Christentum heute ist ohne die biblischen Texte kaum vorstellbar. Es gab allerdings schon Christentum bevor die Bibel entstand. Auch ist die Bibel nicht vom Himmel gefallen. Wie wir mit ihr umgehen, ist entscheidend für uns selbst und für andere. – VORSICHT : Das Anliegen des Blogs ist mir sehr ernst; einzelne Sätze sind allerdings nicht immer wörtlich zu nehmen. ;-) – Bin übrigens als Christian Schmill auf Facebook, @C_Schmill bei Twitter.
Wenn Menschen das Wort „Bibel“ hören, denken sie an einen zweidimensionalen Text oder ein dreidimensionales Buch. – Höchste Zeit für ein Update!
Keine Angst. Die ist kein Werbetext für ein neues Produkt. Dies ist die Einladung zu einem Bewusstseins-Wechsel.
„Bibel“
Wenn Menschen das Wort „Bibel“ hören, stellen sie sich etwas vor, dass es nie gegeben hat – und das liegt an der Geschichte ihrer Entstehung.
Die Bibel ist das „heilige Buch“ der Christenheit. Ein ursprüngliches „Original“ dieses Buches hat es allerdings nie gegeben. Anders als bei den Tora-Tafeln, welche Mose in der Erzählung vom Bundesschluss am Sinai überreicht bekommen hat, gab es nie eine Bibel, welche Gott für die Christenheit gemacht hat. Um die Herstellung von Bibeln musste sich die Kirche selbst kümmern. – Aber vielleicht hat der römische Kaiser damals ja ein bisschen dabei mitgeholfen.
Alle Bibeln, die in Gebrauch sind oder in Buchläden und Museen herumliegen, sind Sammlungen antiker „jüdischer“ religiöser Texte. Die Verfasser der neutestamentlichen Texte waren wahrscheinlich nicht alle Juden, aber die Texte sind dennoch zutiefst jüdisch geprägt und im Umfeld jüdischer Synagogen-Frömmigkeit entstanden.
Original oder Übersetzung?
Die biblischen Originaltexte wurden leider nicht in modernem Deutsch geschrieben, sondern in Hebräisch, Aramäisch und Griechisch. Da selbst Theologen in der Regel diese Sprachen nicht auf muttersprachlichem Niveau beherrschen, benutzen auch sie gerne mal Bibel-Übersetzungen. 😉
Es gibt da allerdings noch ein weiteres Problem mit dem Original…
„Textkritik“?
Dieser Begriff mag so manchem christlichen Fundamentalisten Angst einjagen. Erst ist allerdings völlig harmlos. Es geht lediglich um den Versuch herauszufinden, wie die Originale all der Texte ausgesehen haben mögen, deren Übersetzungen wir in unseren Bibeln finden.
Es existiert kein einziges Original der biblischen Texte mehr. Dies ist bei antiken Texten auch absolut nicht ungewöhnlich. Die Zeiten, in denen diese Texte geschrieben worden sind, liegen ja nun doch schon eine ganze Weile zurück, und mit dem Haltbarkeitsdatum von antiken Schreibmaterial ist das so eine Sache…
Deshalb muss man versuchen diese Originale zu rekonstruieren. Dies wäre nicht so schwierig, wenn sämtliche späteren Abschriften identisch wären. Da dies allerdings leider nicht der Fall ist und zum Teil beträchtliche Unterschiede bestehen, braucht man Bibelwissenschaftler, sogenannte „Textkritiker“, die durch kritisches Studium der alten Handschriften versuchen herauszufinden, welcher „Urtext“ am wahrscheinlichsten mit dem Original übereinstimmt.
Die allererste „Bibel“?
Juden mögen Schriftrollen. Sie benutzen sie immer noch.
Ein Meilenstein in der Buchherstellung war dann der Codex Sinaiticus. – Ein wirklich dickes Buch! Berühmt geworden als eine der wichtigsten biblischen Handschriften.
Ein Kodex ist im wesentlichen ein Stapel von Blättern, welche miteinander verbunden worden sind. Die Schriftrolle ist die ältere Buchform. Der Kodex setzte sich erst in der Spätantike als die führende Buchform durch.
Man könnte den Codex Sinaiticus als die allererste christliche „Bibel“ ansehen. Dazu muss man dann allerdings doch noch Folgendes bemerken:
Dieser Kodex war eine Sammlung griechischerTexte, d.h. das sogenannte „Alte Testament“ (also die vorchristlichen, jüdischen Texte) war schon in einer griechischen Übersetzung und nicht im Original-Hebräisch (bzw. Aramäisch) enthalten.
Der Codex Sinaiticus enthielt sowohl die sogenannten „alttestamentlichen Apokryphen“ (Judit, Tobit, Makkabäer,etc), als auch den Barnabasbrief und Teile des „Hirten des Hermas“. – Ich kenne keine einzige moderne Bibelausgabe, welche dieselbe Auswahl an Texten getroffen hat.
Dies bedeutet, dass es eine Original-Bibel, welche die alttestamentlichen Texte in Hebräisch und Aramäisch, sowie die neutestamentlichen Texte unserer Bibeln in Griechisch enthalten hätte, so weit wir wissen, nie gegeben hat.
Was wir über die Entstehung der Bibel wissen, spricht auch dagegen, dass es solch ein „Original“ jemals gegeben haben kann. – Eine Situation, die sich alle christlichen Fundamentalisten mal auf der Zunge zergehen lassen sollten…
Wandel der Zeiten
Das, was ich bis jetzt erklärt hab, vermittelt schon einen starken Eindruck vom Lauf der Geschichte. – Zeiten ändern sich. Sprachen ändern sich. Machtverhältnisse ändern sich. Menschen migrieren und werden verschleppt, und religiöse Bewegungen breiten sich aus. – Bibeln sind einzigartige Dokumente dieses Wandels.
Die Christenheit als „Bibel-Community“
Jesus selbst hat keinen einzigen Text hinterlassen. (!) Danach dauerte es dann noch drei (!) Jahrhunderte bis die ersten „Bibeln“ hergestellt wurden. (Dass der Name „Bibel“ hier nicht ganz unproblematisch ist, hab ich ja gerade erklärt.)
Besonders seit Erfindung der Massenherstellung von Büchern in der Renaissance und der zunehmenden Alphabetisierung, erfreuten sich Bibeln dann allerdings zunehmender Beliebtheit. Heutzutage können Milliarden Menschen Bibeln besitzen oder übers Internet auf die Texte zugreifen.
Biblische Texte spielten von Anfang an in der Christenheit eine große Rolle. Dies überrascht nicht, waren die ersten Christen doch alle Juden, welche ihre heiligen Texte lasen (oder hörten). Nach und nach wurden dann auch neue Texte von Jesus-Anhängern geschrieben. Kaum vorstellbar allerdings, dass sich z.B. Paulus schon bewusst gewesen wäre, dass sein Brief einmal in einer „Heiligen Bibel“ landen würde.
Die 4D-Bibel
Es gab nie ein „Bibel-Original“. „Bibel“ ist nicht ein Buch, sondern ein religionsgeschichtliches Phänomen der christlichen Geschichte.
Bis heute werden die biblischen Texte erforscht, Bibelausgaben überarbeitet, Textkritik betrieben, kommentiert und diskutiert. Die Gesamtheit all dieser Aktivitäten ist das, wofür das Wort „Bibel“ steht. Eine vierdimensionale „Bibel“ in ihrer Ausdehnung über Raum und Zeit. In dieser Ort und Zeitpunkt transzendierenden Dimension hat „Bibel“ auch eine gewisse „göttliche“ Qualität.
Die 4D-Bibel. – Ein vierdimensionales Symbol des Christentums.
Mehr als „Bibel“
Die Bibel ist allerdings weder mit dem Christentum identisch, noch war sie seine Quelle.
Das Leben, das Jesus vorgelebt hat, geht weit über „Bibel“ hinaus…
… dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.
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(Bibel, Neues Testament, Johannes-Evangelium 17. Kapitel, Vers 21)
Es gibt viele unterschiedliche Gründe, weshalb Menschen zur Bibel greifen. Was dabei am Ende herauskommt, hängt davon ab, was Menschen antreibt.
„Bittet Gott, und er wird euch geben! Sucht, und ihr werdet finden! Klopft an, und euch wird die Tür geöffnet!“
. (Jesus in der Bergpredigt; Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium, 7. Kapitel, Vers 7)
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2. Bibel „verstehen“ oder „deuten“?
Über das willkürliche Deuten biblischer Texte
Die beiden deutschen Worte „verstehen“ und „deuten“ sind in ihrer Bedeutung nicht identisch. Das Wort „verstehen“ suggeriert ein eher passives Erkennen des Sinns oder einer Absicht, wobei ein „richtiges Verstehen“ meist implizit ist („ich verstehe dich“); während das Wort „deuten“ ein aktiveres Herstellen eines Sinnes bezeichnet, bei dem die Subjektivität und mögliche Fehlerhaftigkeit in der Bedeutung mitschwingt.
„Denn was wir erkennen, ist immer nur ein Teil des Ganzen …“
. (Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth; Neues Testament; 13,9)
Willkür
“ Willkürliches Deuten.“ – Klingt irgendwie nicht so gut. – Was soll bei Willkür schon Gutes herauskommen? – Wer Willkür am eigenen Leib erfahren hat, wird wohl eher einen weiten Bogen darum machen.
„Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“
.
(Johann Jakob Wilhelm Heinse)
„Ganzheitliches Bibelverständnis“
Dies war der ursprüngliche Titel der ersten Version dieses Artikels, welcher übrigens der allererste Artikel meines Blogs war. Ihr findet ihn schnell, wenn ihr „Ganzheitliches Bibelverständnis“ in eine Suchmaschine eingebt. (Der Ausdruck „Ganzheitliches Bibelverständnis“ scheint wohl nicht so gebräuchlich zu sein. Ich mag ihn allerdings immer noch.)
Ich würde den ursprünglichen Artikel heute nicht mehr so formulieren. Deswegen also nun hier: die zweite Version 🙂
„Die Unterweisung in der Lehre unseres Glaubens hat nur das eine Ziel: die Liebe, die aus einem reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem aufrichtigen Glauben kommt.
Dieses Ziel haben jene Leute aus den Augen verloren, und daher ist alles, was sie von sich geben, leeres Gerede. Sie wollen Lehrer des Gesetzes sein, das Gott durch Mose gegeben hat, und dabei verstehen sie nichts von dem, wovon sie reden und worüber sie solche selbstsicheren Behauptungen aufstellen.“
. (Paulus im ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 1,5)
„Bibelverständnis“
Warum ist dieser Begriff problematisch? – Weil er suggeriert, dass man biblische Texte „richtig verstehen“ kann. Ich glaube zwar auch, dass es biblische Texte gibt, die man richtig verstehen kann; aber das Problem liegt darin, dass Juden und Christen schon sehr viel Zeit und Kraft damit verbracht haben, sich über das „richtige Verständnis“ biblischer Texte streiten.
Wie kann man denn überprüfen, ob man einen Text richtig verstanden hat? – Wir können die Menschen, welche die Texte aufgeschrieben haben, ja nicht mehr fragen. Und wenn wir Gott fragen … was würde er wohl antworten?
Der erste Artikel meines Blogs
Der erste Artikel meines Blogs (also die erste Version dieses Artikels) basierte auf einer E-Mail, die ich Wolfgang Nestvogel als Anfrage an sein Bibelverständnis geschrieben hatte, nachdem ich einen Vortrag von ihm gehört hatte. – Leider habe ich nie eine Antwort bekommen, und wir haben uns nie über sein Bibelverständnis austauschen können.
Wolfgang Nestvogel ist Rektor der Akademie für Reformatorische Theologie (ART) und Pastor der Bekennenden Evangelischen Gemeinde (BEG) Hannover (Quelle: wolfgang-nestvogel.de).
Tja, wir alle glauben halt, was wir glauben wollen …
„… niemals wurde eine Prophetie durch den Willen eines Menschen hervorgebracht, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben Menschen im Auftrag Gottes geredet.“
. (Zweiter Petrusbrief; Neues Testament; 1,21)
will-kür-lich
Wenn wir einen Text lesen (was schon einmal voraussetzt, dass wir die Sprache verstehen), dann versuchen wir un-willkürlich – sozusagen vollautomatisch – ihn zu deuten. Es gibt gar kein Verstehen ohne Interpretation. Wir merken das, wenn wir z.B. eine Gebrauchsanweisung oder juristisches Kleingedrucktes lesen, wo wir zwar die einzelnen Worte eigentlich kennen, aber es trotzdem für uns keinen Sinn ergibt.
In „will-kür-lich“ steckt das Wort „Wille“. Wir wollen , dass die Worte für uns Sinn machen. Unser Verstand ist dafür gemacht, Sinnzusammenhänge herzustellen. Dadurch ist es uns möglich zu lernen. – Wenn wir etwas falsch gedeutet haben, können wir die Deutung korrigieren. Wenn wir jedoch gar keinen Sinn erkennen können, geht das Gelesene höchstwahrscheinlich wieder verloren, weil es sich mit keiner Bedeutung in unserem Leben verbinden kann. Es bleibt nichts hängen.
„Wenn jemand die Botschaft vom Himmelreich hört und nicht versteht, ist es wie mit der Saat, die auf den Weg fällt. Der Böse kommt und raubt, was ins Herz dieses Menschen gesät worden ist.“
. (Jesus im Matthäus-Evangelium 13,19)
„ganzheitlich“
Es geht mir um einen gesunden Umgang mit den biblischen Texten, der möglichst viele Aspekte berücksichtigt, uns selbst positiv verändert und auch keine (oder möglichst wenig) unerwünschte Nebenwirkungen hat. Ein Umgang, der die Bibel für uns selbst und die Menschen unserer Zeit wertvoller macht.
Dies wollen im Grunde wahrscheinlich irgendwie die meisten Bibelleser. Aber wie können wir die Wirkungen überprüfen? Besteht überhaupt die Gefahr, dass Bibellesen unerwünschte Nebenwirkungen hat? Kann man zu viel in der Bibel lesen? Die Bedeutung der Bibel überschätzen?
„…alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben, und dementsprechend groß ist auch der Nutzen der Schrift: Sie unterrichtet in der Wahrheit, deckt Schuld auf, bringt auf den richtigen Weg und erzieht zu einem Leben nach Gottes Willen.
So ist also der, der Gott gehört und ihm dient, mit Hilfe der Schrift allen Anforderungen gewachsen; er ist durch sie dafür ausgerüstet, alles zu tun, was gut und richtig ist.“
. (Paulus in seinem zweiten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus 3,16-17)
schwarz-weiß
Schwarz-Weiß-Denken ist so schön einfach. Das macht es auch so attraktiv. Es ist so praktisch. Nicht unbedingt immer leicht anzuwenden, aber es gibt immer eine eindeutige Orientierung: Klare Ansagen und eine bestimmte Richtung …
Aber unser Leben hat nicht nur viele Grau-Stufen. Leben ist bunt. Wild. Nicht in den Griff zu kriegen …
Schwarze Buchstaben auf weißem Grund. Der Versuch Bedeutendes ans vergängliche Papier zu heften.
Als Christen glauben wir ja eigentlich, dass Gott sich am besten nicht in heiligen Texten, sondern in einem Menschen aus Fleisch und Blut offenbart hat: Dem Juden Jesus aus Nazareth in Galiläa, geboren in Bethlehem zur Zeit der römischen Besatzung, noch vor der Zerstörung des jüdischen Tempels in Jerusalem und der Auslöschung jüdischen gesellschaftlichen Lebens in Palästina im zweiten Jahrhundert nach Christus.
„Ihr selbst seid unser Empfehlungsbrief, geschrieben in unsere Herzen, ein Brief, der allen Menschen zugänglich ist und den alle lesen können. Ja, es ist offensichtlich, dass ihr ein Brief seid, den Christus selbst verfasst hat und der durch unseren Dienst zustande gekommen ist.
Er ist nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, und die Tafeln, auf denen er steht, sind nicht aus Stein, sondern aus Fleisch und Blut; es sind die Herzen von Menschen.“
. (Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,2-3)
menschlich – göttlich
Wenn fromme Menschen heilige Texte lesen, tun sie dies im Glauben, dass es nicht nur Worte von Menschen sind, sondern dass Gott selbst hier spricht. Es ist diese Doppelnatur heiliger Texte, die sie so kraftvoll sein lassen. Menschlich. Göttlich. Schwierig und gefährlich und nicht in den Griff zu kriegen …
Mich erinnert dies an die uralten Diskussionen und Spekulationen über die Natur von Jesus … – all die christologischen Streitereien. So alt wie das Christentum selbst. Die Doppel-Natur von Jesus. – Gott. Mensch. Nicht in den Griff zu kriegen …
„Es geht mir darum, dass ihr gestärkt und ermutigt werdet und dass ihr in Liebe zusammenhaltet. Dann werdet ihr eine tiefe und umfassende Erkenntnis erlangen, ein immer größeres Verständnis für das Geheimnis Gottes.
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Christus selbst ist dieses Geheimnis; in ihm sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen. Ich sage das, damit euch niemand mit kluger Überredungskunst auf einen falschen Weg führt.“
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(Kolosserbrief; Neues Testament; 2,2-4)
„ganzheitlich“ oder „homogen“
Das Wort „ganzheitlich“ hier bitte nicht mit „homogen“ verwechseln. Ich behaupte nicht, dass die Bibel einen „homogenen“ Inhalt besitzt und widerspruchsfrei wäre. (Eher glaube ich das Gegenteil.)
Auch gegenüber einem „homogenen“, einheitlichen Bibelverständnis bin ich skeptisch. Bei der Vielfalt all der Texte und Autoren … – sollte es da wirklich eine Auslegungsmethode geben, die für alle passt?
„Viele Male und auf verschiedenste Weise sprach Gott in der Vergangenheit durch die Propheten zu unseren Vorfahren. Jetzt aber, am Ende der Zeit, hat er durch seinen Sohn zu uns gesprochen …“
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(Brief an die Hebräer; Neues Testament; 1,1-2)
„Bibelverständnis“
Das Thema an sich ist riesig. Ich möchte das mal in meinem Kopf sortieren in die Bereiche „die Vorstellung, die ich von der Bibel habe“ und „wie ich mit ihr umgehe“. – Die beiden Aspekte hängen natürlich zusammen und beeinflussen sich wechselseitig.
Dazu fallen mir dann auch noch Fragen ein, wie:
Warum beschäftigst du dich eigentlich mit der Bibel?
Hat sich das bis jetzt für dich gelohnt? Bringt dir das was? Was genau?
Was wünschst du dir von der Bibel?
Ich hab mir die Fragen auch selbst grad gestellt, und war überrascht …
„Die Bibel, bestehend aus den Schriften des Alten und Neuen Testaments, ist Offenbarung des dreieinen Gottes. Sie ist von Gottes Geist eingegeben, zuverlässig und höchste Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung.“
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(aus der „Glaubensbasis der Evangelischen Allianz vom 2. September 1846, überarbeitet 2018„)
3. Vorstellungen von der Bibel
Dekonstruktion eines Ideals: Sind die biblischen Texte Gottes Worte an dich heute?
„Bibel = Wort Gottes?“
„Die Bibel ist das Wort Gottes.“ – Eine Aussage, die man immer noch hört. (Interessant, dass es bei der Glaubensbasis der Ev. Allianz nicht so formuliert worden ist.) – Aber wer dürfte so etwas eigentlich behaupten?
Glaubst du das?
Falls ja, bist du selbst durch das Studium der Texte zu dieser Erkenntnis gelangt oder haben es dir andere über die Bibel gesagt?
Das meiste, was über die Bibel gesagt wird und gesagt worden ist, wird von Menschen gesagt, die keine theologische Ausbildung besitzen, Übersetzungen benutzen und kaum Kenntnisse von Textkritik und der Entstehung der Bibel besitzen.
„Wenn ich in Sprachen rede, die von Gott eingegeben sind – in irdischen Sprachen und sogar in der Sprache der Engel – , aber keine Liebe habe, bin ich nichts weiter als ein dröhnender Gong oder eine lärmende Pauke.“
. (Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13,1)
„Das Wort Gottes“
Dies ist eigentlich ein symbolischer Ausdruck. – Wir kennen Worte nur als Bestandteile menschlicher Sprache.
Welche Sprache spricht Gott? Keine? Alle? Hat Gott eine Muttersprache?
Paulus erwähnt im eben zitierten Vers im ersten Brief an die Christen in Korinth die Sprache von Engeln. Aber ich kenne eigentlich nur menschliche Sprache.
„‚Ihr Männer, liebe Brüder und Väter, hört mir zu, wenn ich mich jetzt vor euch verantworte.‘
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Als sie aber hörten, dass er auf Hebräisch zu ihnen redete, wurden sie noch stiller …“
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(Paulus in der Apostelgeschichte; Neues Testament; 22,1-2)
Heilige Sprachen
Von der Religionsgeschichte her kennen wir das Phänomen, dass manchmal Sprachen als „heilig“ betrachtet werden – z.B. das Hebräische im Judentum oder das Arabische des Koran im Islam. Dahinter steht die Überzeugung, dass Gott sich sprachlich offenbart hat, und das Bewusstsein, dass jede Sprache eine, ihr eigene, Natur besitzt, welche sie von anderen Sprachen unterscheidet.
Wenn Gott eine Sprache erwählt hat, um sich durch sie zu offenbaren, wird diese dadurch heilig. Nicht alle Juden fanden es z.B. so toll, dass ihre heiligen Schriften ins Griechische übersetzt worden waren (Septuaginta), und die Übersetzung des Koran in andere Sprachen ist auch für manche Muslime ein heikles Thema.
Natürliche Sprachen sind lebendig und verändern sich. Gott aber verändert sich nicht. (Oder doch?) – Kann es überhaupt eine heilige Sprache geben? – Beim Hebräischen sehen wir in der Geschichte, wie es über Jahrhunderte zu einer liturgischen Sprache erstarrt gewesen war, bevor es dann in der Neuzeit wiederbelebt wurde. (Wobei das moderne Ivrit nicht mit Biblischen Hebräisch identisch ist.)
Interessant ist, dass im Christentum meines Wissens „heilige Sprache“ nie so richtig ein Thema war. Vielleicht liegt das daran, dass unsere Bibel ja ursprünglich in mehreren Sprachen (Hebräisch, Aramäisch, Griechisch) geschrieben worden ist.
Sind vielleicht irgendwie alle Sprachen heilig? Offenbart sich Gott in den Worten, die Menschen einander sagen und die von Generation an Generation weitergegeben werden? Offenbart er sich vielleicht gerade auch in der lebendigen Veränderung von Sprache?
Im biblischen Narrativ ist die Entstehung von Sprachen ein Schöpfungsakt Gottes:
„… Wir werden hinuntersteigen und dafür sorgen, dass sie alle in verschiedenen Sprachen reden. Dann wird keiner mehr den anderen verstehen!“
Ich bin überzeugt, dass viel zu viel Fromme nicht genug darüber nachdenken, was Kommunikation eigentlich ist, und wie sie funktioniert. – Müsste jemandem, dem die Veränderung von lebendigen Sprachen bewusst ist, es nicht eigenartig und problematisch erscheinen, dass Gott sich in einem Text für alle Menschen aller Zeiten offenbart?
Während ich diese Zeilen schreibe, merke ich ständig, wie schwierig es ist, genau das auszudrücken, was ich sagen will. Es soll ja auch nicht missverstanden werden können. – Wer schreibt, will verstanden werden. – Wir alle kennen das vom SMS- und Briefe-Schreiben. Man möchte nicht zu viele Worte machen, aber auch nicht etwas so verkürzen, dass es missverständlich ist. Jeder, der es gewöhnt ist, öffentlich zu sprechen, oder wer regelmäßig Texte verfasst, dem ist diese Spannung vertraut.
Was man mit Worten ausdrücken kann, ist auch so begrenzt. Wir hätten oft so viel zu sagen … so große Gefühle … tiefe Gedanken …
„Ich habe noch so vieles auf dem Herzen, aber das möchte ich euch lieber persönlich sagen und nicht schreiben …“
. (Johannes‘ zweiter Brief; Neues Testament; Vers 12)
Wer kann die Bibel lesen, wie ein antiker Gläubiger?
Niemand, weltweit, beherrscht die biblischen Sprachen auf muttersprachlichen Niveau. Und diese Situation ist nicht neu. Es war schon immer so, seitdem Bibeln produziert worden sind. – Verlage suchen für Übersetzungen Menschen, welche die jeweiligen Sprachen auf muttersprachlichen Niveau beherrschen. Für Bibel-Übersetzungen kann es solche kompetenten Leute naturgemäß leider einfach nicht geben.
Wer in der Lage ist, zwei Sprachen auf (annähernd) muttersprachlichem Niveau zu sprechen und Bücher im Original und Übersetzung vergleichen kann, der weiß genau, dass eine Übersetzung immer eine Reduzierung bzw. Veränderung des ursprünglichen Inhalts ist. In Bezug auf Bibel-Übersetzungen müsste man hier eigentlich ins Nachdenken kommen – gerade bei so schwer greifbaren Themen wie „Glaube“, „Geist“ und „Frömmigkeit“.
Wir müssen auch davon ausgehen, dass nicht alle Verfasser der biblischen Texte die jeweiligen Sprachen, die sie benutzten, auf muttersprachlichen Niveau beherrscht haben. Das Griechisch, das in der Offenbarung benutzt wird, soll z.B. etwas eigenartig sein. – Konnte der Verfasser kein besseres Griechisch oder hat er den Text absichtlich so geschrieben? – Schwer zu sagen …
Übrigens sprach Jesus mit ziemlicher Sicherheit Aramäisch. Die Evangelien sind aber alle in Griechisch.
„Fassungslos hörte jeder die Jünger in seiner eigenen Sprache reden.
‚Wie ist das möglich?‘, riefen sie außer sich. ‚Alle diese Leute sind doch aus Galiläa, und nun hören wir sie in unserer Muttersprache reden …'“
. (Apostelgeschichte 2,6-8)
Die Bibel im Original lesen?
Pech gehabt. Die Originale der biblischen Texte haben wir leider nicht mehr. Ist bei antiken Texten eigentlich auch nichts Ungewöhnliches. Von den allermeisten Texten wird allerdings auch nicht angenommen, dass sie heilig sind.
„… Wer diesen Worten etwas hinzufügt, dem wird Gott all das Unheil zufügen, das in diesem Buch beschrieben wurde. Und wer etwas von diesen prophetischen Worten wegnimmt, dem wird Gott auch seinen Anteil am Baum des Lebens und an der Heiligen Stadt wegnehmen, die in diesem Buch beschrieben sind.“
. (Offenbarung von Johannes; Neues Testament; 22,18-19)
Wie gut sind die Rekonstruktionsversuche?
Schwer zu sagen … – Meines Wissens ist es bisher noch nicht gelungen einen soliden Rekonstruktionsvorschlag für alle Texte herzustellen, weil der zeitliche Abstand zwischen den Handschriften und Originalen zum Teil ziemlich groß ist, und der Zustand relevanter Handschriften teilweise kaum eine eindeutige Rekonstruktion zulassen. In den Bibelübersetzungen sind diese Probleme in der Regel natürlich – das Lesen soll ja einigermaßen „Spaß“ machen – nicht mehr zu erkennen.
„Bei Karpus in Troas ließ ich meinen Mantel zurück. Bring ihn mit, wenn du kommst, und ebenso die Buchrollen, vor allem die Pergamente.“
. (Paulus im zweiten Brief an Timotheus 4,13)
Gibt es in der Christenheit überhaupt eine einheitliche Bibel?
Weder das Alte noch das Neue Testament ist zu einem bestimmten Zeitpunkt vom Himmel gefallen, sondern sie sind beide über einen längeren Zeitpunkt entstanden, und die Diskussion über den biblischen Kanon, also die Frage, welche Schriften zur Bibel gehören sollen, hat nie aufgehört. – Diese Aussage ist natürlich abhängig davon, wen man als Christ akzeptiert. Wenn man nur die Gläubigen als Christen anerkennt, welche dieselbe Bibel benutzen, hat man hier keine Probleme.
Es geht beim Problem des Kanons hauptsächlich um die Frage der Kanonisierung der alttestamentlichen Texte, also quasi um die Kanonisierung der jüdischen Bibel. – Gab es aber im Judentum überhaupt jemals ein dem evangelikalen Fundamentalismus entsprechendes Bibelverständnis? Und wenn ja, wann? Und wer hat es vertreten? – Mir ist so etwas jedenfalls noch nicht begegnet – außer bei den sogenannten „messianischen Juden“, die das vom Christentum übernommen haben.
Auffällig ist, dass Juden Unterschiede zwischen ihren heiligen Texten machen. Am heiligsten ist die Tora.
Meines Wissens war auch der Kanon der jüdischen Bibel zur Zeit der ersten Christen noch gar nicht abgeschlossen. Juden benutzten damals ja Schriftrollen – und nicht ein dickes Buch.
Das Wort „Bibel“ kommt in der Bibel selbst natürlich nicht vor. Die Bibel als „feste“ Sammlung entstand ja erst Jahrhunderte, nachdem der letzte biblische Text verfasst worden war.
„… weil du der Stimme von JHWH, deines Gottes, gehorchst und hältst seine Gebote und Rechte, die geschrieben stehen im Buch dieses Gesetzes …
Siehe, ich lege dir heute das Leben und das Gute vor, den Tod und das Böse … dass du … wandelst in seinen Wegen und seine Gebote, Gesetze und Rechte hältst …“
Jeder biblische Vers ist zu einem festen Zeitpunkt in der Geschichte unter ganz bestimmten sprachlichen und außersprachlichen Rahmenbedingungen in einer festen Form erstarrt und wurde von dem Zeitpunkt an – mehr oder weniger gut – bis heute überliefert. In der Regel lässt sich dieser Zeitpunkt noch nicht einmal genau datieren.
Deshalb ist wissenschaftliche Bibelauslegung und Bibelübersetzung nichts für Anfänger; denn dabei geht es – unter Verwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel – um das Ausloten des Deutungs-Raumes eines Textes. (Schon die Rekonstruktion des Deutungs-Raums der einzelnen altsprachlichen Worte ist nicht einfach – wie Altsprachler wissen.)
Selbst alle „Urtext-Varianten“ des biblischen Textes sind nur Rekonstruktionsversuche, da die historischen Handschriften der biblischen Texte leider nicht in allem übereinstimmen. – Wenn es anders wäre, bräuchte man keine Textkritik.
„Von oben kommen nur gute Gaben und nur vollkommene Geschenke; sie kommen vom Schöpfer der Gestirne, der sich nicht ändert und bei dem es keinen Wechsel von Licht zu Finsternis gibt.“
. (Brief von Jakobus; Neues Testament; 1,17)
Kontext, Kontext, Kontext
Sprache ist immer untrennbar mit einem konkreten, zeitlichen kulturellen Kontext verbunden. Jeder, der schon einmal versucht hat, eine Fremdsprache zu lernen, kann das verstehen. Eine Sprache zu lernen, bedeutet, auch eine Kultur zu lernen.
Manche Worte beschreiben grundlegende menschliche Erfahrungen, wie Atmen, Essen, Laufen, usw. – aber selbst da gibt es Nuancen (tief/flach atmen, schnell/langsam laufen/gehen/rennen …). Andere Worte haben einen sehr spezifischen Kontext, wie z. B. Passah, Abendmahl, Weihnachten, …
Sprache ist grundsätzlich der Veränderung in der Zeit unterworfen, was man sofort merkt, wenn man Luther im Original liest, oder wenn man an die Bedeutung von Worten wie „toll“ oder „geil“ denkt. (Wenn man älter wird, merkt man immer mehr, wie sich die eigene Muttersprache verändert.)
In den religiösen Schriften wird nun der Text durch die Tradition konserviert, aber löst sich zunehmend von dem historischen und sprachlichen Kontext. Es wird zunehmend schwieriger den Text richtig zu interpretieren, da sich Kultur und Sprache des Lesers verändern und Wissen um Anlass und Zusammenhänge des Verfassens der Texte immer mehr abnimmt. Die Gefahr von Missverständnissen steigt.
Um einen Text richtig zu interpretieren, muss man versuchen, den ursprünglichen Kontext zu rekonstruieren. Inwieweit einem das jeweils gelungen ist, kann man kaum überprüfen. – Je fremder einem Leser der ursprüngliche historische Kontext ist, desto schwieriger wird es zu verstehen, was der Verfasser mit dem Text bezwecken wollte.
„… wer Freude hat am Gesetz von JHWH und darüber nachdenkt – Tag und Nacht.“
. (Erster Psalm, Vers 2)
Die Bibel, ein vollkommenes, fehlerfreies Buch? Eine zuverlässige Quelle der Wahrheit?
Dies dürfte jemand eigentlich nur behaupten, wenn er dies persönlich Text für Text und Vers für Vers überprüft hat. Aber wie sollte so etwas funktionieren? Wir haben ja noch nicht einmal die Originale?
Und was ist mit Wahrheit gemeint? Müssen alle Details einer Erzählung historisch korrekt sein?
Wie wollen wir die Historizität einer biblischen Aussage überprüfen, wenn es dazu gar keine anderen historischen Quellen gibt?
Die Korrektheit historischer Dokumente ist ja auch nicht nur ein theologisches Thema und ist auch immer relativ zum wissenschaftlichen Standpunkt des Historikers. – Und auch „wissenschaftliche Erkenntnis“ verändert sich …
Und wie wollte man als kleiner Mensch die Korrektheit von Aussagen über die Schöpfung oder Gott selbst beurteilen? – Die Frage nach der Wahrheit der Bibel führt ganz tief hinein in grundlegende erkenntnistheoretische philosophische und religiöse Fragen. Wer versucht, sich an diesen Fragen vorbei zu schummeln, leistet sich selbst und anderen einen schlechten Dienst.
Und selbst wenn wir sicher sein könnten, dass unsere Bibeln fehlerfrei wären und absolute, göttliche Autorität besäßen, welche praktische Bedeutung hätte dies, wenn wir nicht überprüfen können, ob wir einen Text richtig verstanden haben?
Ist der Glaube an eine vollkommene Bibel nicht nur ein persönliches Glaubensbekenntnis und ein frommer Wunsch mancher Christen, weil wir Menschen so gerne etwas Zuverlässiges haben, an das wir uns klammern und über das wir verfügen können?
Selbst der Apostel Petrus, einer der 12 Jünger von Jesus, soll ja schon vor fast 2000 Jahren geschrieben haben, dass Paulus schwer zu verstehen ist. – Wie können wir da heutzutage sicher sein, dass wir einen Text richtig verstanden haben? Und ist so ein rechthaberischer Umgang mit der Bibel überhaupt sinnvoll und gut?
„… Es gibt in ihnen [den Briefen von Paulus] allerdings einige schwierige Stellen. Die werden von unverständigen Leuten missdeutet, die im Glauben nicht gefestigt sind. Aber so verfahren diese Leute ja auch mit den übrigen Heiligen Schriften. Sie verurteilen sich damit selbst zum Untergang.“
. (Zweiter Petrusbrief 3,16)
„Ich präsentiere Ihnen: Das WORT GOTTES“
Wie kann ein Mensch Texte, die offensichtlich auch von Menschen geschrieben worden sind und deren Rekonstruktion und Übersetzung von Menschen gemacht worden sind, als „Wort Gottes“ präsentieren? Ist das nicht immer auch ein Anspruch auf Deutungshoheit und Anmaßung göttlicher Autorität für menschliche Interpretationen, Überzeugungen und Meinungen?
Auch das Hören und Lesen biblischer Texte ist immer schon ein Interpretationsvorgang. – Der Sinn von Worten entsteht immer erst durch den Zusammenhang. – Wie groß ist da die Gefahr, dass man anstatt das Reden Gottes aus einem biblischen Text zu hören, doch nur seine eigenen Gedanken hört und sie mit der Stimme Gottes verwechselt?
Die Überzeugung, dass Gott durch heilige Texte zu mir redet, und was er mir durch sie sagt, ist immer auch eine Glaubensentscheidung, die ich dann besser auch vor mir selbst und anderen vertreten kann.
„… Es sollten sich nicht so viele in der Gemeinde um die Aufgabe drängen, andere im Glauben zu unterweisen. Denn ihr wisst ja: Wir, die andere lehren, werden von Gott einmal nach besonders strengen Maßstäben beurteilt.“
. (Jakobusbrief; Neues Testament; 3,1)
Gott ist kein Schriftsteller
Ganz offensichtlich erheben die meisten Texte in der Bibel gar nicht den Anspruch, dass Gott sie geschrieben oder gesprochen hat. Und bezüglich der Bibelverse, wo der Schreiber sagt „Gott hat gesagt“, können wir ihn leider nicht mehr fragen, was genau er denn damit meint und wie das zustande kam. – Ich kenne persönlich niemanden, der behauptet, dass Gott zu ihm direkt gesprochen hat, und wenn ich mal jemand treffen sollte, würde ich mich wahrscheinlich fragen, was es denn damit auf sich hat.
Die Entstehung vieler biblischen Texte liegt im Dunkel, und wir können oft nur vom Text selbst her versuchen zu rekonstruieren, wer, wann genau, warum, etc. etwas geschrieben hat. Das ist die Aufgabe von Theologen; und die sind oft auch nicht einer Meinung.
Die antike Welt war eine andere als unsere heutige. Die Kulturen waren selbstverständlich polytheistisch geprägt und vor diesem Hintergrund, mit Göttern, Halb-Göttern, Mythen, Orakeln, Ritualen, etc., erzählten Juden und Christen von dem einen Gott und der Rettung der Menschheit. – Musste ein Reden von Gott damals nicht notwendigerweise anders sein als heute? Worum geht es beim Leben mit Gott eigentlich?
„Gott ist Liebe, und die in der Liebe bleiben, bleiben in Gott, und Gott in ihnen.“
. (Erster Brief von Johannes 4,16b)
Jesus war kein Schriftsteller!
Wir glauben an Jesus, aber wir haben keinen einzigen Satz, den Jesus selbst aufgeschrieben hat. Obwohl viele Christen über Jesus reden oder schreiben, habe ich noch nie gehört, dass sich jemand über diese erstaunliche Tatsache Gedanken gemacht hat.
“ … der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“
. (Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,6)
Probe am Exempel: Paulus erster Brief an die Christen in Korinth
Beispiele sind eine tolle Methode, Dinge zu erklären und ein Gefühl für Themen zu bekommen.
„Bei euch bringt es doch tatsächlich jemand fertig, seinen Streit mit einem anderen Gemeindeglied vor einem weltlichen Gericht auszutragen, statt die Sache von denen entscheiden zu lassen, die zu Gottes heiligem Volk gehören!“
. (Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 6,1)
Manche sagen mit Verweis auf diesen Vers, dass es uns als Christen verboten ist, gegen andere Christen vor Gericht zu ziehen. Das klingt für mich wie ein Verweis auf einen Gesetzestext. Der Text ist aber nicht aus der Tora oder einem anderen biblischen Gesetzestext, sondern aus einem Brief. – Ich finde Paulus‘ Standpunkt auch gut und würde mich dem vom Grundsatz her anschließen. Aber wie kommt jemand darauf, dass diese Worte wörtlich Worte Gottes sind und ein Christ sich deswegen daran halten muss? Nur weil sie in der Bibel stehen?
„Nun zu eurer Anfrage im Hinblick auf die, die noch unverheiratet sind. Ich habe diesbezüglich keine ausdrückliche Anweisung vom Herrn; aber weil der Herr mir sein Erbarmen erwiesen und mich in seinen Dienst gestellt hat, könnt ihr meinem Urteil vertrauen …
Eins ist sicher, Geschwister: Es geht immer schneller dem Ende zu. Deshalb darf es in der Zeit, die uns noch bleibt, beim Verheirateten nicht die Ehe sein, die sein Leben bestimmt …
Wenigstens ist das meine Meinung, und ich denke, dass auch ich den Geist Gottes habe.“
. (7,25-40)
Laut Paulus‘ eigener Aussage sind doch mindestens diese 16 Verse nicht Gottes-, sondern Menschen-Wort! Er beruft sich vorsichtig auf eine gewisse Autorität, eine gewisse Inspiration, aber macht gleichzeitig deutlich, dass er diese Anweisungen NICHT direkt von Gott oder Jesus bekommen hat.
Jetzt könnte man natürlich sagen:
„Auch diese 16 Verse sind Gottes Wort – Paulus hat das nur nicht gewusst.“
Oder man könnte sagen:
„Die Bibel ist überall da Gottes Wort, wo nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es nicht Gottes Wort ist.“
Aber werden solch eigenartige Gedankenspiele wirklich der Natur der Texte gerecht? Tragen wir hier nicht ganz offensichtlich unsere eigenen Vorstellungen an die Bibel heran und machen sie uns so zu recht, wie wir sie haben wollen?
„Was ich verkünde, ist nicht meine eigene Lehre; es ist die Lehre dessen, der mich gesandt hat. Wenn jemand bereit ist, Gottes Willen zu erfüllen, wird er erkennen, ob das, was ich lehre, von Gott ist oder ob ich aus mir selbst heraus rede.“
.
(Jesus im Johannes-Evangelium 7,17)
Heilige Texte im Vergleich: Die Bibel und der Koran
Für mich war es sehr hilfreich die Bibel mit dem Koran zu vergleichen.
Manche Christen gehen mit der Bibel um, wie manche Muslime mit ihrem Koran umgehen. Es gibt aber deutliche Unterschiede im Charakter der beiden Bücher und in ihrer Entstehung.
Bei Wikipedia heißt es:
„Ein wichtiges Kennzeichen des Korans ist seine Selbstreferentialität. Das bedeutet, dass der Koran sich an vielen Stellen selbst thematisiert.“
In der Bibel finden wir dies so nicht, und können es so auch gar nicht finden, weil die Bibel anders entstanden ist. Die erste Bibel wurde erst Jahrhunderte nach dem Abfassen des letzten neutestamentlichen Textes gemacht. Deshalb gibt es keinen Bibelvers, der die Bibel selbst zum Thema hat.
Wir finden in der Bibel auch keine einzige Verheißung oder Andeutung, dass es einmal ein solches heiliges Buch wie die Bibel geben wird!!
Stattdessen lesen wir in der Bibel Verse wie diese:
„… Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.
.
Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: ‚Erkenne den HERRN‘, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß“
„Denkt daran: Der Heilige Geist, mit dem Christus euch gesalbt hat, ist in euch und bleibt in euch. Deshalb seid ihr nicht darauf angewiesen, dass euch jemand belehrt.
Nein, der Geist Gottes, mit dem ihr ausgerüstet seid, gibt euch über alles Aufschluss, und was er euch lehrt, ist wahr und keine Lüge. Darum bleibt in Christus, wie Gottes Geist es euch gelehrt hat!“
. (Erster Brief von Johannes 2,27)
Bibel = Anthologie?
Wie wäre es, wenn wir die Bibel einfach als Anthologie der historisch wichtigsten christlichen Schriften lesen würden? Und wenn auf unseren Bibelausgaben nicht „Heilige Schrift“, sondern „Sammlung der grundlegenden Schriften des Christentums“ stehen würde?
Wie wär’s, wenn anstatt uns über die Inspiration der Bibel zu streiten, wir mehr ausprobieren würden, ob die Texte uns zu einem besseren Leben inspirieren? – Jemand hat mal gesagt, dass ihn nicht die Stellen in der Bibel beunruhigen, die er nicht versteht, sondern die, welche er versteht.
„Prüft jedoch alles und behaltet das Gute!“
. (Paulus im ersten Brief an die Christen in Thessalonich 5,21)
4. Über den Umgang mit heiligen Texten
Willkür?
Wir alle machen mit den biblischen Texten, was wir wollen. (Wie könnte es auch anders sein?) Wichtig ist, dass wir uns dessen bewusst sind, unsere Motivation klären, uns transparent darüber austauschen und auch bereit sind, selbst die Verantwortung dafür zu übernehmen und nicht versuchen, sie auf andere abzuschieben.
Bei Gottesvertrauen und Wiedergeburt geht es um Gotteserfahrungen im Menschen. Bibel-Traditionen, Dogmen, traditionelle Glaubensbekenntnisse und „christliche“ Normen hingegen werden von außen an den Menschen herangetragen. Es ist, meiner Meinung nach, von entscheidender Bedeutung, ob ein Mensch die Stimmigkeit dieser äußeren Dinge in sich selbst erfahren kann.
„Von diesen Worten [der Predigt über Jesus] waren die Zuhörer bis ins Innerste getroffen:
‚Liebe Brüder, was sollen wir jetzt tun?‘, fragten sie Petrus und die anderen Apostel.
‚Ändert eure Einstellung‘, erwiderte Petrus …“
. (Apostelgeschichte 2,37-38)
Zwei Aspekte
Beim Umgang mit der Bibel kann man auch wieder zwei Aspekte berücksichtigen:
Zum einen, wie ich die Bibel für mich selbst benutze, und dann, wie ich sie gegenüber anderen benutze. Hängt natürlich auch wieder beides zusammen.
„Darum geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern …und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“
.
(Matthäus-Evangelium 28,19-20)
Biblizismus
Ist es eine den Texten und Sachverhalten angemessene Strategie, alles wörtlich zu nehmen (Biblizismus), außer dann, wenn es offensichtlich nicht funktioniert? Wird die Bibel da nicht zum magischen Zauberbuch? Was für eine Bibel-Ideologie steckt da dahinter?
Lenkt uns das Kopfzerbrechen über Bibelverse und das Streiten über die Bibel nicht ab von dem, worum es eigentlich geht?
Manche biblischen Texte präsentieren sich selbst als das Reden Gottes (z.B. ein Teil der alttestamentlichen Schriftpropheten). Doch die meisten tun dies nicht. Und selbst wenn alle biblischen Texte sich als direkte Worte Gottes an die Adressaten der Texte präsentieren würden, woher wüssten wir, dass Gott uns heutzutage, 2000 (!) Jahre später, dasselbe durch die Texte sagen will? (Den Menschen in biblischen Zeiten hat Gott ja auch nicht allen dasselbe gesagt. – Vergleicht mal Gottes Anweisungen durch die Propheten Jeremia, Jesaja, etc.)
Und selbst wenn er uns heute durch sie dasselbe sagen wollte, wie könnten wir überprüfen, ob wir ihn richtig verstanden haben? Und wie abhängig sind wir im Verstehen biblischer Texte von einem Heer von Textkritikern, Altertums-Wissenschaftlern, Altsprachlern, Bibel-Übersetzern, Bibel-Experten, Theologen, Pfarrern, Pastoren, Predigern, Bibel-Lehrern, Bibel-Gesellschaften, Verlagen, Kommentatoren, … und von kirchlichen Traditionen, persönlichen Prägungen und Glaubensentscheidungen ANDERER ? Sollte ein gesunder Umgang mit der Bibel uns nicht auch zu mündigen Christen machen, die ihren Glauben selbst verantworten können und nicht auf theologisch Gebildetere verweisen müssen?
Fragen, Fragen, Fragen … und die Antworten, die ich darauf meistens bekomme, laufen darauf hinaus, dass Menschen, die Gottes Geist besitzen, verstehen, was Gott ihnen sagen will. – Aber wozu brauchen wir dann heilige Texte, wenn Gott sowieso seine Kinder unmittelbar durch seinen Geist belebt, inspiriert, Verstehen seines Willens schenkt und leitet?
„Alle, die sich von Gottes Geist regieren lassen, sind Kinder Gottes.“
. (Paulus‘ Brief an die Christen in Rom 8,14)
Wie viel Anstrengungen wurden schon von Christen unternommen, um ein fundamentalistisches Bibelverständnis zu verteidigen, das eine mehr als wacklige Grundlage hat. – Lässt sich die Zeit und Kraft nicht besser investieren?
Wenn einem Bibel-Leser heutzutage ein biblischer Text persönlich wertvoll wird, braucht er dann noch eine theologische Theorie, die dies rechtfertigt?
“ Die Tora von JHWH ist vollkommen,
sie belebt und schenkt neue Kraft …
.
Die Weisungen von JHWH sind zuverlässig und erfreuen das Herz …
.
Sie lassen sich nicht mit Gold aufwiegen, sie sind süßer als der beste Honig.“
.
(Psalm 19,8-11)
Wenn die Bibel so toll ist, warum lesen wir Christen dann nicht mehr darin?
Warum haben so viele Christen Probleme, sich fürs Bibellesen zu begeistern?
Wer kann schon erklären, worum es im langen Jesaja-Buch geht? Oder wann hast du das letzte Mal Leviticus gelesen? – Viele Christen kennen nur ein paar Lieblingsverse.
Ein verehrtes Buch, das im Bücherregal einstaubt. – Biblische Texte sind oft keine gefällige Lektüre.
„… die Legenden und endlosen Geschlechtsregister, mit denen sie sich befassen, führen nur zu Spekulationen, statt dass sie den Glauben fördern und damit der Verwirklichung von Gottes Plan dienen.“
. (Paulus im ersten Brief an Timotheus 1,4)
Woher stammt überhaupt die fundamentalistische Bibel-Ideologie?
Die ersten Christen konnte sie offensichtlich noch nicht besitzen, denn da gab es die Bibel ja noch gar nicht.
Wie alt ist das fundamentalistische Bibelverständnis, das uns heute so vertraut ist? Genauer gesagt: Wann hat in der Geschichte das erste Mal jemand die Überzeugung gehabt, dass die 66 Bücher unserer heutigen protestantischen Bibel das fehlerfreie Wort Gottes an alle Menschen für alle Zeit sind, und wie schnell und auf welche Weise hat sich diese Überzeugung ausgebreitet?
Ich hab schon verschiedene Leute gefragt und selbst etwas recherchiert, aber es ist gar nicht so leicht, da ein klares Bild zu bekommen. Scheint ein bisschen komplexer zu sein …
Hermeneutik
Hermeneutik ist die Wissenschaft vom Verstehen von Texten und ein Bereich der Theologie. Dort scheint man nun mehr und mehr mit allgemeinen literaturwissenschaftlichen Methoden an die Bibel heranzugehen. Ein Ansatz, den ich an sich sinnvoll finde und der sich sicherlich auch schon als fruchtbar erwiesen hat.
Aber braucht man für religiöse, heilige Texte nicht auch eine spezielle religionswissenschaftliche Hermeneutik? Und ist es nicht unbedingt notwendig, religiöse Texte innerhalb ihrer religiösen Tradition zu verstehen? – Die Komparative Theologie und der inter-religiöse Dialog kann uns hier bestimmt auch noch sensibler werden lassen und ein Stück weiter bringen.
Ein angemessener Umgang mit der Bibel muss differenziert sein und der Vielfalt und dem Inhalt der Texte, sowie dem Wissen über die Entstehungsgeschichte dieser Sammlung Rechnung tragen.
„JHWH ernst nehmen, ist der Anfang aller Erkenntnis …“
Wie können wir richtig leben? Wie sollten wir leben?
Manche Menschen greifen zur Bibel, weil sie Rat und Orientierung suchen in einer immer komplexer werdenden Welt. Religion war traditionell eine der großen gesellschaftlichen Kräfte, die Menschen verbunden und gemeinsames Leben gestaltet hat.
Die Frage des Bibelverständnis ist eng verbunden mit christlicher Ethik. In den Diskussionen der Christenheit geht es oft um ethische Fragen (Homosexualität, Geschlechterrollen, Scheidung, Abtreibung, …), bei denen dann die entsprechenden Bibelverse in die Diskussion eingebracht werden.
„Sündigt deine Schwester oder dein Bruder, so weise sie oder ihn zurecht …“
. (Matthäus-Evangelium 18,15)
Ethik – Gebote & Verbote
Die Bibel hat weit mehr als nur eine ethische Dimension. Aber gerade die ethischen Fragen sind oft dafür verantwortlich, dass Christen sich wegen Bibelversen in die Haare kriegen, und sie dominieren manchmal christliche Diskussionen. – Ist das sinnvoll, wenn moralische Fragen im Vordergrund stehen?
Wie müsste ein Umgang mit der Bibel aussehen, damit er bei ethischen Entscheidungen hilfreich ist?
Wenn man sich an einzelnen Bibelversen festbeißt, bleibt man immer in einem antiken Christentum hängen und von Theologen abhängig. Allein wenn sich der christliche Diskurs über biblische Texte mit dem spirituellen Leben des Einzelnen verbindet, kann er wirklich hilfreich sein. Eine Hilfe zur Orientierung ist etwas anderes als eine eindeutige Anweisung.
„Wir alle, die der Glaube an Christus zu geistlich reifen Menschen gemacht hat, wollen uns ganz auf dieses Ziel ausrichten. Und wenn eure Einstellung in dem einen oder anderen Punkt davon abweicht, wird Gott euch auch darin die nötige Klarheit schenken.“
. (Paulus im Brief an die Christen in Philippi 3,15)
Situationsethik
Die theologische Diskussion um Situationsethik hat ganz viel mit Bibelverständnis zu tun und macht gut das Dilemma zwischen dem Bedürfnis des Menschen nach Rat und Orientierung und dem Umgang mit den biblischen Texten deutlich.
Man hat der Situationsethik, glaube ich, zu Recht vorgeworfen, dass der Mensch damit überfordert ist. Kein Mensch kann in einer Situation rein logisch eine perfekte Entscheidung treffen. Alleine schon deshalb nicht, weil unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit immer begrenzt ist.
Aber wer sagt, dass wir vollkommene Denkfähigkeit besitzen müssen? Oder Vollkommenes leisten? Wie wäre es, wenn wir getragen von Gnade und Vertrauen leben könnten, die der Geist Gottes schenkt? – Und aus vielen Situationen werden wir gar nicht herauskommen, ohne anderen etwas schuldig zu bleiben.
„Bleibt niemand etwas schuldig! Was ihr einander jedoch immer schuldet, ist Liebe …“
. (Paulus im Brief an die Christen in Rom 13,8)
Der harte Gemeinde-Alltag
Was sollten wir z. B. Lesben und Schwulen heute von der Bibel her sagen? Oder Geschiedenen, die wieder geheiratet haben und vielleicht sogar Kinder aus zweiter Ehe haben? Oder Gläubigen, die mit einem Ungläubigen zusammenleben und ein gemeinsames Kind haben? (Spielen die Kinder in den Bibelversen überhaupt eine Rolle?)
Früher hätte ich bei solchen Fragen fast reflexartig mit der Konkordanz passende Bibelverse gesucht. Heute graut mir vor Christen, die auf alle Fragen eine „passende“ Bibel-Antwort parat haben. Als hätte sich die letzten 2000 Jahre nichts geändert …
„… wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“
. (Paulus im zweiten Brief an die Christen in Korinth 3,17)
Guter Rat teuer
Es ist natürlich wenig hilfreich, wenn man Menschen nur sagt „da musst du tun, was du für richtig hältst“. Und doch kennt sicherlich jeder viele Situationen, in denen man einfach keinen Rat hat; wo man nur einfach dem anderen zur Seite stehen kann. Aber vielleicht ist die wortlose Unterstützung oft genau das, was der andere braucht, um für sich selbst zu einer Entscheidung zu finden.
In der oben zitierten, „berühmten“ Bibelstelle zur Inspiration (2. Tim. 3,16-17) geht es auch um viel mehr als nur um Wissen über biblische Gebote. Es geht um eine Veränderung des Menschen und Befähigung zum guten Leben.
Wir sind manchmal schwach und möchten uns an andere anlehnen. Aber über kurz oder lang sollte jeder lernen, selbst die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen und ein reifer Christ zu werden. Leben bedeutet Veränderung. Wenn ein Mensch nicht reifer wird, stimmt etwas nicht.
„Eigentlich müsstet ihr längst in der Lage sein, andere zu unterrichten; stattdessen braucht ihr selbst wieder jemand, der euch die grundlegenden Wahrheiten der Botschaft Gottes lehrt. Ihr habt sozusagen wieder Milch nötig statt fester Nahrung.“
. (Brief an die Hebräer 5,12)
„norma normans“
Die Bibel als Norm für Glaube und Leben (siehe „Glaubensbasis der Ev. Allianz“). Ein immer noch aktuelles Thema. – Welche Auswirkungen hatte dieses Denken in der Kulturgeschichte der Menschheit? Und warum gab es gerade im Protestantismus so viele Spaltungen, Konfessionen und Denominationen?
Da es das Christentum schon gab, bevor der erste neutestamentliche Text geschrieben wurde, kann die Bibel keine notwendige Voraussetzung fürs Christentum sein. Es gab unter den ersten Christen allerdings die mündliche Überlieferung, charismatische Gaben und den praktischen Gemeinde-Alltag.
„… so hat Christus denn auch seine Gemeinde beschenkt:
.
Er hat ihr die Apostel gegeben, die Propheten und Verkündiger der rettenden Botschaft, genauso wie die Hirten und Lehrer, welche die Gemeinde leiten und im Glauben unterweisen. Sie alle sollen die Christen für ihren Dienst ausrüsten, damit die Gemeinde, der Leib von Christus, aufgebaut und vollendet wird.
.
Dadurch werden wir im Glauben immer mehr eins werden und miteinander den Sohn Gottes immer besser kennen lernen. Wir sollen zu mündigen Christen heranreifen, zu einer Gemeinde, die ihn in seiner ganzen Fülle widerspiegelt.“
.
(Epheser-Brief; Neues Testament; 4,11-13)
Wer braucht heilige Texte?
Wenn Gott der Christenheit ein heiliges Buch als Maßstab hätte geben wollen, warum hat er das dann nicht schon im 1. oder 2. Jahrhundert gemacht? – Zu Pfingsten kam nicht ein Update der Tora, sondern der Heilige Geist! – Jahrhundertelang lebte die Christenheit mit einer Vielzahl von jüdischen und christlichen Texten (von denen viele nicht Eingang in die Bibel gefunden haben), aber ohne eine heilige Bibel.
Bei manchen Menschen befriedigt eine Bibel ein Bedürfnis nach Sicherheit. Aber diese Sicherheit ist trügerisch. Denn der Besitz eines heiligen Buches wird uns nicht retten. Unsere einzige Sicherheit besteht im Wirken Gottes. Dies ist eine Sicherheit des Glaubens.
„Darum gleicht jeder, der meine Worte hört und danach handelt, einem klugen Mann, der sein Haus auf felsigen Grund baut …“
. (Bergpredigt, Matthäus-Evangelium 7,24)
Heilige Texte und Glaubens-Systeme als Machtinstrumente
Der Glaube an die Bibel ist bei vielen Christen Teil eines theologischen Systems. Ein Glaube an die Bibel (wie auch immer er aussieht) kann allerdings niemals identisch mit dem Glauben der ersten Christen sein, denn die ersten Christen hatten die Bibel noch nicht.
Manche verteidigen solch ein theologisches System und monolithisches Bibelverständnis, das sich im Laufe der Kirchengeschichte herausgebildet hat. Man geht dabei von dem Ergebnis einer Entwicklung aus und schaut durch diese Brille zurück in die Vergangenheit.
Solch ein „christlicher“ Glaube kann dann allerdings kein „biblischer“ Glaube mehr sein – selbst wenn er sich „bibeltreu“ schimpft -, denn er geht ja klar über das hinaus, was wir in den biblischen Texten selbst lesen und stülpt ihnen eine deutlich jüngere Bibel-Ideologie über.
Warum machen Menschen das?
Es ist interessant sich anzuschauen, welchen Einfluss der Römische Kaiser und die „Verstaatlichung des Christentums“ unter Konstantin auf die Entstehung der Bibel hatten.
Heilige Texte, Rituale, Sakramente, etc. lassen sich kirchlich verwalten. Der Heilige Geist jedoch nicht.
„Der Wind weht, wo er will. Du hörst zwar sein Rauschen, aber woher er kommt und wohin er geht, weißt du nicht. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.“
. (Jesus im Johannes-Evangelium 3,8)
Das beste Projekt zum Thema Bibel und christlicher Glaube, das ich kenne, ist das Worthaus-Projekt. Zimmer sagt da auch was zu „Brillen“ und einem unverstellten Blick:
Subjektivität
Wenn es uns wirklich um die Sache Jesu geht und nicht um die Verteidigung unseres eigenen persönlichen theologischen Standpunkts, müssen wir bereit sein, unsere theologische Theorie zu hinterfragen – egal wer und wie viele diesen Standpunkt mit uns vertreten oder in der Vergangenheit vertreten haben.
Natürlich kann jeder für sich persönlich an eine perfekte Bibel glauben. – Es gibt auch Amerikaner, die glauben, dass die King-James-Bible die einzig richtige Bibel ist. – Aber mit welchem Recht oder welcher Begründung darf ich andere dazu drängen, dass auch so zu sehen oder sie auffordern, die Konsequenzen, die ich persönlich ziehe, auch zu ziehen?
„Liebe ist geduldig, Liebe ist freundlich. Sie kennt keinen Neid, sie spielt sich nicht auf, sie ist nicht eingebildet. Sie verhält sich nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie verliert nicht die Beherrschung, sie trägt keinem etwas nach.
.
Sie freut sich nicht, wenn Unrecht geschieht, aber wo die Wahrheit siegt, freut sie sich mit. Alles erträgt sie, in jeder Lage glaubt sie, immer hofft sie, allem hält sie stand.
.
(Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 13,4-7)
Verantwortung
Alles bis jetzt Gesagte zwingt mich dazu, vorsichtig und mit Bescheidenheit über die biblischen Texte zu sprechen. In unserem Umgang mit und Reden über die Bibel muss auch die Begrenztheit und Unvollkommenheit unseres Verstehens zum Ausdruck kommen.
Wenn ich mich von Gott oder meinem Gewissen zum Reden gedrängt fühle, aber mir gleichzeitig die Fehlerhaftigkeit meines Verstehens bewusst ist, stehe ich in einer Spannung, die sich nicht auflösen lässt; und wir brauchen Kraft und Gnade, diese Spannung auszuhalten.
„Gottes Wort ist voller Leben und Kraft. Es ist schärfer als die Klinge eines beidseitig geschliffenen Schwertes, dringt es doch bis in unser Innerstes, bis in unsere Seele und unseren Geist, und trifft uns tief in Mark und Bein. Dieses Wort ist ein unbestechlicher Richter über die Gedanken und geheimsten Wünsche unseres Herzens.“
.
(Brief an die Hebräer 4,12)
Wenn biblische Texte wie ein besonders scharfes Schwert sein können, sollten wir vorsichtig damit umgehen.
Wenn ich das Gefühl habe, mit meinem Auto stimmt vielleicht was nicht, sollte ich vorsichtig weiterfahren oder vielleicht sogar anhalten. Ähnlich ist es mit unserem Bibelverständnis.
Es geht bei diesen Fragen auch nicht um akademische Spielereien, sondern es geht um Sinn und Sinnlosigkeit, Glaube und Verzweiflung, Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod. Um die größten Fragen eines Menschen und der Menschheit.
„Wenn keine Offenbarung da ist, verwildert ein Volk …“
. (Mischle / Sprüche 29,18)
Nebenbemerkung: Autobiographisches
Gemeinde Christi – Church of Christ (non-instrumental)
Ich bin in einer kleinen Freikirche aufgewachsen, einer „Gemeinde Christi“. Das ist eine Denomination, die nach dem 2. Weltkrieg durch amerikanische Missionare nach Deutschland gekommen ist. In den USA heißen diese Gemeinden „Churches of Christ“ (non-instrumental) und die Ausbildungsstätten Pepperdine University, Abilene University, Harding University u.a. sind mit ihnen affiliiert. Die sogenannte „Boston-Bewegung“ / „International Churches of Christ“ sind aus ihnen hervorgegangen.
Entstanden ist diese Denomination aus dem sogenannten „restoration movement“ im 18. Jahrhundert in den USA. Bei den Pionieren, die nach Westen drängten und dort ihre Äcker absteckten, entstand ständig die Situation, dass in einem Dorf Menschen zusammen kamen, die durch unterschiedliche christliche Traditionen geprägt waren.
Damals hatten ein paar Christen (ganz im Sinne der Renaissance – „zurück zu den Quellen“) die Idee, man müsste die Spaltung in der Christenheit überwinden können durch eine Rückkehr zu den Wurzeln. Bald kam es in dieser Bewegung selbst dann allerdings auch wieder zu Spaltungen und neuen Denominationen.
Die Churches of Christ haben das Ziel, neutestamentliches Christentum zu verwirklichen und leben in der Vorstellung, dass sie dies erreichen, indem sie die Bibel möglichst wörtlich nehmen und sogar das Vorbild der ersten Christen als verbindlich für alle Christen ansehen. Dies hat u.a. dazu geführt, dass sie den Gebrauch von Musikinstrumenten im Gottesdienst ablehnen (daher „non-instrumental“).
Die Vielfalt der Meinungen in der frühen Christenheit wird kaum wahrgenommen und die in den neutestamentlichen Schriften zum Ausdruck kommenden Ansichten werden als normativ fürs Christentum aller Zeiten angesehen. Unstimmiges und Widersprüchlichkeiten werden „harmonisiert“. Der protestantische Kanon wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Mit Christen anderer Konfessionen und Denominationen wird grundsätzlich nicht zusammengearbeitet, da die anderen ja nicht so „biblisch“ und damit potentielle Nicht-Wiedergeborene oder sogar Irrlehrer sind.
Heute kann ich kaum noch nachvollziehen, wie unkritisch ich das damals geglaubt habe. Aber wir sind halt alle durch unsere persönliche Geschichte geprägt und glauben, was wir glauben wollen …
„… YHWH ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser …“
. (Psalm 23,1-2)
5. Die Stimme Gottes im Herzen des Menschen
„… In das Herz des Menschen hat er den Wunsch gelegt, nach dem zu fragen, was ewig ist. Aber der Mensch kann Gottes Werke nie voll und ganz begreifen …“
In „will-kür-lich“ stehen auch die Buchstaben „k-ü-r„.
„Ihr wisst doch, wie es ist, wenn in einem Stadion ein Wettlauf stattfindet: Viele nehmen daran teil, aber nur einer bekommt den Siegespreis.
Macht es wie der siegreiche Athlet:
Lauft so, dass ihr den Preis bekommt!“
. (Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 9,24)
In manchen Wettkampf-Sportarten gibt es einen Pflicht- und einen Kür-Teil. Im Kür-Teil haben die Sportler viel Freiheit, ihn kreativ zu gestalten – nach ihren Stärken und Schwächen und Vorlieben.
Menschen sind keine Inseln. Wir sind soziale Lebewesen und sind für ein gemeinschaftliches Leben „programmiert“. In der Gemeinschaft müssen Interessen und Bedürfnisse ständig ausgehandelt werden, und die Frage nach der Identität der Gruppe, also das, was verbindet, ist von existentieller Bedeutung.
Auch in religiösen Gemeinschaften findet ein ständiges Ausbalancieren statt: Sowohl im Leben des Einzelnen, als auch im gemeinsamen Leben. In diesem Ausbalancieren haben die Tradition und heilige Texte ihre Bedeutung – aber auch die gelebte, private Spiritualität des einzelnen Gläubigen.
Die Kunst der „sportlichen Frommen“ ist nun die „Kür“: Das kreative Gestalten dieses Ausbalancierens – sowohl im Leben des Einzelnen, als auch im Leben der Gemeinschaft. Dabei müssen sowohl die Bedürfnisse des Einzelnen als auch die der Gemeinschaft berücksichtigt werden. Das organische Bild des Körpers kann hier viel Orientierung geben.
Durch den Austausch über die heiligen Texte entsteht eine Diskurs-Gemeinschaft. Tradition verbindet und sorgt dafür, dass Traditions-Linien nicht abreißen und kulturelle Kontinuität gewährleistet sind. Es ist aber die erlebte Spiritualität des Einzelnen und die Stimmigkeit dieser religiösen Erfahrungen, aus denen sich das religiöse Leben speist.
Menschen stimmen mit ihren Füßen ab. Dort, wo kein geistliches Leben erfahrbar ist, wird auch bald kein geistlicher Mensch mehr hingegen.
Wenn wir einen Bibeltext lesen, versuchen wir in der Regel ihn so zu deuten, dass er wertvoll für uns wird. Das ist ja auch wirklich sinnvoll. – Das Leben ist hart, und wir brauchen Quellen der Kraft und der Inspiration.
„… das Reich Gottes gründet sich nicht auf Worte, sondern auf Gottes Kraft.“
. (Paulus im ersten Brief an die Christen in Korinth 4,20)
Beim Lesen geht es ja nicht nur um das „richtige“ Verstehen dessen, was der Verfasser ursprünglich vermitteln wollte, sondern es geht darum, dass ich Gott zu mir reden lasse. Ein kontemplatives Lesen, welches schon eine lange Tradition hat:
Je mehr mein Wille und mein Denken mit dem Wirken Gottes in unserer Welt und in meinem Leben übereinstimmt, desto mehr höre ich das Reden Gottes durch die biblischen Texte.
Ihr seid zur Freiheit berufen … dient einander in Liebe! …
.
Lasst den Geist Gottes euer Leben bestimmen …
.
… die Frucht, die der Geist wachsen lässt, ist: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung. Dagegen hat das Gesetz nichts einzuwenden.
.
(Paulus an die Christen in Galatien, 5,13-23)
Dem, was dem gemeinsamen Leben, was allem Leben dient, kann auch ein Reden Gottes durch heilige Texte nicht widersprechen.
Genauer gesagt: War es eine Banane der Erkenntnis des Guten und des Bösen, in die Eva biss? – Für mich macht eine Banane als Frucht der Verführung durchaus Sinn. Ich liebe Bananen. Gesund sind sie, glaub ich, auch. Da nicht reinbeißen zu dürfen, dass wär schon hart …
Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß.
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Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren
Aber nein, es war natürlich ein Apfel. 😉 – Obwohl, die ganze Sache mit der Schlange war schon ein wirklich krummes Ding; aber eine Banane ist es wohl trotzdem nicht gewesen.
Ich habe Bilder gesehen, auf denen ziemlich deutlich zu erkennen war, dass es wohl ein Apfel gewesen sein muss. – Schließlich hat Schneewittchen, wenn ich mich richtig erinnere, ja auch in einen Apfel gebissen, und es ist ihr auch nicht gut bekommen.
Da sprach Gott der HERR zur Frau: Warum hast du das getan? …
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Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.
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Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang …
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Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. Und er trieb den Menschen hinaus …
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(Bereschith / Genesis / 1. Mose 3,13-24)
Paradiesische Farben
Außerdem: Gelb im Paradies? Ich denke, der Garten Eden war eher in Grün-Tönen gehalten; mit ein bisschen Rot dazwischen für die Früchte. Hautfarbe natürlich auch – Adam und Eva waren schließlich nackt. Und dann noch das Braun für all die Baumstämme.
ER, Gott, pflanzte einen Garten in Eden, Üppigland, ostwärts, und legte darein den Menschen, den er gebildet hatte. ER, Gott, ließ aus dem Acker allerlei Bäume schießen,reizend zu sehn und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.
Wobei: Welche Hautfarbe hatten Adam und Eva eigentlich? Sie waren doch nicht vielleicht sogar Schwarze? (Das wäre nun wirklich eine krasse Vorstellung: Die ersten Menschen Schwarze – und dann auch noch im Paradies …)
Der Mensch rief den Namen seines Weibes: Chawwa, Leben! Denn sie wurde Mutter alles Lebendigen.
Was war das eigentlich für ein Garten. Vielleicht ein Steingarten mit Tannen? Wohl kaum! Da wären Adam und Eva wohl nicht satt geworden. Oder eher ein typischer, klassischer, deutscher Kleingarten? (Gibt es den überhaupt noch?) Vielleicht eher eine Art Obstplantage? (Das Obst musste schließlich eine Weile reichen.)
Bitte den Garten Eden nicht mit dem uns hier in Deutschland bekannten „Schlaraffenland“ verwechseln. Wenn ich mich richtig erinnere, hängt im Schlaraffenland auch Fleisch in den Bäumen, während der Garten Eden vegan war.
ER, Gott, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, ihn zu bedienen und ihn zu hüten.
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ER, Gott, gebot über den Menschen, sprechend: Von allen Bäumen des Gartens magst essen du, essen, …
Woher stammen eigentlich unsere Vorstellungen vom Garten Eden? Sag jetzt nicht: Ich stell mir beim Lesen nichts Konkretes vor. Wenn du dir nichts vorstellen würdest, würdest du die Erzählung nicht verstehen. (Aber vielleicht verstehen wir sie ja wirklich nicht?)
In der abendländischen Vorstellung vom Orient, gibt es Sand- und Steinwüsten und dazwischen Oasen und Gärten. Orte des Lebens, der Fülle und der Entspannung. Wer schon einmal in Israel oder einem anderen Land des Orient gewesen ist, konnte den Gegensatz zwischen lebenspendender Fruchtbarkeit und Wüste bestimmt erkennen. Dieser Gegensatz scheint auch hier eine Rolle zu spielen. Es wird ja ausführlich darauf eingegangen, wieviel Wasser da ist. Und ganz frisches Wasser, Quellwasser.
Ein Strom aber fährt aus von Eden, den Garten zu netzen, und trennt sich von dort und wird zu vier Flußköpfen.
Wie kam die Erzählung eigentlich in die Tora? War sie vielleicht wirklich der Anfang und die „Keimzelle“ der ganzen Tora? Wer hat sie das erste Mal aufgeschrieben? Mose? Oder hat Mose nur abgeschrieben von einer älteren Vorlage?
… Die Schrift ist Gottes Atem. Sie soll uns unterweisen; sie hilft uns, unsere Schuld einzusehen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen und so zu leben, wie es Gott gefällt. So werden wir reife Christen und als Diener Gottes fähig, in jeder Beziehung Gutes zu tun.
Wurde diese Erzählung irgendwann jemanden „offenbart“ oder wurde sie, von Adam und Eva ausgehend, von Generation zu Generation weitergegeben? Gab es mündliche Überlieferungen der Erzählung bevor sie schriftlich fixiert wurde?
Wurde sie überarbeitet? Darf so etwas überhaupt sein, bei einem heiligen Text? Eine Überarbeitung? Hat der heilige Text vielleicht eine „un-heilige“ Vorlage oder übernahm einzelne Elemente von anderen Erzählungen?
Nicht überraschend, gibt es einen Wikipedia-Artikel zum Thema:
Ich kenne einen Menschen, der zu Christus gehört und der – es ist jetzt vierzehn Jahre her – bis in den dritten Himmel versetzt wurde. Ob er dabei in seinem Körper war, weiß ich nicht; ob er außerhalb seines Körpers war, weiß ich genauso wenig; Gott allein weiß es.
Auf jeden Fall weiß ich, dass der Betreffende ins Paradies versetzt wurde …
.
(Paulus‘ zweiter Brief an die Christen in Korinth, 12,2-3)
Paradiesische Verhältnisse
Als die Tora und die anderen heiligen Texte der Juden ins Griechische übersetzt wurden, wählte man für den Garten Eden das Wort „Paradeisos“ von dem dann auch unser deutsches Wort „Paradies“ herkommt. Auch zu Paradeisos gibt es einen Wikipedia-Artikel:
Auch im Griechischen schon war „Paradeisos“ ein Fremdwort für die orientalischen, königlichen Prachtgärten oder -parks, ähnlich unseren Schlossgärten. So eine Art Garten scheint uns in der Tora auch im Garten Eden zu begegnen. Ein Lustgarten, in dem Gott, wie ein orientalischer Herrscher, spazieren geht, als die Hitze des Tages gewichen ist.
Sie hörten SEINEN Schall, Gottes, der sich beim Tageswind im Garten erging …
Wie liebevolle Eltern, hatte Gott seinen Menschen das Beste gegeben. Viel mehr als sie fürs bloße Überleben gebraucht hätten. Aber wir Menschen haben’s verspielt. Wie der jüngere Sohn im Gleichnis vom verlorenen Menschen:
Wenige Tage später hatte der jüngere seinen ganzen Anteil zu Geld gemacht und reiste in ein fernes Land. Dort lebte er in Saus und Braus und vergeudete sein ganzes Vermögen.
.
Als er alles ausgegeben hatte, brach in jenem Land eine große Hungersnot aus, und es ging ihm schlecht.
.
Da überredete er einen Bauern, ihm Arbeit zu geben, und er durfte seine Schweine hüten. Gern hätte er seinen Hunger mit den Schoten für die Schweine gestillt. Aber er bekam nichts davon.
.
Jetzt kam er zur Besinnung …
.
(Neues Testament, Lukas-Evangelium 15,13-17)
[Dies ist die Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]
Gebiete mit vorherrschend abrahamitischen (rosa) oder dharmischen (gelb) Religionen; von Dbachmann via Wikimedia Commons [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en]
„Heilige Texte“ …
… gibt es nicht nur im Christentum. Von allen Religionen sind es allerdings besonders das Judentum, das Christentum und der Islam (die „abrahamitischen“ Religionen), welche als „Buch-Religionen“ bekannt sind. So schreibt z.B. Wikipedia (es gibt einen ganzen Wikipedia-Artikel zum Thema Buchreligion!):
Der klassische Typ der Buchreligion wird durch Judentum, Christentum und Islam verkörpert.
(Wikipedia)
„heilig“
Seit wann werden überhaupt Texteals „heilig“ bezeichnet? Gott selbst, der Absolute, ist doch eigentlich der Heilige. – Kultische Gegenstände werden allerdings auch als heilig bezeichnet (nachzulesen z.B. in der Tora). Wenn man hingegen sich z.B. den 119. Psalm anschaut, immerhin ein Loblied auf die Tora, scheint das Wort „heilig“ dort überhaupt nicht vorzukommen.
Ist der sprachliche Ausdruck „heiliger Text“ schon das Ergebnis einer längeren Entwicklung antiker jüdischer Frömmigkeit? Inwieweit entspricht der Begriff überhaupt jüdischer Frömmigkeit und wo übertragen wir „christliche“ Konzepte von einem heiligen Buch (unserer Bibel) auf das Judentum?
heil-sam
Fragen, Fragen, Fragen, … – Oft sind die Dinge nicht mehr so einfach, wenn man dichter herangeht und genauer hinschaut.
Damit unsere heiligen Texte zu heilsamen Texten werden können, müssen wir einen unangemessenen, un-heil-vollen und ungesunden Umgang mit ihnen beenden. Gegenstand eines gesunden Glaubens ist Gott, und nicht ein Götze. (Auch nicht einer aus Papier.)
Natürlich bin auch ich nur ein Mensch, aber ich kämpfe nicht mit menschlichen Mitteln. Ich setze nicht die Waffen dieser Welt ein, sondern die Waffen Gottes. Sie sind mächtig genug, jede Festung zu zerstören, jedes menschliche Gedankengebäude niederzureißen, einfach alles zu vernichten, was sich stolz gegen Gott und seine Wahrheit erhebt.
Alles menschliche Denken nehmen wir gefangen und unterstellen es Christus, dem es gehorchen muss.
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(Bibel, Neues Testament, Paulus‘ zweiter Brief an die christliche Gemeinde in Korinth, 10. Kapitel, Verse 3-5)
fundamentalistisch
Heilige Texte sind von fundamentaler Bedeutung für die abrahamitischen Religionen. In diesem Sinn wären alle drei dann auch „fundamentalistisch“.
Das Verhältnis von jüdischen, christlichen und muslimischen Gläubigen zu ihren heiligen Texten ist allerdings vielfältig und vielschichtig, und ich bezweifle, dass sie alle sich gern mit dem Begriff „Buchreligion“ identifizieren würden. Ziel unseres Glaubens ist doch der Schöpfer des Universums selbst, die Quelle des Lebens, und nicht ein Buch.
Wer an Gott glaubt, wird göttlich; wer an ein Buch glaubt, wird ein Bücherwurm. – Wir werden zu dem, das wir hingebungsvoll verehren.
Insbesondere hat man das Wesen des Christentums mit dem Begriff „Buchreligion“ nicht gut erfasst, denn zumindest das frühe Christentum hatte noch keine christliche Bibel. (Ich warte immer noch darauf, dass mir jemand sagt, wann denn zum ersten Mal jemand eine christliche Bibel in der Hand gehalten hat. – Hab es selbst leider noch nicht herausgefunden.)
Jetzt aber, wo wir dem Gesetz gegenüber gestorben sind, das uns gefangen hielt, unterstehen wir ihm nicht länger. Wir stehen jetzt im Dienst einer neuen Ordnung, der des Geistes, und unterstehen nicht mehr der alten Ordnung, die vom Buchstaben des Gesetzes bestimmt war.
(Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Rom, 7,6)
Licht und Schatten
Die fundamentale Bedeutung von heiligen Texten hat positive und negative Aspekte, Licht und Schatten. (Manche kriegen bei dieser Vorstellung wahrscheinlich schon eine Krise. Dies zeigt wie groß unser Bedürfnis nach einem vollkommenen Nachschlagewerk ist.)
Dies ist an sich auch keine besondere Eigenschaft heiliger Texte. Was wir als Menschen schaffen, hat immer (mindestens) zwei Seiten.
Wir sind so verloren, verirrt, schwach und bedürftig, dass wir uns so gerne an etwas Heilem, Vollkommenen, Soliden festhalten möchten. Die Gefahr ist groß, dass wir versuchen uns selber das zu erschaffen, wonach wir uns sehen.
Aber der Höchste wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind, wie der Prophet spricht (Jesaja 66,1-2):
»Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße; was wollt ihr mir denn für ein Haus bauen«, spricht der Herr, »oder was ist die Stätte meiner Ruhe?
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(Neues Testament, Apostelgeschichte 7,48-49)
aus dem Zusammenhang gerissen
Ein negativer Aspekt bei heiligen Texten ist, dass Texte immer nur ein kleines Bruchstück der ursprünglichen Kommunikation konservieren. Dies ist, im Übrigen, ein entscheidendes Problem jeglicher Verschriftlichung von Kommunikation, dass es sich immer nur um einen Ausschnitt, eine Reduzierung der Wirklichkeit auf Text handelt.
Die Funktion von Kommunikation, die Bedeutung und Wirkung von Worten, ergibt sich immer erst durch den Zusammenhang. Wenn z.B. jemand sagt „Halt die Klappe!“, wissen wir nur durch den Zusammenhang, ob dies eine Aufforderung ist, leise zu sein, oder ob es buchstäblich um das Halten einer Klappe geht.
Bei Verschriftlichung wird Kommunikation auf Buchstaben reduziert und erstarrt als Text, während das Leben weitergeht. Der gesamte außertextliche Zusammenhang (Umstände des Verfassens / Situation, Kenntnisse von Verfasser und Empfänger über einander, kulturelle Bedingungen, Zeitgeschichte, …), der uns erklärt, wie der Text zur Zeit, als er verfasst wurde, gemeint war und wie er genau funktioniert hat, geht immer mehr verloren. Texte können überliefert werden – die komplexen Lebensumstände menschlicher Existenz, in der sie entstanden sind, nicht (nicht vollständig).
Ich hätte euch noch vieles mitzuteilen, aber ich möchte es nicht mit Papier und Tinte tun. Vielmehr hoffe ich, euch demnächst besuchen zu können. Dann werden wir Gelegenheit haben, persönlich miteinander zu reden, …
(2. Brief des Johannes, Vers 12)
Je weiter der Leser von der ursprünglichen Kommunikation räumlich und zeitlich entfernt ist, desto schwieriger wird es. Nur das, was mit den Buchstaben einer Schrift auf einem Schreibmaterial codiert werden kann, wird überliefert und bleibt erhalten. Die Texte entfernen sich immer mehr vom Leben – sowohl vom Leben, als sie entstanden sind, als auch vom Leben des Lesers, der sie viel später liest.
Es braucht mühsame historische und literaturwissenschaftliche Arbeit, um sich einen Teil des außertextlichen Zusammenhangs wieder zu erschließen – und auch das geht nur unter Vorbehalt, denn auch unser Wissen über die Zeitgeschichte der Texte und die Umstände, unter denen sie verfasst wurden, bleibt natürlich immer unvollständig, und der Laie ist hier auf die Arbeit von Experten angewiesen.
Wenn wir glauben, dass Gott sich zu konkreten Zeitpunkten in der Vergangenheit, in historischen Situationen und unter den gegebenen Bedingungen offenbart hat und dass dies schriftlich zum jeweiligen Zeitpunkt in der gerade aktuellen Version einer Sprache festgehalten wurde, dann sollten wir auch einräumen, dass ein großer Teil dieser Kommunikation nicht sicher rekonstruierbar ist.
Noch nicht einmal die Sprache, in der Texte verfasst werden, bleibt gleich. Moderne Griechen können z.B. die altgriechischen Texte des Neuen Testaments nicht mehr richtig lesen und verstehen, und wir brauchen Sprachwissenschaftler, um uns unsere modernen Übersetzungen zu machen.
Es gäbe keine einzige gute Bibelübersetzung, wenn es nicht entsprechend kundige Leute mit „Spezialwissen“ gegeben hätte. – Und wie überprüfen wir überhaupt, was eine gute Übersetzung ist? Wir können ja beim Verfasser nicht rückfragen, ob wir ihn auch richtig verstanden haben!
… Stückwerk ist unser Erkennen, …
Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse …
(Paulus‘ erster Brief an die Gemeinde in Korinth 13, 9-12)
nicht vom Himmel gefallen
Keiner der jüdischen oder christlichen heiligen Texte präsentiert sich als ein Text, der vom Himmel gefallen ist. Alle diese Texte sind irgendwann einmal aufgeschrieben und danach weiter überliefert worden. Im Prozess der Überlieferung sind auch zumindest kleinere und vielleicht/wahrscheinlich auch größere Veränderungen vorgenommen worden, und in den meisten biblischen Texten wird kaum etwas zur Erstellung des endgültigen Textes gesagt.
„Göttliche Autorität“ am Beispiel Lukas-Evangelium
Das Lukas-Evangelium im Neuen Testament fällt auf, denn der Verfasser sagt am Anfang etwas darüber, warum er diesen Text verfasst hat. (Die anderen drei Evangelien tuen dies nicht.) Er bezieht sich ausdrücklich auf ältere Quellen, sagt aber nichts zu einem göttlichen Auftrag oder göttlicher Inspiration.
Da fragt man sich dann schon, woher z.B. die evangelische Allianz ihr Bekenntnis zur Bibel hat:
Sie ist von Gottes Geist eingegeben, zuverlässig und höchste Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung.
Hat man sich da vielleicht selber etwas gemacht, das man gerne hätte?
Die evangelische Allianz hat dies natürlich auch nicht neu erfunden, sondern steht damit selbst in einer noch älteren Tradition.
Keine unbeschriebenen Blätter
Kein Leser ist ein unbeschriebenes Blatt. Wir haben alle schon unsere persönliche und kulturelle Prägung und unsere Meinungen, Überzeugungen und Vorverständnisse, wenn wir anfangen, unsere heiligen Texte zu lesen.
Es gibt allerdings Hilfsmittel, um sich dessen bewusst zu werden. So hilft der Ansatz der Integralen Theologie das eigene Denken und die biblischen Texte in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Auch Bücher von Theologen, wie „Update für den Glauben“ von Klaus-Peter Jörns oder die Bücher von Paul R. Smith können helfen, einen frischen Blick auf die alten Texte zu bekommen.
Der Lesende als der Ort der Offenbarung
Wichtiger noch, als die Frage, was denn genau in den Texten steht, ist die Frage, wie wir sie lesen und wie wir mit ihnen umgehen. (Hab dazu mal eine kleine „Bibel-Serie“ angefangen.) Wenn man heilige Texte instrumentalisiert und als Waffen verwendet, wird menschliche Gemeinschaft zum Schlachtfeld religiöser Argumente.
Ob durch diese Texte auch heute noch etwas Gutes mit uns passieren kann, das kann jeder ausprobieren. Positive Wirkungen des Lesens könnten die beste Werbung für die Texte sein.
… Die Schrift ist Gottes Atem. Sie soll uns unterweisen; sie hilft uns, unsere Schuld einzusehen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen und so zu leben, wie es Gott gefällt. So werden wir reife Christen und als Diener Gottes fähig, in jeder Beziehung Gutes zu tun.
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(Paulus in der Bibel, Neues Testament, der zweite Brief an Timotheus, 3. Kapitel, Verse 16-17)
zeitlose Wahrheit
Es ist selbstverständlich die Überzeugung der abrahamitischen Religionen, dass in diesen Texten etwas überliefert worden ist, das zeitlose Bedeutung hat. Mit dieser Überzeugung bewegen wir uns jetzt allerdings auf der Ebene des Glaubens; ein wissenschaftlicher Zugang kommt hier an seine Grenzen. Die Frage, was wir denn glauben wollen, schwingt hier immer mit und ist für jeden von uns, egal ob fromm, Atheist, Agnostiker oder irgendwas anderes, eine ganz ent-scheidende Frage.
Heilige Texte können uns beim multi-perspektivischen Erfassen der Wirklichkeit unterstützen. Gerade durch den zeitlichen Abstand und, im Falle der Bibel, den langen Zeitraum, über den die Texte entstanden sind, eröffnet sich ein großer vierdimensionaler Deutungs- und Wirkungsraum, in dem sich viel entdecken lässt, über das Wirken Gottes in seiner Welt.
Ein Schatz
Ich bin mit der Bibel aufgewachsen, und sie ist einer der großen Schätze in meinem Leben.
Ein positiver Aspekt von Texten ist, dass Texte uns auf eine Art und Weise mit den Menschen der Vergangenheit verbinden, wie es andere historische Quellen nicht tun können. Die überlieferten heiligen Texte schenken uns auf vielfältige Weise Einblick in das Denken und Leben von frommen Menschen der Vergangenheit und können uns gerade durch den Kontrast zur Gegenwart inspirieren und Neues entdecken lassen.
Unsere heiligen Texte sind keine banalen Alltagstexte, sondern Texte, die man überliefert hat, weil man glaubte, dass sie auch für die Zukunft der Menschheit von Bedeutung sein werden …
Wenn unsere heiligen Texte zu heilsamen Texten werden, wird sich unsere Welt verändern.
[Dies ist die Überarbeitung eines älteren Artikels, welchen ihr mit Kommentaren hier findet.]
Gott so anreden zu können, mit dem hemmungslosen Vertrauen eines Kindes, das ist Himmelreich. Alle Glaubensverkündigung, alles Evangelisieren und alle Theologie ist eigentlich nur eine Erklärung, wie man dahin kommt und dabei bleibt.
Ich versichere euch: Wer sich Gottes Reich nicht wie ein Kind schenken lässt, der wird ganz sicher nicht hineinkommen.
(Bibel, Neues Testament, Markus-Evangelium, 10. Kapitel, Vers 15)
„Abba“ und Joachim Jeremias
Vor ca. 50 Jahren erschien ein Buch des bekannten Theologen Joachim Jeremias: „Abba“ (Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte) Offensichtlich war ihm das Wort „Abba“ und was damit zusammenhängt ein ganzes Buch wert.
Das Aramäische Wort „Abba“ (Vater/Papa) kommt dreimal im Neuen Testament vor. Davon finden sich zwei Stellen ausgerechnet bei Paulus.
Weil ihr nun seine Kinder seid, schenkte euch Gott seinen Geist, denselben Geist, den auch der Sohn hat. Jetzt können wir zu Gott kommen und zu ihm sagen: »Abba, lieber Vater!«
(Bibel, Neues Testament, Paulus‘ Brief an die Christen in Galatien, 4. Kapitel, Vers 6)
Paulus
Sprach Paulus überhaupt Aramäisch? – Es war wahrscheinlich nicht seine Muttersprache. War er nicht von Tarsus? Aus der Diaspora? Warum finden wir das Wort nicht z.B. in den Petrusbriefen? (Petrus, Simon, stammte ja, im Gegensatz zu Paulus, aus Galiläa – wie Jesus.)
Gerade Paulus war es offensichtlich wichtig, dieses Fremdwort aus dem Aramäischen zu benutzen, um auf das Leben hinzuweisen, dass durch Jesus möglich geworden ist. Manchmal sind es Kleinigkeiten, wie dieses kleine Wort, das nur dreimal vorkommt, die in ihrer Auffälligkeit Indizien sind für etwas Wesentliches.
Dann – vierzehn Jahre später – ging ich wieder nach Jerusalem hinauf …Der Grund für meine Reise war, dass Gott mir in einer Offenbarung eine entsprechende Weisung gegeben hatte. Ich legte der Gemeinde von Jerusalem das Evangelium vor, das ich unter den nichtjüdischen Völkern verkünde … Denn ich wollte sicherstellen, dass die Arbeit, die ich getan hatte und noch tun würde, nicht vergeblich war.
(Paulus‘ Brief an die Christen in Galatien, 2,1-2)
Verbundenheit
Paulus war die meiste Zeit in der Diaspora unterwegs, um Menschen für die Sache Jesu zu gewinnen. Dabei war ein ständiges, riesiges, alltägliches Problem, wie Christen jüdischer Abstammung und nicht-jüdische Christen zusammenleben können. Die kulturellen Unterschiede waren groß (wie wir aus den neutestamentlichen Schriften leicht erkennen können).
Das aramäische Wort „Abba“ war durch die sprachliche Fremdheit und die Vertrautheit zu Gott, auf die es verweist, eine spielerische Art und Weise die Verbundenheit der gemischten christlichen Gemeinden in der Diaspora zu den Aramäisch sprechenden Christen im jüdischen Mutterland zum Ausdruck zu bringen. Auch die Spenden, die er für Christen in Palästina sammelte, zeigen, wie wichtig ihm diese Verbundenheit war.
Briefe an Rom und Galatien
Bei Paulus finden wir das Wort interessanterweise im Römer- und im Galaterbrief. – Haben die beiden irgendetwas gemeinsam? – Seit wann liegt Rom in Galatien? 😉
Römerbrief = „dogmatischster“ Brief an Christen, die er nicht kennt
Galaterbrief = krassester Brief an Christen, die er kennt
In beiden Briefen beschäftigt sich Paulus mit dem Unterschied zwischen dem, was Gott durch die Tora gewirkt hat, und der Erlösung, die durch Jesus möglich geworden ist; im Römerbrief ruhig, im Galaterbrief leidenschaftlich (fast verzweifelnd).
»Abba, Vater«, sagte er, »alles ist dir möglich. Lass diesen bitteren Kelch an mir vorübergehen! Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.«
(Markus-Evangelium 14,36)
Stünde das Vaterunser bei Markus, hieße es dann Abbaunser?
Wir finden das Vaterunser bei Matthäus und Lukas – aber nicht bei Markus. – Markus ist ja auch das kürzeste Evangelium. Vielleicht hatte er nicht genug Platz. 😉
Wir finden bei Markus allerdings die dritte Stelle, wo das Wort „Abba“ vorkommt. Und erstaunlicherweise benutzt gerade Matthäus in der Parallelstelle dazu das Wort nicht, sondern erzählt die Szene einfach mit dem Wort „Vater“. – Warum kommt „Abba“ nicht auch bei den anderen beiden Synoptikern vor? Oder bei Johannes? (Bin neugierig auf eure Ideen.)
Ich hatte eine Weile die Idee im Kopf, das Wort „Abba“ hätte etwas mit dem Vaterunser zu tun. Wer weiß …, wenn das Vaterunser bei Markus stünde, vielleicht hieße es dann ja „Abbaunser“.
„Vatersprache“?
Interessanterweise wird dieses Wort im Deutschen kaum benutzt. Wir sprechen meistens von der „Muttersprache“, wenn wir die erste, vertrauteste Sprache meinen, die ein Mensch als kleines Kind gelernt hat. (Auch dann, wenn beide Elternteile dieselbe „Muttersprache“ besitzen.) – Wie männlich ist, im Gegensatz dazu, noch unsere „christliche Sprache“, wenn wir von Gott reden?
„Papa“ oder „Mama“?
In einer patriarchalischen Gesellschaft ist es logischerweise problematisch Gott mit „Mama!“ anzureden – Frauen spielen ja nur die zweite Geige. Gott aber nicht.
In einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichberechtigt sind, macht es eine Menge Sinn, Gott mit „Mama!“ anzusprechen, denn es sind die Mütter, die unmittelbarer als die Väter das neue Leben nähren und in die Welt bringen.
Ich las einmal von einem Mann, der versuchte, männlichen, jugendlichen Strafgefangenen Jesus zu erklären. „Gott liebt dich wie ein Vater“ machte für viele keinen Sinn, da ihr Vater immer abwesend gewesen war. „Gott liebt dich wie eine Mutter“ machte für sie eine Menge Sinn, denn es waren bei vielen die Mütter, die sich abrackerten, um ihren Söhnen einen guten Start ins Leben zu ermöglichen.
Ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so dass ihr immer noch Angst haben müsstet – sondern einen kindlichen Geist, so dass ihr „Mama“ sagen könnt.
Namensgebung ist eine wichtige Sache. Wird es eine Junge oder ein Mädchen? Welchen Namen gibt man dem neuen Menschen mit auf dem Weg? – Schon der antike Mensch vermutete: nomen est omen.
Namensgebung spielt auch am Anfang der Tora eine Rolle:
“ … Und Gott … nannte das Licht ‚Tag‘ und die Finsternis ‚Nacht‘ … die Ausdehnung ‚Himmel‘ … “
Es fällt auf, dass Gott nicht allem einen Namen gibt. All die Lebewesen und auch der Mensch (hebräisch „Adam“) werden von ihm nicht benannt.
In der Erzählung vom Garten Eden heißt es, dass Gott die Feldtiere und die Vögel aus Erde schuf und zum Menschen (hebr. Adam) brachte, um zu sehen, wie der Mensch sie nennen würde. Und bei der Namensfindung für all die Tiere viel auf, dass nichts Passendes für den Menschen dabei war. Der erste Mensch selbst wurde immer noch nicht benannt, und wird auch nie einen Eigennamen bekommen. Er bleibt auf ewig einfach nur „Mensch“ (hebr. Adam).
Beim ersten Rendezvous eines Mannes und einer Frau tauchen dann zwei neue Begriffe in der Erzählung auf: Isch & Ischa (hebr.) = Mann & Männin = Mann & Frau. Ein Pendant zu den Begriffen „männlich“ und „weiblich“ aus der Schöpfungserzählung im ersten Kapitel. (Beim 23. Vers ist mir nicht klar, ob der Begriff „Männin“ vom Mann kommt oder vom Erzähler. Vielleicht eine Interessante Frage für alle Hebräisch-Kundigen: Kann man hier vom hebräischen Text her mehr erkennen?)
Erst nach der Verführung zum Bösen durch die Schlange (bzw. durch seine Frau) gibt der Mann seiner Frau eindeutig einen Namen – so wie er vorher den Tieren einen Namen gegeben hatte. Er nennt sie „Chawwa“ (woraus das deutsche „Eva“ wurde) = „die Leben Schenkende“.
Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.
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Und Adam nannte seine Frau Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben.
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(Kapitel 3,19-20)
Beim Lesen der Bibel erkennt man leicht die hohe Qualität der Erzählungen. Es wird nicht viel herumgeschwafelt und so manche Assoziation schwingt nur unausgesprochen mit.
In der Erzählung vom sogenannten „Sündenfall“ wird der Acker von Gott verflucht und der rebellische Mann von Gott in den Staub gedrückt. Unmittelbar danach verpasst er seiner Frau – so wie er vorher den Tieren – einen Namen. Der Vorgesetzte benennt die Untergebene.
Während der Mann auf dem Acker schuften muss, bleibt die Frau „die Leben Schenkende“. – Lässt der Mann hier seinen Frust an seiner Frau aus? Namensgebung als Zeichen der Herrschaft und Unterdrückung?
Den ersten Mann benannte „zu seinen Lebzeiten“ niemand. Erst im Zuge späterer Überlieferung wurde „Adam“ zum Eigennamen für ihn. Gleichzeitig blieb „Adam“ aber auch im Hebräischen die Bezeichnung für alle Menschen: „Mensch“.
Die „Zehn Gebote“ vor dem State Capitol in Austin (USA) (public domain, via Wikimedia Commons)
„Kann mir mal bitte jemand sagen, was ich machen soll?“
„Führer befiehl! Wir folgen …“
Wir Menschen sind unendlich bedürftig; und es ist so leicht und bequem, Verantwortung und Führung an jemand anders zu delegieren. (Wenn ich nur das tue, was mir gesagt wird, kann mir am Ende wenigstens niemand vorwerfen, es wäre alles meine Schuld. Stimmt’s?)
In der Buber-Rosenzweig-Übersetzung werden die sogenannten „Fünf Bücher Mose“ (die Tora) im Alten Testament unserer Bibeln „Die fünf Bücher der Weisung“ genannt. Obwohl die traditionelle Übersetzung in unserem Neuen Testament „Gesetz des Mose“ ist, wird jeder, der sie liest, sofort erkennen, dass es überhaupt gar kein Gesetzestext ist, so wie wir es erwarten würden. Die Tora enthält auch viele Erzählungen (z.B. die berühmte Josephserzählung); und die eigentlichen Gesetzestexte kommen sogar in zwei Versionen vor (Deuteronomium), die noch nicht einmal identisch sind. Diese Beobachtungen sollten uns schon stutzig werden lassen.
Im Brief an die Galater versucht viele Jahrhunderte später der bedeutende Apostel Paulus den Sinn und die begrenzte Bedeutung der Tora deutlich zu machen. Polemisch stellt er sie als eine Art „Kinderbetreuung“ dar:
Das Gesetz war also unser Aufseher, unter dessen strenge Hand Gott uns gestellt hatte, bis Christus kam; denn es war Gottes Plan, uns auf der Grundlage des Glaubens für gerecht zu erklären. Und jetzt, wo die Zeit des Glaubens da ist, stehen wir nicht mehr unter der Kontrolle jenes Aufsehers.
(Galaterbrief 3,24-25)
In der jüdischen Messiaserwartung haben, neben anderen, zwei Textstellen besondere Bedeutung. Die eine ist die Verheißung des ewigen Königtums an David im 2. Samuelbuch, Kapitel 7; die andere ein Vers aus dem 5. Teil der Tora:
Ich will ihnen einen Propheten, wie du [Mose] es bist, aus der Mitte ihrer Brüder erwecken und meine Worte in seinen Mund legen; der soll alles zu ihnen reden, was ich ihm gebieten werde.
(Die Bibel, Tanach / Altes Testament, Tora, Devarim / 5. Buch Mose / Deuteronomium, 18. Kapitel, Vers 18)
Es ist das zentrale Bekenntnis des christlichen Glaubens, dass Jesus der Christus, der Messias, ist. Der Autor des Matthäus-Evangeliums, zum Beispiel, versucht, zum Teil auf subtile Art und Weise, zu zeigen, dass der Jesus aus Nazareth jener Messias der jüdischen Erwartung ist: Jesus ist ein zweiter Mose.
Auffällig ist, dass dieser neue Mose aber keine neue Tora mit dabei hatte. Die sogenannte Bergpredigt (Matthäus 5-7) ist kein Gesetzestext und kein „Update“ der Tora. Das Matthäus-Evangelium erzählt von der Verkündigung des Himmelreichs und beschreibt die Menschen, die dazu gehören.
Offensichtlich hielt es Jesus auch nicht für nötig oder sinnvoll, selbst einen heiligen Text zu schreiben. Es gibt in der christlichen Überlieferung keinen Text, der den Anspruch erhebt, von Jesus selbst geschrieben worden zu sein. Und auch die ersten Christen haben sich nicht zusammengesetzt, um eine neue Tora zu verfassen.
Warum?
Seht, es werden Tage kommen – Spruch des Herrn -, in denen ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde, nicht wie der Bund war, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten herauszuführen. Diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich ihr Gebieter war Spruch des Herrn. Denn das wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe – Spruch des Herrn: Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, Klein und Groß, werden mich erkennen – Spruch des Herrn. Denn ich verzeihe ihnen die Schuld, an ihre Sünde denke ich nicht mehr.
(Tanach / Altes Testament, Jeremia 31,31-34)
WESEN STATT WEISUNG
Der Autor des Hebräerbriefes deutet die Vergebung, von der in Jeremia 31 gesprochen wird, als die Vergebung, die durch Jesu Opfer gekommen ist (Hebräerbrief 10,14-18), und erklärt, wie das Neue in Jesus besser ist als das Alte.
Es geht um eine Veränderung des Wesens, die durch Vergebung möglich wird. Kein Verurteilung mehr. Ich darf sein. Es ist eine religiöse Erfahrung, die zu mir kommt und durch die ich ein neuer Mensch werde – vom Geist Gottes geboren (Johannes-Evangelium, 3. Kapitel).
Verinnerlichung. Der Wille Gottes kommt nicht mehr von außen zu mir in der Form von Anweisungen, sondern das Verstehen des Willen Gottes entsteht in meinem Herzen. Leben im Geist (Römerbrief, 8. Kapitel).
GEISTERFÜLLTES CHRISTENTUM
Wie wächst man in eine gesunde Spiritualität hinein?
Wie müsste eine Kirche und wie müssten Gemeinden aussehen, in denen ein solches Christentum spürbar ist? Wie sieht gesunde christliche Gemeinschaft aus?
Welche Rolle spielen heilige Texte noch für uns?
Welche Bedeutung haben Formen und Rituale?
Wie müssten die „geistlichen Profis“ (Pfarrer, Bischöfe, Seelsorger, Prediger, Älteste, …) eines solchen Christentums aussehen? Wie wird man zum spirituellen Begleiter und geistlichen Hirten?
[Dies ist die Überarbeitung eines älteren Artikels. Den älteren Artikel findet ihr hier.]
Foto von der British Library, via Wikimedia Commons – Aristotle [Public domain, CC0]
Anders, als die hippen modernen Städte-Touristen, easyjetete Jesus nicht durch den Vorderen Orient, sondern lief zu Fuß, über die staubigen Straßen und Wege des römischen Palästina. – Wieviel Gepäck kann man da wohl dabei haben?
Jesus war auch nicht als Tourist unterwegs, sondern als Wanderprediger; und von ihm selbst sind die Worte überliefert, in denen er auf den mangelnden Komfort seines Lebens und das seiner Jünger hinweist:
… »Meister«, sagte er, »ich will dir folgen, wohin du auch gehst.« Jesus erwiderte: »Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihre Nester; aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sich ausruhen kann.«
Archäologen und Jesus-Forscher wären bestimmt ganz aus dem Häuschen, wenn sie noch ein paar Utensilien von Jesus‘ Camping-Ausrüstung ausgraben würden. – Vielleicht sogar seinen Rucksack? – Aber Wanderprediger hinterlassen nun mal nicht gerade viel archäologische Spuren.
Für uns als Christen heute ist die Frage allerdings viel interessanter, was Jesus nicht im Gepäck hatte.
Jesus kam in die Welt wie wir alle: Nackt und bloß, als ein Baby. Babys haben selbstverständlich kein Handgepäck, und Jesus brachte auch nichts mit. Später verließ er dann sein Zuhause, um als Wanderprediger von Ort zu Ort zu ziehen. Es wird nicht erzählt, dass er irgendwas von Zuhause mitnahm. Auch in den Erzählungen über sein Wirken wird nicht berichtet, dass er irgendwelche heiligen Gegenstände oder Ähnliches dabei hatte. Nach einer relativ kurzen Zeit als Wanderprediger (höchstens 3 Jahre) wird er hingerichtet und begraben. Es wird in den biblischen Texten wiederum nicht erzählt, dass er seinen Jüngern irgendetwas vererbte. Und auch in der unmittelbaren Zeit danach wird nicht davon erzählt, dass noch irgendwelche Sachen von Jesus vorhanden gewesen wären.
Das bisher Gesagte wird viele Christen nicht beeindrucken. Es gibt allerdings bei der Angelegenheit ein Detail, dass viele Christen beeindrucken sollte.
Die jüdischen Messias-Erwartung zur Zeit von Jesus gründete sich u.a. auf einen Vers in der Tora:
Er wird euch einen Propheten wie mich senden, einen Mann aus eurem Volk. Auf den sollt ihr hören!
Insbesondere das Matthäus-Evangelium versucht auf z.T. subtile Weise zu zeigen, dass der Mann, Jesus aus Nazareth, dieser erwartete „neue Mose“ ist. Dieser neue Mose hat seinem Volk aber KEINE neue Tora gebracht.
Es gibt zwar die Szene in der Synagoge, in der Jesus aus den heiligen Texten vorliest, aber es gibt meines Wissens keine einzige Szene, in der Jesus zusammen mit seinen Jüngern die heiligen Texte studiert. Auch wird nirgends behauptet, Jesus hätte Texte verfasst, obwohl er sicherlich die Möglichkeit gehabt hätte, da auch wohlhabendere Menschen zu seinen Anhängern zählten.
Auch in den Szenen, wo Jesus sich von seinen Jüngern verabschiedet, gibt er ihnen NICHT den Auftrag, heilige Texte, Glaubensbekenntnisse oder Katechismen zu verfassen, sondern weist auf die Sendung des Heiligen Geistes hin. Und auch in der Zeit nach Pfingsten gibt es KEINEN himmlischen Auftrag, heilige Texte zu verfassen. Es gibt einen Beschluss in Briefform in der Apostelgeschichte, im 15. Kapitel. Aber auch dieser Brief ist weit davon entfernt, ein Gründungsdokument des Christentums zu sein.
Der neue Bund, von dem schon Jeremia redet (Kapitel 31) besteht ja auch nicht mehr in dem Befolgen von fixierten schriftlichen Anweisungen, sondern im Geist Gottes und Jesu.
Denkt daran: Der Heilige Geist, mit dem Christus euch gesalbt hat, ist in euch und bleibt in euch. Deshalb seid ihr nicht darauf angewiesen, dass euch jemand belehrt. Nein, der Geist Gottes, mit dem ihr ausgerüstet seid, gibt euch über alles Aufschluss, und was er euch lehrt, ist wahr und keine Lüge. Darum bleibt in Christus, wie Gottes Geist es euch gelehrt hat!
(Neues Testament, 1. Brief des Johannes 2,27)
Jesus investierte sich nicht in Texte, sondern in Menschen. Seine Jünger hatten IHN selbst, seine Gegenwart, seine Worte und die Kraft, die von ihm ausging. Sie hatten den GESAMTEINDRUCK des Sohnes Gottes, inklusive all der Eindrücke, die man nicht beschreiben oder in Worte fassen kann. Volles Leben. Live und echt. Von Mensch zu Mensch.
Wie eigenartig, dass sich Menschen später doch wieder ein heiliges Buch in Form der Bibel gemacht haben. Die historischen Zeugnisse über Jesus brauchen wir und auch die heiligen Schriften der Juden zu seiner Zeit; aber eine „christliche“ Heilige Schrift oder ein Dogma von der Unfehlbarkeit der Bibel braucht niemand, der im Geist Gottes leben will.
In der Kraft des Heiligen Geistes habt ihr begonnen, und jetzt wollt ihr aus eigener Kraft das Ziel erreichen? Seid ihr wirklich so unverständig?
(Paulus‘ Brief an die Galater 3,3)
HINWEIS ZUM BILD : Das Bild zeigt als Beispiel einen Papyrus aus dem 1. Jahrhundert. Zu sehen ist die Verfassung von Athen (Papyrus 131 der British Library). Von Jesus selbst sind keine Texte überliefert. Auch von seinen Jüngern gibt es kein vergleichbares Gründungsdokument des Christentums.
דָּנִיּאֵל – Dani’el – Daniel
עֶזְרָא נְחֶמְיָה – ‚Esra Nechemija – Esra-Nehemia
דִּבְרֵי הַיָּמִים – Divre Hajamim („Ereignisse der Tage“) – Erstes und Zweites Chronikbuch
Es gibt heute moderne Übersetzungen der Texte in Deutsch und in anderen Sprachen. Aber die Originale sind antike Texte in orientalischen, semitischen Sprachen, aus einem anderen Kulturbereich. Sollte dies nicht bei der Interpretation eine Rolle spielen?
Wie tief gehen die kulturellen Wurzeln des Christentums im „christlichen“ Abendland? Kaum ein biblischer Text wurde von einem Europäer geschrieben! (Vielleicht sogar gar keiner?)
Von einer europäischen Kultur zu sprechen, macht in der Antike noch weniger Sinn als heute. Der kulturelle Druck des Hellenismus aufs Judentum begann allerdings schon lange vor dem Auftreten des Christentums.
Judaic halizah shoe for declining to marry a childless widow, United States, NY, shoe museum, by Daderot (Own work) [CC0], via Wikimedia Commons
Klingt etwas krass – kann man aber in seiner Bibel nachlesen:
Juda nahm dann für seinen erstgeborenen Sohn Ger eine Frau namens Thamar. Aber Ger, der Erstgeborene Judas, zog sich das Missfallen des HERRN zu; daher ließ der HERR ihn sterben. Da sagte Juda zu Onan: »Gehe zu der Frau deines Bruders ein und leiste ihr die Schwagerpflicht, damit du das Geschlecht deines Bruders fortpflanzest!« Da Onan aber wusste, dass die Kinder nicht als seine eigenen gelten würden, ließ er, sooft er zu der Frau seines Bruders einging, (den Samen) zur Erde fallen, um seinem Bruder keine Nachkommen zu verschaffen. Dieses sein Tun missfiel aber dem HERRN, und so ließ er auch ihn sterben.
Die Hauptfigur dieser Erzählung ist eigentlich eine Frau: Tamar. „Berühmt“ geworden ist diese Erzählung allerdings durch den Begriff „Onanie“, eine alternative Bezeichnung für Masturbation, abgeleitet von dem Mann Onan in dieser Erzählung, der von Gott mit dem Tode bestraft wird.
Onan hat allerdings weder masturbiert, noch wurde er bestraft, weil er Coitus Interruptus praktiziert hat, sondern er wurde bestraft, weil er seiner verwitweten Schwägerin keine Kinder machen wollte. Dieser Text hatte leider in der Geschichte „christlicher“ Sexualethik keine gute Wirkungsgeschichte; wie so manch anderer Text auch.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es geht in dieser Erzählung also weder um Masturbation noch um Coitus Interruptus, sondern um die Verweigerung Onans, seiner verwitweten Schwägerin, und damit seinem verstorbenen Bruder, Kinder zu machen. Man spricht hier auch von „Schwagerehe“ oder „Leviratsehe„, zu der auch ein paar andere Verse in der Tora etwas zu sagen haben:
Wenn ein verheirateter Mann kinderlos stirbt und in der Nähe ein Bruder von ihm lebt, muss dieser die Witwe zur Frau nehmen. Sie soll keinen Mann außerhalb der Familie heiraten, sondern ihren Schwager. Der erste Sohn, den sie dann zur Welt bringt, soll als Sohn des Verstorbenen gelten, damit sein Name in Israel weiterlebt. Will aber der Bruder seine Schwägerin nicht heiraten, dann soll sie zu den führenden Männern gehen, die am Stadttor Gericht halten. Sie soll sagen: »Mein Schwager weigert sich, mich zu heiraten. Er will nicht dafür sorgen, dass der Name seines Bruders weiterlebt.« Die führenden Männer der Stadt sollen ihn rufen und ihn zur Rede stellen. Bleibt er bei seiner Ablehnung, dann soll seine Schwägerin ihm dort vor den führenden Männern einen Schuh ausziehen, ihm ins Gesicht spucken und ausrufen: »So behandelt man jemanden, der die Familie seines Bruders nicht am Leben erhalten will.« Ganz Israel soll es erfahren und ihn und seine Familie von da an
»Barfüßer« nennen.
Besonders interessant ist diese Regelung, da sie moderne „christliche“ Moralvorstellungen vom Sex in einer monogamen Beziehung etwas stört. Der Bruder, der seine verwitwete Schwägerin heiraten soll, wird, wenn er alt genug gewesen ist, in der Regel zur damaligen Zeit auch schon verheiratet gewesen sein. Dennoch soll er, auf Gottes Gebot hin, seine Schwägerin heiraten, ohne dass dies als Ehebruch gewertet wird oder moralisch verwerflich ist. Im Gegenteil, wird die Verweigerung dieser moralischen und religiösen Pflicht als verwerflich eingestuft und entsprechend geahndet.
Dies ist selbstverständlich KEIN Freibrief für Sex außerhalb einer Beziehung. Die Regelung zeigt aber, dass es in der Bibel kein durchgehendes ABSOLUTES Verbot für Sex außerhalb einer monogamen Beziehung gibt, bzw. auch Polygamie in der Tora für diesen Fall möglich war. Die gesamte Vorstellung mancher Konservativen, dass sich das Sexualverhalten von Christen eindeutig durch Bibelverse regeln lässt, ist an sich natürlich schon eine abenteuerliche Vorstellung.
Alles ist mir erlaubt – aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.
(Die Bibel, Neues Testament, 1. Brief von Paulus an die Gemeinde in Korinth 6,12)
Alles ist erlaubt – aber nicht alles nützt. Alles ist erlaubt – aber nicht alles baut auf. Denkt dabei nicht an euch selbst, sondern an die anderen.
(1. Korintherbrief 10,23-24)
Die Frage: „Wie weit darf ich denn gehen ohne gegen Gottes Willen zu verstoßen?“ verrät an sich schon ein schlechtes Verständnis von der Freiheit eines Christen. Vor Gott hat ein Christ volle Freiheit und volle Verantwortung.