Christentum heute ist ohne die biblischen Texte kaum vorstellbar. Es gab allerdings schon Christentum bevor die Bibel entstand. Auch ist die Bibel nicht vom Himmel gefallen. Wie wir mit ihr umgehen, ist entscheidend für uns selbst und für andere. – VORSICHT : Das Anliegen des Blogs ist mir sehr ernst; einzelne Sätze sind allerdings nicht immer wörtlich zu nehmen. ;-) – Bin übrigens als Christian Schmill auf Facebook, @C_Schmill bei Twitter.
Manch einem mag schon diese Frage seltsam erscheinen …
Wo ist das Problem?
Während manche Gläubige über Jahrzehnte hinweg von der Weisheit des Enneagramms beeindruckt sind und damit arbeiten, erscheint anderen bereits das Enneagramm-Symbol als mysteriös und verdächtig. Schleicht sich da vielleicht eine unchristliche Selbsterlösungslehre in die Christenheit ein?
Kritik kommt sogar aus dem katholischen Lager, obwohl gerade Katholik*innen maßgeblich an der Verbreitung des Enneagramms in der christlichen Szene beteiligt waren (Jesuiten, Richard Rohr, Suzanne Zuercher usw.). Die Befürworter und Gegner des Enneagramms scheinen sich allerdings gemischt in den unterschiedlichen christlichen Milieus zu befinden.
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Woran liegt es, dass Christ*innen so unterschiedlich auf die Enneagramm-Theorie reagieren?
Manche Menschen wehren sich dagegen, vom Enneagramm „in eine Schublade gesteckt“ zu werden, andere argumentieren, die Arbeit mit dem Enneagramm widerspräche der christlichen Überzeugung, dass wir durch den Tod Jesu am Kreuz erlöst werden (und nicht durch „Selbsterlösung“ oder irgendeine besondere Erkenntnis). Dabei lassen sich religiöse und nicht-religiöse Argumente kaum sauber von einander trennen. Das nicht spezifisch religiöse Unbehagen, in eine Schublade gesteckt zu werden, könnte z.B. religiös begründet werden: „Es widerspricht dem biblischen Menschenbild!“ (oder ähnlich).
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„Du bist einzigartig!“ (Genauso einzigartig, wie alle anderen …)
Es geht im Grunde wahrscheinlich um die Problematik aller Persönlichkeitstypologien. Sollte es wirklich Kriterien geben, nach denen man alle Menschen in bestimmten Gruppen zusammenfassen kann? – Wissenschaftlich durchgesetzt haben sich im Moment wohl vor allem die „Big Five„. – Sind wir Menschen nicht zu komplex und einzigartig, als dass man uns einfach so vergleichen und sortieren könnte?
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„Autsch! Ich hab einen Balken im Auge …“
„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn wie ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen! – und siehe, ein Balken ist in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.“
Dieser Text aus der schönen Bergpredigt ist für mich die beste biblische Hinführung zum Enneagramm: Es geht darum, den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen und zu entfernen, damit man besser sehen kann. (Schattenarbeit)
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Das emergierende Enneagramm
Insbesondere da die Entstehung und Herkunft des Enneagramm aufgrund eines Mangels an historischen Quellen weitgehend im Dunkeln liegt, erscheint es mir wichtig aufzuzeigen, warum und wie die Enneagramm-Theorie an den Inhalt der biblischen Texte anknüpft und sich in die christliche Tradition einfügt. Ich habe vor mich im Rahmen meiner Bachelorarbeit in den nächsten Monaten damit zu beschäftigen.
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Welche Bedeutung hat das Enneagramm für die Zukunft der Christenheit?
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Wenn ihr Informationen, Ideen, Hinweise etc. zu diesem Themenkomplex habt, dann hinterlasst sie gerne in den Kommentaren. 🙂
Cristo de San Pedro. Sanlúcar la Mayor. Jose Luis Filpo Cabana – CC BY 3.0 via Wikimedia Commons
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Ein Schriftgelehrter ging auf seinem Lebensweg und las dabei in der Bibel. Plötzlich prallte er gegen etwas Hartes und schaute empor. Er erblickte Jesus am Kreuz und fasste sich an den Kopf …
… und fuhr sich mit der Hand über den Mund.
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Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war …
Jeder Schriftgelehrte, der in der Schule des Himmelreichs ausgebildet ist, gleicht einem Hausherrn, der aus seinem reichen Schatz Neues und Altes hervorholt …
Acker-Senf (Sinapis arvensis), Foto von Teun Spaans, GFDL und CC-BY-2.5, via Wikimedai Commons
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Die Krise der Kirchen
Kirchen sind in der Krise. Ich habe dazu in letzter Zeit öfter Formulierungen gehört wie:
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„Wir müssen uns mehr anstrengen, um die Krise der Kirche zu überwinden.“
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Ich bezweifle, dass das so stimmt. Ich glaube, was wir brauchen ist Bewusstseinsveränderung.
Dies wirft die Frage auf, ob die derzeitigen Entscheidungsträger der Kirchen in der Lage sind, eine solche Bewusstseinsveränderung herbeizuführen.
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Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf sein Feld sät.
Es ist zwar das kleinste aller Samenkörner. Aber was daraus wächst, ist größer als alle anderen Gartenpflanzen. Ein Baum wird daraus, auf dem die Vögel sich niederlassen und in dessen Zweigen sie nisten.
Ich habe häufig meine besten Ideen nebenbei, wenn ich gar nicht daran arbeite. Ein Phänomen, von dem ich auch schon oft von anderen gehört habe. Sogar Lösungen für mathematische Probleme erscheinen Menschen im Traum …
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Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen.
Wenn der HERR nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst.
Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen;
denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf.
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(Psalm 127 – Bibel / Tanach / Altes Testament)
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Mehr Sorglosigkeit und Entspannung?
Müssen wir uns angesichts der Krise von Religion und Kirche wirklich noch mehr anstrengen? Oder sollten wir uns vielleicht eher mehr entspannen? (Klingt das zu gut, um wahr zu sein?)
Und wie vertreten wir dann unsere Sorglosigkeit vor unserem Arbeitgeber und in der Öffentlichkeit?
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„… ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die die selig macht alle, die darauf vertrauen …“
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(Paulus in seinem Brief an die Christen in Rom – Neues Testament – 1,16)
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Eine wirklich Gute Nachricht
Es ist die uralte Botschaft des Evangeliums, dass nicht all unsere Anstrengungen uns retten, sondern das Vertrauen in eine Macht, die größer ist als wir. Eine Kirche, die wirklich „christlich“ ist, wird dies auch authentisch verkörpern.
Unser altes, aufgeblasenes Ego muss gegen das Kreuz prallen, damit eine größere Kraft uns aufrichten und emporheben kann.
Ein sehr nützliches Instrument dazu, dass ich in den vergangenen Monaten kennengelernt habe, ist der spirituelle Weg des Enneagramms. (Richard Rohrs Seminar darüber auf YouTube ist hervorragend!) Und es gibt noch viele andere hilfreiche Dinge …
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Es gibt vor allem Jesus, seine Gegenwart, seine Lehre, und die wunderbare Wirkung, die von ihm ausgeht.
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„Ein Bauer ging aufs Feld, um zu säen …
… einiges fiel auf guten Boden, ging auf, wuchs und brachte Frucht“
“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
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(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)
Gemischte Gefühle, Kreuzweg und tragende Kraft
Gemischte Gefühle scheinen eine regelmäßige Begleiterscheinung des Lebens zu sein – auch bei Christen. Freude und Dankbarkeit für überströmenden Segen und Ungeduld mit der Verwirklichung nötiger Veränderungen können dicht beieinander liegen. Wir erleben Segen und Mangel zugleich.
Diese gemischten Gefühle transparent zu machen, erscheint mir wesentlich für eine gesunde Mission: Wissen und Unkenntnis, Glaube und Zweifel, Schuld und Gnade, Freude und Leid, Klarheit und Unsicherheit, Vollmacht und Schwachheit, Befähigung und Unfähigkeit, Fehler und Vergebung, Traurigkeit und Selbstmitgefühl,…
„Denn ich bin ganz sicher: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch irgendwelche Gewalten, weder Hohes noch Tiefes oder sonst irgendetwas auf der Welt können uns von der Liebe Gottes trennen, die er uns in Jesus Christus, unserem Herrn, schenkt.“
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(Paulus im Brief an die Christen in Rom 8,38-39)
Es sind auch nicht nur die Fülle des Segens und Dankbarkeit, welche uns antreiben, sondern auch das Wahrnehmen des Mangels. “Die Liebe Christi drängt uns…” (2.Kor.5,14). Innere und äußere Not werden durch Hoffnung und Liebe zu Motivation. -Auch Barmherzigkeit ist ein grundlegender Wert jüdisch-christlicher Tradition.
In einem Leben im Geist Jesu kann eine Kraft erfahren werden, die über die unzulänglichen Möglichkeiten unseres kleinen Lebens hinausgeht. Wir bleiben Begnadete und Empfangende.
Die Aneignung des Weges und Wesens Jesu ist ein lebenslanges Ringen, ein Kreuzesweg, ein ständiges Sterben und Auferstehen, ein Reifungsprozess. Nimmt man sein Kreuz auf sich, erlebt man die Kraft, es zu tragen. Das Kreuz ist somit nicht nur Symbol eines historischen Ereignisses, sondern Symbol eines Lebensstils und einer Gegenkultur zur Welt: Christenheit als begnadete Gemeinschaft der Liebenden, unterm Kreuz und vor dem leeren Grab, die ihr altes Leben loslassen und Kraft aus der Höhe empfangen.
Wenn wir mit unseren eigenen Möglichkeiten ans Ende kommen, ist Gott noch lange nicht am Ende. In Schwachheit, Ohnmacht, Scheitern und Leiden erfahren wir Sterben und Auferstehung als Lebensstil (2.Kor. 6,8-10; Gal. 2,20).
„…Mein altes Leben ist mit Christus am Kreuz gestorben.Darum lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir!…“
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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 2,19-20)
Die Fülle des Lebens kommt in unsere Welt durch den Tod, den Mangel an Leben, hindurch. Das Prinzip des Kreuzes und der Auferstehung: Leben aus dem Tod. Mission im Sinne Jesu ist Ausdruck von Erniedrigung und Erhöhung, von Scheitern und Wieder-aufgerichtet-werden. Im Sterben des Egos werden wir erfasst und emporgehoben von heiligem Geist.
Missionierende haben sich nicht selbst erfunden, sondern sind in Bewegung gesetzt worden von einem Moment, einer Kraft, welche weit über die eigenen Möglichkeiten hinaus geht. – Die lukanischen Texte, insbesondere die Apostelgeschichte, stellen dies eindrücklich dar. – Sie sind Träger eines Impulses und einer Überlieferung, welche sie empfangen haben und weitergeben. Es ist nicht unsere Macht, welche das Himmelreich aufrichtet, sondern Gottes Macht.
Himmlische Kraft: Der Kapokbaum in Indien, Foto von Chrishibbard7 (Self-photographed) via Wikimedia Commons – Public domain
Aktives Vertrauen verwirklicht sich in Entscheidungen und Taten. Der Friede Gottes und seine Kraft wird erfahrbar im Ausgleich unseres Mangels. Lebensenergie, ewiges Leben, fließt durch mich hindurch in die Welt: Geistliches, erfülltes Leben nicht als Status, sondern als dynamischer Prozess. – Vielleicht ist es diese Erfahrung, die auch schon in dem alten Sprichwort zum Ausdruck kommt:
“Hilft dir selbst, dann hilft dir Gott!”
(Sprichwort)
Strömen oder Fließen ist ein wichtiges Motiv in der Kulturgeschichte der Menschheit. Der Mensch nährt sich am Busen der Natur, und zum Baby fließt die Milch aus der Brust der stillenden Mutter. Nehmen und Geben, Leben empfangen und weitergeben. In der jüdisch-christlichen Überlieferung kommt dies in besonderer Weise im Reden vom Heiligen Geist zum Ausdruck (Joh. 3).
Eine geheimnisvolle, heilige Macht, die durchs Leben trägt und den Menschen selbst zur Quelle von Leben macht (Joh. 7,38). Leben im göttlichen Flow. Stetigkeit und Beständigkeit im Wechselspiel von Mangel und Ausgleich (2.Kor. 6,8-10). Christen sind Dienende und Liebende mit gemischten Gefühlen, Scheiternde und Aufgerichtet-werdende, Tanzende im Ausgleich stärkerer Kräfte.
“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
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(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)
Solidarität der Suchenden
Sattheit macht träge. Hunger setzt uns in Bewegung, auf der Suche nach etwas, das die Sehnsucht unseres Herzens stillt und Körper und Seele satt machen. Unsere Bedürfnisse sind allerdings je nach Lebensphase und -umständen unterschiedlich. Es gibt geistliche Reifungsprozesse…
Der Glaube eines Erwachsenden ist nicht dasselbe, wie der Glaube eines Kindes. Wenn ein Mensch ein Bekehrungserlebnis hin zum Christentum hat, sind damit noch nicht alle Fragen für alle Zeit beantwortet. Die Vielfalt des weltweiten Christentums heutzutage ist nicht identisch mit dem Christentum zur Zeit der ersten Apostel. Wir sind alle noch auf dem Weg und suchen Erfahrungen (Phil. 3,10-12) und Antworten…
„Um Christus allein geht es mir. Ihn will ich immer besser kennen lernen: Ich will die Kraft seiner Auferstehung erfahren, aber auch seine Leiden möchte ich mit ihm teilen und mein Leben ganz für Gott aufgeben, so wie es Jesus am Kreuz getan hat…
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Dabei ist mir klar, dass ich dies alles noch lange nicht erreicht habe und ich noch nicht am Ziel bin. Doch ich setze alles daran, es zu ergreifen, weil ich von Jesus Christus ergriffen bin…“
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(Paulus im Brief an die Christen in Philippi 3,10-12)
Gute Erfahrungen machen uns Hoffnung, Ähnliches könnte sich noch einmal ereignen. Sie öffnen die Augen für die Schönheiten des Lebens: Es gibt erfahrbare Vergebung, die Kraft eines guten Gewissens, echte Liebe, Solidarität aus tiefer Überzeugung, Hilfsbereitschaft im Glauben an zeitlose Werte, Leben in einer größeren Dimension, tieferes Verstehen, erweitertes Bewusstsein, Sinn im Leben,…
Es gibt viele Menschen, die etwas suchen, und manchmal sind die Probleme und Fragen von Christen und Nichtchristen dieselben:
Wie können wir als Menschheit eine Zukunft haben? Wie können wir verantwortungsvoll und nachhaltig leben? Wie macht unser Alltag Sinn? Wie werde ich meine Depressionen los? Wie können wir in Frieden miteinander leben? Wie schaffe ich es, das Richtige zu tun? Wie werde ich glücklich? Wie findet und pflegt man belastbare Beziehungen? Wie funktioniert Familie? Wie wird meine Seele satt?…
Wie könnte Mission im Auftrag Gottes etwas anderes sein, als die Antwort auf die tiefsten Sehnsüchte des Menschen?
Das Bild, das die Evangelien von Jesus malen, ist das Bild eines Menschen, der sich radikal mit allen Menschen solidarisiert. Er wendet sich den Ausgegrenzten zu und ruft sogar zur Feindesliebe auf. Der Gott dieses Jesus ist der Gott des Jona, welcher sich auch um die Feinde sorgt – und sogar um die Tiere (Jona 4,11; Matthäus 10,29; Johannes 2,15-16). In der Bergpredigt spricht er zu seinen Jüngern (!):
„Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.”
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(Matthäus-Evangelium 7,7 – Hervorhebung von mir)
Wir bräuchten in der Christenheit eine deutliche Zäsur: Weg von der Besserwisserei und hin zur Solidarität mit der Not und den Fragen jedes Menschen. Was sich in meinem Leben bewährt hat, sollte ich sicherlich nicht so einfach wieder aufgeben. Es gehört jedoch auch zu einem Leben im Geist Jesu, die Nöte und Fragen anderer wirklich ernst zu nehmen.
Angesichts der Geschichte und Gegenwart der Christenheit wäre ein Beharren auf der Position “man selbst vertrete aber die richtige Variante des Christentums” etwas peinlich. Gelebter Pluralismus und eine Kultur gesunden, konstruktiven Austauschs könnten selbstgemachtes Christentum überwinden (2 Kor 10, 4-5) und uns weit bringen. Da wir noch nicht am Ziel sind, können wir bereits Erreichtes immer wieder in Frage stellen. Wenn man bereit ist, Gutes loszulassen, könnte man vielleicht Besseres empfangen...
Symbol der Ökumene; von Rechtfertigungslehre_St.-Anna_Augsburg, Emkaer derivative work: ARvєδuι via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)
“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission
Tragödien-Maske an der Fassade des Königlichen Dramatischen Theaters in Stockholm; von Holger.Ellgaard via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)
“Glücklich schätzen können sich Menschen, die hungrig und durstig sind nach Gerechtigkeit. Sie werden satt werden.”
. (Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)
Einladung zum Leiden
In den ersten drei Jahrhunderten des Christentums war meist klar, dass eine Einladung zum Leben mit Jesus auch eine Einladung zum Leiden war. Paulus sieht seine eigenen Leiden als Fortsetzung des Leidens Jesu (Röm 8,17), und bei den Synoptikern fordert Jesus die Menschen auf, ihr Kreuz auf sich zu nehmen (Mt 10,38; Mk 8,34; Lk 9,23). Auch die Verehrung von Märtyrern hatte in den ersten Jahrhunderten eine große Bedeutung.
Jesus zu glauben und zu lieben und zu dienen, bedeutet zu leiden. Leiden ist eine Grunderfahrung der Schüler von Jesus. Der Geist Jesu führt ins Leid (Mt 4,1; 2 Kor 4,7-12; 7,10). Die Welt und sich selbst im Geiste Jesu wahrzunehmen, das Schöne und das Hässliche, bedeutet zu leiden. Die Entscheidung, an der Seite Jesu eine bessere Welt herbeizuglauben, ist eine Entscheidung zum Leiden. Es ist ein Leiden in der Hoffnung, dass dieses Leiden einen Sinn hat.
„Wir allerdings sind für diesen kostbaren Schatz, der uns anvertraut ist, nur wie zerbrechliche Gefäße, denn es soll deutlich werden, dass die alles überragende Kraft, die in unserem Leben wirksam ist, Gottes Kraft ist und nicht aus uns selbst kommt.
Von allen Seiten dringen Schwierigkeiten auf uns ein, und doch werden wir nicht erdrückt. Oft wissen wir nicht mehr weiter, und doch verzweifeln wir nicht. Wir werden verfolgt und sind doch nicht verlassen; wir werden zu Boden geworfen und kommen doch nicht um. Auf Schritt und Tritt erfahren wir am eigenen Leib, was es heißt, am Sterben Jesu teilzuhaben.
Aber gerade auf diese Weise soll auch sichtbar werden, dass wir schon jetzt, in unserem irdischen Dasein, am Leben des auferstandenen Jesus teilhaben. Ja, mitten im Leben sind wir um Jesu willen ständig dem Tod ausgeliefert, und eben dadurch soll sich in unserem sterblichen Dasein zeigen, dass wir auch am Leben von Jesus Anteil haben. Unser Dienst bringt es also mit sich, dass an uns der Tod zur Auswirkung kommt; aber er führt auch dazu, dass an euch das Leben wirksam ist.“
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(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 4,7-12)
Empathie hat im Christentum eine große Bedeutung. Wir leiden an uns selbst, an unseren Mitmenschen, an den Schwestern und Brüdern der Christenheit und am real-existierenden Christentum und seiner Geschichte. – Die neue Schöpfung kommt nicht auf leichte, angenehme Weise…
“Nicht alle, die sterben, weinen, alle aber weinen, die geboren werden.”
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(Ficino, Theologia Platonica, XVI 8 – zitiert nach Lauster: Die Verzauberung der Welt)
Kreuz an der Ostsee von Caspar David Friedrich (Schloss Carlottenburg, Neuer Pavillon) [Public domain], via Wikimedia Commons
“Glücklich schätzen können sich Menschen, die hungrig und durstig sind nach Gerechtigkeit. Sie werden satt werden.”
“Glücklich schätzen können sich Menschen, die hungrig und durstig sind nach Gerechtigkeit. Sie werden satt werden.”
. (Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)
Liebevolle Mission
Schon im Judentum hatte und hat die Liebe zu Gott und den Mitmenschen eine große Bedeutung. In den Evangelien und in anderen neutestamentlichen Texten kommt dies auch zum Ausdruck. Es gibt im Neuen Testament nichts anderes, dem eine ähnlich große Bedeutung zugesprochen wird, wie die Liebe (1 Kor 13; 1 Joh 4,16). Christliche Mission ist somit Mission aus Liebe und in Liebe, Dienen, aus Liebe heraus.
Dementsprechend muss auch christliches Selbst- und Sendungsbewusstsein aussehen: Befähigt und gesandt, um zu lieben und zu dienen. Mission im Geist der Liebe. Die Werte Dienen und Liebe sind hier eng miteinander verbunden. Dienen ist der konkrete Ausdruck von Liebe.
„Gott ist Liebe, und die in der Liebe bleiben, bleiben in Gott, und Gott in ihnen.“
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(1. Johannesbrief, 4. Kapitel, Vers 16 – Neues Testament)
Dienen orientiert sich an den Bedürfnissen des Mitmenschen. Liebe macht Not und führt ins Leid. Wir leiden mit den Leidenden, und leiden auch an unserer eigenen Begrenztheit. Wir erleben die Not, oft nicht helfen zu können oder nicht zu wissen, was dem anderen wirklich gut tut. Wir empfinden Hilflosigkeit angesichts der eigenen Begrenztheit und der Größe der Aufgabe.
Hinzu kommt die Last, die eigenen Bedürfnisse mit denen der anderen abzuwägen. Diese Balance zwischen Selbst- und Nächstenliebe ist eine der schwierigsten Aufgaben christlichen Dienens: Im Glauben an Gottes unbegrenzte Möglichkeiten dennoch die eigene Begrenztheit und Bedürftigkeit im Auge behalten. – Der Heilige Geist befähigt uns zu lieben und zu dienen (Röm 8; Gal 5,22-25); gleichzeitig bleibt dies allerdings auch ein lebenslanger Lernprozess.
Mission wird zur Bewegung der Liebe Gottes hin zu den Menschen. Als Schüler Jesu bin ich Teil dieser Bewegung. Die Autorität Jesu bestand in der Übereinstimmung mit diesem Wirken Gottes. Kein autoritärer Machtanspruch zur Befriedigung eigener Interessen, sondern Autorität durch Liebe im Werben um das Vertrauen von Menschen, und Überwindung des Bösen durch Leiden. – Gewaltlosigkeit ist wohl bis heute eines der auffälligsten Kennzeichen der Botschaft Jesu, und das Kreuz deren eindrucksvollstes Symbol.
“Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis jetzt noch stöhnt und in Wehen liegt wie eine Frau bei der Geburt. Aber auch wir selbst, […] stöhnen ebenso in unserem Innern. Denn wir warten sehnsüchtig…”
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(Paulus im Brief an die Christen in Rom 8,22-23 – Neues Testament)
Calvary Church bei Nacht; eine „non-denominational evangelical church“ in Charlotte, North Carolina; Foto von Fartbarker, via Wikimedia Commons – public domain
Die Lage der Christenheit ist sehr ernst; uns sie ist es nicht erst seit gestern, sondern schon seit langem.
„Wenn ihr jedoch wie wilde Tiere aufeinander losgeht, einander beißt und zerfleischt, dann passt nur auf! Sonst werdet ihr am Ende noch einer vom anderen aufgefressen.“
. (Paulus im Brief an die Christen (!) in Galatien; Bibel, Neues Testament; 5. Kapitel, Vers 15)
Eine gute Nachricht?
Das ist, was das Wort „Evangelium“ wörtlich bedeutet. Antike Fromme dachten da an Rettung von Gott, Bedrohungen, die abgewendet werden konnten, Überwindung des Bösen und Zukunft, die möglich geworden ist.
Die ersten Christen waren überzeugt, dass sie eine gute Nachricht für die ganze Welt haben. Diese Überzeugung war entstanden durch die Erfahrungen, die sie mit Jesus aus Nazareth als Teil der spirituellen Bewegung gemacht hatten, die von diesem Menschen ausging.
Sie waren überzeugt, dass sie in einer Zeit leben, wo Gottes Geist auf Menschen herabkommt, sie erfasst, neu belebt und befähigt ein Leben zu führen, das Gott gefällt.
„Der Geist Gottes dagegen lässt als Frucht eine Fülle von Gutem wachsen, nämlich: Liebe, Freude und Frieden, Geduld, Freundlichkeit und Güte, Treue,Bescheidenheit und Selbstbeherrschung. Gegen all dies hat die Tora nichts einzuwenden.
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Menschen, die zum Messias Jesus gehören, haben ja doch ihre selbstsüchtige Natur mit allen Leidenschaften und Begierden ans Kreuz genagelt.“
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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 5,22-24)
Was glauben Christen heutzutage noch?
Wenn man sich heutzutage in der christlichen Szene umschaut, ist es gar nicht so leicht zu erkennen, was all diese Christen noch gemeinsam haben. Ich wohne in Berlin und die christliche Szene ist hier (besonders seit dem Mauerfall) sehr bunt geworden. Wenn man mit Christen ins Gespräch kommt, weiß man oft nicht, was einen erwartet, und einem wird dann alles Mögliche erzählt.
Was für eine gute Nachricht haben wir als Christen heutzutage noch für die Menschen um uns herum? Was ist unsere Message an die Welt? Ist das Christentum noch ein gutes Angebot?
Apostel Paulus (rechts mit Buch, Schwert und Halbglatze) und Markus. Eine der beiden Tafeln des Diptychons (Die vier Apostel) von Albrecht Dürer (1526) via Wikimedia Commons – public domain
Ein anderes Evangelium
Der bibel-kundige Leser hat es sofort gemerkt:
Der Titel ist eine Anspielung auf einen Bibelvers im Brief des Apostels Paulus an die Christen in Galatien:
„Ich wundere mich sehr über euch. Gott hat euch doch in seiner Gnade das neue Leben durch den Messias Jesus geschenkt, und ihr seid so schnell bereit, ihm wieder den Rücken zu kehren. Ihr meint, einen anderen Weg zur Rettung gefunden zu haben?
Doch es gibt keinen anderen! Es gibt nur gewisse Leute, die unter euch Verwirrung stiften, indem sie die Botschaft vom Messias verfälschen. Wer euch aber einen anderen Weg zum Heil zeigen will als die rettende Botschaft, die wir euch verkündet haben, den wird Gottes Urteil treffen – auch wenn wir selbst das tun würden oder gar ein Engel vom Himmel.
Ich sage es noch einmal: Wer euch eine andere Botschaft verkündet, als ihr angenommen habt, den wird Gottes Urteil treffen!“
. (Paulus im Brief an die Christen in Galatien 1,6-9, in der Übersetzung der „Hoffnung für alle“; die Formulierung „anderes Evangelium“ stammt aus der Luther-Übersetzung)
Hatten die Galater Jesus den Rücken gekehrt und sich wieder den Vergnügungen der Welt zugewandt? Oder sich von „modernen“ Irrlehren verführen lassen?
Ist Jesus allein nicht genug?
Das Problem war nicht, dass sich die Galater völlig von Jesus abgewandt hätten, sondern dass nachdem Paulus die gute Nachricht vom neuen Leben in Jesus verkündet hatte, andere kamen, die gesagt haben: Jesus ist zwar der Messias, aber Jesus allein genügt nicht, sondern ihr müsst auch nach der alten Tora leben.
„Allerdings mussten wir uns mit einigen falschen Brüdern auseinander setzen, mit Eindringlingen, die sich bei uns eingeschlichen hatten und ausspionieren wollten, wie wir mit der Freiheit umgehen, die Jesus, der Messias, uns gebracht hat. Ihr Ziel war, uns wieder zu Sklaven der Tora zu machen.
Aber wir haben ihnen nicht einen Augenblick nachgegeben und haben uns ihren Forderungen nicht gebeugt; denn die Wahrheit, die uns mit dem Evangelium gegeben ist, sollte euch unter allen Umständen erhalten bleiben.“
. (Galaterbrief 2,4-5)
Die Leute, gegen die sich Paulus im Galaterbrief wehrt, waren Menschen, die sich auf die heiligsten Texte ihrer heiligen Schriften beriefen: Die Tora. Der Galaterbrief selbst zeigt uns also schon, dass es nicht nur theoretisch möglich ist, sondern dass in der Geschichte der Christenheit es schon real passiert ist, dass Menschen mit heiligen Texten ein anderes Evangelium verkündet haben.
„Biblisch an Jesus glauben“
Das Problem der Galater damals scheint mir sehr ähnlich dem Problem, das wir schon seit langem in der Christenheit haben. Vielleicht ist es im Wesentlichen sogar dasselbe. Der Glaube an die Bibel ist bei vielen Christen an die Stelle des Glaubens an Jesus getreten. Jesus wird „verpackt“ in der Bibel und nur wer „biblisch“ an Jesus glaubt, wird gerettet.
„Bevor uns Gott diesen Weg des Glaubens geöffnet hat, waren wir unter der Aufsicht des Gesetzes in das Gefängnis der Sünde eingeschlossen. Das sollte so lange dauern, bis Gott den vertrauenden Glauben als Weg in die Freiheit bekannt machen würde, und das heißt: bis Christus kam.
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So lange war das Gesetz unser Aufseher; es war für uns wie der Sklave, der die Kinder mit dem Stock zur Ordnung anhält. Denn nicht durch das Gesetz, sondern einzig und allein durch vertrauenden Glauben sollten wir vor Gott als gerecht bestehen.
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Jetzt ist der Weg des Glaubens geöffnet; darum sind wir nicht mehr unter dem Aufseher mit dem Stock.“
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(Galaterbrief 3,23-25)
Eine andere Welt
Die Welt, in der wir heute leben, ist nicht mehr dieselbe, wie die Welt der ersten Christen. Ganz abgesehen davon, dass die ersten Christen keine Mitteleuropäer waren und nicht Deutsch sprachen.
In unser modernen Zeit verändert sich unsere Gesellschaft und unser Leben schneller als jemals zuvor, und wir stehen vor Herausforderungen, die die Menschheit in ihrer Geschichte noch nie erlebt hat.
Eine andere Situation
Alleneutestamentlichen Texte entstanden im Zusammenhang bzw. Umfeld jüdischer Frömmigkeit des 1. Jahrhunderts. Diese religiöse Situation ist für fast alle Christen heutzutage eine andere.
Leider trennt das Christentum und das Judentum heute eine tiefe Kluft, die auch durch viel Leid entstanden ist. Die Christenheit hatte sich im Laufe seiner Geschichte schnell von der jüdischen Kultur und seinen jüdischen Wurzeln entfernt. Die Adressaten der neutestamentlichen Texte waren allerdings noch eng mit dieser Kultur verbunden.
„… Im Übrigen finden sich alle diese Forderungen im Gesetz des Mose, das seit vielen Generationen in allen Städten verkündet und Sabbat für Sabbat in allen Synagogen vorgelesen wird …
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Der Heilige Geist selbst und unter seiner Führung auch wir haben nämlich beschlossen, euch nur die folgenden unbedingt nötigen Anweisungen zu geben und euch darüber hinaus keine weitere Last aufzuerlegen:
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Esst kein Fleisch, das den Götzen geopfert wurde, unterlasst den Genuss von Blut und von nicht ausgeblutetem Fleisch und haltet euch fern von jeder Unmoral!“
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(Apostelgeschichte; Neues Testament; 15,21-29)
Ein anderer Leser
Wir sind auf Grund des historischen Wandels und einer anderen kulturellen und religiösen Situation heutzutage gar nicht mehr in der Lage, die biblischen Texte so zu lesen wie ein antiker Christ im 1. Jahrhundert.
Wen wollen wir fragen, ob wir einen Bibeltext richtig verstanden haben?
Und wie werden wir zu mündigen Christen, die befähigt sind, ihre Glaubensentscheidungen selbst zu vertreten, ohne am Rockzipfel eines Pastors oder Propheten zu hängen?
„Euch aber hat der, der heilig ist, Jesus Christus, seinen Geist gegeben, und durch diese Salbung habt ihr alle die nötige Erkenntnis.“
. (Erster Johannesbrief 2,20)
Tradition oder Erfahrung? Vermittelte Glaubensinhalte oder unmittelbare Gotteserfahrung?
Manchmal ist der Unterschied kaum erkennbar, aber er ist dennoch fundamental. Ist das Fundament meines Glaubens eine bestimmte christliche Tradition, die ich von anderen gelernt habe, oder ist es meine eigene Wahrnehmung und die Erfahrung, die ich selbst im Glauben an Jesus gemacht habe?
„Wer nun auf das hört, was ich gesagt habe, und danach handelt, der ist klug. Man kann ihn mit einem Mann vergleichen, der sein Haus auf felsigen Grund baut.
Wenn ein Wolkenbruch niedergeht, das Hochwasser steigt und der Sturm am Haus rüttelt, wird es trotzdem nicht einstürzen, weil es auf Felsengrund gebaut ist.“
. (Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 7,24-25)
Durch die Überlieferung über Jesus haben wir von ihm gelernt. Aber es ist nicht nur ein theoretisches Wissen, sondern es sind lebendige Worte, die etwas in unserer Seele berühren und uns in ein neues Leben locken. Es ist das unmittelbare geistige Wirken Gottes durch Jesus, das Menschen zu einem neuen Menschen werden lässt. Und das nicht nur am Anfang bei der Bekehrung, sondern auch danach, in einem Leben aus dem Vertrauen.
Ein Leben des Lernens von Jesus kann sich verkehren in ein Leben nach heiligen Texten und schriftlichen Anweisungen; und ein göttliches Buch, eine Heilige Schrift, kann zum Vermittler der Gnade werden. Und da die antiken, biblischen Texte nicht so leicht zu übersetzen und zu interpretieren sind, brauchen wir dann auch noch ein Heer an Experten, Bibel-Lehrern, Schriftgelehrten, Pastoren, Theologen, … die uns verklickern, wie wir die Bibel richtig zu verstehen haben.
„Beantwortet mir nur diese eine Frage: Wodurch habt ihr den Geist Gottes empfangen? Indem ihr die Forderungen der Tora erfüllt habt oder weil ihr die Botschaft des Glaubens gehört und angenommen habt?
Wie könnt ihr nur so blind sein! Wollt ihr jetzt etwa aus eigener Kraft zu Ende führen, was Gottes Geist in euch begonnen hat?“
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(Galaterbrief 3,2-3)
Die Balance zwischen dem Einzelnen und der Gruppe
Die christliche Traditions-Gemeinschaft ist dennoch wichtig. Es ist in der Gemeinschaft der Liebenden, in der ich selber lerne zu lieben. In einer solchen Gemeinschaft wird man auch sensibel für Gefahren von Gruppendruck und geistlichem Missbrauch sein.
Ein weiterer Grund für die Bedeutung von Gemeinschaft ist die Deutung meiner eigenen Erfahrungen. Ich deute meine persönlichen Gotteserfahrungen im Rahmen meiner kulturellen Prägung und der religiösen Tradition, die ich gelernt habe. Ich kann mich auch irren. Austausch mit anderen schenkt mir zusätzliche Perspektiven und erweitert meinen Horizont.
Wir haben – abgesehen von persönlichen Visionen und Träumen von Jesus – nur den Jesus der Tradition und den in der Gemeinschaft erlebten Jesus durch prophetische Worte und das gemeinsame Leben im Geiste von Jesus. Bei all dem ist eine gesunde Balance zwischen dem Einzelnen und der Gruppe existentiell.
„Die Unterweisung in der Lehre unseres Glaubens hat nur das eine Ziel: die Liebe, die aus einem reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem aufrichtigen Glauben kommt.“
. (Paulus im ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 1,5)
Wann wird das „Wir-Gefühl“ zu eng?
Wir sind alle noch Menschen mit unseren persönlichen Interessen und Bedürfnissen; und auch eine christliche Gemeinschaft hat Gruppeninteressen. Wenn Freiheit nicht mehr spürbar ist und Gemeinschaft als einengend empfunden wird, ist das ein Alarmsignal.
Gemeinschaft ist auch Träger von Kultur. In christlicher Gemeinschaft können wir eine liebevolle Kultur schaffen, in der die Botschaft von Jesus Gestalt in Fleisch und Blut gewinnt und christlicher Glaube berührbar und berührend wird.
Liebe und Freiheit eröffnen den Raum, in dem wir lernen, vertrauen und wachsen können. In Freiheit und Liebe lernen wir gemeinsam geistlichen Missbrauch und Gruppendruck einerseits, und ein Dominieren durch Einzelne andererseits zu verhindern und können das Entstehen einer echten Gegenkultur zur Welt erleben.
„‚Der Wind weht, wo er will. Du hörst zwar sein Rauschen, aber woher er kommt und wohin er geht, weißt du nicht. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.‘
‚Aber wie kann das geschehen?‘, fragte Nikodemus.
‚Du als Lehrer Israels weißt das nicht?‘, entgegnete Jesus.“
. (Johannes-Evangelium 3,8-10)
Das Wesen der Jesus-Bewegung
Die Jesus-Bewegung im ersten Jahrhundert war vom Wesen her eine spirituelle Bewegung, die an die jüdische Kultur und Tradition anknüpfte. Ihre geistliche Kraft entstand aus dem individuellen spirituellen Erleben der einzelnen Gläubigen. Jede Form von Christentum, die sich auf diese Jesus-Bewegung und ihre Texte bezieht, muss dies ernst nehmen, wenn sie nicht in einen inneren Widerspruch geraten will.
Einer der wichtigsten Texte der Christenheit, die sogenannte „Bergpredigt“ von Jesus, stellt einer „äußeren“ Frömmigkeit, die durch Traditionen und ein oberflächliches Erfüllen von Normen der Glaubensgemeinschaft geprägt ist, eine tiefe „innere“ Frömmigkeit gegenüber, bei der äußeres Verhalten und innere Haltung in Übereinstimmung sind.
Es ist dieser „innere Weg“ aus dem Herzen heraus, durch den Glaube und Tradition zu etwas werden können, das als ein in sich stimmiges Ganzes erfahren werden kann.
„Glücklich sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott sehen.“
. (Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 5,8)
Ein anderes Evangelium?
Obwohl wir in einer anderen Zeit und Welt leben, machen auch heute Menschen ähnliche Erfahrungen wie die Christen in Galatien zur Zeit von Paulus. Menschen finden durch den inneren Weg im Vertrauen zu Jesus zu einer Gotteserfahrung und werden erneuert, belebt und befähigt durch seinen Geist. – Es gibt eigentlich noch eine gute Nachricht für Menschen heute!
Wir sind Empfangende. Menschen, die durch diesen inneren Weg des Vertrauens zu Jesus zu Christen werden, erleben dies nicht, weil sie so ein tolles Bibelverständnis haben oder in Übereinstimmung mit der Bibel leben, sondern weil Gott selbst durch seinen Geist dort etwas Neues geschaffen hat.
Wer die Bibel ins Zentrum des Glaubens rückt oder zur Voraussetzung von neuem Leben macht, hat ein anderesEvangelium geschaffen, das auch in sich nicht mehr stimmig sein kann, weil die biblischen Text von einer anderen Frömmigkeit reden.
Wenn all diejenigen, die sich so gern „bibeltreu“ nennen doch endlich aufhören würden, die biblischen Texte für ihre Bibel-Ideologie und zur Durchsetzung ihrer eigenen Meinung zu missbrauchen. Anstatt zu versuchen, im Austausch mit anderen zu einem besseren Bibelverständnis und einer tieferen Einsicht in den christlichen Glauben zu finden, lassen sie sich von ihrer Angst dazu verleiten, alles kontrollieren und bestimmen zu wollen und schotten sich ab.
„In unserem Inneren fehlt es nicht an Platz für euch; eng ist es in euren eigenen Herzen. Macht es doch wie wir – ich spreche zu euch als zu meinen Kindern – und öffnet auch ihr euch weit!“
. (Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 6,12-13)
Eine g u t e Nachricht
Religion ist eine komplexe Angelegenheit, und auch das mittlerweile fast 2000 Jahre alte Christentum ist vielfältig und vielschichtig. Da kann es schnell passieren, dass ein Mensch, der Jesus lieb hat und Gott gefallen möchte, abhängig wird von den religösen Profis, die ihm den christlichen Glauben erklären.
Oder ein anderer Mensch, bei dem gerade die Hoffnung aufgekeimt ist, dass sein hartes und verrücktes Leben vielleicht doch irgendwie Sinn machen könnte und spirituelle Tiefe spürt, wird frustriert wegen all den endlosen Diskussionen und Streitereien in der Christenheit. – Eine gute Nachricht muss auch für einen Menschen als gut-tuend erfahrbar sein.
Es gibt eine Alternative. Menschen könnten christliche Spiritualität und die Offenbarung Gottes in dem Menschen aus Nazareth wieder als ein kraftvolles, faszinierendes Geheimnis für sich entdecken, das nicht sofort alle Fragen beantwortet, aber den Menschen auf einen spürbar guten Weg bringt.
„… Groß und einzigartig ist das Geheimnis unseres Glaubens: In die Welt kam der Messias als ein Mensch, und der Geist Gottes bestätigte seine Würde. Er wurde gesehen von den Engeln und gepredigt den Völkern der Erde. In aller Welt glaubt man an ihn, und er wurde aufgenommen in Gottes Herrlichkeit.“
. (Paulus im ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 3,16)
Die Zeit ist reif für Veränderung
Heute, nachdem die Bibel-Ideologie schon seit Jahrhunderten ihre Wirkung entfaltet hat, sollten wir klare Glaubensentscheidungen treffen und Konsequenzen für unsere religiöse Praxis ziehen. Jeder für sich persönlich und auch gemeinsam.
Wäre es nicht viel besser, wenn Christentum, anstatt die moderne Zeit bloß misstrauisch zu beäugen und kritisch zu kommentieren, wieder selbst als eine wirklich gute Nachricht für Menschen und als gesellschaftliche Kraft erfahrbar würde?
„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen …
So trägt jeder gute Baum gute Früchte; ein schlechter Baum hingegen trägt schlechte Früchte.“
. (Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 7,16-17)
Den Schatten fest im Blick
Viele christliche und andere Persönlichkeiten sind schon über ihren eigenen Schatten gestolpert, und der Schaden ist oft groß. Ich glaube Schattenarbeit ist die wichtigste Hausaufgabe für engagierte Christen. – Haben wir genug Glauben und den Mut uns unserem persönlichen und kollektiven Schatten zu stellen?
Viele Christen lieben schöne Gefühle und mögen es, Jesus im Worship zu feiern oder neue trendige Projekte anzustoßen. Wenn wir nachhaltig arbeiten und Menschen nicht schaden wollen, müssen wir aber unbedingt auch bereit sein, uns die dunklen Seiten unserer Aktivitäten anzuschauen und gerade da genau hinzuschauen, wo Dinge nicht so schön sind und nicht funktionieren.
Es gibt immer auch Wirkungen, die uns überraschen oder die wir eigentlich nicht beabsichtigen. Auch Fresh X oder irgendein anderer moderner Anstrich wird uns nicht retten, wenn wir uns dem negativen Anteil des Christentums und der christlichen Geschichte nicht stellen.
„Warum siehst du jeden kleinen Splitter im Auge deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“
. (Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 7,3)
Eine gute Nachricht auch für die kommenden Generationen
Um den Herausforderungen unserer Zeit begegnen zu können und unsere Kinder gut für die Zukunft vorzubereiten, brauchen wir eine nachhaltig gute christliche Kultur. Einen christlichen Glauben, den wir selbst als einen guten Weg in unserem persönlichen Leben erfahren und der auch unsere Kinder befähigt, sich in unserer real-existierenden modernen Welt zurecht zu finden. Neugieriges Erkunden wäre hier wahrscheinlich hilfreicher als kritische Distanz.
Das beste, was ich in dieser Hinsicht gefunden habe, ist die Integrale Theorie. Integrales Christentum und Integrale Spiritualität sind meiner Meinung nach in diesem Zusammenhang die spannendsten Themen zur Zeit und werden zum Glück auch immer bekannter.
Vielleicht wird das Christentum mit Jesus und Jesus mit dem Christentum doch noch zu einer guten Nachricht für die leidende Welt von heute?
„Ihr seid das Licht der Welt“
. (Jesus in der Bergpredigt; Matthäus-Evangelium 5,14)
[Dies ist die neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]
Altes Loslassen. Vertrautes aufgeben und aufbrechen in fremde Räume und eine Zukunft, die man noch nicht kennt …
FRESH X
Eine tolle Sache. An vielen Orten sind Fromme bereit, Neues zu wagen, und suchen nach neuen Ausdrucksformen: Fresh Expressions. Kirche wird von ihrem Auftrag her verstanden. Missional. Die aus England stammende Bewegung hat auch eine deutsche Webseite. (Da kann man auch ein bisschen zur Geschichte nachlesen.)
… macht die Menschen zu meinen Jüngern …und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.
Von fast 2000 Jahren Kirchengeschichte haben wir eine sehr lange Liste von Ideen, Veränderungen, Reformationen und Restaurationen. Und manchmal war es eine Mischung aus Verbesserung und Verschlechterung. Wir haben heute einen riesigen Haufen kirchlicher Theorie und Praxis, und es ist unbedingt notwendig, darin das Wesentliche des christlichen Glaubens wieder freizulegen. – Was wollte der orientalische jüdische Mann aus Nazareth eigentlich?
Ich bin gekommen, um auf der Erde ein Feuer anzuzünden; ich wünschte, es würde schon brennen!
.
(Neues Testament, Lukas-Evangelium 12,49)
Radikales Christentum
Bonhoeffer hatte schon vor 70 Jahren radikale Gedanken über Kirche und Glauben und dieselben Fragen sind heute nicht weniger drängend. In einer Zeit kultureller Umbrüche von gigantischen Ausmaßen haben wir keine Zeit zu verlieren. Zögern und zaghaftes Manövern ist unangemessen, wenn es darum geht, dass verirrte Menschen wieder den Weg finden.
… der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.
(Lukas-Evangelium 19,10)
Gestalt und Wesen
Oft habe ich den Eindruck, dass man einfach nur neue Ausdrucksformen für die ewige Wahrheit der christlichen Lehre finden will. Doch das wird nicht reichen. Es geht vielmehr um die grundsätzliche Frage, was christlicher Glaube eigentlich ist. Wer genauer wissen will, was ich meine, sollte sich Drewermanns Buch „Wendepunkte“ mal anschauen, oder die Gesellschaft für eine Glaubensreform.
Wer seine Hand an den Pflug legt und dann nach hinten sieht, der ist für das Reich Gottes nicht brauchbar.
(Lukas, 9,62)
Das Christentum, von dem wir in den neutestamentlichen Texten lesen, ist nur ein kleiner Ausschnitt des Wirkens Gottes in seiner Welt. Wir haben heute die Möglichkeit und die Verantwortung für einen weiteren Blick, wie er beispielsweise im Integralen Christentum zum Ausdruck kommt.
Gute Absichten
Radikale Wahrhaftigkeit und die Bereitschaft zu einem beharrlichen wahrnehmen der wirklichen Verhältnisse. Ein Ende von Selbsttäuschung und Schönreden. Nicht Wertvolles und Nützliches soll aufgegeben werden, sondern Veraltetes, Totes und unbrauchbar Gewordenes. Dafür brauchen wir klare Visionen und eine geschärfte Wahrnehmung.
Die grundsätzlichen Fragen werden sich nicht über Nacht klären lassen. Aber wir brauchen unbedingt eine selbstkritische Distanz zu Glaubensüberzeugungen und Praxis, und nicht nur die Bereitschaft, Vertrautes loszulassen, sondern wir müssen dies auch tun.
Wer diese meine Worte hört und danach HANDELT …
(Matthäus-Evangelium 7,24)
Wertvolle Kirche
Haben wir den Mut, Glauben an Jesus radikal zu verstehen? Könnte Kirche wieder ein klares Profil gewinnen und Christentum eine echte Gegenkultur zur Welt sein? Ungefähr im Sinne von „Tod-Leben“, „Licht-Finsternis“, „Himmel-Hölle“, „Sünde-Heiligung“?
Ihr seid das Licht der Welt …
(Matthäus 5,14)
Schillerndes Christentum
Veränderung allein ist noch kein Zeichen für Verbesserung oder Leben. Totes verändert sich manchmal auch. Es gibt Veränderung zum Besseren und zum Schlechteren, und manchmal hat man dieselbe Soße, nur anders eingefärbt.
Ob etwas besser oder schlechter ist, kann auch eine individuelle Geschichte sein: Für den Einen gut, für den Anderen schlecht.
Ganzheitliches Christentum
Es geht nicht nur um die Neugestaltung kirchlichen Lebens, sondern es geht um ein besseres Christsein. Glaube, der alle Aspekte des Lebens umfasst und in allen Facetten des Alltags, der Arbeit und Freizeit und der Sonn- und Feiertage zum Ausdruck kommt. Herzensfrömmigkeit. Neue Menschen.
Missio Dei
Der Mut und die Kraft für die nötigen Entscheidungen kann nur aus dem Vertrauen entspringen, dass Gott selbst es ist, der hier am Werk ist. Missio Dei. Gott wirkt in seiner Welt auf sein gutes Ziel hin. Die Herrschaft Gottes ist im Kommen. Und es wird Menschen brauchen, die das Risiko des Glaubens eingehen, mit ihrer ganzen Existenz auf Gott setzen, ihr Kreuz auf sich nehmen und es Jesus nachmachen. Billiger wird es nicht gehen.
Wer sich weigert, sein Kreuz auf sich zu nehmen und mir nachzufolgen, ist es nicht wert, zu mir zu gehören. Wer an seinem Leben hängt, wird es verlieren; aber wer es für mich aufgibt, wird es finden.