Die 4D-Bibel

 

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Lesen der Tora; Foto von Roylindman, via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

Wenn Menschen das Wort „Bibel“ hören, denken sie an einen zweidimensionalen Text oder ein dreidimensionales Buch. – Höchste Zeit für ein Update!

Keine Angst. Die ist kein Werbetext für ein neues Produkt. Dies ist die Einladung zu einem Bewusstseins-Wechsel.

 

„Bibel“

Wenn Menschen das Wort „Bibel“ hören, stellen sie sich etwas vor, dass es nie gegeben hat – und das liegt an der Geschichte ihrer Entstehung.

Die Bibel ist das „heilige Buch“ der Christenheit. Ein ursprüngliches „Original“ dieses Buches hat es allerdings nie gegeben. Anders als bei den Tora-Tafeln, welche Mose in der Erzählung vom Bundesschluss am Sinai überreicht bekommen hat, gab es nie eine Bibel, welche Gott für die Christenheit gemacht hat. Um die Herstellung von Bibeln musste sich die Kirche selbst kümmern. – Aber vielleicht hat der römische Kaiser damals ja ein bisschen dabei mitgeholfen.

Alle Bibeln, die in Gebrauch sind oder in Buchläden und Museen herumliegen, sind Sammlungen antiker „jüdischer“ religiöser Texte. Die Verfasser der neutestamentlichen Texte waren wahrscheinlich nicht alle Juden, aber die Texte sind dennoch zutiefst jüdisch geprägt und im Umfeld jüdischer Synagogen-Frömmigkeit entstanden.

 

Original oder Übersetzung?

Die biblischen Originaltexte wurden leider nicht in modernem Deutsch geschrieben, sondern in Hebräisch, Aramäisch und Griechisch. Da selbst Theologen in der Regel diese Sprachen nicht auf muttersprachlichem Niveau beherrschen, benutzen auch sie gerne mal Bibel-Übersetzungen.  😉

Es gibt da allerdings noch ein weiteres Problem mit dem Original…

 

„Textkritik“?

Dieser Begriff mag so manchem christlichen Fundamentalisten Angst einjagen. Erst ist allerdings völlig harmlos. Es geht lediglich um den Versuch herauszufinden, wie die Originale all der Texte ausgesehen haben mögen, deren Übersetzungen wir in unseren Bibeln finden.

Es existiert kein einziges Original der biblischen Texte mehr. Dies ist bei antiken Texten auch absolut nicht ungewöhnlich. Die Zeiten, in denen diese Texte geschrieben worden sind, liegen ja nun doch schon eine ganze Weile zurück, und mit dem Haltbarkeitsdatum von antiken Schreibmaterial ist das so eine Sache…

Deshalb muss man versuchen diese Originale zu rekonstruieren. Dies wäre nicht so schwierig, wenn sämtliche späteren Abschriften identisch wären. Da dies allerdings leider nicht der Fall ist und zum Teil beträchtliche Unterschiede bestehen, braucht man Bibelwissenschaftler, sogenannte „Textkritiker“, die durch kritisches Studium der alten Handschriften versuchen herauszufinden, welcher „Urtext“ am wahrscheinlichsten mit dem Original übereinstimmt.

 

Die allererste „Bibel“?

Juden mögen Schriftrollen. Sie benutzen sie immer noch.

Ein Meilenstein in der Buchherstellung war dann der Codex Sinaiticus. – Ein wirklich dickes Buch! Berühmt geworden als eine der wichtigsten biblischen Handschriften.

Ein Kodex ist im wesentlichen ein Stapel von Blättern, welche miteinander verbunden worden sind. Die Schriftrolle ist die ältere Buchform. Der Kodex setzte sich erst in der Spätantike als die führende Buchform durch.

Man könnte den Codex Sinaiticus als die allererste christliche „Bibel“ ansehen. Dazu muss man dann allerdings doch noch Folgendes bemerken:

  1. Dieser Kodex war eine Sammlung  griechischer  Texte, d.h. das sogenannte „Alte Testament“ (also die vorchristlichen, jüdischen Texte) war schon in einer griechischen Übersetzung und nicht im Original-Hebräisch (bzw. Aramäisch) enthalten.
  2. Der Codex Sinaiticus enthielt sowohl die sogenannten „alttestamentlichen Apokryphen“ (Judit, Tobit, Makkabäer,etc), als auch den Barnabasbrief und Teile des „Hirten des Hermas“. – Ich kenne keine einzige moderne Bibelausgabe, welche dieselbe Auswahl an Texten getroffen hat.

Dies bedeutet, dass es eine Original-Bibel, welche die alttestamentlichen Texte in Hebräisch und Aramäisch, sowie die neutestamentlichen Texte unserer Bibeln in Griechisch enthalten hätte, so weit wir wissen, nie gegeben hat.

Was wir über die Entstehung der Bibel wissen, spricht auch dagegen, dass es solch ein „Original“ jemals gegeben haben kann. – Eine Situation, die sich alle christlichen Fundamentalisten mal auf der Zunge zergehen lassen sollten…

 

Wandel der Zeiten

Das, was ich bis jetzt erklärt hab, vermittelt schon einen starken Eindruck vom Lauf der Geschichte. – Zeiten ändern sich. Sprachen ändern sich. Machtverhältnisse ändern sich. Menschen migrieren und werden verschleppt, und religiöse Bewegungen breiten sich aus. – Bibeln sind einzigartige Dokumente dieses Wandels.

 

Die Christenheit als „Bibel-Community“

Jesus selbst hat keinen einzigen Text hinterlassen. (!) Danach dauerte es dann noch drei (!) Jahrhunderte bis die ersten „Bibeln“ hergestellt wurden. (Dass der Name „Bibel“ hier nicht ganz unproblematisch ist, hab ich ja gerade erklärt.)

Besonders seit Erfindung der Massenherstellung von Büchern in der Renaissance und der zunehmenden Alphabetisierung, erfreuten sich Bibeln dann allerdings zunehmender Beliebtheit. Heutzutage können Milliarden Menschen Bibeln besitzen oder übers Internet auf die Texte zugreifen.

Biblische Texte spielten von Anfang an in der Christenheit eine große Rolle. Dies überrascht nicht, waren die ersten Christen doch alle Juden, welche ihre heiligen Texte lasen (oder hörten). Nach und nach wurden dann auch neue Texte von Jesus-Anhängern geschrieben. Kaum vorstellbar allerdings, dass sich z.B. Paulus schon bewusst gewesen wäre, dass sein Brief einmal in einer „Heiligen Bibel“ landen würde.

 

Die 4D-Bibel

Es gab nie ein „Bibel-Original“. „Bibel“ ist nicht ein Buch, sondern ein religionsgeschichtliches Phänomen der christlichen Geschichte.

Bis heute werden die biblischen Texte erforscht, Bibelausgaben überarbeitet, Textkritik betrieben, kommentiert und diskutiert. Die Gesamtheit all dieser Aktivitäten ist das, wofür das Wort „Bibel“ steht. Eine vierdimensionale „Bibel“ in ihrer Ausdehnung über Raum und Zeit. In dieser Ort und Zeitpunkt transzendierenden Dimension hat „Bibel“ auch eine gewisse „göttliche“ Qualität.

Die 4D-Bibel. – Ein vierdimensionales Symbol des Christentums.

 

Mehr als „Bibel“

Die Bibel ist allerdings weder mit dem Christentum identisch, noch war sie seine Quelle.

Das Leben, das Jesus vorgelebt hat, geht weit über „Bibel“ hinaus…

 

… dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.

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(Bibel, Neues Testament, Johannes-Evangelium 17. Kapitel, Vers 21)

 

Was hat Hebräisch mit dem Christentum zu tun?

 

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By W.pseudon (Own work) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

Wenn man einen Juden fragen würde, so würde dieser vielleicht antworten: „Gar nichts!“ – Das stimmt so natürlich nicht ganz. Die allerersten Christen waren ja alle Juden (auch wenn Juden aus Galiläa vielleicht Juden zweiter Klasse waren), Jesus (Jeschua) war ihr Rabbi und Hebräisch war die Sprache ihrer heiligen Texte.

Aber es gibt leider sehr viele Gründe, weshalb die Beziehung zwischen Christen und Juden belastet ist. Eine Verbesserung dieser Beziehung könnte zum Segen für die ganze Menschheit werden – immerhin sind statistisch ein Drittel der Weltbevölkerung Christen.

Die Überwindung der Kluft zwischen Juden, dem auserwählten Volk Gottes, und den anderen Völkern wurde schon in den Texten des Neuen Testaments als einer der bedeutendsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte gewertet.

 

… Ihr seid Gott jetzt nahe, obwohl ihr vorher so weit von ihm entfernt lebtet. Durch Christus haben wir Frieden. Er hat Juden und Nichtjuden in seiner Gemeinde vereint, die Mauer zwischen ihnen niedergerissen und ihre Feindschaft beendet …
(Bibel, Neues Testament, Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Ephesus, 2. Kapitel, Verse 13-14)

 

Hebräisch

Mehr als alle anderen Sprachen ist Hebräisch die Sprache „unserer christlichen“ Bibel, und damit auch die grundlegende Sprache der jüdisch-christlichen Überlieferung vom Glauben an den einen Gott und seinem Messias/Christus (bzw. Messiassen). – Auch wenn manche Liebhaber der King-James-Bible  mit dem Gedanken liebäugeln, ob die wahrhaft göttlich inspirierte Sprache nicht vielleicht doch Englisch ist.

Die meisten biblischen Texte wurden ursprünglich in Hebräisch verfasst, und auch die heiligen Texte der ersten Christen waren fast alles hebräische Texte. (Ein paar Textabschnitte im Alten Testament sind in Aramäisch.)

 

mündlich – schriftlich

In antiken Gesellschaften war Schreiben ein Luxus, der nur von einer kleinen Elite beherrscht wurde. Parallel zur Textproduktion gab es eine breite mündliche Erzähltradition, von der uns natürlich nur das überliefert ist, was in Textform für die Nachwelt erhalten blieb. Hebräisch war zunächst nur eine gesprochene Sprache; und auch nach der Erfindung von hebräischer Schrift war der weit überwiegende Sprachgebrauch selbstverständlich mündlich.

 

Aramäisch

Wie alle Sprachen, so hat auch Hebräisch eine Herkunft und Geschichte. Und wie alle anderen lebendigen Sprachen auch, so hat auch Hebräisch Einflüsse aus anderen Sprachen aufgenommen. Die augenscheinlichste Folge „fremder“ Einflüsse ist die hebräische Quadratschrift selbst, welche noch heute in Gebrauch ist. Diese Schrift wurde vom Reichsaramäisch entlehnt, das Verkehrssprache im Persischen Reich war und auch noch lange nach Alexander dem Großen große Bedeutung in der Region hatte.

Aramäisch war sicherlich auch die Muttersprache Jesu, und wir finden Spuren davon auch im Neuen Testament. (So sind z.B. die letzten Worte Jesu „Eli, Eli, lama asabtani“ ein Zitat aus dem 22. Psalm in  aramäischer  Übersetzung.)

 

 Gegen drei Uhr rief Jesus laut: »Eli, Eli, lema sabachtani?« Das heißt übersetzt: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«

(Neues Testament, Markus-Evangelium 15,34)

 

Griechisch

Mit Alexander breitete sich die griechische Sprache und der Hellenismus im Mittelmeerraum aus, sodass bald auch unter den Diaspora-Juden der Bedarf an griechischer Übersetzung wuchs. Es war dann die Septuaginta, die  große Bedeutung als griechische Übersetzung der hebräischen heiligen Texte erlangte.

Jeder, der schon einmal eine Fremdsprache gelernt hat, weiß, dass es unmöglich ist, eine andere Sprache zu lernen, ohne nicht auch etwas mit der fremden Kultur vertraut zu werden. Sprache transportiert Kultur und ist an sie gebunden.

Der kulturelle Druck, der durch die verbreitete griechische Sprache und dem Hellenismus auf die jüdische Tradition ausgeübt wurde, war enorm, und die Übertragung der heiligen Texte in eine fremde Sprache war eine große Herausforderung. – Bei Übersetzungen geht zwangsläufig immer etwas verloren bzw. wird verändert.

Es ist nur selten möglich den Spielraum für Deutung und Assoziation exakt in einer anderen Sprache zu reproduzieren. – Wie übersetzt man überhaupt ein grammatikalisches System, das grundsätzlich ein bisschen anders funktioniert? – Während Hebräisch und Aramäisch semitische Sprachen sind, ist Griechisch (und auch Latein, Deutsch, Englisch, …) eine indoeuropäische Sprache.

 

Latein

Nach den Griechen kamen die Römer, und in der Kirchengeschichte gewann Latein zunehmend an Bedeutung. Der im Judentum und der hebräischen Sprache verwurzelte Glaube an Jesus den Messias wurde in „fremden“ Sprachen gedacht, formuliert, gepredigt und erklärt. – Ist dabei vielleicht etwas Wesentliches verloren gegangen? Ist „theos“ oder „deus“ derselbe wie JHWH? Und hatten Christen beim Titel „Christus“ noch dieselben Assoziationen wie Juden beim erwarteten Maschiach?

Ich habe 2015 angefangen ein bisschen Hebräisch zu lernen und empfinde es als wunderbare Bereicherung zum Verstehen der biblischen Texte. (Ist allerdings wirklich nicht einfach.) Auch mit Hebräisch-Kenntnissen und dem „Urtext“ lassen sich allerdings nicht alle Fragen beantworten. Auch führt das gründlichere Studium der biblischen Texte nicht automatisch zu mehr oder besserem Glauben.

 

Heilige Texte

Schreiben von Gott ist der stammelnde Versuch mit Worten menschlicher Kategorien das Geheimnis des ewigen Gottes mit Buchstaben auf Papier zu heften. – Wie funktioniert so etwas überhaupt? Und wie kann es dann noch in eine andere Kultur übertragen werden? Ist das mündliche inspirierte Wort vielleicht besser als alte Texte? Solange Erzählungen noch mündlich überliefert werden, können sie sich an eine veränderte Wirklichkeit anpassen. Wenn sie erst in Textform erstarrt sind, veralten sie, während das Leben weitergeht …

Alle Buchreligionen haben das Problem, dass sich göttliche Offenbarung nicht auf vollkommene Weise in Texten konservieren lässt, weil Sprache sich verändert und erfolgreiche Kommunikation immer vom Zusammenhang abhängt. – Sollte das „richtige“ Verstehen der uralten heiligen Texte wirklich einer kleinen Elite von Altertumswissenschaftlern und Philologen vorbehalten sein, die den ursprünglichen Sinn noch am ehesten rekonstruieren können?

Paulus gab schon vor fast 2000 Jahren einem Mitarbeiter einen Rat:

 

 … Damals habe ich dich gebeten, in Ephesus zurückzubleiben und dafür zu sorgen, dass bestimmte Leute dort keine falschen Lehren verbreiten. Sie sollten sich nicht mit uferlosen Spekulationen über die Anfänge der Welt und die ersten Geschlechterfolgen befassen; denn das führt nur zu unfruchtbaren Spitzfindigkeiten, anstatt dem Heilsplan Gottes zu dienen, der auf den Glauben zielt. Jede Unterweisung der Gemeinde muss nämlich zur Liebe hinführen, die aus einem reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem aufrichtigen Glauben kommt. Davon haben sich einige abgewandt und haben sich in leeres Gerede verloren. Sie wollen Lehrer des göttlichen Gesetzes sein; aber sie wissen nicht, was sie sagen, und haben keine Ahnung von dem, worüber sie so selbstsicher ihre Behauptungen aufstellen.

(Die Bibel, Neues Testament, der erste Brief von Paulus an Timotheus, 1. Kapitel, Vers 3-7)

 

Authentisch von Gott reden

Wir brauchen ein gründlicheres Nachdenken über göttliche Offenbarung und darüber, wie wir authentisch von Gott reden können – erfasst vom Wirken Gottes in dieser Welt und himmlisch inspiriert. Vielleicht könnte man dann das traditionelle Theologisieren auf niedrigem Niveau überwinden.

Die kolossalen kulturellen Umbrüche, die wir heute erleben, sind eine riesige Chance, das Wesentliche am christlichen Glauben neu zu entdecken. Ein besseres Verstehen unserer jüdischen Wurzeln hilft dabei auch.

 

Göttliche Eltern

 

the_sacrifice_of_isaac_by_caravaggio„Die Opferung von Isaak“ von Caravaggio, via Wikipedia, public domain

 

Die Übermacht ist zu groß, der Gegner zu stark, der Feind zu unnachgiebig und unangreifbar. Ich hab keine Chance. – Was kann man da noch machen? Und was machen solche Erfahrungen mit uns?

Jeden Tag werde ich zum Opfer. Ich erleide Dinge, die ich nicht gewollt oder verdient habe. Oft nur Kleinigkeiten, aber manchmal auch traumatische Erfahrungen, die mich zu einem anderen Menschen machen.

 

Ihr Väter, behandelt eure Kinder nicht zu streng, damit sie nicht ängstlich und mutlos werden.

(Die Bibel, Neues Testament, Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Kolossai, 3. Kapitel, Vers 21)

 

Die einzigen Götter, die wir jemals zu Gesicht bekommen haben, waren unsere Eltern. Vielleicht war es auch eine alleinerziehende Mama oder der einsame Papa, eine Kinderkrankenschwester oder ein Erzieher im Kinderheim. Die großen Hände, die uns hochgenommen, und die starken Arme, die uns gehalten haben, garantierten Geborgenheit und Umsorgtsein. Oder auch nicht.

Allmächtig, allwissend, oberste Autorität. Kein Wenn, kein Aber. Stimme und Augen, die trösten und leiten. Ihre Worte und ihr Verhalten lehrten Denken und Sprechen. Sie waren eine rätselhafte Quelle von Freud und Leid.

 

Dann griff er nach dem Messer, um seinen Sohn zu töten. ‚Abraham, Abraham!‘, rief da der Engel des Herrn vom Himmel … ‚Leg das Messer beiseite, und tu dem Jungen nichts! …

(Tanach / Bibel (Altes Testament), Tora, Bereschith / Genesis / 1. Mose, 22. Kapitel, Verse 10-12)

 

Wie oft schon ist das Glück von Kindern auf den Altären von Ideologien oder persönlichen Interessen geopfert worden? – Keine Zeit für Kinder; wir sind gerade so beschäftigt …

Wie oft schon sind Kinder von ihrem Schicksal erlöst worden, weil jemand Erbarmen mit einem schwachen Kind hatte und eingriff und eine Wendung herbeiführte; weil sich jemand fand, der Zeit hatte …

Erinnerst du dich noch an deine Kindheit? An Freud und Leid? An die glücklichsten Momente?

 

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Sigmund Freund Porträt von Max Halberstadt [Public domain], via Wikimedia Commons

 

Kindheit kann sehr harmonisch sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und sich Eltern und Kinder aufeinander einlassen und sich gut aufeinander eingestellt haben. Alles eine Frage der Einstellung. Früher oder später, jedoch, wird auch eine solche Harmonie gestört. und das Aushalten auftretender Spannungen und das Verarbeiten entsprechender Konflikte ist ein notwendiger Teil des Erwachsenwerdens für Kinder und Eltern.

Wir beginnen als Kinder in einem Zustand völliger Abhängigkeit und werden zunehmend Selbst-bewusster und mündiger. Dennoch werden wir uns niemals völlig lösen von der Verbundenheit zu all den Generationen, die vor uns gewesen sind. (Wir haben’s in den Genen und im Gedächtnis.) Wir werden immer auf den Schultern derer stehen, die vor uns gelebt haben.

Wenn wir älter werden und dann vielleicht auch irgendwann einmal selbst Kinder haben, verstehen wir immer besser, dass auch unsere Eltern nur Menschen waren wie wir; dass sie selbst auch einmal die kleinen Kinder von Oma & Opa waren, welche wiederum mal die kleinen Kinder von Uroma & Uropa gewesen waren, welche wiederum … – Wir fangen an zu verstehen, dass wir alle Glieder einer Kette sind, über die das Geheimnis menschlichen Lebens von einer Generation an die nächste weitergegeben wird und immer wieder neu Gestalt annimmt.

Eltern sind nicht allmächtig. Wieviele Eltern wollten schon, dass es ihre Kinder einmal besser haben sollten? Man hatte so viele Wünsche und Pläne … und es kam ganz anders, als man gehofft hatte.

Eltern und Kinder. Ein Thema so alt wie die Menschheit. Es gibt Tausende von Büchern und Experten, und doch muss jede Generation und jede Familie immer wieder neu dieses Abenteuer bewältigen. Gibt es Ratschläge, die für alle und immer gut sind?

 

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, wie dir der Herr, dein Gott, geboten hat, auf dass du lange lebest und dir’s wohlgehe in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird.

(Tanach / Altes Testament, Tora, Devarim / Deuteronomium / 5.Mose 5,16)

 

Und viele Jahrhunderte später kommentiert der Apostel Paulus:

 

Ihr Kinder, seid gehorsam euren Eltern in dem Herrn; denn das ist recht. ‚Ehre Vater und Mutter‘, das ist das erste Gebot, das eine Verheißung hat: ‚auf dass dir’s wohlgehe und du lange lebest auf Erden‘. Und ihr Väter, reizt eure Kinder nicht zum Zorn, sondern erzieht sie in der Zucht und Ermahnung des Herrn.

(Die Bibel, Neues Testament, 1. Brief von Paulus an die Gemeinde in Ephesus, 6,1-4)

 

Unsere Eltern zu achten und uns entsprechend zu verhalten, ist wichtig für uns selbst und unsere Gesellschaft. Es ist grundlegend für die Weitergabe des Lebens von Generation zu Generation – und das nicht nur aus praktischen Erwägungen.

Jesus lehrt in der Bergpredigt, gleich im Anschluss an das sogenannte „Vaterunser“:

 

Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

(Matthäus-Evangelium 6,15).

 

Dies gilt im Allgemeinen für alle Menschen – und für Eltern im Besonderen. Wenn ich meinen Eltern nicht vergebe, ist das Band der Generationen an dieser Stelle gerissen; und wenn ich sie nicht annehme, wie sie sind, bleibe ich verwaist zurück.

Kann man ein Gleichgewicht finden zwischen Abhängigkeit und sinnloser Verbitterung? Einen Weg finden vom Zorn und Schmerz zum Trost? Wie könnte man Eltern vergeben? Vielleicht wenn man Liebe kennenlernt, die man nicht verdienen musste?

 

Gott hingegen beweist uns seine Liebe dadurch, dass Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren.

(Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Rom 5,8)

 

Als kleine Kinder erleben wir unsere Eltern wie Götter, und später hören wir Menschen von Gott reden. Gott ist anders als unsere Eltern, aber haben unsere Vorstellungen von Gott vielleicht trotzdem damit zu tun, wie wir unsere Eltern erfahren haben?

Ohnmächtig. So erscheinen wir oft oder fühlen uns selbst. Erfahren wir Gott in unserem Leben nur als eine Macht, der wir ohnmächtig gegenüber stehen, oder auch als eine, die uns hält und trägt, befähigt und ermächigt?