Christentum heute ist ohne die biblischen Texte kaum vorstellbar. Es gab allerdings schon Christentum bevor die Bibel entstand. Auch ist die Bibel nicht vom Himmel gefallen. Wie wir mit ihr umgehen, ist entscheidend für uns selbst und für andere. – VORSICHT : Das Anliegen des Blogs ist mir sehr ernst; einzelne Sätze sind allerdings nicht immer wörtlich zu nehmen. ;-) – Bin übrigens als Christian Schmill auf Facebook, @C_Schmill bei Twitter.
Foto von Girtompir via Wikimedia Commons (bearbeitet) – CC0
Für alle Freunde der Arithmetik und biblischer Zahlensymbolik:
20 + 20 = 40
Und wie Bibelkenner wissen, spielt die Zahl „40“ eine besondere Rolle in biblischen Texten:
Es regnete 40 Tage und Nächte als die Sintflut kam…
Als Isaak 40 Jahre alt war, nahm er Rebekka zur Frau…
Die Israeliten aßen 40 Jahre lang Manna…
Mose war 40 Tage und Nächte auf dem Berg…
Nach 40 Tagen kehrten die Kundschafter zurück…
Ein Schuldiger soll 40 mal geschlagen werden…
Das Land hatte jeweils 40 Jahre Ruhe unter den Richtern Otniël und Gideon…
Eli war Richter 40 Jahre lang…
Isch-Boschet, Sauls Sohn, war vierzig Jahre alt, als er König wurde über Israel…
David regiert 40 Jahre…
… und Jesus wurde versucht vom Bösen, nachdem er 40 Tage in der Wüste gefastet hatte…
… und vierzig Tage lang erschien er als der Auferstandene und redete vom Reich Gottes…
Übrigens stammt das Wort „Quarantäne“ auch von der Zahl 40.
Die Zahl „40“ deutet in biblischen Texten manchmal auf Epochen hin. Nächstes Jahr ist das Jahr 2020 der christlichen Zeitrechnung.
Neulich meinte jemand, das Christentum würde noch in den Kinderschuhen stecken. Vielleicht ist ja endlich die Zeit gekommen für eine bessere Theologie und ein besseres Christentum und eine bessere Welt… 😉
Säugling während des Stillens, Foto von Petr Kratochvil via Wikimedia Commons – public domain
Wir verlieren uns schnell in Gedanken und Argumentationen, führen endlose Diskussionen im Kopf und mit anderen Menschen, bleiben hängen in immer wieder denselben Gedankengängen …
Wenn wir versuchen, dicht an einfachen menschlichen Erfahrungen zu bleiben, kann uns das vielleicht davor bewahren, uns in Theorien zu verirren.
Eine der grundlegendsten menschlichen Erfahrungen ist die Berührung und das Berührt-werden. – Notwendig zum Überleben.
fühlen
Schon der kleine neue Mensch, der im Bauch der Mama wächst, fühlt. Wahrnehmungen füttern das Gehirn mit Informationen, und die Eindrücke werden zu den ersten Erinnerungen von der Umwelt.
Nach der Strapaze der Geburt – noch bevor das Neugeborene richtig sehen kann – erlebt es Berührungen und Haut; Hände, die es halten und streicheln, und den Körper der Mutter, der ihm alles gibt, was es braucht.
Erwachsene sind gegenüber Kindern übermächtig; und Eltern gehören zu den ersten Allmächtigen, welche sie kennenlernen. Kinder werden berührt und lernen zu berühren.
Wohin soll ich gehn vor deinem Geist, wohin vor deinem Antlitz entlaufen!
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Ob ich den Himmel erklömme, du bist dort,
bettete ich mir das Gruftreich, da bist du.
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Erhübe ich Flügel des Morgenrots, nähme Wohnung am hintersten Meer, dort auch griffe mich deine Hand, deine Rechte faßte mich an.
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Spräche ich: »Finsternis erhasche mich nur, Nacht sei das Licht um mich her!«, auch Finsternis finstert dir nicht, Nacht leuchtet gleichwie der Tag,
gleich ist Verfinsterung, gleich Erleuchtung.
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Ja, du bists, der bereitete meine Nieren, mich wob im Leib meiner Mutter! Danken will ich dir dafür, daß ich furchtbar bin ausgesondert:
sonderlich ist, was du machst, sehr erkennts meine Seele.
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Mein Kern war dir nicht verhohlen, als ich wurde gemacht im Verborgnen, buntgewirkt im untersten Erdreich,
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meinen Knäul sahn deine Augen, und in dein Buch waren all sie geschrieben,
die Tage, die einst würden gebildet, als aber war nicht einer von ihnen.
Berührungen werden durch die Haut vermittelt. Haut an Fingern, Händen, Füßen, Kopf, …
Die Haut. Das größte Organ. Sie schützt uns und ist gleichzeitig eine durchlässige Membrane zwischen Innen und Außen. Sie grenzt uns ab und vermittelt Wahrnehmungen aus der Welt um uns her …
Es gibt kaum etwas Niedlicheres als die Finger und Fingernägel von Babys. Und später sind es diese Hände, die die Kinder überall drin haben, und greifen und be-greifen.
Berührungen erhalten ihre Wirkung durch den Zusammenhang. Das Händchenhalten in der Kita fühlt sich für die Kinder anders an, als später das Händehalten mit Freundin oder Freund.
Der Handschlag mit dem neuen Geschäftspartner fühlt sich anders an als das Händeschütteln mit einem alten Freund. Und wenn sich Sportler nach einem Tor in die Arme fallen, ist das anders, als wenn man einen Trauernden in den Arm nimmt.
Wir berühren einander in den Rollen, die wir ausfüllen – und das muss kein künstliches Schauspielern sein. Auch der aufrichtigste und natürlichste Mensch ist in Beziehungen eingebunden, in denen er (s)eine Rolle spielt.
Sehende und hörende Hände
Blinde sehen mit den Händen, und Taubstumme können mit den Händen die Sprache erlernen. Und ein alter, sterbender Mensch, der schon blind und taub ist, spürt doch noch eine Berührung, einen Händedruck und ein Händehalten.
rühren
In „Berührung“ steckt „rühren“. Das Wort „rühren“ hat mit Bewegung zu tun. Berührungen können etwas in Gang setzen: Gedanken, Gefühle, Menschen … – Unsere Worte und Blicke können andere Menschen tief berühren.
Blicke, die unsere Seele berühren
Wir können mit Blicken etwas „ab-tasten„. – Auf Neu-Deutsch: Wir „scannen“ unsere Umgebung.
Die Blicke oder die Stimme eines Anderen – oder einer Anderen – können mein Herz bewegen und es schneller schlagen lassen, und in meiner Seele rühren …
Dein blaues Auge hält so still,
Ich blicke bis zum Grund.
Du fragst mich, was ich sehen will?
Ich sehe mich gesund.
Es brannte mich ein glühend Paar,
Noch schmerzt das Nachgefühl;
Das deine ist wie See so klar
Und wie ein See so kühl.
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(Klaus Groths Gesammelte Werke. Vierter Band. Plattdeutsche Erzählungen – Hochdeutsche Gedichte, Kiel und Leipzig, Verlag von Lipsius & Tischer, 1893, S. 176)
… Am Tag, da ER, Gott, Erde und Himmel machte,noch war aller Busch des Feldes nicht auf der Erde, noch war alles Kraut des Feldes nicht aufgeschossen, denn nicht hatte regnen lassen ER, Gott, über die Erde, und Mensch, Adam, war keiner, den Acker, Adama, zu bedienen: aus der Erde stieg da ein Dunst und netzte all das Antlitz des Ackers, und ER, Gott, bildete den Menschen, Staub vom Acker, er blies in seine Nasenlöcher Hauch des Lebens,und der Mensch wurde zum lebenden Wesen.
Der Geist Gottes, der Heilige Geist, ist ein Lebensspender. Gottes Hauch macht Totes lebendig, und drängt in allem Lebendigen zu Wachstum und Segen und dem Wohl der Schöpfung. – Leben, Generation nach Generation.
Menschen können sich glücklich schätzen, wenn sie als Kinder durch Berührungen Liebe kennengelernt haben – und nicht Missbrauch:
Familien sollten die Orte sein, wo Menschen sich sicher und Zuhause fühlen und den Segen Gottes erfahren. Orte, wo der Geist der Liebe, als unsichtbares Band, die Generationen mit einander verbindet.
Liebe. Geist. Lebenshauch. – Flüchtig, nicht greifbar, und doch lebensnotwendig wie die Luft zum Atmen.
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… er hauchte sie an und sagte: „Empfangt den Heiligen Geist!“
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„Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie nicht vergebt, dem sind sie nicht vergeben.“
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(Johannes-Evangelium 20,22-23)
Jesus
Jesus hatte viele Berührungen mit Menschen – im übertragen Sinn und auch buchstäblich.
Bei einer Erzählung von Jesus spielen Berührungen eine besondere Rolle:
… Auf dem Weg … drängte sich die Menge um Jesus. Darunter war auch eine Frau, die seit zwölf Jahren an starken Blutungen litt. Ihr ganzes Vermögen hatte sie für die Ärzte aufgewendet, doch niemand hatte sie heilen können. Sie kam von hinten heran und berührte einen Zipfel seines Gewandes.
Sofort hörte die Blutung auf. „Wer hat mich berührt?“, fragte Jesus. Doch niemand wollte es gewesen sein.
Petrus sagte: „Rabbi, die Menge drängt und drückt dich von allen Seiten!“ Doch Jesus bestand darauf: „Es hat mich jemand angerührt, denn ich habe gespürt, dass eine Kraft von mir ausgegangen ist.“
Als die Frau sah, dass sie nicht verborgen bleiben konnte, fiel sie zitternd vor Jesus nieder. Vor allen Leuten erklärte sie, warum sie ihn berührt hatte und dass sie im selben Augenblick geheilt worden war.
„Meine Tochter“, sagte Jesus da zu ihr, „dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden!“
„Na, warte mal ab! Wie kannst du dir da so sicher sein, dass du geheilt worden bist? Vielleicht ist das ja jetzt nur die Aufregung, und wenn du wieder alleine Zuhause sitzt, ist wieder alles beim Alten: ein ewiges Ausbluten.“
Der Erzähler der biblischen Geschichte teilt solch menschliche Skepsis nicht. Für ihn ist ganz klar: Jesus ist so! Und wenn Menschen ihn berühren, werden sie gesund.
Berührung kann Kraft kosten und Kraft geben, und Menschen heil werden lassen.
Berührungs-Stress
Be-gegen-ungen zwischen Menschen sind oft anstrengend. Mit unseren Augen ver-hand-eln wir unsere Blick-Kontakte, und Augen, die uns anstarren, machen uns nervös. Blicke können Körper und Seelen begrabschen …
Ein Blick kann uns treffen und verletzen; und die strafenden Blicke der Eltern halten die Kinder auf rechter Bahn …
Auch das Wort eines Anderen kann uns treffen oder berühren. Wir ringen um Worte, liefern uns Wortgefechte im Schlag-Abtausch oder fummeln uns mit schleimigen Worten in die Seele eines anderen.
Menschen kosten Kraft. Schon eine Begrüßung kann bei manchen Menschen in Stress ausarten: „Sag ich einfach ‚Hallo‘ oder gebe ich die Hand?“ – „Was mach ich, wenn der andere mich umarmt?“ – „Kränke ich jemand, wenn ich nicht umarme?“
Menschen. – Wir können nicht ohne sie leben, und nicht mit ihnen.
Ich habe mein ganzes Leben bisher als moderner Stadtmensch gelebt – in der Anonymität einer Großstadt. Mein Leben berührt ständig das Leben anderer Menschen, und mein eigenes wird berührt: Ein flüchtiger Blick in der U-Bahn oder auf der Straße, ein Lächeln, …
Vor Jahren sah ich einmal ein Plakat, das funktionierte ungefähr so:
gemEINSAMkeit
Leben, einfach
Für manche Menschen heutzutage ist das eigentlich ganz normale Leben schon zu etwas Seltenem geworden: Zeit mit Familie und echten Freunden verbringen – berühren und berührt werden. Einfach leben.
Wie wäre es, wenn wir selbst in unserer Seele gesund würden, und Menschen, deren Leben durch unsers berührt wird, Heilung erfahren? – Vertrauen hatte die Frau, die Jesus berührt hat, gesund werden lassen.
Berührt werden und berühren
Die Episode mit der gesund-gewordenen Frau ist nur ein Ausschnitt der ganzen Geschichte. Hier nun die vollständige Erzählung:
Als Jesus ans andere Ufer zurückkam, empfing ihn eine große Menschenmenge, denn sie hatten auf ihn gewartet. Da kam ein Synagogenvorsteher zu ihm, namens Jaïrus. Er warf sich vor ihm nieder und bat ihn, in sein Haus zu kommen, weil seine einzige Tochter, ein Mädchen von zwölf Jahren, im Sterben lag.
Auf dem Weg dorthin drängte sich die Menge um Jesus. Darunter war auch eine Frau, die seit zwölf Jahren an starken Blutungen litt. Ihr ganzes Vermögen hatte sie für die Ärzte aufgewendet, doch niemand hatte sie heilen können. Sie kam von hinten heran und berührte einen Zipfel seines Gewandes.
Sofort hörte die Blutung auf. – „Wer hat mich berührt?“, fragte Jesus. Doch niemand wollte es gewesen sein.
Petrus sagte: „Rabbi, die Menge drängt und drückt dich von allen Seiten!“ Doch Jesus bestand darauf: „Es hat mich jemand angerührt, denn ich habe gespürt, dass eine Kraft von mir ausgegangen ist.“
Als die Frau sah, dass sie nicht verborgen bleiben konnte, fiel sie zitternd vor Jesus nieder. Vor allen Leuten erklärte sie, warum sie ihn berührt hatte und dass sie im selben Augenblick geheilt worden war.
„Meine Tochter“, sagte Jesus da zu ihr, „dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden!“
Während Jesus noch mit ihr sprach, kam jemand aus dem Haus des Synagogenvorstehers und sagte zu Jaïrus: „Deine Tochter ist gestorben. Du brauchst den Rabbi nicht weiter zu bemühen.“
Jesus hörte es und sagte zu dem Vorsteher: „Hab keine Angst! Vertrau mir, dann wird sie gerettet werden!“
Er ging in das Haus, erlaubte aber niemand, ihn zu begleiten, außer Petrus, Johannes und Jakobus und den Eltern des Kindes. Das ganze Haus war voller Menschen, die laut weinten und das Mädchen beklagten. „Hört auf zu weinen!“, sagte Jesus zu ihnen. „Das Kind ist nicht tot, es schläft nur.“
Da lachten sie ihn aus, denn sie wussten, dass es gestorben war. Doch Jesus fasste es bei der Hand und rief: „Kind, steh auf!“ Da kehrte Leben in das Mädchen zurück und es stand gleich auf. Jesus ordnete an, ihr etwas zu essen zu geben.
Die Kleine hatte bestimmt großen Hunger.
Eine rührende und berührende Geschichte. – „Jesus fasste es bei der Hand.“ Jesus zieht einen kleinen Menschen aus der Unterwelt zurück ins Leben und verwandelt Trauer und Verzweiflung in Freude und Glück.
Leben aus dem Tod.
Salben & Segnen
Auch bei einer anderen Erzählung in den Evangelien spielt Berührung eine Rolle. Hier kostet sie nicht nur Kraft, sondern ist auch in höchstem Maße peinlich. – Allerdings für wen?
„Jesus und die Sünderin“: EINE BEGEGNUNG, DIE ALLES VERÄNDERTE – DAS GLEICHNIS VON DEN BEIDEN SCHULDNERN (LK 7,36-50) | (Worthaus 1.2.1)
Segnen, salben („Christus“ = Messias = hebr. „Maschiach“ = Gesalbter) und Handauflegung spielt in biblischen Texten immer wieder eine Rolle.
Bei Berührungen passiert etwas zwischen Menschen, und das Leben und die Zukunft verändern sich.
Heiliges Küssen
Im Römerbrief geht es um Gott und die Welt, Himmel und Hölle, Menschenkrampf und göttliches Leben in heiligem Geist. Und ausgerechnet der Römerbrief endet mit einer langen Liste von Grüßen und mit den Worten:
Männlichkeit. Für einen Mann ein naheliegendes Thema 😉
Dass ich nicht der einzige bin, der darüber nachdenkt, merkt man schnell, wenn man z.B. mal „Spiritualität für Männer“ in seine Suchmaschine eingibt.
Wie interessiert Menschen an diesem Thema sind, kann man auch einfach austesten, indem man ein Gespräch auf die Frage „typisch Mann/Frau“ lenkt. Nach meiner Erfahrung gibt es dann in der Regel eine angeregte Diskussion …
… „Weil du auf die Stimme deines Weibes gehört hast und von dem Baum gegessen hast, den ich dir verbot, sprechend: Iß nicht davon!, sei verflucht der Acker um deinetwillen, in Beschwer sollst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dorn und Stechstrauch läßt er dir schießen, so iß denn das Kraut des Feldes! Im Schweiß deines Antlitzes magst du Brot essen, bis du zum Acker kehrst, denn aus ihm bist du genommen. Denn Staub bist du und zum Staub wirst du kehren.“
Der Mensch rief den Namen seines Weibes: Chawwa, Leben! Denn sie wurde Mutter alles Lebendigen.
Frauen werden schwanger, bringen neues Leben in die Welt. Sie sind die Nahrungs-Quelle des Lebens für ihre Säuglinge, welche völlig abhängig und allein nicht überlebensfähig sind.
Früher waren es hauptsächlich die Frauen, die sich um den Nachwuchs kümmerten, und um die Nahrungszubereitung, um die Kleidung, um das Lager des Klans …; sie sammelten Beeren und Pilze, …
Die stärkeren, muskulösen Männer joggten durch die Steppe, spähten nach Gefahren und Beutetieren, kämpften mit Feinden und wilden Tieren …
[Wikipedia hat zwar nicht immer recht, aber hier kann man ein bisschen dazu nachlesen.]
Männer von heute erleben solche tollen Abenteuer fast nur noch in virtuellen Welten. – Muskulöse Männer, die mit wilden Bestien kämpfen, Helden, die Drachen töten, Einzelkämper, die ganze Armeen auslöschen, … – In der Fantasie kann ein Mann noch ein richtiger Mann sein 😉
Der Klassiker zum Thema:
„Typisch männlich!“ – „typisch menschlich“
Wie viel von dem, was uns als Männer und Frauen ausmacht, stammt noch aus einer vergangenen Zeit? Wie viel Potential schlummert noch in uns, das eigentlich für andere Lebensverhältnisse „gedacht“ war? – Was wäre überhaupt eine „artgerechte Haltung“ für den Menschen? Wie sieht es aus mit Ergonomie und Gesundheit an Arbeitsplätzen und in den Wohnbereichen? „Menschen-gerechte“ Beschäftigungsverhältnisse? Wie „menschlich“ sind Mega-Cities? Wie viel ungenutzte Instinkte schlummern in uns …
Was ist „typisch männlich„? Gibt es z.B. einen „männlichen Beschützer-Instinkt“ wirklich? Welche Überzeugungen sind bloße Tradition, urban legend oder fake news?
„Der deutsche Mann, Mann, Mann …“
Interessanterweise ein von einem Mann geschriebenes Gedicht. 1931. Nicht lange vor der Machtergreifung.
Früher waren die Männer noch die HERREN auf dem Fußballplatz. Mittlerweile gibt es sogar professionellen FRAUENFUSSBALL !!! (Ein Thema, das manche männlichen Gemüter besonders erregt.) – Wenn mann da mal Gelegenheit hat, ein Gurkenglas zu öffnen, welches die Frau nicht aufgekriegt hat, fühlt mann sich endlich mal wieder in seiner Männlichkeit bestätigt: Wir werden als Männer doch noch gebraucht! – Und Männer können sich Bärte wachsen lassen!
Mein starker Körper
Der Körper einer Frau kann schwanger werden, ein Kind zur Welt bringen und es stillen. Etwas, was kein Mann kann. (Zumindest nicht auf natürliche Weise.) – Aber was kann ein Mann, das eine Frau heutzutage nicht auch kann? Viele Frauen leben genauso wie viele Männer als Singles. Offenbar sind Frauen stark genug für alle Aufgaben, die im alltäglichen Leben anfallen.
Bei allen Pauschalisierungen und Stereotypen setzt man sich immer der Gefahr aus, durch Einzelfälle widerlegt zu werden. Und auch die Frage, ob es überhaupt noch nötig ist, sich über Unterschiede zwischen Frauen und Männer den Kopf zu zerbrechen, scheint berechtigt. – Soll doch einfach jeder machen, was sie/er will. – Eine lange Geschichte von Menschen, die in vorgegebene Rollen gezwängt worden sind, kann für uns eine Warnung sein.
Der Mann als Oberhaupt der Familie
Die Konservativen haben eine Antwort: Der Mann ist das Oberhaupt der Familie! Gruppen brauchen Anführer, und Männer können das besser bzw. haben dafür sogar eine göttliche Berufung. – Eine Antwort, die heute viele nicht mehr überzeugt; und eine Antwort, die mit der wichtigen Frage zu tun hat, wie wir mit unseren heiligen Texten umgehen.
Männern, die mit der Vormachtstellung des Mannes in einer konservativen Familie liebäugeln, sei gesagt, dass wir im Christentum da noch eine ganz andere, jesuanische, Tradition haben:
Da setzte sich Jesus, rief die Zwölf zu sich und sagte zu ihnen: »Wenn jemand der Erste sein will, soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein.«
In einer Gesellschaft, in der immer noch die Frauen die Kinder kriegen, oft auch eine eigene berufliche Karriere haben und – wie die Männer – zum Unterhalt der Familie beitragen oder sogar alleinerziehend sind und sich um den Haushalt kümmern, erscheinen Männer manchmal wie Assistenten ihrer Frauen. Auch wenn die Frauen dies nicht so wahrnehmen sollten, so ist eine Angst, in der Familie an Bedeutung zu verlieren, sicherlich bei manchen Männern vorhanden.
Frauen, die schwanger werden, Kinder kriegen und Babys stillen zur Seite zu stehen, könnte das nicht auch eine tolle Berufung sein? – Außerdem besteht das Leben auch nicht nur aus Kindern …
Männliche Identität
Für Aufgaben, für die Frauen körperlich zu schwach sind, gibt es heute auch Maschinen und Roboter. Wo bleibt da noch Platz für männliche Identität? Was können Männer, das nur Männer können? Und brauchen wir diese Einzigartigkeit des Männlichen überhaupt, um zu wissen, wer wir sind oder sein wollen?
Reicht es nicht aus, als Mensch einzigartig zu sein, so wie jeder Mensch, Mann oder Frau, einzigartig ist? Wäre es nicht am besten, wenn jeder schaut, was gemacht werden muss, und sich bemüht, seine eigenen Fähigkeiten, so gut wie möglich miteinzubringen? Ist eine Identität als neuer Mensch und Anhänger von Jesus nicht besser als ein künstliches Profil von zweifelhafter Männlichkeit?
Die große Verunsicherung
Verunsicherung ist mit Sicherheit ein prägendes Lebensgefühl unserer Generation. Und kaum ein Thema geht dabei so unter die Haut wie die Anfragen an unsere Sexualität.
Gender. Für manche ist das Wort eines der großen Zeichen der Endzeit. Einen ausgewogenen Artikel dazu findet ihr hier:
Kinder und Jugendliche, die in unserer Gesellschaft aufwachsen, werden in Familie, Schule und Medien einer Flut von sexuellen Eindrücken ausgesetzt. – Eltern wissen ein Lied davon zu singen. – Ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft und die Hilfsangebote in Familien, Schule und Gesellschaft ausreichend?
Was passiert mit denen, die dabei durchs „Betreuungs-Netz“ rutschen? Wie bringt man die notwendige Freiheit und den nötigen Schutz in eine Balance, die eine gesunde Entwicklung ermöglicht?
Christliche Identität – der neue Mensch
Das Bewusstsein einer neuen Identität, die Gott durch seinen Geist in uns bewirkt, erscheint mir als die gesündeste Grundlage für das Verhältnis zwischen Frauen und Männern und sexuelle Identität. Ein solches Bewusstsein ist auch keine Erfindung der Moderne:
Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und freien Menschen, zwischen Mann und Frau. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zusammen ein neuer Mensch geworden.
(Die Bibel, Neues Testament, Paulus‘ Brief an die Galater, 3. Kapitel, Vers 28)
Sexuelle Not und Not-wendigkeit
Nicht alle Frauen werden schwanger, und nicht alle Männer gründen eine Familie oder sind in der Lage wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen. Die persönliche Erfahrung, Kinder in die Welt zu setzen und Teil der langen Kette der Generationen menschlichen Lebens zu sein, ist eine der existentiellen Erfahrungen des Menschseins. Kinderlosigkeit kann Einzelne und Paare an den Rand der Verzweiflung bringen. (Kinderlosigkeit ist übrigens auch ein biblisches Thema.)
Jesus wandte sich besonders den Ausgegrenzten und Benachteiligten zu. In guter jüdischer Tradition. Der Gott Israels war immer ein Gott, der sich der schwachen erbarmt hat, und die Stimme der Unterdrückten hörte – auch der Kinderlosen. Ein Gott, der denen besonders nah ist, die gesellschaftliche Erwartungen nicht erfüllen können und häufig am Rande stehen und nur zugucken dürfen, was die anderen machen …
Es ist eine wesentliche Aufgabe für alle Menschen, die sich mit der jüdisch-christlichen Tradition identifizieren, solche am Rande der Gesellschaft stehenden Menschen in die Mitte ihrer Gemeinschaft einzuladen.
Eine neue Kultur
Wir brauchen eine neue, eine andere, bessere Kultur. Eine Kultur des Miteinanders, die Menschen zusammenführt und verbindet, und sie nicht gegeneinander in Stellung bringt. Eine Kultur, die unsere Lebenswelt vor dem Auseinanderfallen rettet, heilt und als „ganz“ und stimmig erfahrbar macht.
Christina Brudereck auf dem Emergent Forum 2016, Quelle: Emergent Forum / Rolf Krüger
Wärmste Empfehlung! Toller Talk und toller Gast: Gofi und Jay mit Christina Brudereck. (Lässt sich das noch toppen?)
Der Talk geht allerdings über das alte Thema „Die Rolle der Frau in der Gemeinde“ noch weit hinaus. Es geht auch um grundsätzliche Fragen, wie „Wie können wir überhaupt angemessen von Gott reden?“, „Wie geht man richtig mit den biblischen Texten um?“, „Bibel in gerechter Sprache?“ oder „Welche Bedeutung hat mein Geschlecht für mein Christsein?“