An die Kinder in uns …

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„Lasst doch die Kinder zu mir kommen, und hindert sie nicht daran! Gottes Reich ist ja gerade für solche wie sie bestimmt.“ (Markus 10,14) – Gemälde von Carl Heinrich Bloch, 19. Jahrhundert, via Wikimedia Commons, public domain

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„Meine lieben Kinder, ich schreibe euch diese Dinge, damit …“

(2. Kapitel des ersten Johannesbriefes – Bibel, Neues Testament)

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Der Verfasser des ersten Johannesbriefes spricht seine Leser*innen häufig mit „Kinder“ an. Dies ist ein typisches Kennzeichen der drei Johannesbriefe, die wir im Neuen Testament der Bibel finden.

Ist es nicht demütigend als „Kind“ bezeichnet zu werden?

Es heißt „die Wahrheit wird euch frei machen“ … – aber zunächst kränkt sie uns. Wenn wir erkennen, wo wir noch unreif sind und unsere Macken haben, ist dies in der Regel nicht nur ein angenehmes Gefühl …

Wir haben schon in der Kindheit alle eine gewisse Einseitigkeit ausgebildet, um mit den Herausforderungen der Wirklichkeit besser klar zu kommen. Einiges davon schadet uns selbst und anderen. Manche erkennen dies, wenn sie vom Alter her so ungefähr in der „Lebensmitte“ angekommen sind und manches nicht mehr so gut funktioniert oder so viel Spaß macht wie früher.

Es wäre gut, wenn wir unser Bewusstsein erweitern würden und gemeinsam in einen Ausgleich unserer Einseitigkeiten hineinwachsen würden: Schalom, Einfügen, Gleichgewicht finden, Einseitigkeiten ausbalancieren, Schattenarbeit, Heilung der Welt. Ganzheitliche, systemische Entfaltung anstatt individualistischer Selbstoptimierung. Wir brauchen die Verbindung zu anderen Menschen und gemeinsames Leben, um als Menschen unser Potential entfalten zu können.

Gelingt es uns, das Kindliche in uns und in anderen zu erkennen? Es anzusprechen und einzuladen, erwachsen zu werden?

Auf meiner Leseliste steht das Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl. Allein schon der Titel des Buches berührt eine Sehnsucht in mir: Heimat finden, Ankommen, Zuhausesein.

Hat jemand von euch schon das Buch gelesen? Habt ihr Eindrücke dazu?

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„Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens … – und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist …

Liebe Kinder, ich schreibe euch, dass euch die Sünden vergeben sind …“

(1. Johannesbrief)

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Christliche Mission im 21. Jahrhundert – Anachronismus oder Avantgarde

 

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Der Missionar Eric Jansson taufend in Brasilien, 1910; unbekannter Fotograf, via Wikimedia Commons – Public domain

 

Ein katholischer Priester schreitet langsam in weißem Gewand durch das grüne Paradies des Dschungels. Die dunkelhäutigen Indios seiner noch jungen Gemeinde werden kämpfend einer nach dem andern von feindlichen Soldaten erschossen. Rotes Blut im grünen Paradies. Opfer des europäischen Imperialismus.

Ein in die Jahre gekommener, feuriger Prediger legt seine schwarze Bibel vor den Bagger und rettet so sein Gemeindehaus vor dem Abriss. Als Teil einer “Chain Gang” predigt er später noch seinen schwitzenden Mitgefangenen. Er war verurteilt worden, weil er im Affekt den Liebhaber seiner Frau mit einem Baseballschläger erschlagen hatte.

Mission hat eine lange Geschichte

“Christliche Mission”. Der Begriff weckt je nach Weltanschauung und persönlicher Erfahrung sehr unterschiedliche Gefühle. Sogar für die Kinoleinwand wurde das Thema bearbeitet. Vom katholischen Priester im Lateinamerika des 18. Jahrhunderts in “Mission”, bis hin zum charismatischen Prediger in den Südstaaten der USA des 20.. Jahrhunderts in “Apostel!”. Mission hat eine lange Geschichte. Viele Orte, viele Menschen, viele Kulturen, viele Sprachen,…

Viele kennen unangenehme Missionierungsversuche

Mission findet heutzutage nicht mehr nur in weit entfernter Übersee statt. Durch Säkularisierung und Migration wohnen auch im “christlichen Abendland” Christen und “Heiden” Tür an Tür. Wo auch immer Mission betrieben wird, “avantgardistisch” wird wohl kaum die Bezeichnung sein, welche den meisten Menschen dabei einfällt.

Viele bezweifeln sogar, dass Mission überhaupt jemals eine gute Sache gewesen ist. In ihr wird ein Mangel an Toleranz und eine Respektlosigkeit gegenüber der Individualität des einzelnen Menschen vermutet. Manche sprechen von “Kulturimperialismus”. Christliche Mission hat den unangenehmen Beigeschmack von Egozentrik bekommen, die bemüht ist, andere für die eigene Überzeugung zu gewinnen. Die historische Selbst-verständlichkeit von Kirche und Christentum im in die Jahre gekommenen christlichen Abendland gehört mittlerweile der Vergangenheit an.

Die bunte Vielfalt christlicher Identität(en)

Die alte Bezeichnung “christlich” ist über viele Jahrhunderte hinweg zu einem schillernden Begriff geworden. Manche sprechen sogar in der Mehrzahl von “Christenheiten” und “Christentümern”. Es soll die kaum noch überschaubare Uneinheitlichkeit christlicher Identität in Vergangenheit und Gegenwart zum Ausdruck bringen. Dem entspricht auch eine Fülle unterschiedlicher missionarischer Aktivitäten. Von großflächigen Plakaten, über Glaubenskurse, hin zu Missionierenden, welche an die Tür klopfen. Man könnte auch von “christlichen Missionen” im Plural sprechen.

Was ist “christliche Mission”?

Nach fast 2000 Jahren Christentum ist die Frage, was genau man unter “christlicher Mission” zu verstehen hat, nicht so einfach zu beantworten. All die unterschiedlichen Selbstverständnisse und Ausdrucksformen gegeneinander abzuwägen, würde allerdings den begrenzten Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen. Stattdessen richte ich – inspiriert vom Begriff “avantgardistisch” – den Blick in die Zukunft, und frage:

Wie müsste christliche Mission denn aussehen, um das Prädikat “avantgardistisch” zu verdienen? Welche Kriterien müsste sie erfüllen?

Ein neues altes Christentum?

Kann etwas so Altes wie das aus der Antike stammende Christentum überhaupt noch avantgardistisch sein? – Altes nur aufzuwärmen und hübsch garniert erneut zu servieren, würde man doch wohl kaum als “avantgardistisch” bezeichnen, oder?

“Christlich” ist heute eine Sammelbezeichnung für eine Fülle religiöser Erscheinungs-formen, welche sich irgendwie auf Jesus von Nazareth berufen. All die Widersprüche und Streitigkeiten innerhalb des Christentums lassen allerdings erahnen, dass die Christenheit in ihrer Breite wohl noch nicht ganz verstanden haben kann, was Jesus gewollt hatte.

Der Jesus-Impuls

Jesus selbst hat uns keinen einzigen Text hinterlassen. Aber in den vielen Texten des frühen Christentums und den Erzählungen von Jesus begegnet uns die innovative spirituelle Kraft dieses Menschen. Die christliche Religion ist heute statistisch die größte Weltreligion. Offensichtlich war der Impuls, der von dem Mann aus Nazareth ausging, stark genug, um das Christentum entstehen und über den gesamten Erdball wachsen zu lassen.

Ein Visionär aus einem galiläischen Dorf

Haben all die Christen, welche sich nach Jesus Christus benennen, auch die große Vision verstanden, welche dieser Mann aus Nazareth gehabt hat? Ist das kirchliche Christentum in seiner Breite vielleicht zurückgefallen auf eine Stufe organisierter, kleinbürgerlicher Religiosität, welche es in ähnlicher Weise auch schon vor Jesus gegeben hatte? Wenn es gelänge, die innovative Kraft der Spiritualität von Jesus und vom frühen Christentum für unsere Zeit wiederzuentdecken, wäre das dann avantgardistisch?

Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft

Avantgarde ist kein Tagesgeschäft, sondern hat zu tun mit den langfristigen Prozessen einer Kultur. Die fortschrittlichsten Menschen einer Epoche wurden häufig erst nach ihrem Tod von der Masse der Menschen als solche erkannt. Entscheidendes Kriterium für das Prädikat “avantgardistisch” ist nicht die Popularität dessen, was man tut, in der Gegenwart, sondern dessen Wirkung in der Zukunft.

Wir können als Menschheit zurückblicken auf eine spektakuläre Geschichte, voller Errungenschaften und Grausamkeiten. Um im Zeitalter von Superlativen und Globalisierung als Menschheit überleben zu können, brauchen wir für die Zukunft allerdings eine bessere Kultur. Finanzielle Macht, militärische Stärke oder wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dürfen nicht länger die gestaltenden Kräfte sein. – Wie mag die Avantgarde einer solchen Kultur wohl aussehen?

Visionen haben eine Quelle

Visionäres erwächst in der Kultur, in der es beheimatet ist. Es sind nicht einfach nur neue verrückte Ideen, sondern es besteht ein innerer Zusammenhang zum Alten. Die Orientierungskraft ergibt sich aus der aus dem Alten erwachsenen und schon im Alten angelegten Richtung einer Entwicklung.

Jesus erwuchs aus der Frömmigkeit und den Hoffnungen seines Volkes und seiner Kultur. In den Erzählungen der frühen Christenheit, die von Jesus überliefert sind, knüpft Jesus an vielfältigen Erfahrungen von Menschen an, Alltagserfahrungen und religiöse Vorstellungen, und einige erkannten offensichtlich das Visionäre seiner Botschaft.

Menschen erzählen von Jesus

Die Erzählungen von Jesus sind voll von uralten menschlichen Themen: Suchen und Finden, Himmel und Erde, Schuld und Vergebung, Dämonen und Engel, Gerechtigkeit und Unrecht, Heil und Scheinheiligkeit, Krankheit und Heilung, Gott und Teufel, Frieden und Unfriede. Die multi-ethnische Jesus-Bewegung des 1.. Jahrhunderts war eine Lerngemeinschaft. Christen lernten durch Jesus über das Himmelreich und wurden zugleich Teil von ihm. Inmitten der harten Realität nahm eine bessere Welt in der Gemeinschaft der Jesus-Anhänger Gestalt an. In der frühen Christenheit breitete sich schnell die Überzeugung aus, dass Jesus nicht einfach nur die Mängel einer alten Religion reparieren wollte, sondern dass mit ihm etwas völlig Neues gekommen war.

Harter Alltag, aktive Hoffnung, neuer Wein

Kultur kann sich abnutzen und ihre gestaltende Kraft verlieren. Alte Traditionen reichen nicht mehr aus, um den Erfordernissen der Gegenwart gerecht zu werden. Es entsteht ein Bedürfnis nach Neuem. Avantgarde ist ein Angebot zur Befriedigung dieses Bedürfnisses.

Zur Zeit von Jesus litt sein Volk unter der gewaltsamen Unterdrückung und Ausbeutung durch das römische Imperium. Im Wirken von Jesus wurden für die Menschen gewaltlose Alternativen zum trostlosen Alltag deutlich und Hoffnung greifbar. In der Entstehung des Christentums findet die religionsgeschichtliche Entwicklung des Judentums einen vorläufigen Höhepunkt. Unterschiedliche Motive und Traditionslinien jüdischer Frömmigkeit münden in einer innovativen Spiritualität, welche das Judentum vorher so noch nie gesehen hatte.

Jesus gründete seine Botschaft auf der alten Frömmigkeit seines Volkes, und macht gleichzeitig deutlich, dass nun etwas Neues kommt. Er sprach von der Notwendigkeit von neuen Verpackungen für einen jungen, noch gärenden Wein: Neuer Wein in neuen Schläuchen!

Eine familienfreundliche und generationengerechte Alternative

Es ist schwer, etwas Genaues über die Zukunft zu sagen. Eines hat bis heute allerdings immer gestimmt: Die Kinder sind die Zukunft. Wer die Kultur von Morgen sucht, sollte dabei die Kinder von heute nicht vergessen. Die frühe Christenheit knüpft an eine Verheißung aus den heiligen Texten des Judentums an: “Siehe, ich will euch senden den Propheten […] Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern…” (Maleachi). Wenn man eine Kultur sucht, die generationsübergreifend funktionieren soll, wäre es sinnvoll, diese familienfreundlich zu gestalten. – In einem Jesus-Zitat heißt es: “Wer das Reich Gottes nicht wie ein Kind annimmt, wird nicht hineinkommen.”

Die Religion der Bergpredigt

In den Texten der Evangelien fordert Jesus eine radikale Solidarität mit jedem Mitmenschen – nicht nur Solidarität zwischen den Generationen. “Selig sind die Barmherzigen…” heißt es z.B. in der Bergpredigt. Sogar Feindesliebe wird von ihm gefordert. Statt Superlative, Konkurrenzkampf und Ellenbogenmentalität ein solidarisches Miteinander. Insbesondere im Zeitalter nuklearer Bedrohung wohl alternativlos. Wir haben als hochgerüstete Menschheitsfamilie nur eine gemeinsame Zukunft, oder wir haben gar keine. Auch unsere moderne Hochleistungsgesellschaft funktioniert nicht gut für alle Menschen. Kranke, Alte und Behinderte fallen schnell aus dem “normalen” Leben raus. Eine Gesellschaft der Nächstenliebe würde anders aussehen.

Wir brauchen zeitlose Werte

In unserer schnelllebigen Zeit kann man schnell das Bewusstsein für die größeren Zusammenhänge und den Blick für zeitlose Werte verlieren. Wir brauchen Werte, welche auch in der Zukunft noch Bestand haben werden, einer Zukunft, die ganz anders sein wird als unsere Vergangenheit, die wir kennen. Avantgarde ist genau die Kultur, die Neues und Altes in solcher Weise verbindet, dass sie sich in der Zukunft etablieren wird. Damit wir als Menschheit überleben können, muss dies eine lebensfreundliche Kultur für alle Lebewesen sein. Vertrauen ist ein kostbares Gut.

Vom Sammeln himmlischer Schätze

Die frühe Christenheit weiß um die Vergänglichkeit weltlichen Luxus und strebt nach höheren Idealen. In einer Zeit der Massenproduktion und des maßlosen Konsums weist das Vorbild jesuanischer Spiritualität den Weg in eine nachhaltige Zukunft. Liebe ist mit Abstand der wichtigste Wert der Religion von Jesus. Liebe zu Gott, zum Mitmenschen, zu sich selbst und zur ganzen Schöpfung. In einer Welt, die kleiner wird, und wo die Ressourcen knapper werden, brauchen wir Kompetenz, die Wertvolles zu bewahren weiß.

Wir leben in komplexem Terrain

Unsere moderne, globalisierte Welt ist komplex. Wir brauchen Dinge in unserem Leben, die uns helfen uns zu orientieren und einen Lebensweg für uns zu finden, der zu uns selbst und unseren Rahmenbedingungen passt. Eine Art “Lebensphilosophie” oder Bauchgefühl, das auch in Krisen noch funktioniert und uns in einer manchmal chaotischen Welt noch Zuhause fühlen lässt. “Spiritualität” ist wohl ein populärer Begriff unserer Zeit, der gut dazu passt. Bestsellerautor Harari ist nicht der Einzige, der Spiritualität für eine Schlüsselkompetenz des Menschen von Morgen hält. Wir sollten heute lernen, was wir morgen brauchen werden. In der Bergpredigt beschreibt Jesus den Weg einer einfachen, verinnerlichten Spiritualität.

Christentum als Quelle von Jesus-Spiritualität

Das Christentum hat noch nicht ausgedient. Wir könnten heute in ihm die Spiritualität finden, die wir morgen brauchen werden, und eigentlich schon gestern gebraucht haben. Mission ist viel mehr als der Aufruf zur Anerkennung von Glaubenssätzen. Sie ist der Ver-such die Notwendigkeit eines Mentalitätswechsels aufzuzeigen, und die Einladung in eine himmlische Gegenkultur zu einer kranken Welt.

Christliche Mission hat seit jeher ein avantgardistisches Moment: Sie verweist auf eine bessere Welt, die noch nicht Gestalt gewonnen hat. Seit fast 2000 Jahren reden Christen von dem Zukünftigen, das bis heute im großen Stil noch nicht verwirklicht worden ist:

Das Kommen des Himmelreiches.

Leben mit Utopien und ohne Illusionen

Die ersten Christen hofften auf eine bessere Welt und erlebten gleichzeitig die raue Wirklichkeit. Sie machten sich keine Illusionen über einen sanften Weg in die Zukunft. Sie erlebten und glaubten, dass die neue Welt durch Leiden zu uns kommt. Die Gemeinschaft der ersten Christen bildete sich unter dem Symbol des Kreuzes, an dem ihr Held für seinen Glauben gestorben war und der Menschheit den gewaltlosen Weg in eine bessere Zukunft weist. Liebe muss gelebt werden, um zu überzeugen.

Zusammenarbeit von Wissen und Glaube

Wissenschaftler haben in der Moderne ein enormes Wissen zusammengetragen. Auch christliche Gelehrte sind in den vergangenen Jahrhunderten nicht untätig gewesen. Moderne Bibelwissenschaft, Theologie und interdisziplinäre Forschung ermöglichen es uns heute den christlichen Glauben besser zu verstehen, als jemals zuvor. Ein breiteres Geschichtsbewusstsein und Verständnis für andere Kulturen gibt uns dafür zusätzlich noch einen weiten Horizont.

Ein modernes Konzept, das die avantgardistische Qualität des christlichen Glaubens aufzeigt, nennt sich beispielsweise “Integrales Christentum”. Es macht den Reichtum, die kreative Kraft und das richtungsweisende Potential der christlichen Tradition nachvollziehbar. Die Spiritualität von Jesus nimmt hier für unsere Zeit erneut Gestalt an.

Ein Integrales Christentum

Behaupten tut dies zumindest die evangelische Theologin Marion Küstenmacher. Zusammen mit ihrem Mann und einem weiteren Theologen hatte sie vor ein paar Jahren das Buch “Gott 9.0” herausgebracht. Wie auch viele andere Christen, setzt sie sich für ein avantgardistisches Christentum ein. Marion Küstenmacher veröffentlichte dann vor zwei Jahren ein Buch mit dem Titel “Integrales Christentum” und reagierte damit auf die Wünsche vieler Leser von “Gott 9.0”, die sich mehr praktische Anleitungen zum Konzept des Integralen Christentums wünschten.

Die erfolgreiche Schriftstellerin Marion Küstenmacher

Die 1956 in Würzburg geborene Marion Küstenmacher ist eine der erfolgreichsten christlichen Schriftstellerinnen. Ähnlich wie ihr Mann, Werner Tiki Küstenmacher, verfasste sie eine Vielzahl von Büchern. Beide haben drei erwachsene Kinder. Über ihre schriftstellerische Tätigkeit hinaus ist Marion Küstenmacher in den Bereichen Lebenshilfe und Persönlichkeitsentwicklung tätig.

Eine spirituell erfahrene christliche Biographie

Marion Küstenmacher besitzt jahrzehntelange intensive Erfahrungen aus der christlichen Szene. Sie stammt aus einer Familie, in der seit 150 Jahren gemischt konfessionell geheiratet wurde. Bereits als Kind und Jugendliche hatte sie einige naturmystische Erlebnisse und las ihr erstes Mystikbuch, welches sie tief beeindruckte. Anfang der 70er besuchte sie “Hippiegottesdienste” im Saal eines Missionsordens und wurde Teil einer Teestubengemeinde. Sie studierte Theologie und Germanistik und arbeitete als Lektorin beim Claudius-Verlag mit den Schwerpunkten Psychologie und Spiritualität.

Ken Wilber – Philosoph und Visionär

1997 verlor Marion Küstenmacher in der Mitte der Schwangerschaft ihr Baby und fiel danach in eine seelische Krise. Halfen tat ihr ein Buch des amerikanischen Philosophen Ken Wilber. Sie vertraute Wilber, weil sie wusste, dass dieser selbst nach wenigen Jahren Ehe seine Frau durch Krebs verloren hatte. Ken Wilber, von der Transpersonalen Psychologie kommend, formulierte in den 90er Jahren die Integrale Theorie, von der auch das Integrale Christentum seinen Namen bekommen hat. Entstanden ist das Integrale Christentum in den USA, wo es mittlerweile auch schon integral ordinierte Pastoren und ein internationales integral-christliches Netzwerk gibt.

Kann Christentum multiperspektivisch sein?

Die Integrale Theorie erklärt u.a. auch, warum es unterschiedliche Perspektiven – auch im christlichen Glauben – geben muss. Sie weist damit einen Weg für Ökumene, interreligiösen Dialog und Interspiritualität. Laut Marion Küstenmacher hat all dies eine klare Richtung: “hin zu immer mehr Mitgefühl, Inklusivität und Liebe, wie sie uns Jesus, der Lebendige, vorgelebt hat.”

Es gibt avantgardistische christliche Mission!

Die Einladung zum Integralen Christentum ist ein Bespiel für eine avantgardistische christliche Mission. Integrales Christentum ist keine vage philosophische Idee und auch kein neues Arrangement alter religiöser Symbole, sondern ein bis ins Alltägliche heruntergebrochenes und durchdekliniertes zeitgemäßes und innovatives Christentum. Es hilft, die Bedeutung der biblischen Texte und die mystische Tiefe der Überlieferung von Jesus aus Nazareth für unsere Zeit zu verstehen. Integrales Christentum führt die unter-schiedlichen christlichen Traditionslinien zusammen und verbindet sie in einem in sich stimmigen Narrativ. Es erklärt den Reifungsprozess des einzelnen Menschen in Verbindung mit der kulturgeschichtlichen Entwicklung der Menschheit und zeigt die Bedeutung von Spiritualität für die Zukunft auf. Sie gibt dem Einzelnen praktische Übungen an die Hand, mit denen er selbst gleich anfangen kann.

Eine Vision, die man leben kann

Der Umfang dieses Artikels reicht nicht aus, um Integrales Christentum hier noch detaillierter zu erklären. Aber er reicht aus um darauf hinzuweisen: Es gibt sie schon die avantgardistische christliche Mission, und wer neugierig geworden ist, hat die Möglichkeit, sich damit vertraut zu machen und sie auszutesten. Integrales Christentum beschreibt eine zeitgemäße christliche Spiritualität. Darüber hinaus ist es visionär und lässt erahnen, was alles noch vor uns liegt. Es ist die lebendige Weiterführung einer Entwicklung, die wir schon in Geschichte und Gegenwart erkennen können.

Himmelreich: Die Transformation der Welt

Es gibt Menschen, die Marion Küstenmacher und ihre Mitstreiter kritisieren. Dies ist auch notwendig, da kein Konzept die Wirklichkeit hundertprozentig abbilden kann. Es ist wichtig, sich mit Stärken und Schwächen eines Konzepts vertraut zu machen. Mit solch modernen Konzepten erscheint es allerdings mehr als plausibel, dass Religion, Spiritualität und auch noch das Christentum in der Zukunft von großer Bedeutung sein werden. Christen verstehen sich als Teil des kommenden Himmelreiches, von dem Jesus gesprochen hat. Christliche Mission hatte in diesem Sinne seit jeher den Anspruch, Avantgarde zu sein. Mit dem integral-christlichen Konzept kann jeder praktisch ausprobieren, wie dies in unser modernen Welt aussehen kann.

“Reformation war gestern. Die Zukunft des Christentums gehört der Transformation.”

(Marion Küstenmacher)

„Hungrige Missionierende“ (10.Teil): 1. Ansatzpunkt: Die individuelle religiöse Erfahrung von Christus ernst nehmen

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

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Religionen, von Neitram via Wkimedia Commons – public domain

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
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(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

Die nächsten Schritte

Ich will nun versuchen zu skizzieren, was die nächsten Schritte sein könnten. Bestimmt gibt es auch sinnvolle Ansätze, an die ich nicht gedacht habe. Benutzt also gerne die Kommentar-Funktion und lasst eurer Fantasie freien Lauf…  😉

 

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Segensgestus auf einer Christus-Ikone (14. Jahrhundert) via Wikimedia Commons, public domain

 

1. Ansatzpunkt: Die individuelle religiöse Erfahrung von Christus ernst nehmen

Bei dieser Überschrift werden bei einigen Traditionsliebhabern wahrscheinlich die Alarmglocken läuten. Manche Christen werden bei Begriffen wie „Liebe“, „Freiheit“, „Heiliger Geist“, „Spiritualität“, u. Ä. nervös, und sicherlich haben viele von uns schon negative Erfahrungen mit bestimmten christlichen Individualisten gemacht, die gerne ihren Stil leben wollen, sich nicht gut in die Gemeinschaft einfügen und sich nichts sagen lassen. – Am Umgang mit solchen Typen wird so einiges deutlich von christlicher Freiheit und der Qualität christlicher Gemeinschaft.

 

„Alles ist erlaubt – aber nicht alles nützt. Alles ist erlaubt – aber nicht alles baut auf.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 10,23 – Neues Testament)

 

Als soziale Wesen bedeutet Leben für uns immer individuelles und kollektives Leben zugleich – so auch beim geistlichen Leben. Kein Baby überlebt, wenn nicht andere Menschen da sind, die sich um es kümmern. Im Johannes-Evangelium wird das Entstehen geistlichen Lebens („ins Reich Gottes kommen“) mit der Geburt eines Kindes verglichen. Gut, wenn auch dann eine Gemeinschaft da ist, die sich um zartes geistliches Leben kümmert.

 

„Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“

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(Jesus im Johannes-Evangelium 3,3 – Neues Testament)

 

Die authentische, subjektive religiöse Erfahrung des Einzelnen ist der Ausgangspunkt für geistliche Gemeinschaft. Geistliche Gemeinschaft ist die Gemeinschaft von Menschen, welche eine solche Erfahrung gemacht haben. Eine „geistliche Geburt“ ist Teil der persönlichen Biografie. Diese Erfahrungen und Biografien gilt es angemessen zu würdigen und Menschen in ihrer spirituellen Entfaltung zu begleiten und Verbindendes aufzuspüren.

Religiöse Gruppen haben oft einen Hang zum Konservativen, und die Bedürfnisse des Einzelnen kommen da manchmal gegenüber den Interessen der Gruppe und der Tradition zu kurz. Dabei ist es doch der Einzelne, der erlöst und neu geboren wird. Christliche Gemeinschaft besteht doch gerade aus Menschen, welche solch eine individuelle Erfahrung gemacht haben und machen.

 

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Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher – via Wikimedia Commons

 

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

Schleiermacher (1786-1834) ist in diesem Zusammenhang sicherlich immer noch einer, der maßgeblichen Theologen:

 

„Schleiermacher hatte einen klaren Blick für die Selbständigkeit der Religion, er bekräftigte die Bedeutung des religiösen Erlebens des einzelnen Glaubenden und leitete damit eine entscheidende Wende ein.“

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(Lauster, Die Verzauberung der Welt)

 

In Wissenschaft und Theologie ist in den vergangenen 200 Jahren viel passiert. In der Breite der real-existierenden Christenheit, in kirchlicher Praxis und persönlicher Frömmigkeit sind wir allerdings kaum weiter als vor 200 Jahren. Es ist höchste Zeit, dass wir eine (selbst-)kritische Bestandsaufnahme machen und den Mut haben für einen weiten Blick auf unseren christlichen Glauben.

 

 

 

Gedeutete Erfahrung

Erfahrung ist immer gedeutete Erfahrung. Unsere Biografie und unsere Kultur stellen uns Deutungsmuster zur Verfügung. Die religiöse Erfahrung selbst ist nicht mangelhaft, die Deutung der religiösen Erfahrung kann dies allerdings schon sein.

Erst die Verbindung zur christlichen Tradition (Kollektiv) macht eine Erfahrung zu einer „christlichen“ Erfahrung, und die Deutung unserer Erfahrungen mag sich im Laufe unseres Lebens auch verändern. Im ersten Teil unserer Bibeln können wir beobachten, wie das jüdische Volk im Lauf ihrer Geschichte immer wieder erwogen hat, welche Bedeutung ihre Tradition (die Erfahrungen der Ahnen) für ihr gegenwärtiges Leben hat.

 

„Höre, mein Volk; lass dich warnen, Israel! – Wenn du doch auf mich hören würdest!

Du sollst keine anderen Götter neben mir haben, wie sie bei fremden Völkern verehrt werden – bete solche Götzen nicht an!

Denn ich bin der HERR, dein Gott, ich habe dich aus Ägypten herausgebracht. Von mir sollst du alles erwarten, und ich werde dir geben, was du brauchst!“

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(81. Psalm, Verse 9-11 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Individuelle religiöse Erfahrungen haben ihren eigenständigen Wert, auch wenn die „kollektive Verwertbarkeit“ in der christlichen Gemeinschaft nicht immer erkennbar ist.

Wenn es in der jüdisch-christlichen Überlieferung etwas gibt, das zeitlos bestand hat und für jeden Menschen aller Zeiten, Kulturen und Sprachen (also auch für die Menschen bei uns auf der Straße) von Bedeutung ist, dann muss auch jede echte religiöse Gotteserfahrung – logischerweise – mit diesen zeitlosen Werten Überschneidungen haben. Diese Überschneidungen gilt es jeweils aufzuspüren und zu integrieren, um Kontinuität und Zukunftstauglichkeit einer lebendigen religiösen Kultur zu gewährleisten.

 

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„Lasst doch die Kinder zu mir kommen, und hindert sie nicht daran! Gottes Reich ist ja gerade für solche wie sie bestimmt.“ (Markus 10,14) – Gemälde von Carl Heinrich Bloch, 19. Jahrhundert, via Wikimedia Commons – Public domain

 

Jesus und die Kinder

Komplizierter wird es durch die Kinder, welche in die christliche Gemeinschaft hineinwachsen. Sie lernen christliche Inhalte und Werte kennen, ohne dass sie notwendigerweise ein tiefgreifendes religiöses Erlebnis im Sinne von Joh 3 haben. In christlichen Traditionslinien ist dieses Problem unterschiedlich gelöst worden. Die Praxis der Konfirmation scheint mir dabei allerdings keine optimale Lösung zu sein.

 

„Ich versichere euch: Wer sich Gottes Reich nicht wie ein Kind schenken lässt, der wird ganz sicher nicht hineinkommen.“

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(Jesus im Lukas-Evangelium 18,17 – Neues Testament)

 

Die Frage, ob es eine „christliche Sozialisation“ im Geiste Jesu überhaupt gibt bzw. was das denn genau sein soll, trifft das Herz des Christentums. Sie hat grundlegende Bedeutung für die Geschichte und Gegenwart der Christenheit und hat mit wichtigen Begriffen der Theologie und Praxis zu tun (z.B. „Taufe“).

 

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Der Apostel Paulus. Ein Gemälde von Bartolomeo Montagna, via Wikimedia Commons. – Unwahrscheinlich, dass Paulus eine Bibel auf dem Arm gehabt hat.  😉  – Public domain

 

Paulus – ein hungriger Missionierender

Die Briefe von Paulus gehören wahrscheinlich zu den ältesten erhaltenen christlichen Texten und geben uns tiefe Einblicke in das Seelenleben eines Missionierenden. Obgleich wir bei Paulus kaum Details aus dem Leben Jesu finden, ist die Nähe des Jesus, von dem die Evangelien erzählen, auch bei Paulus greifbar.

Wir sehen in seinen Briefen auch die große Bedeutung, welche seine persönlichen mystischen Erfahrungen des Christus für seine Mission gespielt haben, und wir können erkennen, welch große Bedeutung er dem Wirken des Geistes Gottes im Leben des Einzelnen beigemessen hat (z.B. Röm 7-8, Gal 5).

 

„Paulus, Apostel, berufen nicht von Menschen oder durch menschliche Vermittlung, sondern unmittelbar von Jesus Christus…

Das Evangelium, das ich verkünde, ist nicht menschlichen Ursprungs. Ich habe diese Botschaft ja auch nicht von einem Menschen empfangen und wurde auch nicht von einem Menschen darin unterwiesen; nein, Jesus Christus selbst hat sie mir offenbart…

…dann hat Gott beschlossen, mir seinen Sohn zu offenbaren…

Als er mir nun seinen Sohn offenbarte – mir ganz persönlich – , gab er mir den Auftrag, die gute Nachricht von Jesus Christus unter den nichtjüdischen Völkern zu verkünden…“

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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien, 1. Kapitel – Neues Testament)

 

Mein Eindruck ist, dass wir heutzutage weitgehend eine bessere Balance zwischen der Übermacht der Traditionsgemeinschaft (2000 Jahre Christentum in einer Vielfalt von Traditionslinien) und dem religiösen Erleben und der Lebenserfahrung des Einzelnen brauchen.

Manche Menschen neigen dazu, sich der Mehrheitsmeinung anzupassen. Dies ist nicht immer gut. Auch in der „Heiligen allgemeinen Kirche“ und der “Gemeinschaft der Heiligen” gibt es stinknormale gruppendynamische Prozesse.

 

„Wenn ihr jedoch wie wilde Tiere aufeinander losgeht, einander beißt und zerfleischt, dann passt nur auf! Sonst werdet ihr am Ende noch einer vom anderen aufgefressen.

Was will ich damit sagen?

Lasst den Geist Gottes euer Verhalten bestimmen, dann werdet ihr nicht mehr den Begierden eurer eigenen Natur nachgeben.“

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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 5,15-16)

 

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Jesus und die samaritanische Frau am Brunnen, Johannes-Evangelium 4. Kapitel; Gemälde von Henryk Siemiradzki via Wikimedia Commons – Public domain

 

Jesus und Du

In den Erzählungen über Jesus lesen wir, wie er einzelnen Menschen besondere Aufmerksamkeit schenkte und sich Ausgegrenzten zuwendete. – Die Beachtung des Einzelnen mit seinen Bedürfnissen und Nöten, mit seiner persönlichen Biografie und seinen Lebensumständen ist beste jüdische und jesuanische Tradition.

 

„Wenn ihr begriffen hättet, was das heißt:

‚Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer,‘ [Hosea 6,6]

dann hättet ihr nicht Unschuldige verurteilt.“

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(Jesus im Matthäus-Evangelium 12,7)

 

Mitgefühl und Barmherzigkeit sind grundlegende Begriffe nicht nur im Christentum, sondern auch in anderen Religionen. Empathie ist auch nicht nur eine menschliche Fähigkeit.

 

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Bonobo, Foto von Kabir via Wikimedia Commons – CC BY-SA 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)

 

„Grau ist alle Theorie…“

Die theoretische Beschäftigung mit der Überlieferung von Jesus ist nicht der einzig mögliche Zugang zum christlichen Glauben. Man kann auch einfach das, was man über diesen Mann lernen kann, als Einzelner und in christlicher Gemeinschaft praktisch ausprobieren.

Ein Christ, der sich nicht real in seinem alltäglichen Leben auf den Weg Jesu begibt und die Lehre von Jesus selbst ausprobiert, ist ein toter Christ. Es gibt kein lebendiges Christsein, das sich nur im Kopf abspielt.

„Darum gleicht jeder, der meine Worte hört und danach handelt, einem klugen Mann, der sein Haus auf felsigen Grund baut…“

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(Jesus im Matthäus-Evangelium 7,24)

 

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Kampf auf der Karriereleiter: Plastik von Peter Lenk an der Invesitionsbank, Bundesallee 210, Berlin; von Bukk [Public domain], from Wikimedia Commons
 

Geistliche Armut – individuell und kollektiv

Auch wenn Christen vom „erfüllten Leben“ durch Jesus sprechen, fühlt man sich auch als Christ manchmal leer und hofft auf Erbauung durch die Gemeinschaft mit anderen Christen. Anstatt dem Mangel Aufmerksamkeit zu schenken und Gründe zu erforschen, wird leider häufig oberflächlich darüber hinweggegangen.

Ich habe in Gemeinden und Kirchen auch manchmal den Eindruck bekommen, dass das Interesse an „erfolgreichen“ Veranstaltungen und soliden Finanzen größer war, als das Interesse an der Seele des einzelnen Menschen.

 

„Du sagst:

‚Ich bin reich und habe alles im Überfluss, es fehlt mir an nichts‘,

und dabei merkst du nicht, in was für einem jämmerlichen und erbärmlichen Zustand du bist – arm, blind und nackt.“

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(Offenbarung 3,17 – Neues Testament)

 

Natürlich kann das Interesse am Einzelnen auch übergriffig werden und zu geistlichem Missbrauch führen, aber Gefahren sind immer die Begleiterscheinung von Freiheit. Wo Menschen frei sind, können sie diese Freiheit auch missbrauchen oder einfach Fehler machen. Eine grundsätzlich gesunde Kultur des Umgangs mit einander ist da ein guter Schutz.

Wenn wir den erlebten geistlichen Mangel transparent machen würden und offen damit umgingen, als Einzelne und als Gruppen, dann wäre dies schon der erste Schritt in die richtige Richtung. Das Um-denken im Wahrnehmen des Mangels könnte zur Quelle von Leben werden. Stattdessen wird leider häufig die Not überspielt und man will sich lieber an scheinbar „christlichen“ Aktivitäten erfreuen. Die Musik spielt, während die Seele lautlos schreit…

 

„Wenn jemand an mich glaubt, werden aus seinem Inneren, wie es in der Schrift heißt, Ströme von lebendigem Wasser fließen.“

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(Johannes-Evangelium 7,38)

 

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Big Spring (Missouri, USA), Foto von Kbh3rd, via Wikimedia Commons – GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC BY-SA 2.5-2.0-1.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5-2.0-1.0)

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

Zurück zum 9. Teil

 

Reiner Geist – Heiliger Geist

 

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Computer-Simulation der verzweigten Architektur der Dendriten von Pyramidenzellen (Neuronen), von Hermann Cuntz via Wikimedia Commons – CC BY 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.5)

 

Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die ein reines Herz haben.
Sie werden Gott schauen.

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(Eine der sogenannten „Seligpreisungen“ von Jesus aus der Bergpredigt. – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium, 5. Kapitel, Vers 8)

 

Was ist dir heilig?

Vielleicht hast du auch eine Gewohnheit, die dir ganz besonders viel bedeutet; wie das Schauen einer bestimmten TV-Serie oder die Tasse Kaffee am Morgen.

Manchmal sind es auch Andenken oder Erbstücke, die unersetzlich sind, oder Orte und Menschen, die uns heilig sind. – Vielleicht unsere Kinder…?

 

 

Wahre Werte – Zeitlose Werte

 

Ein schlechtes Gewissen

Eigentlich…

Eigentlich sollte ich vieles anders machen…

Eigentlich müsste man mal…

Eigentlich…

 

un-eigentliches leben

 

Epoche des Zeitvertreibs und der Ablenkungen. – Bunte, sich bewegende Bilder ziehen uns magisch an.

Im Durcheinander unserer Gedanken und Leidenschaften entsteht ein ruhiger, klarer Geist wie ein Erwachen…

 

„… Was Gott ans Licht bringt,
wird hell…
.
»Erwache
aus deinem Schlaf!
.
Erhebe dich von den Toten!
.
Und Christus
wird dein Licht sein.«
.
Achtet also genau darauf,
wie ihr lebt:
.
nicht
wie unwissende,
.
sondern

wie weise Menschen…“

.
(Neues Testament, Epheserbrief 5,14-15)

 

Interessant ist, dass sowohl das deutsche Wort „Gewissen“, als auch das englische Wort „conscience“ sprachgeschichtlich verwandt ist mit den Worten „Bewusstsein“ bzw. „consciousness“. Martin Luther spielt bei der Entstehung des deutschen Begriffs „Gewissen“ übrigens auch eine Rolle. Beim griechischen Wort „syneidēsis“ (Griechisch ist die Originalsprache des Neuen Testaments) und dem entsprechenden Begriff „conscientia“ im Latein schwingt die Bedeutung „mit-wissen“ mit („syn-“ bzw. „con-“ = „mit“).

 

„… dies ist der Bund,
den ich mit dem Haus Jissrael schließe nach diesen Tagen,
ist SEIN Erlauten:
ich gebe meine Weisung in ihr Innres,
auf ihr Herz will ich sie schreiben,
so werde ich ihnen zum Gott,
und sie, sie werden mir zum Volk.

Und nicht brauchen sie mehr zu belehren
jedermann seinen Genossen, jedermann seinen Bruder,
sprechend:
Erkennet IHN!
Denn sie alle werden mich kennen,
von ihren Kleinen bis zu ihren Großen,
ist SEIN Erlauten.
Denn ihren Fehl will ich ihnen verzeihen,
ihrer Sünde nicht mehr gedenken.
So hat ER gesprochen,
der die Sonne zum Licht gibt bei Tag…“

.
(Bibel / Tanach / Altes Testament, Jirmejahu / Jeremia 31,33-35, Buber-Rosenzweig-Übersetzung)

 

Ein geheiligter Geist

Heil. Ganz. Gesund. Vollkommen.

Das Motiv des Reinen und Unbefleckten spielt kulturgeschichtlich eine große Rolle. – Das Neue, Unbeschädigte, Unverbrauchte. Die Unschuld. Das Ideal. Der reine Gedanke…

Das Motiv des Reinen ist auch eine unmittelbare menschliche Erfahrung. Wie eine Decke aus frisch gefallenen Schnee, wo noch niemand einen Abdruck hinterlassen hat. Wie ein weißes Blatt Papier. Ein ruhige, spiegelglatte Wasseroberfläche, ein klarer, ruhiger See…

 

„… Über alles Fleisch schütte ich meinen Geistbraus,
daß künden eure Söhne und Töchter,
eure Alten Träume träumen,
eure Jünglinge Schau ersichten.
Und auch über die Knechte, über die Mägde
schütte in jenen Tagen ich meinen Geistbraus…“

.
(Bibel / Tanach / Altes Testament, Joel 3,1-2, Buber-Rosenzweig-Übersetzung)

 

Die Vorstellung vom ungestörten, reinen Geist spielt bei Meditation und Spiritualität eine wichtige Rolle. Ungestörtheit des Denkens, Konzentration, Leere, klares Bewusstsein.

 

„… der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
wird eure Herzen und Sinne
in Christus Jesus bewahren…“

.
(Apostel Paulus im Brief an die Christen in Philippi, Neues Testament – 4,7)

 

Geistvolles Lernen

Worum geht es in der jüdisch-christlichen Überlieferung? Was sind die roten Fäden unseres Narrativs?

Worum geht es in der Religionspädagogik und in der Predigt am Sonntag?

Wie drängt der Geist Gottes zur Entfaltung in unserem Leben und gestaltet unsere Welt?

 

„Die Unterweisung
in der Lehre unseres Glaubens
hat nur das eine Ziel:
die Liebe,
die aus einem reinen Herzen,
einem guten Gewissen
und einem aufrichtigen Glauben kommt.“

.
(Paulus im ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus, Neues Testament – 1,5)

 

„… die Liebe Gottes
ist ausgegossen in unsre Herzen
durch den Heiligen Geist,
der uns gegeben ist…“

.
(Paulus im Brief an die Christen in Rom, Neues Testament – 5,5)

 

Von unserem tiefsten Wesen her, sind wir Empfangende und Begegnende:

Wir besitzen nichts, das wir nicht empfangen haben,
und in der Begegnung werden wir zum Selbst.

 

„…dass sie alle eins seien.
Wie du, Vater, in mir bist
und ich in dir,
so sollen auch sie in uns sein…“

.
(Jesus im Johannes-Evanglium, Neues Testament – 17,21)

 

„.. Gott ist Liebe,
und die in der Liebe bleiben,
bleiben in Gott,
und Gott in ihnen…“

.
(1. Johannesbrief, Neues Testament – 4,16)

 

Einfach das Beste.

Das Wertvollste.

Das Allerheiligste.

 

Gutes neues Jahr

 

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Sonnenaufgang von Fondachelli-Fantina (Montagna di Verná / Monti Peloritani, Gebirge im Nordosten von Sizilien) Foto von Girtompir, via Wikimedia Commons – CC0

 

Ich wünsche dir, dass du dir keine guten Vorsätze für die Zukunft machst. Die Zukunft gehört uns nicht. – Wie wär’s, wenn du schon heute, hier und jetzt einfach der beste Mensch bist, der du sein kannst?

Ich wünsche dir, dass das Leben dich kitzelt, reizt und lockt, es in all seiner Fülle zu erfahren.

Ich wünsche dir, dass die Geheimnisse unserer Welt dich faszinieren und kindliche Neugier in dir wächst.

Ich wünsche dir wache Augen für alle Schönheit.

Ich wünsche dir, dass du erlebst, wie schön es ist, ein guter Freund zu sein, und Freunde hast, die ewig Freunde bleiben.

Ich wünsche dir Familie, die Zuhause ist.

Ich wünsche dir Arbeit, in die du gerne dein Herzblut investierst, und dass du gute Früchte deiner Arbeit sehen darfst.

Ich wünsche dir viele Kinder in deinem Leben.

Ich wünsche dir Nähe zu alten Menschen.

Ich wünsche dir, das Heilige zu berühren.

Ich wünsche dir, Sinn in Krankheit zu finden.

Ich wünsche dir Zeit zum Lesen.

Ich wünsche dir geist-erfülltes Sein.

Ich wünsche dir, gebraucht zu werden.

Ich wünsche dir eine Gemeinschaft von Menschen, mit denen du auf demselben Weg bist.

Ich wünsche dir die Reife des Erwachsenwerdens, dass du mit Abstand und Milde auf das Gute und Schlechte in deinem Leben schauen kannst.

Ich wünsche dir den Trost des Waldes.

Ich wünsche dir tiefe Verbundenheit mit allem, was ist.

Ich wünsche dir, dass du die gute Kraft spürst, die dich trägt.

Ich wünsche dir Liebe, die dich drängt und zieht in eine bessere Welt.

Ich wünsche dir Leben, das nie endet.

Ich wünsche dir tiefes Erbarmen mit allem Leid in dieser Welt.

 

Der Rest deines Lebens liegt vor dir, wie ein weites, offenes Land …

 

 

Die zweite/nächste Generation

 

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Früheste erhaltene Darstellung der Maria mit Kind in einer Katakombe (2. Jahrhundert) von einem unbekannten Künstler, via Wikimedia Commons – public domain

 

 

Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.

Die Erde aber war Irrsal und Wirrsal. Finsternis über Urwirbels Antlitz. Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser.

Gott sprach:

‚Licht werde!‘ …

[ 6 Tage später  😉 ]

Gott sah alles, was er gemacht hatte, und da, es war sehr gut.“

.
(Bibel / Tanach / Altes Testament, Bereschit / Genesis / 1. Mose, 1. Kapitel)

 

The Next Generation

Wir kennen das Problem aus der Unterhaltungsindustrie: Das Original war noch wirklich gut, aber ein Sequel oder die 2., 3., 4. … Staffel ist dann oft schon nicht mehr so toll.

Ein erfolgreiches Produkt hat meist etwas Besonderes, Originelles, Einzigartiges; aber die nächste Generation ist dann oft nicht mehr ganz so interessant oder die Qualität ist schlechter.

Es gibt kraftvolle, historische Ereignisse, live Events, Kämpfer an vorderster Front, Menschen, die Außergewöhnliches erleben …

Und dann gibt es noch die, die davon berichten und davon weitererzählen.

Wir bemühen uns, bestimmte Gefühle zu erzeugen oder Veränderungen zu erzwingen und werden dabei oft frustriert. Und manchmal ereignen sich Dinge in unserem Leben einfach, die wir nicht geplant hatten und die uns für immer verändern.

 

„… so wie es uns die Augenzeugen berichtet haben, die von Anfang an dabei waren …
.
… allem von Anfang an sorgfältig nachzugehen und es für dich, verehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben …“
.
(Lukas-Evangelium, 1. Kapitel, Verse 2-3; Bibel, Neues Testament)

 

Nachahmung

Es gibt Originale, und es gibt Kopien. Urheberrecht wird geschützt. Man kann das, was einem geschenkt ist, für sich selbst benutzen oder es allen zur Verfügung stellen.

 

„Jeder Mensch wird als Original geboren, aber die meisten sterben als Kopie.“

.
(Kaspar Schmidt / Max Stirner, 1806-1856)

 

„‚Ich gebiete dir durch Jesus, den Paulus predigt: Fahre aus!‘ …

‚Ich kenne Jesus und ich kenne Paulus. Aber wer seid ihr?‘

Und der Besessene stürzte sich auf sie und attackierte sie mit solcher Heftigkeit, dass sie nackt und verletzt aus dem Haus flohen …“

.
(Apostelgeschichte 19,13-16; Neues Testament)

 

Religiöse Menschen haben in der Kulturgeschichte der Menschheit eine schier unglaubliche Fülle an Produkten erzeugt, von der Malerei in einer Katakombe über einen wissenschaftlich-theologischen Bibelkommentar bis hin zur modernen Webseite. Auch hier gibt es allerdings beträchtliche Unterschiede in Qualität und Wirkung.

 

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Altarbibel auf einem lutherischen Altar; Foto von Leon Brooks, via Wikimedia Commons – public domain

 

Gesellschaft in Bewegung

Immer wieder tun sich Menschen zusammen, um etwas Neues zu schaffen oder Verhältnisse zu verändern; vom Nachbarschafts-Projekt bis hin zur Reformation oder Revolution.

Oft gibt es am Anfang eine zündende Idee oder einen Menschen mit einer Vision …

 

 „… und ich sah dort unzählige Knochen verstreut liegen …

‚Sprich zu diesen dürren Knochen …

Ich bringe Geist in euch zurück und mache euch wieder lebendig! … Ich lasse Sehnen und Fleisch um euch wachsen und überziehe euch mit Haut. Meinen Atem hauche ich euch ein, damit ihr wieder lebendig werdet …‘

… hörte ich ein lautes Geräusch und sah, wie die Knochen zusammenrückten, jeder an seine Stelle. Vor meinen Augen wuchsen Sehnen und Fleisch um sie herum, und darüber bildete sich Haut …

‚Du Mensch, ruf den Lebensgeist und befiehl ihm in meinem Namen:

‚Komm, Lebensgeist, aus den vier Himmelsrichtungen und hauche diese toten Menschen an, damit sie wieder zum Leben erwachen!'“

.
(Bibel / Tanach / Altes Testament, Jechesqel / Ezechiel / Hesekiel 37,2-9)

 

Die großen Fragen des Lebens

Dies ist eines der größten Probleme jeder gesellschaftlichen Bewegung, und zugleich die wichtigste Aufgabe jeder Tradition, die für sich beansprucht, belastbare und zeitlose Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu geben:

Wie erschaffen wir eine lebensfreundliche Kultur, die in den folgenden Generationen weiterleben wird? – Solche Menschen wären Kulturschaffende im besten Sinne des Wortes.

 

„Wenn eure Kinder eines Tages fragen, was dieser Brauch bedeutet, dann erklärt ihnen:
.
‚YHWH hat uns mit starker Hand aus der Sklaverei in Ägypten befreit …
.
Dieser Brauch soll uns wie ein Zeichen an der Hand oder ein Band um die Stirn daran erinnern, dass YHWH uns mit starker Hand aus Ägypten befreit hat.'“
.

(Bibel / Tanach / Altes Testament, Schemot / Exodus / 2. Mose 13,14-16)

 

Kultur, die sich selbst automatisch auf die nächsten Generationen überträgt. – Mathematiker denken jetzt vielleicht an das Prinzip der vollständigen Induktion.  😉

Wie die sexuelle Fortpflanzung des Menschen funktioniert ist ja recht offensichtlich und auch schon umfangreich erforscht. Aber wie genau funktioniert die geistig-kulturelle Fortpflanzung? Macht so ein Begriff oder so eine Vorstellung überhaupt Sinn?

Sprache spielt in dem Zusammenhang sicherlich eine große Rolle; aber das Thema geht auch über die Bedeutung von Sprache noch weit hinaus. Der Begriff „Mem“ ist hier von Bedeutung.

Tiere haben angeborene Instinkte. Darüber hinaus besitzen sie allerdings auch Verhalten, das sie von den älteren Tieren gelernt haben …

Es käme darauf an, aus unserer menschlichen Natur und aus der gesellschaftlichen Kultur ein harmonisches, organisches Ganzes zu schaffen, das nachhaltig dem Leben dient.

 

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Foto von „The Cookiemonster“ via Wikimedia Commons – CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)

 

Brutpflege

Eltern sorgen sich um ihre Kinder, Kinder um die Eltern, Großeltern um die Enkel, ….

Fürsorge ist einer der großen Schätze einer Gesellschaft.

In der Bewegung, die Jesus aus Nazareth ins Leben gerufen hat, ging es allerdings noch um etwas anderes.

 

„Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern, dazu auch sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein.“

.
(Lukas-Evangelium 14,26)

 

Wenn wir als Christen uns nur um unsere Familien sorgen, haben wir etwas Wichtiges noch nicht verstanden.

 

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„Rebranding Jesus“, Foto von Daniel Silliman – CC BY-NC-ND 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0

 

Das Geheimnis des Heiligen

Jede Gesellschaft lebt von Werten, die über das eigene kleine Leben und die eigene Familie hinausgehen. Weit darüber hinaus gehend gibt es noch zeitlose Werte, die der Nachhaltigkeit allen Lebens dienen.

In einer globalisierten Welt gewinnt das Verstehen darüber, was Werte sind, wie sie entstehen, vermittelt und übertragen werden immer mehr an Bedeutung; denn Werte bestimmen unser Verhalten.

 

 

Das Nachdenken über das, was für uns wertvoll, heilig ist, führt uns auch zum Geheimnis Gottes.

Wer oder was ist Gott für dich? Wie können wir ihn oder sie oder es kennenlernen? Ist der Begriff heutzutage überhaupt noch für alle Menschen sinnvoll? Was für Gottesvorstellungen gibt es? Wo kommen sie her und was haben sie mit spiritueller Erfahrung zu tun?

 

„… trennt euch ganz entschieden von einem Lebensstil, wie er für diese Welt kennzeichnend ist!

… auch von der Habgier, die den Besitz für das Wichtigste hält und ihn zu ihrem Gott macht!“

.
(Kolosserbrief 3,5; Neues Testament)

 

 

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Leinengewebe, Foto von Dee.lite, via Wikimedia Commons – public domain

 

Kultur – ein vielschichtiges, komplexes Gewebe

Wie heilige Texte und Religion, so ist auch Kultur ein komplexes, vielschichtiges Gewebe. Eine Fülle von Verbindungen und Beziehungen … historisch gewachsen …

Unser geistiges Wesen ist darauf angelegt, Sinnzusammenhänge herzustellen; und die Vermittlung von Sinn ist auch eine wichtige Aufgabe von Kultur. Wir suchen Halt, Sicherheit und Orientierung in einer Welt die bedrohlich und gefährlich sein kann. – Schönheit hat etwas Beruhigendes …

 

„Wer in schönen Dingen einen schönen Sinn entdeckt – der hat Kultur.“

.
(Oscar Wilde (1854 – 1900), eigentlich Oscar Fingal O’Flahertie Wills, irischer Lyriker, Dramatiker und Bühnenautor)

 

Religiöse Erziehung im Judentum

Die Christenheit ist keine ethnische Gemeinschaft mehr, die allein auf Grund der physischen Abstammung besteht. Doch auch schon im Judentum hatte es existentielle Bedeutung für das Volk Gottes, dass Kinder in der Treue zu ihrem Gott YHWH erzogen wurden. Für eine Identität als ein großes Volk braucht man mehr als gemeinsame Gene.

Bildung hat einen sehr hohen Stellenwert in der jüdischen Kulturgeschichte; und es ist eine der auffälligen Leistungen jüdischen Lebens, dass das Judentum es bist heute geschafft hat, in fremden Kulturen eine eigene Identität zu bewahren.

 

„Im Übrigen finden sich alle diese Forderungen im Gesetz des Mose, das seit vielen Generationen in allen Städten verkündet und Sabbat für Sabbat in allen Synagogen vorgelesen wird.“

.
(Apostelgeschichte 15,21)

 

 

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Spielende Kinder, römisches Relief (2. Jh. nach Chr), Louvre, via Wikimedia Commons – CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)

 

Generationen – eine Kette mit vielen Gliedern

Wenn man älter wird, wird einem mehr und mehr bewusst, wie groß der Anteil ist, den all die früheren Generationen am eigenen Leben haben. Die Prägung in den frühen Kindertagen durch Eltern und andere; das Leben der Großeltern, dessen Auswirkungen immer noch spürbar sind; historische Ereignisse, die lange Schatten werfen; kulturelle Errungenschaften, die frühere Generationen erkämpft haben …

 

„YHWH, YHWH, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und reich an Gnade und Treue, der Gnade bewahrt an Tausenden von Generationen, der Schuld, Vergehen und Sünde vergibt, aber keineswegs ungestraft lässt, sondern die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern und Kindeskindern, an der dritten und vierten Generation.“

.
(Bibel / Tanach / Altes Testament, Schemot / Exodus / 2. Mose 34,6-7)

 

Glaube hat mit der persönlichen Biografie zu tun. Auch die Menschen, von denen die biblischen Texte erzählen hatte eine Vergangenheit, und eine Wirkung auf die Menschen in ihrem Leben.

 

„Ich habe deinen aufrichtigen Glauben vor Augen, den Glauben, der zuerst deine Großmutter Loïs und deine Mutter Eunike erfüllte und der nun auch – da bin ich ganz sicher – dein Leben bestimmt.“

.
(Paulus im zweiten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 1,5)“

 

 

Impuls ohne Kraft

Ein neues Projekt anzustoßen braucht oft schon enorme Anstrengungen. Wenn man eine  gute  Idee hat, finden sich häufig andere, die sie unterstützen, und die Dinge nehmen ihren Lauf …

Schon den Gründern selbst fällt es allerdings manchmal nicht leicht, die ursprüngliche Begeisterung frisch zu halten. Noch schwieriger wird es dann bei den Angestellten und der nächsten Generation:

Wird es gelingen Begeisterung zu vermitteln und als Bewegung im Flow zu bleiben?

Häufig erstarren Bewegungen nach einer Weile in Traditionen und Strukturen, und die tiefe innere Verbindung zu den ursprünglichen Ursachen der Bewegung und der Kraft der Entstehung gehen bei den Nachfolgern verloren.

 

„‚… Es ist damit wie beim Wind:
.
Er weht, wo er will. Du hörst ihn, aber du kannst nicht erklären, woher er kommt und wohin er geht. So ist es auch mit der Geburt aus Gottes Geist.‘
.
Nikodemus ließ nicht locker:
.
‚Aber wie soll das nur vor sich gehen?‘
.
Jesus erwiderte:
.
„Du bist ein anerkannter Gelehrter in Israel und verstehst das nicht? …'“
.
(Johannes-Evangelium 3,8-10; Neues Testament)

 

Erfasst und getragen von ewiger Kraft

Eine Bewegung, die aus der Quelle des Lebens schöpft und mit dem Leben verbunden bleibt, dürfte solche kulturellen Nachhaltigkeits-Probleme eigentlich nicht haben.

Und solange es Leben gibt, gibt es Hoffnung, und Hoffnung gibt Kraft.

 

„Zum Beginn des jüdischen Pfingstfestes waren alle, die zu Jesus gehörten, wieder beieinander.
.
Plötzlich kam vom Himmel her ein Brausen wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie sich versammelt hatten. Zugleich sahen sie etwas wie züngelndes Feuer, das sich auf jedem Einzelnen von ihnen niederließ. So wurden sie alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und fingen an, in fremden Sprachen zu reden …
.
‚Hört her, ihr Leute aus Judäa und ihr Einwohner von Jerusalem! Ich will euch erklären, was hier geschieht …'“
.
(Apostelgeschichte 2,1-14)

 

 

Wellenreiten
„Wellenreiter“ von Jon Sullivan via Wikimedia Commons – public domain

 

Die zweite Generation der Jesus-Bewegung

Eine in manchen Gemeinden populäre Variante des Gemeindewachstums scheint das Kinderkriegen zu sein.  😉

 

„Deshalb möchte ich, dass die jüngeren Witwen wieder heiraten, Kinder zur Welt bringen und sich um ihren Haushalt kümmern.“

.
(Paulus im ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 5,14; Neues Testament)

 

Schon bald, nachdem das Christentum entstanden war, gab es Gläubige, die Jesus nicht mehr live erlebt hatten. Und für die Kinder, die dann in christliche Familien hineingeboren wurden, gilt natürlich dasselbe.

Kinder sind heilig. Sie sind der Schatz jeder Gesellschaft und garantieren deren fortbestehen. – Eine religiöse Tradition überträgt sich allerdings nicht unbedingt automatisch auf die Kinder.

Ein paar Jahrzehnte nach Pfingsten waren dann auch die letzten Augenzeugen verstorben, die Jesus noch gesehen und gehört hatten, und es gab neben dem geistlichen Leben, das in religiöser Gemeinschaft erlebt wurde, nur noch die Überlieferung. Dies war sicherlich auch der entscheidende Motor dafür, dass man anfing die Schriften der ersten Christen zu sammeln.

Überlieferung ereignet sich in einem 4-dimensionalen Raum. Alles verändert sich ständig: die Welt, die Sprachen, der Blick auf die Geschichte, die Kultur, die Religion, …

 

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von Jason Hise via Wikimedia Commons (English Wikipedia) – public domain

 

Bibel + Glaubensbekenntnis

Manche betrachten das Christentum als Buchreligion; aber das war es ursprünglich vom Wesen her eigentlich nicht.

Die auffälligste Veränderung gegenüber dem Judentum ist die Weite und Vielfalt des Christentums. In Christus stand nun  allen  Menschen, unabhängig davon zu welchen Völkern sie gehörten, das Heiligtum der Juden weit offen. – Gott kommt zu uns und wohnt in allen Völkern.

Dies war auch verbunden mit einer veränderten Spiritualität. Gegenüber der alten Synagogen-Frömmigkeit scheint nun das persönliche, individuelle Erleben des Einzelnen (im Glauben an Jesus) und das kreative, vielfältige Gestalten des gemeinsamen religiösen Lebens deutlich an Bedeutung zu gewinnen.

 

 Jedem hat Gott seine ganz bestimmte Aufgabe in der Gemeinde zugeteilt. Da sind zunächst die Apostel, dann die Propheten, die verkünden, was Gott ihnen eingibt, und drittens diejenigen, die andere im Glauben unterweisen.

Dann gibt es Christen, die Wunder tun, und solche, die Kranke heilen oder Bedürftigen helfen. Einige übernehmen leitende Aufgaben in der Gemeinde, andere reden in unbekannten Sprachen“

.
(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 12,28; Neues Testament)

 

„… der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“

.
(im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,6; Neues Testament)

 

 

So wie es in Geschichte und Zeitgeschichte schon oft mit gesellschaftlichen Bewegungen passiert ist, so ist dann auch die Christenheit weitgehend erstarrt in Strukturen, Glaubensbekenntnissen, Grundlagen-Papieren und heiligen Texten. Besonders im Protestantismus erlangte die Bibel überragende Bedeutung als  das  Heilige Buch.

 

 

Gott ist kein Schriftsteller

 

Die Bibel diente auch als Machtinstrument für die Kirche, und sie diente zur Stabilisierung des römischen Reiches, das dringend eine religiöse Grundlage brauchte, die besser funktionieren sollte als die althergebrachten religiösen Traditionen.

Glaubensbekenntnisse und Bibel waren Instrumente im Kampf gegen konkurrierende christliche Bewegungen und dienten der Abgrenzung und Vereinheitlichung. – Konsolidierung des Christentums. – Ein Kampf, der im Grunde bis heute andauert.

Dieser Vorgang hat auch zu tun mit den großen Themen der christlichen Theologie:

Christologie, Heiliger Geist (Pneumatologie), Sakrament, Bischof, Kirche (Ekklesiologie), Abendmahl/Eucharistie, TaufeVorherbestimmung/Prädestination, Erwählung, Heiligung und Heiligenverehrung, LiturgieEschatologie / Tausendjähriges Reich, …

 

„Jesus kündete das Reich Gottes an und gekommen ist die Kirche.“

.
(Alfred Loisy)

 

War der  „christliche“ Glaube, der auf diese Weise überliefert worden ist, noch identisch mit dem, was Jesus gelehrt hatte? Wo sind die geist-erfüllten Menschen, die es schaffen, die Herzen von Christen unterschiedlicher Traditionslinien wieder mit einander zu verbinden?

Wie ihr wahrscheinlich schon gemerkt habt, bin ich überhaupt kein Fan von Glaubensbekenntnissen. Andererseits scheint es mir allerdings schon so zu sein, dass sie als Bekenntnis der persönlichen Glaubensüberzeugung auch ihren Platz haben. Gut finde ich das Buch von David Steindl-Rast: Credo.

Es wird eine der entscheidenden Fragen bzgl. der Zukunft der Christenheit sein, wie wir mit dem historischen Erbe des bisherigen Christentums umgehen.

 

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Petersplatz im Morgengrauen, mit Petersdom (Vatikan), Foto von Islandoftrees via Wikimedia Commons – CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

 

Nachhaltigkeit als Wesensmerkmal eines Systems

Strukturen und Schriften reichen nicht aus, um religiöses Leben zu konservieren. Es braucht immer auch noch Menschen aus Fleisch und Blut, welche die Schriften sinnvoll nutzen und Strukturen ausfüllen.

 

„Was ich dir vor vielen Zeugen als die Lehre unseres Glaubens übergeben habe, das gib in derselben Weise an zuverlässige Menschen weiter, die imstande sind, es anderen zu vermitteln.“

.
(Paulus im zweiten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 2,2; Neues Testament)

 

Und darüber hinaus braucht es noch dieses nicht greifbare Etwas, eine gewisse geistige, fluide Kultur mit spiritueller Qualität, die uns nie völlig verfügbar ist, aber die wir versuchen können aufzuspüren. Ein Wahrnehmen des Lebens und der Wirklichkeit und die Verbindung zur Quelle der Kraft. Dieses „gewisse Etwas“ zu kultivieren wäre eine der wichtigsten Aufgaben christlicher Spiritualität.

Auch die biblischen Texte erzählen ja davon, dass Gott selbst es ist, der seine Schöpfung erhält und den Menschen sucht, der den Lauf der Geschichte gestaltet und ein gutes Ziel für sie hat. Und es war die Überzeugung der ersten Christen, dass dies jetzt durch Jesus geschieht und Gottes himmliches Reich angebrochen ist.

 

„Und wie lautet dieses Geheimnis?

‚Christus in euch  – die Hoffnung auf Gottes Herrlichkeit!'“

.
(Kolosserbrief 1,27)

 

Erziehung zum christlichen Glauben

Geht das überhaupt? Oder ist der Titel schon schlecht formuliert? Sollte es vielleicht besser heißen  „Erziehen  im  Glauben“  oder  „Erziehung im Christentum“?

Und ist Erziehung zum Glauben an Jesus dasselbe wie „christliche Erziehung“ oder gibt es da einen Unterschied?

 

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„Lasst doch die Kinder zu mir kommen, und hindert sie nicht daran! Gottes Reich ist ja gerade für solche wie sie bestimmt.“ (Markus 10,14) Gemälde von Carl Heinrich Bloch, 19. Jahrhundert, via Wikimedia Commons – public domain

 

Einen interessanten Artikel von Tobias Faix zum Thema gibt es hier:

„Ist Glaube machbar? Über den Sinn und Unsinn christlicher Erziehung“

Da das Christentum noch nicht ausgestorben ist und so mancher Christ auch schon im christlichen Elternhaus groß geworden ist, scheint es durchaus möglich zu sein, christlichen Glauben über die Generationen hinweg zu überliefern.

 

 

Es gab allerdings nie einen einheitlichen christlichen Glauben, und nach fast 2000 Jahren ist die Vielfalt christlicher Konfessionen, Denominationen, Kirchen, Projekten und Bewegungen schier unübersehbar. Zu welchem christlichen Glauben soll man denn sein Kind erziehen?

 

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(Glaube allein)

Vielleicht mehr als irgendwo sonst, ist es im Protestantismus, dass der Glaube die zentrale Rolle spielt: Er entscheidet über Leben und Tod, über Himmel und Hölle.

Umso wichtiger ist es, was denn genau Wesen und Inhalt des Glaubens sind. – Gedanken sind Kräfte.

Im Protestantismus wurde Glaube immer mehr zu einer Art „Bildungsgut“. Mit dem Buchdruck und der Alphabetisierung und Schulpflicht wurde es immer mehr Menschen möglich, eine Bibel zu besitzen und darin zu lesen. Die Frage,  was  man denn glaubt oder auch was man meint, nicht mehr glauben zu können, rückte bei vielen Menschen in den Vordergrund.

 

„Denn man wird für gerecht erklärt, wenn man mit dem Herzen glaubt; man wird gerettet, wenn man den Glauben mit dem Mund bekennt.“

.
(Paulus im Brief an die Christen in Rom 10,10; Neues Testament)

 

Plappernde Fromme und sprachlose Christen

Sobald Menschen den Mund aufmachen, wird es kompliziert. Manche Christen gehen mit ihrem missionarischen Eifer und persönlichen Überzeugungen anderen auf die Nerven, und andere sind sprachlos geworden, weil sie selbst kaum noch verstehen, was sie eigentlich glauben.

Sprache(n) spielt, besonders für den christlichen Glauben, eine überragende Rolle. Man denke nur an die Bibel, die Mission und Bibelübersetzungs-Projekte.

In Diskussionen zwischen Christen erlebe ich es ständig, dass man kaum noch in der Lage ist, mit einander zu reden. Zu unterschiedlich ist die Art und Weise, wie man den christlichen Glauben versteht und lebt, und die Voraussetzungen, von denen man ausgeht. Dabei wäre es angesichts der Globalisierung und der Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, so wichtig, dass wir als Christen wirklich ein Licht für die Welt wären.

 

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Calvary Church bei Nacht; eine „non-denominational evangelical church“ in Charlotte, North Carolina; Foto von Fartbarker, via Wikimedia Commons – public domain

 

Sprachfähige Eltern

Ich glaube, es würde helfen, wenn wir uns von traditionellen christlichen Sprachmustern etwas distanzieren, und neu lernen, das, was wir wirklich von ganzem Herzen glauben, selbst und frisch in Worte zu fassen. Kreativer, kulturschaffender Umgang mit Sprache. Neue Formen wie biblisches Erzählen und Poetry-Slam könnten dabei vielleicht helfen – oder Erlebnispädagogik  😉

 

Ich war in eine verzweifelte Lage geraten – wie jemand, der bis zum Hals in einer Grube voll Schlamm und Kot steckt!
.
Aber er hat mich herausgezogen und auf festen Boden gestellt. Jetzt haben meine Füße wieder sicheren Halt.
.
Er gab mir ein neues Lied in meinen Mund …“
.
(Psalm 40,3-4, Altes Testament / Tanach)

 

Theologen scheinen als Berufsgruppe nicht unbedingt für diese Aufgabe geeignet zu sein. Auch in der Vergangenheit (man denke nur an die Psalmen und Propheten) waren es Poeten, Visionäre, Musiker, Maler, Sänger, Künstler … die spirituellen Menschen geholfen haben, das was sie glauben in Worte zu fassen und religiös sprachfähig zu werden.

 

 

 

Lasst uns die Künstler in uns wecken!

 

Verankert im Hier und Jetzt

Manche von uns haben viel Bibelwissen und können mitreden. Manche haben schon eine lange Geschichte als Christen und tragen mit sich viel liebgewordene christliche Tradition. Wir bringen das dann auch unseren Kindern bei: Glaubensbekenntnis, Katechismus, Christenlehre, Familienandachten, …

Dies bleibt allerdings zum Teil nur Theorie. Ein Christentum für den Kopf, aber das Herz bleibt leer; und das theoretische Wissen hat kaum erkennbare Wirkung im Alltag. In Kirchen und Gemeinden sind manche engagiert und nett, während zuhause die Familie den Bach runtergeht …

 

„Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber mit dem Herzen sind sie weit weg von mir.“

.
(Jeschajahu / Jesaja 29,13, Altes Testament / Tanach)

 

Ich glaube, um gangbare und heilsame Wege für uns selbst, unsere Familien, das Christentum und die Menschheit zu finden, müssen wir dicht bei uns selbst und unser alltäglichen Wirklichkeit bleiben. – Die großen Fragen in Kopf und Herzen bewegen, aber bei mir selbst beginnen. – Die neue Welt beginnt bei mir.

Spiritualität braucht Ruhe und Stille. Sie kann man nicht kaufen oder sich mal schnell als Instant-Produkt in irgendwas einrühren. Man muss im eigenen Leben den nötigen Raum schaffen.

Wenn wir zu einer eigenen Spiritualität finden, die in unserer persönlichen Erfahrung verankert ist und die wir selbst verantworten können, brauchen wir uns auch nicht mehr hinter dem Schwergewicht der Tradition oder den breiten Schultern christlicher Persönlichkeiten verstecken.

 

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„Sky Walker – Heaven of Dreams“ von Hartwig HKD via flickr – CC BY-ND 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0

 

„Darum hat Gott einen neuen Tag festgesetzt, an dem er sein Versprechen erfüllen will. Dieser Tag heißt ‚Heute‘ …

‚Heute, wenn ihr meine Stimme hört, dann verschließt eure Herzen nicht.'“

.
(Hebräerbrief 4,7; Neues Testament)

 

Wir und die Kinder

Kinder sind klein und schwach und abhängig. Sie genießen in der Gesellschaft einen besonderen Schutz – zumindest theoretisch.

Schwache und Kinder genießen in den biblischen Texten auch die besondere Sympathie Gottes:

 

„Da sagte Jesus:
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‚Lasst doch die Kinder! Hindert sie nicht, zu mir zu kommen; denn für Menschen wie sie steht Gottes neue Welt offen.‘
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Dann legte er den Kindern segnend die Hände auf …“
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(Matthäus-Evangelium 19,14-15; Neues Testament)

 

Ein beliebter Bibelvers. Viel wurde schon gesagt und geschrieben. Christen diskutieren über Kindertaufe, Kinder-Evangelisation, Religionsunterricht für Kinder, …

Alle Kinder der Welt sind unsere Kinder – eine große Menschheitsfamilie. Wir können über die Zukunft von Kindern nachdenken und unser eigenes Leben verändern. Eine bessere Zukunft für Kinder kann bei mir beginnen: in meinem Herzen, meinen Träumen, meinem Alltag, meiner Familie, meinem Engagement …

 

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„Got you, daddy!“ von Clarence Goss from USA (Flickr: Got You Daddy) via Wikimedia Commons – CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)

 

Prägen durch gemeinsame Zeit

Viele Familien verbringen nicht mehr viel Zeit mit einander: Kita, Schule, Arbeit, … – Und die Zeit, die sie zusammen haben, ist manchmal nur Zeit vor dem Fernseher oder Zeit über dem Handy oder Tablet.

Ein tiefergehendes Gespräch mit seinem Kind führen zu können, ist alles andere als selbstverständlich; und das betrifft nicht nur Teenager. Oft braucht man kreative Ideen, um Situationen und Atmosphäre zu schaffen, wo Kinder anfangen aus ihrem Leben zu erzählen.

 

„Alle, die zum Glauben an Jesus gefunden hatten, ließen sich regelmäßig von den Aposteln unterweisen und lebten in enger Gemeinschaft. Sie feierten das Abendmahl und beteten miteinander …

Die Gläubigen lebten wie in einer großen Familie. Was sie besaßen, gehörte ihnen gemeinsam …

Tag für Tag kamen die Gläubigen einmütig im Tempel zusammen und feierten in den Häusern das Abendmahl. In großer Freude und mit aufrichtigem Herzen trafen sie sich zu den gemeinsamen Mahlzeiten.“

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(Apostelgeschichte 2,42-46)

 

More than words … – Das eigene Vorbild

Ein Gedankenexperiment:

Eltern, die nicht sprechen und nicht schreiben können haben ein Kind. Gibt es für sie überhaupt Möglichkeiten ihr Kind christlich zu erziehen oder brauchen sie dazu unbedingt Sprache? Wie sieht es aus mit nicht-sprachlichen Möglichkeiten der Kommunikation und mit anderen Formen von Prägung?

Eltern kennen das: Wir können uns den Mund fusselig reden … – doch Kinder machen oft nicht das, was wir sagen. Aber das Leben, das wir ihnen vorleben, bleibt in ihnen für den Rest ihres Lebens.

Eine rauchende Mutter mag ihrem Kind den guten Rat geben: „Fang bloß nicht an zu rauchen …“ – Aber Kinder scheinen sich mehr an dem zu orientieren, was wir vorleben, als an dem, was wir sagen. Das eigene Vorbild hat wohl mehr Kraft, als unseren Worte.

 

„Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer! Ihr Heuchler! Ihr versperrt anderen den Zugang zu Gottes himmlischem Reich. Denn ihr selbst geht nicht hinein, und die hineinwollen, hindert ihr auch noch daran.“

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(Matthäus-Evangelium 23,13)

 

 

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Big Spring (Missouri, USA), Foto von Kbh3rd, via Wikimedia Commons – GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC BY-SA 2.5-2.0-1.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5-2.0-1.0)

 

 

Im göttlichen Flow

Wir sind alle bedürftig. Auch Eltern. Es gibt so viel Mangel und Not … und die Herausforderungen und Bedrohungen in unserer Welt können Angst machen.

Wenn wir für uns selbst eine tiefe und reiche Spiritualität gefunden haben, dann fließt sie durch uns auch zu den Menschen in unserem Leben. Das göttliche Leben, das uns erfüllt, wird auch auf unsere Kinder ausstrahlen.

 

„Wer an mich glaubt, wird erfahren, was die Heilige Schrift sagt: Von seinem Inneren wird Leben spendendes Wasser ausgehen wie ein starker Strom.“

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(Johannes-Evangelium 7,38)

 

Heiligung

Gott macht unsere Seele gesund und „heilt all unsere Gebrechen“. Er ist der gute Hirte, der uns mit allem versorgt. Bei ihm ist kein Mangel. Wenn wir unser Altes loslassen, macht er alles neu.

Er fügt uns ein in die Gemeinschaft der Heiligen. Eine Generation aus Königen und Priestern. Wie  ein  Organismus wirken alle zusammen. Was einer nicht kann, kann der andere. Gott schenkt Befähigung, so wie es der Organismus braucht; und alle wachsen gemeinsam und zusammen der Ganzheit entgegen. Gott ist Liebe.

Christus in uns – die Hoffnung der Herrlichkeit. Immer wieder suchen wir seinen Frieden, und er wird uns geschenkt, in einer Weise, die wir nicht verstehen. Gottes Wirken erfasst uns und führt uns mit sich im Strom des Lebens.

Er macht unser Leben hell und führt uns auf einem guten Weg. Er gießt seine Liebe in unsere Herzen …

Wir sind das Licht der Welt. Unsere Kinder finden Sicherheit und Orientierung in dem Licht, das von uns ausgeht. Unsere Liebe wärmt ihre Seelen.

 

Ich versichere euch: Wer sich Gottes Reich nicht wie ein Kind schenken lässt, der wird ganz sicher nicht hineinkommen.“

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(Lukas-Evangelium 18,17)

 

 

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Selbstporträt von Élisabeth Vigée-Lebrun mit ihrer Tochter, via Wikimedia Commons – public domain

 

Liebe, Vertrauen und Freiheit

Vielleicht besteht eine gute christliche Erziehung gerade in der geschickten Balance zwischen der freiheitlichen Entwicklung des einzelnen Persönlichkeit und der kreativen und kraftvollen Vermittlung zeitloser Werte. – Urvertrauen ins Leben, das befähigt so zu leben, dass es allem Leben dient.

Das Wechselspiel zwischen der Persönlichkeits-Entwicklung und dem Seelenleben des Einzelnen einerseits und dem Leben der Gesellschaft andererseits ist etwas, das unser ganzes Leben bestimmt. Ich bin immer ein Teil von unterschiedlichen Gruppen. Wie ich diese Gemeinschaft erfahre und mitgestalten kann, ist entscheidend für mich selbst und auch die Wirkung, die von mir ausgeht.

Die beste Orientierung in diesem vielschichtigen, komplexen Geschehen bietet meines Erachtens die Integrale Theorie (zumindest hab ich bis jetzt noch nichts Besseres gefunden.).

Vielleicht wird ein tieferes Verstehen von guter Erziehung und dem Überliefern von Werten und Spiritualität an kommende Generationen dazu beitragen, dass das Himmelreich zu uns kommt, von dem Jesus geredet hat.

 

„Reformation war gestern. Die Zukunft des Christentums gehört der Transformation.“

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(Marion Küstenmacher auf dem Cover ihres Buches „Integrales Christentum“)

 

berühren

 

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Säugling während des Stillens, Foto von Petr Kratochvil via Wikimedia Commons – public domain

 
Wir verlieren uns schnell in Gedanken und Argumentationen, führen endlose Diskussionen im Kopf und mit anderen Menschen, bleiben hängen in immer wieder denselben Gedankengängen …

Wenn wir versuchen, dicht an einfachen menschlichen Erfahrungen zu bleiben, kann uns das vielleicht davor bewahren, uns in Theorien zu verirren.

Eine der grundlegendsten menschlichen Erfahrungen ist die Berührung und das Berührt-werden. – Notwendig zum Überleben.

 

fühlen

Schon der kleine neue Mensch, der im Bauch der Mama wächst, fühlt. Wahrnehmungen füttern das Gehirn mit Informationen, und die Eindrücke werden zu den ersten Erinnerungen von der Umwelt.

Nach der Strapaze der Geburt – noch bevor das Neugeborene richtig sehen kann – erlebt es Berührungen und Haut; Hände, die es halten und streicheln, und den Körper der Mutter, der ihm alles gibt, was es braucht.

Erwachsene sind gegenüber Kindern übermächtig; und Eltern gehören zu den ersten Allmächtigen, welche sie kennenlernen. Kinder werden berührt und lernen zu berühren.

 

Wohin soll ich gehn vor deinem Geist,
wohin vor deinem Antlitz entlaufen!

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Ob ich den Himmel erklömme, du bist dort,
bettete ich mir das Gruftreich, da bist du.

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Erhübe ich Flügel des Morgenrots, nähme Wohnung am hintersten Meer,
dort auch griffe mich deine Hand, deine Rechte faßte mich an.

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Spräche ich: »Finsternis erhasche mich nur, Nacht sei das Licht um mich her!«,
auch Finsternis finstert dir nicht, Nacht leuchtet gleichwie der Tag,
gleich ist Verfinsterung, gleich Erleuchtung.

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Ja, du bists, der bereitete meine Nieren, mich wob im Leib meiner Mutter!
Danken will ich dir dafür, daß ich furchtbar bin ausgesondert:
sonderlich ist, was du machst, sehr erkennts meine Seele.

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Mein Kern war dir nicht verhohlen, als ich wurde gemacht im Verborgnen, buntgewirkt im untersten Erdreich,

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meinen Knäul sahn deine Augen, und in dein Buch waren all sie geschrieben,
die Tage, die einst würden gebildet, als aber war nicht einer von ihnen.

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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Psalm 139, Verse 7-16)

 

Haut

Berührungen werden durch die Haut vermittelt. Haut an Fingern, Händen, Füßen, Kopf, …

Die Haut. Das größte Organ. Sie schützt uns und ist gleichzeitig eine durchlässige Membrane zwischen Innen und Außen. Sie grenzt uns ab und vermittelt Wahrnehmungen aus der Welt um uns her …

 

 

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„Got you, daddy!“ von Clarence Goss, USA, via Wikimedia Commons (Flickr: Got You Daddy) – CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)

 

Hände und Händehalten

Es gibt kaum etwas Niedlicheres als die Finger und Fingernägel von Babys. Und später sind es diese Hände, die die Kinder überall drin haben, und greifen und be-greifen.

Berührungen erhalten ihre Wirkung durch den Zusammenhang. Das Händchenhalten in der Kita fühlt sich für die Kinder anders an, als später das Händehalten mit Freundin oder Freund.

Der Handschlag mit dem neuen Geschäftspartner fühlt sich anders an als das Händeschütteln mit einem alten Freund. Und wenn sich Sportler nach einem Tor in die Arme fallen, ist das anders, als wenn man einen Trauernden in den Arm nimmt.

Wir berühren einander in den Rollen, die wir ausfüllen – und das muss kein künstliches Schauspielern sein. Auch der aufrichtigste und natürlichste Mensch ist in Beziehungen eingebunden, in denen er (s)eine Rolle spielt.

 

Sehende und hörende Hände

Blinde sehen mit den Händen, und Taubstumme können mit den Händen die Sprache erlernen. Und ein alter, sterbender Mensch, der schon blind und taub ist, spürt doch noch eine Berührung, einen Händedruck und ein Händehalten.

 

rühren

In „Berührung“ steckt „rühren“. Das Wort „rühren“ hat mit  Bewegung  zu tun. Berührungen können etwas in Gang setzen: Gedanken, Gefühle, Menschen … – Unsere Worte und Blicke können andere Menschen tief berühren.

 

Blicke, die unsere Seele berühren

Wir können mit Blicken etwas „ab-tasten„. – Auf Neu-Deutsch: Wir „scannen“ unsere Umgebung.

Die Blicke oder die Stimme eines Anderen – oder  einer  Anderen – können mein Herz bewegen und es schneller schlagen lassen, und in meiner Seele rühren …

 

Dein blaues Auge hält so still,
Ich blicke bis zum Grund.
Du fragst mich, was ich sehen will?
Ich sehe mich gesund.

Es brannte mich ein glühend Paar,
Noch schmerzt das Nachgefühl;
Das deine ist wie See so klar
Und wie ein See so kühl.

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(Klaus Groths Gesammelte Werke. Vierter Band. Plattdeutsche Erzählungen – Hochdeutsche Gedichte, Kiel und Leipzig, Verlag von Lipsius & Tischer, 1893, S. 176)

 

*

 

Zart wie Windhauch – Wenn Gott uns berührt …

 

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Erschaffung Adams (Sixtinische Kapelle), Foto von Jörg Bittner Unna (Own work) via Wikimedia Commons – CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)

 

… Am Tag, da ER, Gott, Erde und Himmel machte,noch war aller Busch des Feldes nicht auf der Erde, noch war alles Kraut des Feldes nicht aufgeschossen, denn nicht hatte regnen lassen ER, Gott, über die Erde, und Mensch, Adam, war keiner, den Acker, Adama, zu bedienen: aus der Erde stieg da ein Dunst und netzte all das Antlitz des Ackers, und ER, Gott, bildete den Menschen, Staub vom Acker, er blies in seine Nasenlöcher Hauch des Lebens,und der Mensch wurde zum lebenden Wesen.

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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Bereschith / Genesis / 1. Mose 2. Kapitel, Verse 4-7)

 

Der Geist Gottes, der Heilige Geist, ist ein Lebensspender. Gottes Hauch macht Totes lebendig, und drängt in allem Lebendigen zu Wachstum und Segen und dem Wohl der Schöpfung. – Leben, Generation nach Generation.

Menschen können sich glücklich schätzen, wenn sie als Kinder durch Berührungen Liebe kennengelernt haben – und nicht Missbrauch:

Zart war ich, bitter war’s

Familien sollten die Orte sein, wo Menschen sich sicher und Zuhause fühlen und den Segen Gottes erfahren. Orte, wo der Geist der Liebe, als unsichtbares Band, die Generationen mit einander verbindet.

Liebe. Geist. Lebenshauch. – Flüchtig, nicht greifbar, und doch lebensnotwendig wie die Luft zum Atmen.

 

 

*

 

… er hauchte sie an und sagte: „Empfangt den Heiligen Geist!“
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„Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie nicht vergebt, dem sind sie nicht vergeben.“
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(Johannes-Evangelium 20,22-23)

 

Jesus

Jesus hatte viele Berührungen mit Menschen – im übertragen Sinn und auch buchstäblich.

Bei einer Erzählung von Jesus spielen Berührungen eine besondere Rolle:

 

… Auf dem Weg … drängte sich die Menge um Jesus. Darunter war auch eine Frau, die seit zwölf Jahren an starken Blutungen litt. Ihr ganzes Vermögen hatte sie für die Ärzte aufgewendet, doch niemand hatte sie heilen können. Sie kam von hinten heran und berührte einen Zipfel seines Gewandes.

Sofort hörte die Blutung auf. „Wer hat mich berührt?“, fragte Jesus. Doch niemand wollte es gewesen sein.

Petrus sagte: „Rabbi, die Menge drängt und drückt dich von allen Seiten!“ Doch Jesus bestand darauf: „Es hat mich jemand angerührt, denn ich habe gespürt, dass eine Kraft von mir ausgegangen ist.“

Als die Frau sah, dass sie nicht verborgen bleiben konnte, fiel sie zitternd vor Jesus nieder. Vor allen Leuten erklärte sie, warum sie ihn berührt hatte und dass sie im selben Augenblick geheilt worden war.

„Meine Tochter“, sagte Jesus da zu ihr, „dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden!“

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(Die Bibel, Neues Testament, Lukas-Evangelium, 8. Kapitel, Verse 42-47)

 

„Na, warte mal ab! Wie kannst du dir da so sicher sein, dass du geheilt worden bist? Vielleicht ist das ja jetzt nur die Aufregung, und wenn du wieder alleine Zuhause sitzt, ist wieder alles beim Alten: ein ewiges Ausbluten.“

 

Der Erzähler der biblischen Geschichte teilt solch menschliche Skepsis nicht. Für ihn ist ganz klar: Jesus  ist  so! Und wenn Menschen ihn berühren, werden sie gesund.

Berührung kann Kraft kosten und Kraft geben, und Menschen heil werden lassen.

 

Berührungs-Stress

Be-gegen-ungen zwischen Menschen sind oft anstrengend. Mit unseren Augen ver-hand-eln wir unsere Blick-Kontakte, und Augen, die uns anstarren, machen uns nervös. Blicke können Körper und Seelen begrabschen …

Ein Blick kann uns treffen und verletzen; und die strafenden Blicke der Eltern halten die Kinder auf rechter Bahn …

Auch das  Wort  eines Anderen kann uns treffen oder berühren. Wir ringen um Worte, liefern uns Wortgefechte im Schlag-Abtausch oder fummeln uns mit schleimigen Worten in die Seele eines anderen.

Menschen kosten Kraft. Schon eine Begrüßung kann bei manchen Menschen in Stress ausarten: „Sag ich einfach ‚Hallo‘ oder gebe ich die Hand?“ – „Was mach ich, wenn der andere mich umarmt?“ – „Kränke ich jemand, wenn ich nicht umarme?“

Menschen. – Wir können nicht ohne sie leben, und nicht mit ihnen.

Ich habe mein ganzes Leben bisher als moderner Stadtmensch gelebt – in der Anonymität einer Großstadt. Mein Leben berührt ständig das Leben anderer Menschen, und mein eigenes wird berührt: Ein flüchtiger Blick in der U-Bahn oder auf der Straße, ein Lächeln, …

Vor Jahren sah ich einmal ein Plakat, das funktionierte ungefähr so:

 

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Leben, einfach

Für manche Menschen heutzutage ist das eigentlich ganz normale Leben schon zu etwas Seltenem geworden: Zeit mit Familie und echten Freunden verbringen – berühren und berührt werden. Einfach leben.

Wie wäre es, wenn wir selbst in unserer Seele gesund würden, und Menschen, deren Leben durch unsers berührt wird, Heilung erfahren? – Vertrauen  hatte die Frau, die Jesus berührt hat, gesund werden lassen.

 

Berührt werden und berühren

Die Episode mit der gesund-gewordenen Frau ist nur ein Ausschnitt der  ganzen  Geschichte. Hier nun die vollständige Erzählung:

 

Als Jesus ans andere Ufer zurückkam, empfing ihn eine große Menschenmenge, denn sie hatten auf ihn gewartet. Da kam ein Synagogenvorsteher zu ihm, namens Jaïrus. Er warf sich vor ihm nieder und bat ihn, in sein Haus zu kommen, weil seine einzige Tochter, ein Mädchen von zwölf Jahren, im Sterben lag.

Auf dem Weg dorthin drängte sich die Menge um Jesus. Darunter war auch eine Frau, die seit zwölf Jahren an starken Blutungen litt. Ihr ganzes Vermögen hatte sie für die Ärzte aufgewendet, doch niemand hatte sie heilen können. Sie kam von hinten heran und berührte einen Zipfel seines Gewandes.

Sofort hörte die Blutung auf. – „Wer hat mich berührt?“, fragte Jesus. Doch niemand wollte es gewesen sein.

Petrus sagte: „Rabbi, die Menge drängt und drückt dich von allen Seiten!“ Doch Jesus bestand darauf: „Es hat mich jemand angerührt, denn ich habe gespürt, dass eine Kraft von mir ausgegangen ist.“

Als die Frau sah, dass sie nicht verborgen bleiben konnte, fiel sie zitternd vor Jesus nieder. Vor allen Leuten erklärte sie, warum sie ihn berührt hatte und dass sie im selben Augenblick geheilt worden war.

„Meine Tochter“, sagte Jesus da zu ihr, „dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden!“

Während Jesus noch mit ihr sprach, kam jemand aus dem Haus des Synagogenvorstehers und sagte zu Jaïrus: „Deine Tochter ist gestorben. Du brauchst den Rabbi nicht weiter zu bemühen.“

Jesus hörte es und sagte zu dem Vorsteher: „Hab keine Angst! Vertrau mir, dann wird sie gerettet werden!“

Er ging in das Haus, erlaubte aber niemand, ihn zu begleiten, außer Petrus, Johannes und Jakobus und den Eltern des Kindes. Das ganze Haus war voller Menschen, die laut weinten und das Mädchen beklagten. „Hört auf zu weinen!“, sagte Jesus zu ihnen. „Das Kind ist nicht tot, es schläft nur.“

Da lachten sie ihn aus, denn sie wussten, dass es gestorben war. Doch Jesus fasste es bei der Hand und rief: „Kind, steh auf!“ Da kehrte Leben in das Mädchen zurück und es stand gleich auf. Jesus ordnete an, ihr etwas zu essen zu geben.

 

Die Kleine hatte bestimmt großen Hunger.

Eine rührende und berührende Geschichte. – „Jesus fasste es bei der Hand.“ Jesus zieht einen kleinen Menschen aus der Unterwelt zurück ins Leben und verwandelt Trauer und Verzweiflung in Freude und Glück.

Leben aus dem Tod.

 

Salben & Segnen

Auch bei einer anderen Erzählung in den Evangelien spielt Berührung eine Rolle. Hier kostet sie nicht nur Kraft, sondern ist auch in höchstem Maße peinlich. – Allerdings für wen?

„Jesus und die Sünderin“:  EINE BEGEGNUNG, DIE ALLES VERÄNDERTE – DAS GLEICHNIS VON DEN BEIDEN SCHULDNERN  (LK 7,36-50)  |  (Worthaus 1.2.1)

 

Segnen, salben („Christus“ = Messias = hebr. „Maschiach“ = Gesalbter) und Handauflegung spielt in biblischen Texten immer wieder eine Rolle.

Bei Berührungen passiert etwas zwischen Menschen, und das Leben und die Zukunft verändern sich.

 

Heiliges Küssen

Im Römerbrief geht es um Gott und die Welt, Himmel und Hölle, Menschenkrampf und göttliches Leben in heiligem Geist. Und ausgerechnet der Römerbrief endet mit einer langen Liste von Grüßen und mit den Worten:

 

Begrüßt einander mit dem heiligen Kuss …

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(Paulus‘ Brief an die Christen in Rom, 16,16)

 

Brüchige Männlichkeit

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Foto von Victorgrigas (own work) via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Männlichkeit. Für einen Mann ein naheliegendes Thema  😉

Dass ich nicht der einzige bin, der darüber nachdenkt, merkt man schnell, wenn man z.B. mal „Spiritualität für Männer“ in seine Suchmaschine eingibt.

Wie interessiert Menschen an diesem Thema sind, kann man auch einfach austesten, indem man ein Gespräch auf die Frage „typisch Mann/Frau“ lenkt. Nach meiner Erfahrung gibt es dann in der Regel eine angeregte Diskussion …

… „Weil du auf die Stimme deines Weibes gehört hast und von dem Baum gegessen hast, den ich dir verbot, sprechend: Iß nicht davon!, sei verflucht der Acker um deinetwillen, in Beschwer sollst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dorn und Stechstrauch läßt er dir schießen, so iß denn das Kraut des Feldes! Im Schweiß deines Antlitzes magst du Brot essen, bis du zum Acker kehrst, denn aus ihm bist du genommen. Denn Staub bist du und zum Staub wirst du kehren.“

Der Mensch rief den Namen seines Weibes: Chawwa, Leben! Denn sie wurde Mutter alles Lebendigen.

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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Bereschith / Genesis / 1. Mose, 3. Kapitel, Verse 17-20)

Die gute alte Zeit …

Frauen werden schwanger, bringen neues Leben in die Welt. Sie sind die Nahrungs-Quelle des Lebens für ihre Säuglinge, welche völlig abhängig und allein nicht überlebensfähig sind.

Früher waren es hauptsächlich die Frauen, die sich um den Nachwuchs kümmerten, und um die Nahrungszubereitung, um die Kleidung, um das Lager des Klans …; sie sammelten Beeren und Pilze, …

Die stärkeren, muskulösen Männer joggten durch die Steppe, spähten nach Gefahren und Beutetieren, kämpften mit Feinden und wilden Tieren …

[Wikipedia hat zwar nicht immer recht, aber hier  kann man ein bisschen dazu nachlesen.]

Männer von heute erleben solche tollen Abenteuer fast nur noch in virtuellen Welten. – Muskulöse Männer, die mit wilden Bestien kämpfen, Helden, die Drachen töten, Einzelkämper, die ganze Armeen auslöschen, … – In der Fantasie kann ein Mann noch ein richtiger Mann sein  😉

Der Klassiker zum Thema:

„Typisch männlich!“ – „typisch menschlich“

Wie viel von dem, was uns als Männer und Frauen ausmacht, stammt noch aus einer vergangenen Zeit? Wie viel Potential schlummert noch in uns, das eigentlich für andere Lebensverhältnisse „gedacht“ war? – Was wäre überhaupt eine „artgerechte Haltung“ für den Menschen? Wie sieht es aus mit Ergonomie und Gesundheit an Arbeitsplätzen und in den Wohnbereichen? „Menschen-gerechte“ Beschäftigungsverhältnisse? Wie „menschlich“ sind Mega-Cities? Wie viel ungenutzte Instinkte schlummern in uns …

Was ist „typisch männlich„? Gibt es z.B. einen „männlichen Beschützer-Instinkt“ wirklich? Welche Überzeugungen sind bloße Tradition, urban legend oder fake news?

„Der deutsche Mann, Mann, Mann …“

Interessanterweise ein von einem Mann geschriebenes Gedicht. 1931. Nicht lange vor der Machtergreifung.

Früher waren die Männer noch die HERREN auf dem Fußballplatz. Mittlerweile gibt es sogar professionellen FRAUENFUSSBALL !!!  (Ein Thema, das manche männlichen Gemüter besonders erregt.) – Wenn mann da mal Gelegenheit hat, ein Gurkenglas zu öffnen, welches die Frau nicht aufgekriegt hat, fühlt mann sich endlich mal wieder in seiner Männlichkeit bestätigt: Wir werden als Männer doch noch gebraucht!  – Und Männer können sich Bärte wachsen lassen!

Mein starker Körper

Der Körper einer Frau kann schwanger werden, ein Kind zur Welt bringen und es stillen. Etwas, was kein Mann kann. (Zumindest nicht auf natürliche Weise.) – Aber was kann ein Mann, das eine Frau heutzutage nicht auch kann? Viele Frauen leben genauso wie viele Männer als Singles. Offenbar sind Frauen stark genug für alle Aufgaben, die im alltäglichen Leben anfallen.

Bei allen Pauschalisierungen und Stereotypen setzt man sich immer der Gefahr aus, durch Einzelfälle widerlegt zu werden. Und auch die Frage, ob es überhaupt noch nötig ist, sich über Unterschiede zwischen Frauen und Männer den Kopf zu zerbrechen, scheint berechtigt. – Soll doch einfach jeder machen, was sie/er will. – Eine lange Geschichte von Menschen, die in vorgegebene Rollen gezwängt worden sind, kann für uns eine Warnung sein.

Der Mann als Oberhaupt der Familie

Die Konservativen haben eine Antwort: Der Mann ist das Oberhaupt der Familie! Gruppen brauchen Anführer, und Männer können das besser bzw. haben dafür sogar eine göttliche Berufung. – Eine Antwort, die heute viele nicht mehr überzeugt; und eine Antwort, die mit der wichtigen Frage zu tun hat, wie wir mit unseren heiligen Texten umgehen.

Männern, die mit der Vormachtstellung des Mannes in einer konservativen Familie liebäugeln, sei gesagt, dass wir im Christentum da noch eine ganz andere, jesuanische, Tradition haben:

Da setzte sich Jesus, rief die Zwölf zu sich und sagte zu ihnen: »Wenn jemand der Erste sein will, soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein.«

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(Bibel, Neues Testament, Markus-Evangelium 9,35)

In einer Gesellschaft, in der immer noch die Frauen die Kinder kriegen, oft auch eine eigene berufliche Karriere haben und – wie die Männer – zum Unterhalt der Familie beitragen oder sogar alleinerziehend sind und sich um den Haushalt kümmern, erscheinen Männer manchmal wie Assistenten ihrer Frauen. Auch wenn die Frauen dies nicht so wahrnehmen sollten, so ist eine Angst, in der Familie an Bedeutung zu verlieren, sicherlich bei manchen Männern vorhanden.

Frauen, die schwanger werden, Kinder kriegen und Babys stillen zur Seite zu stehen, könnte das nicht auch eine tolle Berufung sein? – Außerdem besteht das Leben auch nicht nur aus Kindern …

Männliche Identität

Für Aufgaben, für die Frauen körperlich zu schwach sind, gibt es heute auch Maschinen und Roboter. Wo bleibt da noch Platz für männliche Identität? Was können Männer, das nur Männer können? Und brauchen wir diese Einzigartigkeit des Männlichen überhaupt, um zu wissen, wer wir sind oder sein wollen?

Reicht es nicht aus, als Mensch einzigartig zu sein, so wie jeder Mensch, Mann oder Frau, einzigartig ist? Wäre es nicht am besten, wenn jeder schaut, was gemacht werden muss, und sich bemüht, seine eigenen Fähigkeiten, so gut wie möglich miteinzubringen? Ist eine Identität als neuer Mensch und Anhänger von Jesus nicht besser als ein künstliches Profil von zweifelhafter Männlichkeit?

Die große Verunsicherung

Verunsicherung ist mit Sicherheit ein prägendes Lebensgefühl unserer Generation. Und kaum ein Thema geht dabei so unter die Haut wie die Anfragen an unsere Sexualität.

Gender. Für manche ist das Wort eines der großen Zeichen der Endzeit. Einen ausgewogenen Artikel dazu findet ihr hier:

Alles Gender oder was?

Frühsexualisierung

Es gibt sogar einen Wikipedia-Artikel zu diesem Thema.

Kinder und Jugendliche, die in unserer Gesellschaft aufwachsen, werden in Familie, Schule und Medien einer Flut von sexuellen Eindrücken ausgesetzt. – Eltern wissen ein Lied davon zu singen. – Ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft und die Hilfsangebote in Familien, Schule und Gesellschaft ausreichend?

Was passiert mit denen, die dabei durchs „Betreuungs-Netz“ rutschen? Wie bringt man die notwendige Freiheit und den nötigen Schutz in eine Balance, die eine gesunde Entwicklung ermöglicht?

Christliche Identität – der neue Mensch

Das Bewusstsein einer neuen Identität, die Gott durch seinen Geist in uns bewirkt, erscheint mir als die gesündeste Grundlage für das Verhältnis zwischen Frauen und Männern und sexuelle Identität. Ein solches Bewusstsein ist auch keine Erfindung der Moderne:

Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und freien Menschen, zwischen Mann und Frau. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zusammen ein neuer Mensch geworden.

(Die Bibel, Neues Testament, Paulus‘ Brief an die Galater, 3. Kapitel, Vers 28)

Sexuelle Not und Not-wendigkeit

Nicht alle Frauen werden schwanger, und nicht alle Männer gründen eine Familie oder sind in der Lage wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen. Die persönliche Erfahrung, Kinder in die Welt zu setzen und Teil der langen Kette der Generationen menschlichen Lebens zu sein, ist eine der existentiellen Erfahrungen des Menschseins. Kinderlosigkeit kann Einzelne und Paare an den Rand der Verzweiflung bringen. (Kinderlosigkeit ist übrigens auch ein biblisches Thema.)

Jesus wandte sich besonders den Ausgegrenzten und Benachteiligten zu. In guter jüdischer Tradition. Der Gott Israels war immer ein Gott, der sich der schwachen erbarmt hat, und die Stimme der Unterdrückten hörte – auch der Kinderlosen. Ein Gott, der denen besonders nah ist, die gesellschaftliche Erwartungen nicht erfüllen können und häufig am Rande stehen und nur zugucken dürfen, was die anderen machen …

Es ist eine  wesentliche  Aufgabe für alle Menschen, die sich mit der jüdisch-christlichen Tradition identifizieren, solche am Rande der Gesellschaft stehenden Menschen in die Mitte ihrer Gemeinschaft einzuladen.

Eine neue Kultur

Wir brauchen eine neue, eine andere, bessere Kultur. Eine Kultur des Miteinanders, die Menschen zusammenführt und verbindet, und sie nicht gegeneinander in Stellung bringt. Eine Kultur, die unsere Lebenswelt vor dem Auseinanderfallen rettet, heilt und als „ganz“ und stimmig erfahrbar macht.

Buchempfehlung:  „Die verborgene Spiritualität des Mannes“ von Matthew Fox

[Dies ist die Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]

Ich bin nicht gut im Leiden.

 

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Tragödien-Maske an der Fassade des Königlichen Dramatischen Theaters in Stockholm; von Holger.Ellgaard via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

Die alte Leier …

Es hat mich erwischt. Eine Erkältung. – Nicht gerade dramatisch; aber schon drängt sich die alte Frage wieder auf: Wie war das  doch mit Gottes Liebe und dem Leiden? Könnte Gott das Leben für seine Kinder nicht ein bisschen angenehmer gestalten?

Schon mein Heuschnupfen ist manchmal eine ziemliche Belastung. Zahn- und Kopfschmerzen sind auch nicht gerade toll. Gleichzeitig ist das Jammern natürlich auch ein bisschen peinlich, wenn man an all die Menschen denkt, die wirklich richtig  schwer  zu leiden haben. Aber wenn man sowieso schon Stress hat und total optimiert an der Grenze seiner Kräfte operiert, dann ist eine Erkrankung manchmal gerade noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Wenn man allerdings dann noch ein bisschen über den eigenen Tellerrand schaut, erhält die Frage nach dem Leid noch eine ganz andere Dimension:

 

 

 

… Wer erkennt, dass der HERR es ist, der diese mächtigen Taten vollbringt?
.
Gott ließ seinen Diener emporwachsen wie einen jungen Trieb aus trockenem Boden. Er war weder stattlich noch schön. Nein, wir fanden ihn unansehnlich, er gefiel uns nicht! Er wurde verachtet, von allen gemieden. Von Krankheit und Schmerzen war er gezeichnet. Man konnte seinen Anblick kaum ertragen. Wir wollten nichts von ihm wissen, ja, wir haben ihn sogar verachtet.
.
Dabei war es unsere Krankheit, die er auf sich nahm; er erlitt die Schmerzen, die wir hätten ertragen müssen …
.
(Bibel / Tanach / Altes Testament, Jesaja 53. Kapitel, Verse 1-4)

 

Professionelles Leiden

Ich war zum Glück noch nie so richtig schwer krank. Einmal hatte ich allerdings so starke Zahnschmerzen, dass ich es kaum noch aushielt.  –  Ich bin nicht gut im Leiden.

Es gab allerdings einmal einen echten Profi im Leiden. Ist sogar deutsches Kulturgut geworden: Die Hiobs-Botschaft. Ein Mann, der Nachrichten bekommen hat, die selbst dem gestandensten Mann den Boden unter den Füßen weghauen können. Hiob hatte alles verloren: Seinen Besitz, seine Kinder und seine Gesundheit.

 

„Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!“
Er [Hiob] aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden …
.
(Tanach / Altes Testament, Hiob 2, 9-10)

 

Pardon,  fast  alles. Seine Frau hatte er noch. – Die hatte übrigens ja auch alles verloren.  Es waren ja wohl auch ihre Kinder bei denen mit dabei gewesen, die umgekommen waren. (Scheint wohl eine patriarchalische Erzählung zu sein). Und seine Frau hatte ihren Glauben an Gott anscheinend schon aufgegeben. (Falls sie überhaupt fromm gewesen war). Sie, die Hiob allein übrig geblieben war, gibt ihm dann noch, als er dann heftig krank wird, diesen Rat, sich von Gott zu verabschieden und ins Gras zu beißen.

 

Ohne eigenes Verschulden sind alle Geschöpfe der Vergänglichkeit ausgeliefert, weil Gott es so bestimmt hat.
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Aber er hat ihnen die Hoffnung gegeben, dass sie zusammen mit den Kindern Gottes einmal von Tod und Vergänglichkeit erlöst und zu einem neuen, herrlichen Leben befreit werden. – Wir wissen ja, dass die gesamte Schöpfung jetzt noch leidet und stöhnt wie eine Frau in den Geburtswehen.
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(Paulus im Brief an die Christen in Rom; Bibel, Neues Testament; 8,20-22)

 

Gott und unser Leid

Hiob jedoch blieb Gott treu. Aber er schleuderte Gott seine Anklagen entgegen.

Im hebräischen Original soll das Buch sogar so krass sein, dass ein jüdischer Rabbiner wohl mal gesagt hatte, mal sollte das Buch besser nicht alleine, sondern mindestens zu zweit lesen. – Wahrscheinlich, damit man nicht seine Fassung oder sogar seinen Glauben verliert.

Hiob ist eins meiner Lieblingsbücher in der Bibel. Hier wird nichts beschönigt. Auch der Deal zwischen Gott und Satan erscheint etwas absurd. So absurd wie das Leben manchmal.

Nebenbei bemerkt: Ich glaube nicht, dass dieses Buch ein Beleg dafür ist, dass Männer besser sind im Leiden als Frauen. – Es gibt auch  Glaubensheldinnen  in unseren biblischen Texten; auch wenn die Texte sicherlich alle stark von den patriarchalischen Kulturen geprägt sind.

 

… „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

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(Jesus am Kreuz)

 

Die Theodizee

Theodizee“ (wörtl. „Gerechtigkeit Gottes“ oder „Rechtfertigung Gottes“) ist „Theologen-Deutsch“ für die Frage, wie das Böse und Leid in der Welt mit einem allmächtigen, liebenden Gott zu vereinbaren sind. Den besten Vortrag, den ich dazu kenne, findet ihr bei Worthaus:

 

 

 

Je stärker wir durch uns bedrängendes Leiden auch emotional unter Druck geraten, desto heftiger wird auch unsere Vorstellung von einem liebenden Gott auf die Probe gestellt. Wenn wir uns Gott als lieben, allmächtigen Papa im Himmel vorstellen möchten, dann ist die Frage, warum er bei all dem grausamen, täglichen Leid nicht eingreift, und warum er überhaupt so eine Welt erschaffen hat, kaum zu ertragen.

 

Dann begann Hiob zu reden und verfluchte den Tag seiner Geburt.

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(Hiob 3,1)

 

Lebendiger Glaube

Einer der bedeutendsten Bibelforscher unserer Zeit, Bart D. Ehrman, ist wohl vor allem wegen der Frage nach dem Leid zum Agnostiker geworden, obwohl – oder vielleicht gerade weil – er einen evangelikalen Hintergrund hatte.

Wäre es nicht besser, wenn ein lebendiger Glaube sich verändert und wächst, als dass er an der Wirklichkeit zerbricht?

Wie müsste solch ein Glaube beschaffen sein?

 

Jetzt sehen wir nur ein undeutliches Bild wie in einem trüben Spiegel. Einmal aber werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt.

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth, 13,12)

 

Vollkommener Gott – mangelhafter Glaube

Gott ist per Definition vollkommen. Absolut. Die letzte Realität, die nach allem Hinterfragen noch übrig bleibt. Der Urgrund allen Seins.

Unsere Vorstellungen von Gott sind jedoch mangelhaft. Manche Menschen verwechseln ihre Gottesvorstellungen mit dem, was Gott selbst ist, und machen sich so einen Götzen – der nicht tragen kann. – Vielleicht kann gerade die immer wieder auftauchende und unser Leben begleitende Frage nach dem Leid  uns auch  – wie damals Hiob – in eine tiefere Gotteserkenntnis führen.

Menschliche Gottesvorstellungen sind immer auch geprägt durch die autobiographische und kulturelle Geschichte. Die immer bekannter werdende Integrale Theorie liefert auch ein Modell diese Zusammenhänge besser zu verstehen. Wenn sich unsere Gottesvorstellung ändert, erscheint auch die alte Theodizee-Frage in einem neuen Licht.

Die biblischen Texte beschreiben Gott als eine geheimnisvolle Macht, die nicht unabhängig von unserer Welt in einer Art „Parallel-Universum“ existiert, sondern in unserer Welt gegenwärtig ist. Ein Gott, der in den Lobgesängen seines Volkes wohnt und sich in der Geschichte der Menschheit verwirklicht. Ein lebendiger Gott. Ein Gott des Lebens. Und mit unserem Leben verändert sich auch unsere Vorstellung von ihm – oder ihr  😉

 

Heilige Texte

Interessant ist, dass das Reden von und über Gott im Judentum deutlich vorsichtiger ist, als im Christentum. Der Name Gottes, das Tetragramm „YHWH“, wird traditionell nicht ausgesprochen. Auch haben viele Christen das Bilderverbot vom Judentum übernommen.

Bei unseren Gottesvorstellungen wird es immer auch um die wichtige Frage gehen, wie wir mit dem Reden von und über Gott in der jüdisch-christlich Tradition und in unseren heiligen Texten umgehen, und in welchem Ausmaß wir bereit sind, uns auf die Lebenswelt und Kulturen der Menschen von heute einzulassen.

 

Gott ist Liebe; und die in der Liebe bleiben, bleiben in Gott, und Gott in ihnen.

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(Erster Brief des Johannes, 4,16b)

 

Freiwilliges Leiden

Das Christentum beruht auf Leid; das Leiden eines Mannes, der schwer gelitten hat, und dieses Leid sogar  freiwillig  auf sich genommen hat:  Jesus aus Nazareth.

Was bringt einen Menschen dazu,  freiwillig  Leiden auf sich zu nehmen?

Die biblischen Erzählungen von der Hinrichtung von Jesus sind keine freudestrahlenden Heldengeschichten eines das Leid umarmenden Gottes, der mit geschwollener Brust zu seiner Folter schreitet. Jesus nahm das Leid nicht furchtlos und todesverachtend auf sich, sondern hatte Todesangst und suchte nach einem Ausweg.

 

… „Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt!“
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Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder, betete  und sprach:
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„Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“
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Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er geriet in Todesangst und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen.
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Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend vor Traurigkeit …
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(Lukas-Evangelium 22,40-45)

 

Jesus musste gewusst haben, was für eine ungeheure Provokation sein Erscheinen in Jerusalem für das religiöse Establishment war: Der Einzug in Jerusalem, sein Auftreten im Tempel …

 

„Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“

„Mein Haus soll ein Haus des Gebets sein!“

 

Und er lehrte täglich im Tempel.

Doch es gab für Jesus keinen anderen Weg, als den Willen Gottes zu tun. Für alle Menschen.

 

Lernen, schwach zu sein

 

Cethosia_cyane
Cethosia cyane, by AirBete via Wikipedia, (CC BY-SA 3.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

 

schwach

Warum sollte man das lernen wollen? Schwach sein, ist ja nicht gerade erstrebenswert, oder?

 

… Was nach dem Urteil der Welt ungebildet ist, das hat Gott erwählt, um die Klugheit der Klugen zunichte zu machen, und was nach dem Urteil der Welt schwach ist, das hat Gott erwählt, um die Stärke der Starken zunichte zu machen.

 

(Bibel, Neues Testament, Paulus‘ erster Brief an die Christen in Korinth, 1. Kapitel, Vers 27)

 

stark

Demonstration von Stärke ist eine Lebens- und Überlebensstrategie: Imponiergehabe, Muskeln, Beeindrucken, Macht, Abschreckung, Waffen, Einschüchtern, Gewaltandrohung …

 

Der Weg Jesu

Der Weg Jesu erscheint als ein Entgegengesetzter: Das Leben von Schwachheit als Übereinstimmung mit der Wirklichkeit.

 

 Von sich aus kann der Sohn gar nichts tun, sondern er tut nur das, was er den Vater tun sieht. Was immer aber der Vater tut, das tut auch der Sohn!

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(Neues Testament, Johannes-Evangelium 5,19)

 

zerbrechlich

Schwachheit ist eine grundlegende Lebenserfahrung aller Menschen – vielleicht die grundlegendste überhaupt. Bevor wir die Welt uns er-denken, werden wir im Bauch unser Mutter herumgetragen. Passivität. Geboren-werden. Wir erleiden all die Dinge, die uns als Werdende entgegenkommen.

Auch in der vollen Blüte des Lebens, des Er-wachsen-seins und der Fruchtbarkeit, ist Leben ständig bedroht. Leben existiert nur im Schatten des Todes. Von einer Sekunde zur nächsten kann das Leben zu Ende sein oder eine Katastrophe über uns hereinbrechen, dass nichts mehr so ist, wie wir es kennen.

 

vergänglich

Der Vergänglichkeit unterworfen. Wenn es uns geschenkt ist, alt zu werden, spüren wir, wie die Kräfte nachlassen und wir zerbrechlicher werden. – Es ist nicht erstrebenswert, schwach zu sein; aber die Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens zu erkennen und anzuerkennen, ist eine Frage der Wahrheit.

 

Was ist denn der Mensch, Herr, dass du ihn beachtest? Was bedeutet er dir, der vergängliche Mensch, dass du dich mit ihm abgibst? Wie ein Hauch ist der Mensch und sein Leben gleicht dem schwindenden Schatten.

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(Altes Testament / Tanach, Psalm 144, Verse 3-4)

 

Das Wahrnehmen, Bejahen, Annehmen dieser Tatsache erscheint mir als grundlegend für den Weg Jesu.

 

Dem Leben vertrauen

Leben ist ein Geschenk. Jeder Atemzug. Nichts ist selbstverständlich oder verdient, könnte eingefordert werden. Unser Leben kann nur bestehen als Teil von etwas Größerem, das wir nicht in der Hand haben oder kontrollieren können.

Wir brauchen Vertrauen und Mut, um schwach sein zu können. Verabschiedung von Selbsttäuschung. Nachhaltigkeit, anstelle von kurzsichtigen Zielen.

 

… Gott tritt den Stolzen entgegen, den Demütigen aber schenkt er seine Gnade. Ordnet euch also Gott unter …

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(Neues Testament, Jakobusbrief 4,6-7)

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Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich.

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(Psalm 139,5)

 

weich, flexibel und formbar

Starrheit zerbricht, Flexibeles gibt nach. Beim harten Aufschlag geht etwas kaputt – Weichheit kann Energie aufnehmen und einen Schlag abfedern. Elastisch.

 

Der Klügere gibt nach!

 

Ich kann ein Teil des Problems sein, oder ein Teil der Lösung.

Die Bibel benutzt manchmal das Bild des Töpferns. Wir sind der weiche, formbare Ton, und Gott ist der Töpfer, der aus uns etwas machen will, das ihm gefällt.

Vielleicht ist das auch der beste Zugang zu der Bibelstelle, zu der schon so viel gesagt worden ist:

 

… Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.

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(Neues Testament, Matthäus-Evangelium 18,3)

 

wahrhaftig

Wenn wir die Perfektion, Heiligkeit, Vollkommenheit, zu der wir aufgefordert werden, versuchen darzustellen, sind wir zum Burnout verdammt. Allein das AUSSTRECKEN nach Vollkommenheit ist leb-bar. Ein Leben aus Gnade und Vergebung, des Immer-neu-anfangen-dürfens. Authentisch.

 

Wenn wir behaupten, ohne Schuld zu sein, betrügen wir uns selbst und verschließen uns der Wahrheit.

(1. Brief des Johannes 1,8)

 

Unser Wille und Denken stören, solange wir nicht mit der Wirklichkeit und dem Wirken Gottes übereinstimmen.

 

Im Fluss

Ob wir Öl oder Sand im Getriebe der Herrschaft Gottes sind, entscheidet sich daran, wie sehr wir mit seinem Wesen im Einklang sind. Wir können entweder ein festverwurzelter Stein im Fluss sein, an dem sich das Wasser bricht, oder wir können uns ausrichten an der Strömung des Wirkens Gottes und uns mitnehmen lassen, dahin, wohin Gott uns trägt.

 

… die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes.

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(Paulus‘ Brief an die Christen in Rom, 8,14)

 

sterben und auferstehen

Manche Menschen, die schon dem Tode nahe, vielleicht todkrank, waren, haben dadurch zu einem intensiven Leben gefunden. Als Christen leben wir unser Leben im Schatten des Kreuzes Jesu, an dem Gott schwach wurde und an dem wir selbst gestorben sind, um zu einem besseren Leben aufzuerstehen.

 

[Dies ist die neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]