerusalem angekommen, ging Jesus in den Tempel und fing an, alle hinauszuweisen, die dort Handel trieben oder etwas kauften. Er warf die Tische der Geldwechsler und die Sitze der Taubenverkäufer um und duldete auch nicht, dass jemand etwas über den Tempelhof trug. Zur Erklärung sagte er ihnen:
.
‚Heißt es nicht in der Schrift: ›Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein für alle Völker‹ Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!‘
.
Als die führenden Priester und die Schriftgelehrten davon hörten, suchten sie nach einer Möglichkeit, Jesus zu beseitigen. Sie hatten nämlich Angst vor ihm, weil das ganze Volk von seiner Lehre tief beeindruckt war.“
.
(Markus-Evangelium 11,15-18)

 

Jesus, höchster Name

Mit welchem Namen haben ihn seine Eltern eigentlich gerufen? – Höchstwahrscheinlich nicht „Jesus“.

Auch waren seine Eltern nicht Herr und Frau Christus. – „Christus“ ist  nicht  sein Nachnahme (!), sondern die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes „Messias“ (Maschiach = Gesalbter). Ein jüdischer Ehrentitel, der mit entsprechenden Erwartungen und Hoffnungen verbunden war.

„Jesus“ ist die lateinische Version des Griechischen „Ἰησοῦς“. (Waren die Eltern von Jesus vielleicht verkappte Hellenisten?)

Die messianischen Juden nennen Jesus, so weit ich weiß, jedenfalls „Jeschua.“ Aber ist der Name in irgendeiner historischen Quelle belegt? Und wie schreibt man das auf Aramäisch (höchstwahrscheinlich die Muttersprache von Jesus)?

Der eigene Name hat einen besonderen Klang. – Wie mag Jeschuas Name wohl in seinen eigenen Ohren geklungen haben? Und hatte er eine tiefere Bedeutung für ihn?

 

„‚Wer sich von seiner Frau scheidet und eine andere heiratet – es sei denn, seine Frau ist ihm untreu geworden – , der begeht Ehebruch.‘
.
Da sagten die Jünger zu Jesus:
.
‚Wenn es zwischen Mann und Frau so steht, ist es besser, gar nicht zu heiraten!‘
.
Er erwiderte:
.
‚Das ist etwas, was nicht alle begreifen können, sondern nur die, denen es von Gott gegeben ist.
.
Manche sind nämlich von Geburt an zur Ehe unfähig, manche werden durch den Eingriff von Menschen dazu unfähig gemacht, und manche verzichten von sich aus auf die Ehe, um ganz für das Himmelreich da zu sein. – Wer es begreifen kann, der möge es begreifen!‘
.
Danach wurden Kinder zu Jesus gebracht; er sollte ihnen die Hände auflegen und für sie beten. Aber die Jünger wiesen sie barsch ab.
.
Da sagte Jesus:
.
‚Lasst die Kinder zu mir kommen …'“
.
(Matthäus-Evangelium 19,9-14)

 

Jesus, ein Familienmensch?

War Jesus irgendwann einmal verliebt? Verlobt? Verheiratet? Verwitwet? Papa?

Er war schließlich so richtig Mensch, stimmt’s? Und besonders in der antiken orientalischen Kultur war Familie-gründen Standard.

Was hältst du von der Vorstellung, dass Jesus vielleicht Frau und Kinder hatte? – Sie werden allerdings nirgendwo im Neuen Testament erwähnt. – Vielleicht doch eher keine Frau und keine Kinder? – Oder wurde er vielleicht aus irgendwelchen Gründen von Frau und Kindern getrennt?

Man nimmt an, dass Jesus ungefähr 30 Jahre alt war, als er öffentlich in Erscheinung trat. Eine lange Zeit seit seiner Pubertät …

 

„Es soll euch zuerst um Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit gehen, dann wird euch das Übrige alles dazugegeben.“

.
(Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 6,33)

 

Zu guter Letzt

Ihr habt es im Laufe des Lesens wahrscheinlich schon gemerkt, dass man mit Aussagen über das Leben von Jesus vorsichtig sein muss, da nur schwer zu klären ist, was genau an der Überlieferung historisch ist.

Ich hab diesen Artikel ein bisschen ironisch geschrieben. Nicht, weil ich mich über Jesus lustig machen will (bestimmt nicht!), sondern weil in der Geschichte der Christenheit eine Menge entstanden ist, über das sich Jesus, glaube ich, nicht freuen würde. Zumindest nicht der Jesus, den wir in den biblischen Texten kennenlernen.

 

„Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich. Selbst geht ihr nicht hinein, und die, die hineingehen wollen, lasst ihr nicht hinein.“

.
(Matthäus-Evangelium 23,13-14)

 

Der Mystiker Jesus

In letzter Zeit tauchen auch Bücher auf, die Jesus als Mystiker diskutieren.

Voll krass! – Geht das überhaupt? Kann ein Sohn Gottes und die zweite Person des dreieinigen Gottes ein Mystiker sein?

 

„In Gott hat ja alles nicht nur seinen Ursprung, sondern auch sein Ziel,
.
und er will viele als seine Söhne und Töchter an seiner Herrlichkeit teilhaben lassen.
.
Aber um diesen Plan zu verwirklichen, war es notwendig, den Wegbereiter ihrer Rettung durch Leiden und Sterben vollkommen zu machen. Er, der sie heiligt, und sie, die von ihm geheiligt werden, haben nämlich alle denselben Vater.
.
Aus diesem Grund schämt sich Jesus auch nicht, sie als seine Geschwister zu bezeichnen, etwa wenn er sagt:
.
‚Ich will meinen Brüdern verkünden, wie groß du bist, o Gott; mitten in der Gemeinde will ich dir Loblieder singen. (Psalm 22,23)'“

.
(Hebräerbrief; Neues Testament; 2,10-12)

 

[Dies ist die neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]

 

Der Heilige Paulus, auch Rabbi Schaul genannt, und eine nicht mehr ganz so neue „New Perspective“

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Römische Straße bei Tarsus, Foto von Nedim Ardoğa via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

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„… ich bin zusammen mit dem Messias gekreuzigt worden. Nicht mehr ich bin es, der jetzt lebt, nein, sondern der Messias lebt in mir. Und solange ich noch dieses irdische Leben habe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mir seine Liebe erwiesen und sich selbst für mich hingegeben hat.“
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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien; Bibel; Neues Testament; 2. Kapitel, Verse 19-20)

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Paulos von Tarsus (Tarsos)

„Paulus“ ist schon die latinisierte Version des griechischen Namens „Paulos“, welcher wiederum vom hebräischen Namen „Schaul“ (= Saul) abgeleitet bzw. an ihn angelehnt ist.

Paulus, der „Heidenapostel“, ist sicherlich der bedeutendste Christ, der je gelebt hat. Man denke nur an seine Bedeutung für die Reformation und den Protestantismus. Aber schon in der Antike hatten seine Missions-Aktivitäten und seine Texte gewaltige Bedeutung. Wer sich fürs Christentum interessiert, sollte sich unbedingt auch mit diesem antiken orientalischen Missionar und Bürger des Imperium Romanum mit jüdischer Abstammung beschäftigen.

Viele Themen würden in der christlichen Welt heutzutage anders diskutiert werden, wenn es nicht bestimmte Aussagen in Texten von Paulus gäbe: Homosexualität, Ehescheidung, Kindertaufe, Geistesgaben, Gemeindeleitung, Auferstehung, Gemeindedisziplin, Bibel-Inspiration, …  Schon allein deswegen ist das Verstehen, Missverstehen und Missbrauchen seiner Texte von so großer Bedeutung.

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„Denn das steht unumstößlich fest, darauf dürfen wir vertrauen: Jesus Christus ist in diese Welt gekommen, um uns gottlose Menschen zu retten. Ich selbst bin der Schlimmste von ihnen.“

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(Paulus im ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 1,15)

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Ein Mann mit einer Vergangenheit

Heute scheint immer mehr religiösen Menschen bewusst zu werden, wie wichtig die eigene Biografie ist für das, was man glaubt – oder auch nicht glaubt.

Paulus. Wer war dieser Mann? Wo und wie ist er aufgewachsen? Wie war seine Familie? Was hat ihn geprägt? Wie hat er Jesus kennengelernt? Wie ist er ein Anhänger und Botschafter für Jesus geworden?

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„Was meinen früheren Lebensweg betrifft, so gibt es daran nichts, was nicht allen Juden bekannt wäre, habe ich doch von meiner Jugend an mitten unter meinem Volk in Jerusalem gelebt.
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Alle wissen – und können es, wenn sie nur wollen, jederzeit bezeugen – , dass ich damals der strengsten Richtung unserer Religion angehörte, derjenigen der Pharisäer, und ihren Regeln entsprechend gelebt habe.“
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(Paulus in der Apostelgeschichte; Neues Testament; 26,4-5)

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Magst du Paulus?

Ich bin Paulus-Fan. Nicht, dass ich alles an ihm gut finde oder seine Texte als „Wort Gottes“ betrachte. Mich beeindruckt vor allem sein Engagement für Menschen und für die Sache Gottes. Sein Brief an Philemon ist einer meiner Lieblingstexte in der Bibel. Auch viele andere Paulus-Texte begleiten mich schon seit meiner Kindheit und sind mir wertvoll.

Magst du Paulus? Wie stehst du so rein emotional zu ihm? Würdest du mit ihm gerne mal ein Bier trinken gehen? Oder würdest du um den Super-Heiligen eher einen weiten Bogen machen? Oder hältst du ihn für einen komischen antiken Christen mit verstaubten Vorstellungen von Christsein und Gemeinde? Oder vielleicht sogar für einen Irrlehrer, der die wahre Botschaft Jesu verdreht hat?

Paulus war  nicht  einer von den Jüngern des Rabbis Jesus aus Galiläa gewesen, der mit Jesus durch die Gegend gezogen war. Er war kein Augenzeuge der Taten von Jesus oder Ohrenzeuge der Worte von Jesus. Er hatte sogar die Anhänger von Jesus gewaltsam verfolgt, und es gab damals so manchen Christen, der zu Paulus auf Distanz ging.

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„Dann sagten sie zu Paulus:
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‚Du siehst, lieber Bruder, dass auch bei den Juden Tausende zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind, und alle halten sich weiterhin streng an das Gesetz des Mose.
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Über dich jedoch hat man ihnen erzählt, du würdest die Juden, die unter den anderen Völkern leben, samt und sonders zum Abfall von Mose auffordern, indem du lehrst, sie müssten ihre Söhne nicht mehr beschneiden lassen und müssten überhaupt nicht länger nach den Vorschriften des Gesetzes leben.
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Was können wir tun, um diesen Behauptungen entgegenzutreten? Schließlich werden unsere Geschwister hier mit Sicherheit erfahren, dass du nach Jerusalem gekommen bist.
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Unser Vorschlag ist, dass du Folgendes machst:
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Vier Männer aus unseren Reihen haben sich Gott mit einem Gelübde geweiht und sich dazu verpflichtet, eine Zeitlang keinen Wein zu trinken und sich das Haar nicht schneiden zu lassen. Sei ihnen dabei behilflich, indem du dich zusammen mit ihnen der vorgeschriebenen Reinigung unterziehst und alle anfallenden Kosten übernimmst, damit sie die Weihezeit ordnungsgemäß mit den erforderlichen Opfern und dem Abschneiden der Haare beenden können.
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Dann werden alle sehen, dass von dem, was ihnen über dich erzählt wurde, kein Wort wahr ist und dass auch du in Übereinstimmung mit dem Gesetz lebst und seine Vorschriften befolgst.'“

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(Apostelgeschichte 21,20-24)

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Wenn du mit Paulus reden könntest, worüber würdest du reden? Würdest du ihn gerne was fragen? Was denn genau?

Wie wir persönlich zu diesem Mann stehen, hat dann auch damit zu tun, wie wir mit seinen Texten umgehen. Eine andere Sicht auf diesen Mann würde auch das Christentum verändern.

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Die „Neue Perspektive auf Paulus“

Es gibt sogar einen Wikipedia-Artikel mit diesem Titel.

Seit den 60er Jahren wird die Frage diskutiert, ob man die Paulus-Texte nicht mit einer falschen theologischen Brille gelesen hat, indem man spätere theologische Fragestellungen in die Texte hinein gelesen hat.

E. P. Sanders versuchte die Texte im Zusammenhang der jüdischen Frömmigkeit des 1. Jahrhunderts zu verstehen. Gemäß James Dunn war es dann N. T. Wright der den Ausdruck „new perspective on Paul“ das erste Mal benutzte.

Die Diskussion darüber, wie wir Paulus am besten verstehen können, wird sicherlich noch lange andauern. Dies hat u.a. auch damit zu tun, in welchem Umfang die Bibelübersetzungen, die wir benutzen, von bestimmten theologischen Vorverständnissen und Annahmen beeinflusst sind, die eventuell korrigiert werden müssen.

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„Einiges in seinen [Paulus] Briefen ist allerdings schwer zu verstehen, was dazu führt, dass die Unbelehrbaren und Ungefestigten es verdrehen.“

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(Zweiter Petrusbrief 3,16)

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„Vom Saulus zum Paulus“

Es gibt kaum eine andere neutestamentliche Gestalt, bei der der Bruch so drastisch ist. Vom Verfolger zum Verfolgten. Hat das Schwert abgelegt und das Wort ergriffen. Freunde wurden zu Feinden, und Feinde zu Schwestern und Brüdern. Und sogar die unreinen Heiden wurden Teil der Familie.

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„Jetzt ist es nicht mehr wichtig, ob ihr Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, Männer oder Frauen seid: In Christus seid ihr alle eins.“

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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 3,28)

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Einen  Bruch hat Paulus allerdings nicht vollzogen: Den Bruch mit dem Judentum.

So, wie die ersten Christen, verstand sich auch Paulus nicht als jemand, der sich vom Judentum verabschiedet hat, sondern er verstand sich als ein „wahrer Jude“.

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„Auch die Beschneidung nützt euch [beschnittenen Juden] nur, wenn ihr das Gesetz befolgt. Wenn ihr es übertretet, steht ihr in Wahrheit den Unbeschnittenen gleich.

Wenn aber nun Unbeschnittene nach den Vorschriften des Gesetzes leben – werden sie dann nicht von Gott den Beschnittenen gleichgestellt? So kommt es dahin, dass Unbeschnittene einst über euch Juden das Urteil sprechen werden. Solche nämlich, die das Gesetz Gottes befolgen, während ihr es übertretet, obwohl ihr es schriftlich habt und beschnitten seid.

Beim Judesein geht es nicht um äußerliche Merkmale und bei der Beschneidung nicht um den äußeren, körperlichen Vollzug. Die wahren Juden sind die, die es innerlich sind, und die wahre Beschneidung ist die Beschneidung des Herzens, die nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes erfolgt, sondern durch den Geist Gottes.

Juden in diesem Sinn suchen nicht den Beifall der Menschen, aber sie werden bei Gott Anerkennung finden.“

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(Paulus im Brief an die Christen in Rom 2,25-29)

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Im Laufe der Kirchengeschichte distanzierten sich bald Menschen, die sich für Christen hielten, von Juden und vom Judentum. Der Gläubige sägte den Ast ab, auf dem er saß. Der eingepropfte Zweig riss sich selber aus. Man braucht sich nicht darüber zu wundern, dass mancher Christ seinen eigenen Glauben nicht mehr verstand und dem Namen nach „Christliches“ zur Unkenntlichkeit entstellt wurde.

Der jüdisch-christliche Dialog wird sicherlich auch eine Chance sein, unser Paulusbild und sogar unser Verständnis des christlichen Glaubens zu korrigieren, und im ökumenischen und inter-religiösen Dialog besser zu verstehen, worum es eigentlich geht.

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Der Mystiker Paulus

In letzter Zeit wird auch einer Seite von Paulus noch mehr Beachtung geschenkt, die in all den theologischen Diskussionen seiner Texte bisher vernachlässigt worden ist:

Paulus war ein Mystiker.

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„Auf dem Weg nach Damaskus – es war gegen Mittag, und wir hatten die Stadt schon fast erreicht – leuchtete plötzlich vom Himmel her ein Licht auf. Von allen Seiten umgab mich ein unbeschreiblich heller Glanz, sodass ich geblendet zu Boden stürzte. Dann hörte ich eine Stimme zu mir sagen:
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›Saul, Saul, warum verfolgst du mich?‹
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›Wer bist du, Herr?‹
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fragte ich, worauf die Stimme antwortete:
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›Ich bin der, den du verfolgst – Jesus von Nazaret.‹
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Meine Begleiter sahen zwar das Licht, verstanden aber nicht, was die Stimme sagte, die mit mir sprach.
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›Herr‹, sagte ich, ›was soll ich tun?‹
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›Steh auf und geh nach Damaskus!‹ antwortete der Herr. ›Dort wird dir genau gesagt werden, wozu du beauftragt bist und was du tun sollst.‹ …
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Später, als ich wieder in Jerusalem war und im Tempel betete, hatte ich eine Vision. Ich sah Jesus, und er sagte zu mir: ›Verlass Jerusalem, so schnell du kannst! Lass dich durch nichts aufhalten! Denn die Menschen hier werden nicht annehmen, was du ihnen als mein Zeuge über mich berichtest.‹
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›Aber Herr‹, wandte ich ein, ›gerade sie müssten mir doch Glauben schenken. Sie wissen ja, dass ich von einer Synagoge zur anderen ging, um die, die an dich glauben, gefangen nehmen und auspeitschen zu lassen. Und sie wissen auch, dass ich damals, als dein Zeuge Stephanus sein Leben ließ, voll und ganz mit seiner Hinrichtung einverstanden war. Ich stand nicht nur dabei, sondern bewachte die Kleider, die seine Gegner abgelegt hatten, um ihn zu steinigen.‹
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Aber Jesus erwiderte: ›Mach dich auf den Weg! Ich werde dich zu anderen Völkern in weit entfernten Ländern senden.‹“
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(Rede von Paulus in der Apostelgeschichte 22,6-21)

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Der weite Blick

Heute, fast zwei Jahrtausende nach Paulus, haben wir die Möglichkeit, sein Leben in einem noch größeren Zusammenhang zu sehen. Einen brauchbaren theoretischen Rahmen dafür bietet z.B. die Integrale Theorie. Auf diese Weise kann man das Leben und die Frömmigkeit von Paulus in einem religions- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang betrachten und auch moderne entwicklungspsychologische Aspekte berücksichtigen. Anregungen dazu findet ihr z.B. hier.

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„Reformation war gestern. Die Zukunft des Christentums gehört der Transformation.“

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(Marion Küstenmacher auf dem Cover ihres Buches „Integrales Christentum“)

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Jesus, obdachlos.

 

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Obdachloser mit Hund in Bremen (2014), Foto von Peronimo via Wikimedia Commons – CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)

 

„… Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihre Nester; aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sich ausruhen kann.“

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(Jesus im Matthäus-Evangelium; Bibel, Neues Testament; 8. Kapitel, Vers 20)

 

Was machen unsere Lebensverhältnisse mit unserem Glauben?

Und wie verändert unser Glaube unseren Lebensstil?

Wie würden wir an Gott glauben, wenn wir nicht wüssten, wo wir heute Abend schlafen oder was wir morgen essen?

 

„Unser tägliches Brot gib uns heute.“

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(Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 6,11)

 

Sind wir vielleicht auch deshalb so zufrieden mit einer mangelhaften Theologie und einem desaströsen Zustand der Christenheit, weil wir so komfortabel leben?

Wie viel ist die Christenheit Menschen in Not schon schuldig geblieben?

W.W.J.D. – What would Jesus do?

 

Ein Kurs zum GLAUBEN ? Oder eher Kurse zum Wundern?

 

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Foto von Pål Berge (http://www.flickr.com/photos/paalb/49636016/) via Wikimedia Commons – CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)

 

Glaubenskurse sind ziemlich populär. – Wo viel Religiöses nicht mehr funktioniert und Kirche „out“ ist, ist hier vielleicht ein Hoffnungsschimmer?

Sind Glaubenskurse nicht irgendwie auch cooler und auch frommer als Religions- oder Konfirmationsunterricht?

Aber kann man Glauben überhaupt lehren und lernen?

Der klassische „Glaubenslehrer“ in unserem Kulturkreis ist ja der Pfarrer, der ein Theologie-Studium absolviert hat; und an dieser Stelle läuft schon was schief:

Theologie = Wissenschaft von Gott? Kann es so etwas überhaupt geben? Und ist eine akademische Ausbildung an einer Universität dafür geeignet, Gott kennenzulernen? Oder sollte man eher zu einem Guru nach Indien fahren? Welche Qualifikationen müsste denn jemand besitzen, um ein Glaubenslehrer zu sein?

Inwieweit sind all die theoretischen akademischen Ausbildungen an den Universitäten überhaupt dazu geeignet, all die Studenten für ihren späteren harten Berufsalltag vorzubereiten? Wie sieht’s denn so aus mit den Soft Skills oder der Verwertbarkeit des Gelernten in der Praxis?

 

„… ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Wer zu Gott kommen will, muss glauben, dass es ihn gibt und dass er die belohnt, die ihn aufrichtig suchen.“

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(Bibel, Neues Testament, Hebräerbrief, 11. Kapitel, Vers 6)

 

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In der lutherischen Tradition spielt Glaube eine überragende Rolle. Es ist der Glaube des Menschen, der über Himmel und Hölle entscheidet. Und dies hat Luther sich nicht neu ausgedacht. Es steht ja in so mancher Bibel:

 

Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“

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(Markus-Evangelium; Neues Testament; 16,16)

 

Worum geht es eigentlich?

Oft, wenn über Glaube gesprochen wird, ist nicht ganz klar, was denn eigentlich gemeint ist.

 

„Das Wort Glaube (auch Glauben; lateinisch fides; indogermanisch leubh ‚begehren‘, ‚lieb haben‘, ‚für lieb erklären‘, ‚gutheißen‘, ‚loben‘) bezeichnet eine Grundhaltung des Vertrauens, vor allem im Kontext religiöser Überzeugungen.“

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(Wikipedia)

 

Wenn man Glauben so versteht, ist es viel mehr als ein theoretischer Inhalt oder Wissen, das man irgendwie versuchen kann in einem Glaubensbekenntnis zusammenzufassen oder das man in einer Theologie-Prüfung abfragen kann. Eine Grundhaltung ist etwas Tiefes, das bis ins Unterbewusste reicht.

Glauben hat mit Gedanken und mit meiner Vorstellungswelt zu tun. Aber auch mit meinem Gewissen, mit meinen Entscheidungen und mit meinem Verhalten. Als religiöser und kultureller Begriff ist „Glaube“ so dicht und vielschichtig, wie Religion und Kultur selbst es sind.

 

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Der Glaube (1752–53), Allegorie von L.S. Carmona; Foto von Luis García via Wikimedia Commons – GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

Wer sich gerne Videos anschaut, kann hier einen interessanten Beitrag der Philosophin Prof. Dr. Alma von Stockhausen zum Thema Glaube sehen & hören:

 

 

Theorie und Praxis

Was ich in der Kirche als Glaubensbekenntnis mitspreche, muss nicht unbedingt mit dem übereinstimmen, was ich wirklich glaube, oder was andere sich bei demselben Glaubensbekenntnis darunter vorstellen.

Erst unser Leben macht deutlich, was wir wirklich glauben. Die Summe all der vielen kleinen und großen Entscheidungen jeden Tag erschafft meine Biographie; und an der kann man dann ablesen, was mir wichtig ist. Auch bei jemanden, der sich nie groß Gedanken darüber gemacht hat, was er glaubt, und dies niemals versucht hat, in Worte zu fassen, zeigt trotzdem das Leben, was dieser Mensch glaubt. Und sei es nur der Glaube, dass das Leben ein endloses Leiden ist.

Mir geht es hier nicht um irgendeinen Glauben, sondern mir geht es um Glauben, der für einen Menschen „funktioniert“; Glaube, der in sich stimmig ist und im harten Alltag auch die Früchte wachsen lässt, die man erwarten würde. „Ganzheitlicher Glaube“ sozusagen, der für den Glaubenden selbst und auch für sein Umfeld positive Auswirkungen hat. Glaube, der retten und erlösen kann.

 

„Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

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(Johannes-Evangelium; Neues Testament; 3,16)

 

Christlicher Glaube

Kann man  diesen  Glauben lernen? Jesuanischen Glauben? An Gott so glauben, wie Jesus es vorgelebt hat? Glaube, der von Jesus ausgeht und durch ihn möglich wird?

Zur Frage, ob man diesen christlichen Glauben lernen kann, fallen mir dann gleich noch mehr Fragen ein:

Falls „Ja.“ – Wie lernt man dann diesen Glauben?

Falls „Nein“ – Warum kann man diesen Glauben nicht lernen?

Ich habe in meinem Leben schon verschiedene Antworten auf diese Frage kennengelernt.

 

„Dem einen wird durch den Geist ein Wort der Weisheit gegeben … einem andern Glaube …“
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(Paulus im Brief an die Christen in Korinth 12,9)

 

Antwort: „Nein“

1.  „Nein.“ – Glaube kann man nicht lernen, weil er ein Geschenk ist und eine Frucht des Heiligen Geistes. (Galaterbrief 5,22 in der Lutherübersetzung von 1956!)

2.  „Nein.“ – Glaube ist eine Entscheidung, ein Willensakt. Deshalb kann auch dazu aufgerufen werden. Man kann ihn aber nicht erlernen.

Ich habe so auf Anhieb in meiner Bibel auch keinen Vers gefunden, wo vom „Glauben lernen“ die Rede ist.

 

„… dass sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten …“

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(Paulus in der Apostelgeschichte, 17,27)

 

Antwort: „Ja“

Um sich für Jesus entscheiden zu können, muss man erst einmal die Überlieferung über Jesus kennenlernen. Alles zusammen ist also auch ein Lernvorgang.

 

„Den Herrn anrufen kann man nur, wenn man an ihn glaubt. An ihn glauben kann man nur, wenn man von ihm gehört hat. Von ihm hören kann man nur, wenn jemand da ist, der die Botschaft von ihm verkündet …

Wie wir gesehen haben, setzt der Glaube das Hören der Botschaft von Christus voraus.“
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(Paulus im Brief an die Christen in Rom 10,14-17)

 

„spürbar“

Ich war 2016 auf einer Informationsveranstaltung zum Glaubenskurs „spürbar“(www.spuerbar.org). Dies ist nicht der allererste Glaubenskurs, der erfunden worden ist und wahrscheinlich auch nicht der letzte. Für diesen „Nachfolge-Kurs“ zeichnet das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung e. V. verantwortlich. Er ist wohl als eine Art Aufbaukurs zu spur8 gedacht.

Ein Untertitel auf dem Flyer heißt „Spüren Sie in acht Veranstaltungen auf, wie der Glaube lebendig wird.“  – Klingt ein bisschen wie ein Wiederbelebungskurs für einen toten Glauben.

Das Konzept und die Vorstellung des Kurses war mir sympathisch. Lebensnah und mit Offenheit für die Erfahrungen der Teilnehmer. Ich bin mir allerdings noch nicht sicher, ob auch deutlich wird, an was oder wem man glaubt.

Soll man dem Kursleiter glauben? Oder einander? An die christliche Überlieferung? Und falls ja: Welche Version des Christentums denn? Es hat ja anscheinend noch nie eine einheitliche christliche Lehre gegeben …

Das ist wohl ein grundsätzliches Problem aller Glaubenskurse: Auf welcher Grundlage befindet man sich? Was ist das Ziel? Wie viel Bedeutung haben die persönlichen Lebenserfahrungen der Teilnehmer? Wie wägt man die unterschiedlichen Interessen gegen einander ab? In welche Richtung leitet man ein Gespräch? Leitet man überhaupt, oder schaut man einfach zu, was sich ereignet?

Was ist die beste Methode, um Glauben zu lernen?

 

„Der Wind weht, wo er will. Du hörst zwar sein Rauschen, aber woher er kommt und wohin er geht, weißt du nicht. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.“

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(Johannes-Evangelium 3,8)

 

„Ein Kurs in Wundern“

„Was soll denn das sein?“ – Hab ich mich jedenfalls gefragt …

Kennt den „Kurs in Wundern“ jemand von euch und hat vielleicht sogar persönliche Erfahrungen damit gemacht? – Mir ist der Name des Kurses in letzter Zeit öfter mal begegnet.

 

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Helen Schucman; Porträt von Brian Whelan (1981), via Wikimedia Commons – CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)

 

Glaube und/oder Spiritualität?

Es fällt auf, dass in letzter Zeit das Wort „Spiritualität“ immer mehr in Mode kommt. Anscheinend können viele Menschen mit dem alten Wort „Glaube“ nicht mehr so viel anfangen.

Wo Christen sich seit Jahrhunderten streiten, sich gegenseitig Unglaube oder Ketzertum oder Mangel an Heiligem Geist vorwerfen und auf Scheiterhaufen verbrannt haben, ist das ja irgendwo auch verständlich.

Es gibt ein Christsein und ein Verständnis des christlichen Glaubens, das in unsere postmoderne Zeit passt und unser Menschsein ganzheitlich erkennt. So könnten wir auch die Bedeutung des christlichen Glaubens als Teil der Kulturgeschichte der Menschheit besser verstehen.

 

„… Gott ist Liebe, und die in der Liebe bleiben, bleiben in Gott, und Gott in ihnen.“

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(Erster Johannesbrief 4,16b)

 

[Dies ist die neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]