Ich bin nicht gut im Leiden.

 

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Tragödien-Maske an der Fassade des Königlichen Dramatischen Theaters in Stockholm; von Holger.Ellgaard via Wikimedia Commons – CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

Die alte Leier …

Es hat mich erwischt. Eine Erkältung. – Nicht gerade dramatisch; aber schon drängt sich die alte Frage wieder auf: Wie war das  doch mit Gottes Liebe und dem Leiden? Könnte Gott das Leben für seine Kinder nicht ein bisschen angenehmer gestalten?

Schon mein Heuschnupfen ist manchmal eine ziemliche Belastung. Zahn- und Kopfschmerzen sind auch nicht gerade toll. Gleichzeitig ist das Jammern natürlich auch ein bisschen peinlich, wenn man an all die Menschen denkt, die wirklich richtig  schwer  zu leiden haben. Aber wenn man sowieso schon Stress hat und total optimiert an der Grenze seiner Kräfte operiert, dann ist eine Erkrankung manchmal gerade noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Wenn man allerdings dann noch ein bisschen über den eigenen Tellerrand schaut, erhält die Frage nach dem Leid noch eine ganz andere Dimension:

 

 

 

… Wer erkennt, dass der HERR es ist, der diese mächtigen Taten vollbringt?
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Gott ließ seinen Diener emporwachsen wie einen jungen Trieb aus trockenem Boden. Er war weder stattlich noch schön. Nein, wir fanden ihn unansehnlich, er gefiel uns nicht! Er wurde verachtet, von allen gemieden. Von Krankheit und Schmerzen war er gezeichnet. Man konnte seinen Anblick kaum ertragen. Wir wollten nichts von ihm wissen, ja, wir haben ihn sogar verachtet.
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Dabei war es unsere Krankheit, die er auf sich nahm; er erlitt die Schmerzen, die wir hätten ertragen müssen …
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(Bibel / Tanach / Altes Testament, Jesaja 53. Kapitel, Verse 1-4)

 

Professionelles Leiden

Ich war zum Glück noch nie so richtig schwer krank. Einmal hatte ich allerdings so starke Zahnschmerzen, dass ich es kaum noch aushielt.  –  Ich bin nicht gut im Leiden.

Es gab allerdings einmal einen echten Profi im Leiden. Ist sogar deutsches Kulturgut geworden: Die Hiobs-Botschaft. Ein Mann, der Nachrichten bekommen hat, die selbst dem gestandensten Mann den Boden unter den Füßen weghauen können. Hiob hatte alles verloren: Seinen Besitz, seine Kinder und seine Gesundheit.

 

„Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!“
Er [Hiob] aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden …
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(Tanach / Altes Testament, Hiob 2, 9-10)

 

Pardon,  fast  alles. Seine Frau hatte er noch. – Die hatte übrigens ja auch alles verloren.  Es waren ja wohl auch ihre Kinder bei denen mit dabei gewesen, die umgekommen waren. (Scheint wohl eine patriarchalische Erzählung zu sein). Und seine Frau hatte ihren Glauben an Gott anscheinend schon aufgegeben. (Falls sie überhaupt fromm gewesen war). Sie, die Hiob allein übrig geblieben war, gibt ihm dann noch, als er dann heftig krank wird, diesen Rat, sich von Gott zu verabschieden und ins Gras zu beißen.

 

Ohne eigenes Verschulden sind alle Geschöpfe der Vergänglichkeit ausgeliefert, weil Gott es so bestimmt hat.
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Aber er hat ihnen die Hoffnung gegeben, dass sie zusammen mit den Kindern Gottes einmal von Tod und Vergänglichkeit erlöst und zu einem neuen, herrlichen Leben befreit werden. – Wir wissen ja, dass die gesamte Schöpfung jetzt noch leidet und stöhnt wie eine Frau in den Geburtswehen.
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(Paulus im Brief an die Christen in Rom; Bibel, Neues Testament; 8,20-22)

 

Gott und unser Leid

Hiob jedoch blieb Gott treu. Aber er schleuderte Gott seine Anklagen entgegen.

Im hebräischen Original soll das Buch sogar so krass sein, dass ein jüdischer Rabbiner wohl mal gesagt hatte, mal sollte das Buch besser nicht alleine, sondern mindestens zu zweit lesen. – Wahrscheinlich, damit man nicht seine Fassung oder sogar seinen Glauben verliert.

Hiob ist eins meiner Lieblingsbücher in der Bibel. Hier wird nichts beschönigt. Auch der Deal zwischen Gott und Satan erscheint etwas absurd. So absurd wie das Leben manchmal.

Nebenbei bemerkt: Ich glaube nicht, dass dieses Buch ein Beleg dafür ist, dass Männer besser sind im Leiden als Frauen. – Es gibt auch  Glaubensheldinnen  in unseren biblischen Texten; auch wenn die Texte sicherlich alle stark von den patriarchalischen Kulturen geprägt sind.

 

… „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

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(Jesus am Kreuz)

 

Die Theodizee

Theodizee“ (wörtl. „Gerechtigkeit Gottes“ oder „Rechtfertigung Gottes“) ist „Theologen-Deutsch“ für die Frage, wie das Böse und Leid in der Welt mit einem allmächtigen, liebenden Gott zu vereinbaren sind. Den besten Vortrag, den ich dazu kenne, findet ihr bei Worthaus:

 

 

 

Je stärker wir durch uns bedrängendes Leiden auch emotional unter Druck geraten, desto heftiger wird auch unsere Vorstellung von einem liebenden Gott auf die Probe gestellt. Wenn wir uns Gott als lieben, allmächtigen Papa im Himmel vorstellen möchten, dann ist die Frage, warum er bei all dem grausamen, täglichen Leid nicht eingreift, und warum er überhaupt so eine Welt erschaffen hat, kaum zu ertragen.

 

Dann begann Hiob zu reden und verfluchte den Tag seiner Geburt.

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(Hiob 3,1)

 

Lebendiger Glaube

Einer der bedeutendsten Bibelforscher unserer Zeit, Bart D. Ehrman, ist wohl vor allem wegen der Frage nach dem Leid zum Agnostiker geworden, obwohl – oder vielleicht gerade weil – er einen evangelikalen Hintergrund hatte.

Wäre es nicht besser, wenn ein lebendiger Glaube sich verändert und wächst, als dass er an der Wirklichkeit zerbricht?

Wie müsste solch ein Glaube beschaffen sein?

 

Jetzt sehen wir nur ein undeutliches Bild wie in einem trüben Spiegel. Einmal aber werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt.

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(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth, 13,12)

 

Vollkommener Gott – mangelhafter Glaube

Gott ist per Definition vollkommen. Absolut. Die letzte Realität, die nach allem Hinterfragen noch übrig bleibt. Der Urgrund allen Seins.

Unsere Vorstellungen von Gott sind jedoch mangelhaft. Manche Menschen verwechseln ihre Gottesvorstellungen mit dem, was Gott selbst ist, und machen sich so einen Götzen – der nicht tragen kann. – Vielleicht kann gerade die immer wieder auftauchende und unser Leben begleitende Frage nach dem Leid  uns auch  – wie damals Hiob – in eine tiefere Gotteserkenntnis führen.

Menschliche Gottesvorstellungen sind immer auch geprägt durch die autobiographische und kulturelle Geschichte. Die immer bekannter werdende Integrale Theorie liefert auch ein Modell diese Zusammenhänge besser zu verstehen. Wenn sich unsere Gottesvorstellung ändert, erscheint auch die alte Theodizee-Frage in einem neuen Licht.

Die biblischen Texte beschreiben Gott als eine geheimnisvolle Macht, die nicht unabhängig von unserer Welt in einer Art „Parallel-Universum“ existiert, sondern in unserer Welt gegenwärtig ist. Ein Gott, der in den Lobgesängen seines Volkes wohnt und sich in der Geschichte der Menschheit verwirklicht. Ein lebendiger Gott. Ein Gott des Lebens. Und mit unserem Leben verändert sich auch unsere Vorstellung von ihm – oder ihr  😉

 

Heilige Texte

Interessant ist, dass das Reden von und über Gott im Judentum deutlich vorsichtiger ist, als im Christentum. Der Name Gottes, das Tetragramm „YHWH“, wird traditionell nicht ausgesprochen. Auch haben viele Christen das Bilderverbot vom Judentum übernommen.

Bei unseren Gottesvorstellungen wird es immer auch um die wichtige Frage gehen, wie wir mit dem Reden von und über Gott in der jüdisch-christlich Tradition und in unseren heiligen Texten umgehen, und in welchem Ausmaß wir bereit sind, uns auf die Lebenswelt und Kulturen der Menschen von heute einzulassen.

 

Gott ist Liebe; und die in der Liebe bleiben, bleiben in Gott, und Gott in ihnen.

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(Erster Brief des Johannes, 4,16b)

 

Freiwilliges Leiden

Das Christentum beruht auf Leid; das Leiden eines Mannes, der schwer gelitten hat, und dieses Leid sogar  freiwillig  auf sich genommen hat:  Jesus aus Nazareth.

Was bringt einen Menschen dazu,  freiwillig  Leiden auf sich zu nehmen?

Die biblischen Erzählungen von der Hinrichtung von Jesus sind keine freudestrahlenden Heldengeschichten eines das Leid umarmenden Gottes, der mit geschwollener Brust zu seiner Folter schreitet. Jesus nahm das Leid nicht furchtlos und todesverachtend auf sich, sondern hatte Todesangst und suchte nach einem Ausweg.

 

… „Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt!“
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Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder, betete  und sprach:
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„Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“
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Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er geriet in Todesangst und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen.
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Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend vor Traurigkeit …
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(Lukas-Evangelium 22,40-45)

 

Jesus musste gewusst haben, was für eine ungeheure Provokation sein Erscheinen in Jerusalem für das religiöse Establishment war: Der Einzug in Jerusalem, sein Auftreten im Tempel …

 

„Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“

„Mein Haus soll ein Haus des Gebets sein!“

 

Und er lehrte täglich im Tempel.

Doch es gab für Jesus keinen anderen Weg, als den Willen Gottes zu tun. Für alle Menschen.

 

selbstverständlich

 

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This image is in the public domain because it contains materials that originally came from the U.S. National Oceanic and Atmospheric Administration, taken or made as part of an employee’s official duties. Via Wikimedia Commons.

 

selbstverständlich

selbst – verständlich

das ist doch selbstverständlich

da muss man sich doch nicht extra bedanken

wieso  weshalb  warum

ich wache auf

es ist morgen

ich liege in meinem bett

selbstverständlich kann nicht jeder mensch erwarten immer in seinem bett aufzuwachen

manche menschen erwachen im krankenhaus

manche im sarg

manche sind unterwegs

manche auf der flucht

selbstverständlich wird nicht überall frühstück angeboten

selbstverständlich gibt es auch menschen die sich genau überlegen müssen wann sie was essen weil sie nicht genug haben

selbstverständlich gibt es nicht überall offene arbeitsstellen oder andere möglichkeiten sich seinen lebensunterhalt zu finanzieren

selbstverständlich können nicht alle familien und staaten sich leisten alle kinder zur schule zu schicken

selbstverständlich gibt es auch viele alleinstehende

selbstverständlich gehören leiden und schmerzen zum leben

selbstverständlich kann man nicht erwarten das unglücke immer nur die anderen treffen

selbstverständlich können menschen nicht immer friedlich miteinander leben

selbstverständlich kommt es bei militärischen auseinandersetzungen auch zu zivilen opfern

selbstverständlich müssen wir alle einmal sterben

selbstverständlich geht auch dieser text einmal zu ende

 

Die Güte des HERRN hat kein Ende, sein Erbarmen hört niemals auf,
es ist jeden Morgen neu! …
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(Die Bibel, Buch der Klagelieder, 3. Kapitel, Vers 22-23)
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Ich bin nicht gut im Leiden

[Eine neuere Überarbeitung dieses Artikels findet ihr hier.]

 

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Tragic mask on the façade of the Royal Dramatic Theatre in Stockholm, by Holger.Ellgaard (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)%5D, via Wikimedia Commons

 

Es hat mich erwischt: Eine Erkältung. Nicht gerade dramatisch. Aber schon drängt sich die alte Frage wieder auf: Wie war das  doch mit Gottes Liebe und dem Leiden?

Schon meinen Heuschnupfen find ich nicht gut. Zahn- und Kopfschmerzen sind auch nicht gerade toll. Gleichzeitig ist das Jammern natürlich auch ein Bisschen peinlich, wenn man an all die Menschen denkt, die wirklich schwer krank sind. Ich war zum Glück noch nie so richtig schwer krank. Einmal hatte ich allerdings so starke Zahnschmerzen, dass ich es kaum noch aushielt.  –  Ich bin nicht gut im Leiden.

Es gab einmal einen Profi im Leiden. Ist sogar deutsches Kulturgut geworden: Die Hiobs-Botschaft. Ein Mann, der Nachrichten bekommen hat, die selbst dem gestandensten Mann den Boden unter den Füßen weghauen können. Hiob hatte alles verloren: Seinen Besitz und seine Kinder.

Pardon, FAST alles. Seine Frau hatte er noch. Die hatte übrigens ja auch alles verloren (waren ja wohl auch ihre Kinder dabei; scheint wohl eine patriarchalische Erzählung zu sein). Und seine Frau hatte Gott anscheinend schon aufgegeben (falls sie überhaupt fromm gewesen war). Und als Hiob dann heftig krank wird, lädt seine Frau (die ihm noch übrig geblieben war von allem) ein, sich von Gott zu verabschieden und ins Gras zu beißen!

Hiob jedoch blieb Gott treu – aber er fand das Leiden auch nicht toll; und er klagte Gott heftig an. Im hebräischen Original soll das Buch sogar so krass sein, dass ein jüdischer Rabbiner wohl mal gesagt haben soll, mal sollte das Buch besser nicht alleine, sondern mindestens zu zweit lesen (wahrscheinlich, damit man nicht seine Fassung oder seinen Glauben verliert).  –  Übrigens eins meiner Lieblingsbücher in der Bibel.  –  Nebenbei bemerkt: Ich glaube nicht, dass dieses Buch ein Beleg dafür ist, dass Männer besser sind im Leiden als Frauen. Und es gibt auch GlaubensheldINNEN in unseren heiligen Texten.

Es gab da auch noch jemand, der schwer gelitten hat. Und sogar freiwillig!!! (Wie geht das denn?)  –  Jesus aus Nazareth.

Aber auch Jesus fand das Leiden nicht toll. Er ging nicht freudestrahlend, mit geschwollener Brust, todesverachtend und das Leiden umarmend zu seiner Folter und Hinrichtung. In Gethsemane war er todtraurig und bat Gott so heftig für einen Ausweg, dass ihm der Schweiß von der Stirn tropfte.  –  Und doch ergab er sich in den Willen Gottes.

Jesus musste gewusst haben, was für eine ungeheure Provokation sein Erscheinen in Jerusalem für das religiöse Establishment war: Der Einzug in Jerusalem und sein Auftreten im Tempel …  –  „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!“ – „Mein Haus soll ein Haus des Gebets sein!“ – Und er lehrte täglich im Tempel. Doch es gab für Jesus keinen anderen Weg, als den Willen Gottes zu tun. Für uns alle.

[Eine neuere Überarbeitung dieses Artikels findet ihr hier.]