Yvonne Ortmann | Wie du mit Meditation + innerer Arbeit über deine bisherigen Erfahrungen hinauswächst

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Yvonne Ortmann auf ihrem Blog zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung, Meditation und innere Arbeit:

Wie du mit Meditation + innerer Arbeit über deine bisherigen Erfahrungen hinauswächst

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Das Enneagramm

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Grafik des Enneagramms, von Consci (Public domain) via Wikimedia Commons

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Altes, echt ökumenisches, christliches Kulturgut. Im deutschen Sprachraum hat sich mittlerweile über drei Jahrzehnte hinweg der „Ökumenische Arbeitskreis Enneagramm (ÖAE)“ etabliert. Die Wurzeln des Enneagramms reichen zurück bis in die Antike.

Auch über die ökumenische Arbeit hinaus eignet sich das Enneagramm sehr gut für interkulturelle und interreligiöse Arbeit.

Beim Sonntagsblatt (360° Evangelisch) erschienen allein dieses Jahr mind. zwei Artikel zum Enneagramm:

Was ist das Enneagramm?

Enneagramm: Wie uns das Typenmodell hilft, Menschen besser einzuschätzen

Einen Wikipedia-Artikel gibt es natürlich auch:

Enneagramm

Das Enneagramm ist ein Modell für Persönlichkeitstypen. Andere bekannte Modelle sind z.B. die Vier Temperamente (sanguinisch, melancholisch, cholerisch, phlegmatisch) oder der Myers-Briggs-Typenindikator.

Das große Ziel des Enneagramms ist allerdings nicht die Einschätzung anderer Menschen, sondern der eigene persönliche Reifungsprozess. Das Enneagramm hat spirituelle Wurzeln und ist ein spiritueller Weg

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Einer der bekanntesten Enneagramm-Lehrer: Richard Rohr

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Für alle des Englischen Mächtige sind die Videos von Richard Rohr dazu sehr zu empfehlen. (Das Buch von Rohr und Ebert ist eins der wichtigen Bücher zum Enneagramm, das immer wieder neu aufgelegt wird.)

The Enneagram: The Discernment Of Spirits (Introduction)

Wer gerne an einer kostenlosen Online-Enneagramm-Lerngruppe teilnehmen möchte (dienstags 19:30 – 21 Uhr) darf mich gern kontaktieren!

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Voraus-eilendes Mitleid

 

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Ausgegrabene Steine der Mauer des zweiten Tempels (Jerusalem), die bei der Zerstörung durch die Römer auf die Straße gestürzt sind; Foto von Wilson44691, via Wikimedia Commons – public domain

 

 

„Zu ihnen drehte sich Jesus um und rief:

‚Weint nicht über mich, ihr Frauen von Jerusalem! Weint über euch und eure Kinder!

Es kommt eine Zeit, in der man sagen wird:

‚Glücklich schätzen können sich die Frauen, die keine Kinder bekommen können. Ja, glücklich schätzen können sich alle, die niemals ein Kind geboren und gestillt haben!‘

Die Menschen werden sich wünschen, dass die Berge auf sie herabstürzen und die Hügel sie unter sich begraben, damit ihr Leid ein Ende hat.'“

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(Lukas-Evangelium 23. Kapitel, Verse 28-30 – Bibel, Neues Testament)

 

Selbstmitgefühl

Ein populärer Begriff zur Zeit: Man ist nicht nur empathisch gegenüber anderen, sondern hat auch Mitgefühl für sich selbst.

Eigentlich ein eigenartiger Begriff: Was auch immer man fühlt, es sind ja immer die eigenen Gefühle; was soll man da mit-fühlen, was man sowieso schon fühlt?

Der Begriff weist auf eine bestimmte Fähigkeit hin: Die Fähigkeit in kritischer Distanz zu sich selbst zu gehen; sich sozusagen selbst über die Schulter zu gucken. Solch eine selbst-betrachtende und selbstkritische Fähigkeit ist ein Kennzeichen einer reiferen Persönlichkeit und ist normalerweise erlernbar.

 

„Erkenne dich selbst!“

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(Eine vielzitierte Inschrift am Apollotempel von Delphi, als deren Urheber Chilon von Sparta, einer der „Sieben Weisen“, angesehen wird.)

 

Der selbstkritische Blick auf das eigene Leben kann auch ein Blick des Erbarmens sein. So, wie ich gewohnt bin, mich selbst anzuschauen, blicke ich dann wahrscheinlich auch auf meine Mitmenschen.

 

„Warum kümmerst du dich um den Splitter im Auge deines Bruders oder deiner Schwester und bemerkst nicht den Balken in deinem eigenen? Wie kannst du zu deinem Bruder oder deiner Schwester sagen:

‚Komm her, ich will dir den Splitter aus dem Auge ziehen,‘

wenn du selbst einen ganzen Balken im Auge hast?

Scheinheilig bist du!

Zieh doch erst den Balken aus deinem eigenen Auge, dann kannst du dich um den Splitter in einem anderen Auge kümmern!“

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(Matthäus-Evangelium 7,3-5 – Bibel, Neues Testament)

 

„Der Mensch prüfe aber sich selbst …“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 11,28 – Bibel, Neues Testament)

 

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Vincent van Gogh: Der gute Samariter (nach Delacroix), 1890, via Wikimedia Commons – public domain

 

Wahrnehmung und Empathie

Faszinierend ist die Empathie von Tieren. Tiere scheinen manchmal etwas zu können, was schon viele Menschen verlernt haben. – Wofür gebrauchen wir Menschen unsere überragende Intelligenz eigentlich?

Trauerhunde, Therapie-Pferde und -Delfine. Bei der tiergestützten Therapie sollte man darauf achten, dass die Tiere Geschäftspartner, und nicht schlecht bezahlte Angestellte sind.

 

 

 und mich sollte nicht jammern … Menschen …, die nicht wissen, was rechts oder links ist, und auch viele Tiere?“

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(YHWH spricht zu Jona; Jona 4,11 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Mitleiden mit Tieren

Welche Rechte haben Tiere eigentlich, und wo können sie sie einklagen? – Unsere Mitgeschöpfe sind praktisch meist rechtlos und werden von profitorientierten Menschen wie Produkte mit Barcode behandelt. Wenn sie keiner gebrauchen kann, landen sie oft in der Mülltonne.

Viele Tierarten haben die Intelligenz und Maßlosigkeit des Menschen nicht überlebt.

 

„Gott sah alles, was er gemacht hatte, und da, es war sehr gut…“

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(Bereschit / Genesis / 1. Mose 1,31 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Mitleiden mit Menschen

Den Schmerz eines anderen Menschen fühlen. Man braucht dazu keinen Schulabschluss, und es ist erstaunlich, wie man dies schon bei kleinen Kindern beobachten kann.

Die Fähigkeit des Mitleidens ist eine Eigenschaft unserer Seelen. – Wie kommt es, dass wir dann trotzdem alle anderen Lebewesen in systematischer Grausamkeit übertreffen?

 

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Blick von der Zugrampe innen auf die Haupt­ein­fahrt des KZ Auschwitz-Birkenau, 27. Januar 1945; Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha, via Wikimedai Commons – CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de](https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)
 

 

„Gott, der Herr, brachte also den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen.“

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(Bereschit / Genesis / 1. Mose 2,15)

 

„… Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet…“

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(Bereschit / Genesis / 1. Mose 1,28)

 

Mitleiden mit Mutter Erde

Haben wir Menschen da was falsch verstanden oder einfach schlecht gemacht?

In unserer Geschichte haben wir uns die Erde mit Gewalt, wie militärische Besatzer unterworfen.

Wir haben uns in Häuser und Städte hinter Mauern zurückgezogen, haben Felder und Schürfrechte abgesteckt, im Tagebau das Antlitz der Erde aufgerissen und sind im Bergbau tief in sie eingedrungen. – Rechtfertigt der Profit die Folgen?

Atomtests und Chemie-Unfälle haben Erde und Wasser verseucht, und die Müllberge wachsen – Wie viel hält unser Planet noch aus?

 

„Das Meer soll brausen mit allem, was darin lebt;
die Erde soll jubeln mit allen, die darauf wohnen;
die Ströme sollen in die Hände klatschen
und alle Berge vor Freude singen!“

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(98. Psalm, Vers 7-8 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

 

Vorauseilendes Mitleid

Ist unsere Welt noch zu retten?

Wer kann sagen, wie viel Unheil und Leid uns selbst und andere Menschen und Mitgeschöpfe noch erwartet?

 

„Kyrie, eleison! – Herr, erbarme dich!“

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(Christliche Liturgie)

 

Wir brauchen noch mehr als Mitleiden mit akutem Leid. Wir brauchen ein präventives Mitleiden. Ein Mitleiden im Blick auf das, was die Welt und einzelne noch erwartet, auch wenn im Moment noch gar nicht akut gelitten wird. Ein vorausschauendes Mitleiden, das Bedrohung wittert und uns in Gang setzt und zum Handeln bewegt, wo wir oder andere auf Gefahr zusteuern.

Wir brauchen Visionäre und Propheten; Zukunftsforscher, Seher, Menschen mit Vorahnung, die schon im voraus spüren, was sich unter der Oberfläche zusammenballt und im Begriff ist, hervorzubrechen und sich zu verwirklichen.

Und kreative Menschen, die herbei-sehen und wirkkräftig in die Existenz sprechen können, was noch nicht da ist. – Kreative „Kulturschaffende“, im besten Sinne des Wortes. Kultur, die bewahrt und schützt und Unheil abwendet.

 

„Jeremia, was siehst du? …“

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(Gott zu Jeremia; Jirmejahu / Jeremia 1,11 – Bibel / Tanach / Altes Testament)

 

Voreiliges Vorauseilen

Man könnte in Panik oder blinden Aktionismus verfallen … – Gute Absichten garantieren leider noch keinen Erfolg.

Wir brauchen ein tiefes Verstehen und ein hartnäckiges Umsetzen dessen, was wir meinen, als richtig erkannt zu haben. Und wir brauchen eine gesunde Spiritualität, die uns verbinden kann und Orientierung gibt.

Veränderung ist ein Prozess. – Wir könnten uns ja schon mal auf den Weg machen …

 

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Abraham, Gemälde von József Molnár, via Wikimedia Commons – public domain

 

nicht zu weit voraus-eilen

Vorauseilen birgt die Gefahr, dass man eine Situation verkompliziert, weil man sie falsch einschätzt. Man ist versucht, Menschen zu bevormunden oder zu etwas zu drängen, weil man eine Bedrohung empfindet, die sich dann vielleicht als unbegründet herausstellt.

Vorsorge hat mit Lebenserfahrung und Erkenntnis zu tun. Je mehr Erfahrungen wir haben und Situationen dadurch schnell und gut erfassen, desto besser können wir auch Vorsorge treffen und uns auf die Zukunft einstellen.

 

„Betet darum, dass ihr nicht im Winter oder am Sabbat fliehen müsst! Denn es wird eine Zeit der Not kommen…“

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(Jesus im Matthäus-Evangelium 24,20-21)

 

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„Got you, daddy!“ von Clarence Goss, USA (Flickr), via Wikimedia Commons – CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)

 

Vorauseilende Gnade

Es ist die Schönheit des Lebens, die Güte und Treue Gottes, die uns kitzeln und locken zu einem besseren Leben; die uns begegnen in unserer Not und Hoffnung machen.

Liebe kann den Hunger unserer Seele stillen; und in der Gemeinschaft der Liebenden wird sie berührbar und empfangen … und Menschen werden in Liebende verwandelt. – Vom Saulus zum Paulus.

 

„Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Liebe. Von diesen dreien aber ist die Liebe das Größte.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13,13)

 

Geist-licher Miss-brauch: Evangelium 21

 

Evangelium 21

 

Fürs 21. Jahrhundert? Echt jetzt?

Will man wirklich so Menschen im 21. Jahrhundert erreichen? Vielleicht sogar die nächste Generation?

Ich hab eher den Eindruck, dass man sich hier ängstlich an traditionelle „Werte“ klammert, weil man mit der Wirklichkeit nicht klar kommt. – Sollen auf diese Weise mündige Christen entstehen?

Man braucht doch keine Bibel-Ideologie, um herauszufinden, ob die biblischen Texte für einen selbst wertvoll sind. – Oder will man versuchen damit, die schillernde, auseinander-driftende Christenheit wieder zusammenzuführen?

Wer braucht ein „Evangelium21-Netzwerk“? – Rotten sich hier ein paar religiöse Extremisten zusammen, um die Moral in der Truppe zu stärken?

 

„… Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13. Kapitel, Vers 12; Bibel, Neues Testament)

 

Wahrhaftig?

Wissen die Macher von Evangelium 21 es nicht besser, oder verbreiten sie hier absichtlich die Unwahrheit:

 

„Wir vertrauen darauf, dass die Bibel entsprechend ihrem Selbstzeugnis das völlig vertrauenswürdige und in allen ihren Aussagen zuverlässige und autoritative Wort Gottes ist.“

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(evangelium21.net)

 

Selbstzeugnis“ ?  – Das ist ja gerade einer der auffälligen Unterschiede zum Koran, dass die Bibel  nicht  sich selbst zum Thema macht. Da die Bibel erst Jahrhunderte nach dem Abfassen der biblischen Texte gemacht worden ist, kann sie das auch gar nicht.

(Das einzig theoretisch denkbare wäre eine biblische Verheißung, dass es später einmal so ein heiliges Buch geben würde. Aber so eine Verheißung gibt es in der Bibel nicht. Noch nicht einmal so etwas wie eine Anspielung auf das Erschaffen eines heiligen Buches in der Zukunft.)

 

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Calvary Church bei Nacht; eine „non-denominational evangelical church“ in Charlotte, North Carolina; Foto von Fartbarker, via Wikimedia Commons – public domain

 

Moderne Kreuzzüge

Im Mittelalter wurden Kriege im Zeichen des Kreuzes geführt. Heute taucht das Wort „unbiblisch“ mancherorts als Kampfbegriff auf; vor allem in der Auseinandersetzung zwischen Christen. Manche haben sich das Dogma von der Unfehlbarkeit der Bibel auf die Fahne geschrieben und sind ausgezogen, die Wahrheit und die göttliche Autorität der Bibel zu verteidigen. – Heutzutage passiert das zum Glück ohne körperliche Gewaltanwendung.

 

„Alle Menschen sollen eure Güte und Freundlichkeit erfahren …“

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(Paulus im Brief an die Christen in Philippi 4,5; Neues Testament)

 

Evangelium21-Konferenzen

In Hamburg gab es 2016 eine Konferenz der Initiative Evangelium21, zu der internationale Redner angereist waren, um die Autorität der Bibel zu verteidigen. In ihrem Blog finden wir dazu Sätze wie diese:

Christen sollen der Autorität der Heiligen Schrift ganz vertrauen.

Die Bibel ist ein zutiefst verlässliches und vertrauenswürdiges Buch, unfehlbar, heilig und göttlich.

Wenn man der Bibel „Göttlichkeit“ zuspricht, wird sie damit nicht zum Götzen?

Wiedereinmal wird das Dogma von der Unfehlbarkeit der Bibel unkritisch mit dem richtigen christlichen Glauben an Jesus von Nazareth gleichgesetzt und eine „göttliche Autorität der Bibel“ verteidigt. – Woher kommt es, dass so viele Christen mit Eifer eine Lehre verteidigen, die sich noch nicht einmal in dem Buch findet, für dessen Autorität sie sich einsetzen?

 

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Altarbibel auf einem lutherischen Altar; von Leon Brooks [Public domain], via Wikimedia Commons
 

 

Was ist „biblisch“? Und was „unbiblisch“?

Biblisch“ im engeren Sinne wäre einfach etwas, das zur Bibel gehört oder mit ihr zu tun hat. So könnte man z. B. sagen, dass Matthäus-Evangelium ist ein biblischer Text, weil es ja zur Bibel gehört. Es würde hingegen wegen Sinn machen zu sagen „Kriege sind biblisch“, nur weil Kriege in der Bibel vorkommen. Eher könnte man denken, dass Kriege unbiblisch sind, da es ja in der Bibel heißt: „Du sollst nicht töten!“

Wenn man anfängt, so zu denken, hat schon eine Bedeutungsverschiebung stattgefunden. Es geht nicht mehr nur darum, ob etwas sachlich mit dem Buch der Bibel zu tun hat, sondern hier wird die Bibel schon als ein Maßstab, also normativ verwendet, für Denken und Handeln.

Das Wort „unbiblisch“ ist auch nicht der genaue Gegensatz zum Begriff „biblisch“, denn es würde z. B . komisch klingen zu sagen, Goethes Zauberlehrling wäre unbiblisch, weil der Text nicht in der Bibel steht (zumindest für meine Ohren). Hingegen könnte man durchaus sagen, dass der Zauberlehrling kein biblischer Text ist.

 

„Als Bibel (altgriechisch βιβλία biblia ‚Bücher‘; daher auch Buch der Bücher) bezeichnet man eine Schriftensammlung, die im Judentum und Christentum als Heilige Schrift mit normativem Anspruch für die ganze Religionsausübung gilt.“

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(Wikipedia)

 

Hat Wikipedia mal wieder recht?

 

Unser Bedürfnis nach Orientierung und die biblischen Texte

Unausgesprochen transportiert das Wort „biblisch“ oft, wenn es gebraucht wird, die Vorstellung, dass man Gottes Offenbarung oder seine Anweisungen für unser Leben eindeutig aus der Bibel ableiten kann. Nicht nur die Bibel selbst soll fehlerfrei sein, sondern auch die Art und Weise, wie wir sie anwenden.

Es würde z. B. keinen Sinn machen zu behaupten, Alkohol trinken sei unbiblisch, wenn es widersprüchliche Aussagen dazu in der Bibel gäbe oder man dies nicht  ein – deutig von ihr ableiten könnte.

Jeder, der sich nur ein bisschen mit dem Christentum beschäftigt hat, weiß, dass es u.a. die unterschiedliche Interpretation der biblischen Texte ist, die zu einer unüberschaubaren Vielzahl von christlichen Kirchen und Gruppen geführt hat. Es drängen sich alleine schon deshalb die Fragen auf:

Sprechen überhaupt alle biblischen Texte deutlich mit  einer  Stimme? Oder begegnet uns in den biblischen Texte eine Vielfalt an unterschiedlichen Stimmen, Perspektiven und Meinungen?

 

„Für die Unverheirateten hat mir der Herr keine ausdrückliche Anweisung gegeben. Aber weil der Herr mich in seiner Gnade zum Dienst berufen hat, sind meine Worte vertrauenswürdig. Darum möchte ich euch meine Meinung sagen…
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Dies ist kein Befehl, sondern meine Meinung, doch ich habe schließlich auch Gottes Geist empfangen.“

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 7,25-40; Neues Testament)

 

Wie interpretiert man die Bibel richtig ?  Und wie lässt sich prüfen, ob etwas richtig interpretiert worden ist?

 

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Mose, von José de Ribera via Wikimedia Commons – public domain

 

Heilige Texte im Judentum

Mich erinnern diese Überlegungen an die schier unglaubliche Fülle an Regeln für die Anwendung der Tora (5. Bücher Mose), wie wir sie im Rabbinischen Judentum finden. Wer schon einmal vor einer ungekürzten (!) Ausgabe des Talmud stand, weiß wovon ich rede.

In den Evangelien lesen wir, wie Jesus selbst sich mit dieser jüdischen Tradition auseinandersetzt. (Der Talmud selbst hat so zu Jesu Zeiten noch nicht existiert, aber ein Teil davon, in mündlicher Überlieferung.)

 

Ihr Heuchler! Wie recht hat Jesaja, wenn er von euch schreibt:
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‚Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber mit dem Herzen sind sie nicht dabei. Ihre Frömmigkeit ist wertlos, weil sie ihre menschlichen Gesetze als meine Gebote ausgegeben haben.'“

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(Matthäus-Evangelium 15,7-9; Neues Testament)

 

Hat sich nicht zwischen der Frömmigkeit, die Jesus gelehrt und vorgelebt hat, und der rabbinischen jüdischen Frömmigkeit des 1. Jahrhunderts deutlich etwas verändert?

 

„… der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig. “

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(Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,6; Neues Testament)

 

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von Fra Angelico (circa 1395–1455) via Wikimedia Commons – public domain

 

Einfach Jesus

Inhalt, Qualität und Vielfalt der biblischen Texte inspirieren mich. Vor allem aber sind es das Leben und die Lehre Jesu, die mich gepackt haben (und auch von Paulus bin ich begeistert).

 

„Darum lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir…“

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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 2,20)

 

Die neutestamentlichen Texte sind die besten Zeugnisse über Jesus, die wir haben. Deshalb sind sie auch so wichtig.  Es geht beim christlichen Glauben in erster Linie um einen  Menschen,  Jesus von Nazareth  (von dem wir glauben, dass er der Messias Gottes, der Christus, ist), und um Menschlichkeit und Liebe (und nicht um Texte und deren Anwendung). Alle anderen Fragen sind zweitrangig. – Wir nennen uns ja auch nicht „Biblianer“ oder „Biblizisten“, sondern Christen.

 

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Benedikt von Nursia; Foto von Gerd A.T. Müller, via Wikimedia Commons – GNU-FDL, https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:GNU_Free_Documentation_License,_version_1.2

 

schein-heilig

Wenn Menschen die Bibel als heiliges Buch kaufen, lesen und benutzen, haben sie die Aufmerksamkeit auf Texte gerichtet und nicht mehr auf den Geist und das Heilige, auf das die Texte ja eigentlich selbst verweisen. Man verehrt ein Buch und beschäftigt sich mit Texten.

Ist dies der beste Weg sich für den Geist zu öffnen, aus dem heraus die Texte entstanden sind? – Eine der größten Gefahren für Christen sind Ablenkungen und Versuchungen; und über Texte kann man ja auch viel leichter verfügen und sie als Machtinstrumente benutzen…

Was sind das für Menschen, die unbedingt ein heiliges Buch besitzen wollen? Wer braucht eindeutige Aussagen, klare Ansagen und feste Regeln? Was sagt dieses Bedürfnis aus über ihre Persönlichkeit?

Wer innere Festigkeit besitzt und geistlich erfahren ist, kann sich auch dem Chaos und Herausforderungen des Lebens eher stellen.

 

„Wer nun auf das hört, was ich gesagt habe, und danach handelt, der ist klug. Man kann ihn mit einem Mann vergleichen, der sein Haus auf felsigen Grund baut. Wenn ein Wolkenbruch niedergeht, das Hochwasser steigt und der Sturm am Haus rüttelt, wird es trotzdem nicht einstürzen, weil es auf Felsengrund gebaut ist …“

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(Jesus am Ende der Bergpredigt, Matthäus-Evangelium 7,24-25)

 

„Gut gemeint“?

Das ist eine Entschuldigung, die oft gebracht wird:

„Aber es ist doch gut gemeint!“

Wie gut kann etwas gemeint sein, wenn ich versuche meine Überzeugung anderen aufzuzwingen und meine Meinungen durchzusetzen? Mit wem meint man es da gut? Mit sich selbst und seines Gleichen?

 

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Petersplatz im Morgengrauen, mit Petersdom (Vatikan), Foto von Islandoftrees via Wikimedia Commons – CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)

 

Christen, die nicht in der Lage sind, sich selbst und ihre Überzeugungen kritisch zu hinterfragen, stehen in der Gefahr der Sache Gottes trotz ihres Eifers einen echten Bärendienst zu erweisen.

 

„Denn an Eifer für Gottes Sache fehlt es ihnen nicht; das kann ich bezeugen. Was ihnen fehlt, ist die richtige Erkenntnis.“

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(Paulus im Brief an die Christen in Rom 10,2)

 

Einander dienen

Wir haben nicht den Auftrag, einander den Kopf zu waschen, sondern die Füße.

Aber mache ich das nicht auch gerade? Versuche anderen Christen „den Kopf zu waschen“?

 

„Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben …“

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(Johannes-Evangelium 13,14-15; Neues Testament)

 

Ich erwarte nicht, dass all die Bibel-Ideologen von heut auf morgen ihre Überzeugung ändern. – Religion ist eine komplexe Angelegenheit. – Aber ich würde mir wünschen, dass sie vorsichtiger in ihrem Auftreten, mit ihren Ansprüchen und Formulierungen wären, und deutlich machen, dass sie für sich selbst persönliche Glaubensentscheidungen getroffen haben, wo andere Christen anders entscheiden. Ich hoffe, es wird auch durch diesen Artikel deutlich, dass es Christen gibt, die Bibel-Ideologie ablehnen.

Für die eigene Meinung göttliche Autorität zu beanspruchen ist eine gewagte Angelegenheit, für die man dann auch die Verantwortung übernehmen muss. Oft werden Menschen nachdenklicher und vorsichtiger, wenn sie Menschen besser kennenlernen, die auch tiefe religiöse Überzeugungen haben – aber andere.

 

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von Tinette (Nutzer der Italienischen Wikipedia) via Wikimedia Commons – GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

 

rechthaberisch

Es ist not-wendig, dass wir uns von einer unsäglichen Kultur der Rechthaberei (nicht gerade eine der christlichen Tugenden) distanzieren, um uns einen frischen, heilsamen Zugang zu den biblischen Texten zu erarbeiten. Ein enges Bibelverständnis nur zu kritisieren ist allerdings etwas unbefriedigend, wenn man nicht auch Wege aufzeigt, wie die biblischen Texte heute noch Licht in unsere Dunkelheit bringen können.

Ein leidenschaftliches Engagement für die Wahrheit der Bibel mag gut gemeint sein, aber das alleine verhindert leider nicht, dass wir mit der Bibel Menschen schaden. Gute Absichten alleine sind nicht ausreichend, sondern wir müssen auch verstehen, und brauchen eine Kultur der kritischen Distanz zur eigenen Überzeugung.

 

„Nehmt vielmehr bereitwillig Gottes Botschaft an, die er wie ein Samenkorn in euch gelegt hat. Sie hat die Kraft, euch zu retten.

Allerdings genügt es nicht, seine Botschaft nur anzuhören; ihr müsst auch danach handeln. Alles andere ist Selbstbetrug!

Wer Gottes Botschaft nur hört, sie aber nicht in die Tat umsetzt, dem geht es wie einem Mann, der in den Spiegel schaut. Er betrachtet sich, geht wieder weg und hat auch schon vergessen, wie er aussieht.

Ganz anders ist es dagegen mit dem, der nicht nur hört und es dann wieder vergisst, sondern auch danach handelt. Er beschäftigt sich gründlich mit Gottes vollkommenem Gesetz, das uns durch Christus gegeben ist und uns frei macht.“

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(Jakobusbrief 1,21-25)

[ Mit „Gottes vollkommenem Gesetz“ ist hier offensichtlich nicht die Bibel gemeint.  😉 ]

 

Abschied

Wir brauchen Mut, um liebgewonnene Traditionen aufzugeben oder sie zumindest erst einmal in Frage zu stellen. Ich kann die Sorge um den Verlust wichtiger Werte verstehen.

Aber ist es intellektuell redlich, wenn man an einem Konzept festhält und es verkündigt, nur weil man keine Alternative dazu sieht? – Man sollte nicht eine Erklärung als die Wahrheit verkaufen, nur weil man für sich selbst noch keine andere Erklärung gefunden hat.

Oft habe ich die Aussage gehört, dass wenn man an der Autorität der Bibel rüttelt, am Ende gar nichts mehr übrig bleibt. – Ich hoffe, dass ihr auf meinem Blog genug Belege dafür findet, dass dies nicht der Fall ist.

 

[Dies ist die neuere Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]