Christentum heute ist ohne die biblischen Texte kaum vorstellbar. Es gab allerdings schon Christentum bevor die Bibel entstand. Auch ist die Bibel nicht vom Himmel gefallen. Wie wir mit ihr umgehen, ist entscheidend für uns selbst und für andere. – VORSICHT : Das Anliegen des Blogs ist mir sehr ernst; einzelne Sätze sind allerdings nicht immer wörtlich zu nehmen. ;-) – Bin übrigens als Christian Schmill auf Facebook, @C_Schmill bei Twitter.
Napoleon krönt sich selbst in der Notre Dame 1804 zum Kaiser. [Gemälde von Jacques-Louis David 1806–1807 (Louvre), public domain, via Wikimedia Commons]
Es war einmal, vor langer, langer Zeit,
da lebte ein Mann.
Dieser Mann heißt Jesus.
Jesus hilft Menschen und erzählt ihnen von Gott.
Frauen und Männer sind bei ihm, um von ihm zu lernen.
Eines Tages ist er mit seinen Schülern unterwegs. Sie gehen von einem Dorf zu einem anderen. Die Schüler von Jesus reden miteinander. Einer sagt:
„Wisst ihr noch, wie ich Jesus das Wasser von der Quelle gebracht habe? Jesus hat sich so darüber gefreut!“
Ein anderer Schüler sagt:
„Aber über die Früchte, die ich ihm später gebracht habe, hat er sich noch mehr gefreut!“
Und noch ein anderer Schüler sagt:
„Ich glaube, er isst am liebsten Brot. Als ich ihm gestern das Brot gebacken hab, hat er gesagt, es wäre das beste Brot, das er je gegessen hat.“
Und so gehen die Schüler von Jesus mit ihm auf dem Weg und zanken sich.
Abends setzen sie sich zum Abendessen hin. Jesus fragt sie:
„Worüber habt ihr auf dem Weg geredet?“
Und seine Schüler schweigen. Sie wollen nicht zugeben, dass sie sich gestritten haben.
Da fragt Jesus sie:
„Wollt ihr wissen, wer von euch der Beste ist? Wen ich am meisten mag?“
Da bekommen seine Schüler große Ohren, und sie bitten Jesus:
„Ja, Jesus, bitte sag doch, wen du von uns am besten findest!“
Und Jesus sagt:
„Wer nicht so viel an sich denkt, sondern auch an alle anderen, ist der Beste von euch.“
Da schämen sich alle Schüler von Jesus. Sie merken, dass sie alle nur an sich gedacht haben.
Kampf auf der Karriereleiter. Plastik von Peter Lenk an der Invesitionsbank, Bundesallee 210, Berlin; von Bukk [Public domain, via Wikimedia Commons]
Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst
(Die Bibel, Neues Testament, Offenbarung, 21. Kapitel, Vers 6)
[Die Worte „Gott spricht“ scheinen im Originaltext gar nicht vorzukommen, sondern der Jahreslosung hinzugefügt worden zu sein. Wenn ich den Text lese, ist mir gar nicht gleich klar, wer denn derjenige ist, der hier spricht.]
Wie nett. Wiedereinmal ein schöner Bibelvers, der uns angenehm berührt:
Man wird bedient mit einem frischen Durstlöscher – und es kostet gar nix!
Angeboten wird frisches, kühles Mineralwasser. Kein lauwarmes, muffig schmeckendes, abgestandenes altes Wasser aus einer verstaubten Flasche oder einem trüben Tümpel. – Wenn das realexistierende Christentum doch bloß auch immer so frisch und lebendig schmecken würde …
Gratis! Dies ist ein Angebot, das sich jeder leisten kann. Kein Luxus-Angebot (nur echt, wenn teuer) für eine Zwei-oder-mehr-Klassengesellschaft. Gerechtigkeit. Chancengleichheit. Hier hat sich offensichtlich schon ein großzügiger Sponsor gefunden, der dieses Angebot finanziert.
Das apokalyptische Buch der Offenbarung ist voll von Bildern. Auch bei der Jahreslosung geht es eigentlich nicht um Wasser, sondern um das, was wir unbedingt zum Leben brauchen. Und das in sehr guter Qualität. Jeder darf hier seiner Fantasie freien Lauf lassen, was der Verfasser der Offenbarung schreiben würde, wenn er seinen Text heutzutage verfassen würde …
Bei Bibelversen ist es immer keine schlechte Idee sich den Zusammenhang anzuschauen:
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.
Die Feigen aber und Ungläubigen und Frevler und Mörder und Hurer und Zauberer und Götzendiener und alle Lügner, deren Teil wird in dem Pfuhl sein, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der zweite Tod.
(Verse 1-8)
.
Im 21. Kapitel der Offenbarung wird „das neue Jerusalem“ in einer herrlichen Vision als die Belohnung für die „Überwinder“ dargestellt. Gegensatz dazu bildet ein brennender Pfuhl, mit dem die Übeltäter bestraft werden.
Lob und Tadel. Belohnung und Bestrafung. Zuckerbrot und Peitsche. Erfolg oder Gefängnis. Himmel oder Hölle. Ein Dualismus der unser ganzes Leben begleitet.
Wenn man die Jahreslosung im Zusammenhang liest, klingt sie nicht mehr ganz so freundlich; denn im Hintergrund drohen die Qualen des brennenden Pfuhls für die Ungehorsamen. Das herrliche Leben ist offensichtlich doch nicht ganz so billig, wie es den Anschein haben mag, wenn man nur den einzelnen Vers der Jahreslosung liest.
Die Jahreslosung ist sicherlich gut gemeint. Wir alle brauchen Hoffnung. Sie zeigt allerdings auch mal wieder, wie problematisch es ist, einfach einzelne Bibelverse zu zitieren, und sie damit notwendigerweise aus dem Zusammenhang zu reißen.
Die Jahreslosung ist kein Gratis-Angebot für Menschen, die Jesus noch nicht kennen. Das neutestamentliche Buch „Offenbarung“ wurde für Christen geschrieben, um ihnen Mut zu machen und sie herauszufordern, alle Hindernisse zu überwinden, indem sie Gott und Christus vertrauen.
Glaube wird oft Missverstanden als ein Lippenbekenntnis zu einer bestimmten religiösen Weltanschauung. Scheinbar billige Gnade. Aber echter Glaube ist in Wirklichkeit immer lebensgestaltend. Ein Glaube, der keine Wirkung hat, ist ein toter Glaube.
Und die Wirkung deines Glaubens sollte sich eigentlich zu allererst in deinem persönlichen Leben zeigen – deinem Alltag, deinen Beziehungen, Freundschaften, in deiner Familie, in der Schule, an deinem Arbeitsplatz, in deiner Nachbarschaft, an deinem Konsumverhalten, deinen Interessen & Hobbys, …
Was wir wirklich glauben, zeigt sich nicht durch das Bejahen eines Glaubensbekenntnisses, sondern in unserem Leben:
Lass mich sehen, wie du lebst, und ich sage dir, was du glaubst!
Die Behauptung der Jahreslosung ist (in guter jüdisch-christlicher Tradition):
Es lohnt sich, Gott zu suchen und ihm treu zu sein. Gott macht unsere Seele satt und gibt uns Zukunft.
Glücklich zu preisen sind die, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten; denn sie werden satt werden.
(Matthäus-Evangelium, Bergpredigt, Seligpreisungen, 5. Kapitel, Vers 6)
Eruption eines submarinen Vulkans; by NOAA/National Science Foundation [Public domain], via Wikimedia Commons
Liebe fundamentalistische Schwester und Brüder. Wo euch die Bibel ja doch so wichtig ist, lasst uns mal sehen, wie gut eure Bibelkenntnisse sind. (Keine Angst, es kommen keine exotischen Spezial-Fragen, sondern Elementares.)
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.
Wir fangen am Anfang an: 1. Kapitel. Die Schöpfung.
FRAGE : Wann und wie erschafft Gott das Wasser? (Grundlage allen Lebens.)
Vielleicht am ersten Tag? Oder schon davor? (Geht das überhaupt? Gibt es eine „Stunde Null“?)
Jetzt denken die Meisten von euch wahrscheinlich gleich an „Evolution oder Schöpfung“, doch darum geht es mir hier nur am Rand. Mir geht es hauptsächlich um ein aufmerksames Lesen und Ernstnehmen des Textes. Diejenigen, denen die Bibel angeblich so wichtig ist, die sollten doch auch die biblischen Texte wirklich ernst nehmen, oder?
Also : Woher kommt das Wasser?
(Und wo wir schon dabei sind, können wir auch gleich noch darauf achten, wo die Finsternis, die Tiefe und die Erde herkommen.)
Die ersten Kapitel der Bibel gehören übrigens zu meinen Lieblingstexten. 🙂 Bevor ihr weiterlest, solltet ihr vielleicht schnell mal das erste Kapitel lesen, falls es euch nicht mehr so vertraut im Kopf ist. Dauert ja nicht lange.
Fertig? – Gut.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe …
.
(Verse 1-2)
Himmel & Erde
Bei der Finsternis und der Tiefe könnte man einwenden „das is ja nix … nur leerer Raum“ – leerer Weltraum sozusagen. OK., vielleicht. – Aber was ist mit der Erde und dem Wasser? Das sind ja nun wirklich zwei wichtige Zutaten.
Beim Lesen fällt jedem die sorgfältige, fast poetische Gestaltung des Textes auf. Reim-artig kehren dieselben Formulierungen immer wieder, wie bei einem Gedicht oder Lied. Gott erschafft Himmel und Erde und alles andere allein dadurch, dass er spricht. Und es geschieht! – So hatte ich es jedenfalls in Erinnerung. Aber wird es auch so erzählt?
Wir schauen genauer hin :
Und Gott sprach: …
Und es geschah so.
Die Tage der Schöpfungserzählung
Am ersten Tag erschafft Gott das Licht. Am zweiten die Wölbung (im Wasser) = Himmel. Am dritten Tag Gras / Kraut und Bäume. Am vierten Sonne, Mond und Sterne. Am fünften Tag Wassertiere und Vögel. Am sechsten Tag: Vieh, kriechende Tiere, wilde Tiere und die Menschen – quasi die land-gebundenen Lebewesen.
Noch ein paar Kleinigkeiten :
Mir fällt auf, dass es sogar MEHR als 6-mal heißt „und Gott sprach“, aber nur genau 6-mal „und es geschah so“. Auf die Wendung „es wurde Abend, und es wurde Morgen“ folgt immer ein „und Gott sprach“. Bis auf den 6. Tag. Nach ihm ist Gott fertig und es folgt kein „Und Gott sprach …“.
Am ersten Tag heißt es, dass das Licht gut war. Am zweiten Tag sagt Gott NICHT, dass etwas gut ist. Am dritten Tag heißt es dafür gleich 2-mal, dass etwas gut ist. Das erste Mal, nachdem sich das Wasser gesammelt hat und Erdboden zum Vorschein gekommen ist; das zweite Mal nach der Erschaffung der Pflanzen.
Auch am vierten Tag, nach der Erschaffung von Sonne, Mond und Sterne, heißt es, dass es gut war; und genauso am fünften Tag, nach der Erschaffung von Wassertieren und Vögeln. Am sechsten Tag beurteilt Gott wieder 2-mal: Nach der Erschaffung der Landtiere sieht Gott, dass es gut ist, und nach der Erschaffung des Menschen, als Gott seine Schöpfung vollendet hat, sieht er sogar, dass es „sehr gut“ ist.
Der zweite Tag ist der einzige Tag, an dem es nicht heißt, dass es gut oder sehr gut war. Zufall?
Wie Ton in der Hand des Töpfers, den er nach seinem Wohlgefallen formt, so sind auch die Menschen in der Hand dessen, der sie gemacht hat: …
Interessant ist auch, dass mehrfach etwas nicht auf Gottes Wort hin wie aus dem Nichts entsteht, sondern Gott „gestaltend“ wirkt. Gott scheidet Licht und Finsternis und er scheidet die Wasser. Er befiehlt dem Wasser unter dem Himmel sich zu sammeln und befiehlt der Erde hervorzubringen. Auffällt auch, dass es bei der Erschaffung des Menschen weder heißt „es werde Mensch“ noch „Gott befahl der Erde den Menschen hervorzubringen“.
Wir sehen in dieser Erzählung sowohl ein Ins-Dasein-Rufen als auch ein Ordnen des Bestehenden. Gott schafft ganz neu, und er schafft Lebensraum und Möglichkeiten des Lebens, indem er das Geschaffene ordnet.
Wenn Gottes Herrlichkeit schon bei der Ordnung sichtbar wurde, die zum Vergehen bestimmt war, wie viel mehr wird sie dann von der Ordnung ausstrahlen, die für immer bleibt!
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(Neues Testament, Paulus‘ zweiter Brief an die Christen in Korinth, 3,11)
Wann nun wurden die Erde und das Wasser erschaffen? In welchem Vers steht: „Erde!“ oder „Es werde Wasser!“
Diese Verse gibt es nicht! Es wird nicht ausdrücklich gesagt, wann oder wie die Erde und das Wasser geschaffen wurden.
Bei der Erde könnte man sagen „steht doch gleich im ersten Vers“. Im ersten Vers steht aber auch das Gott den Himmel schuf, und in den Versen 7-8 wird dann erklärt, wie er das gemacht hat. Wie die Erde gemacht worden ist, wird nirgends erklärt, und auch nicht, wie das Wasser gemacht worden ist.
Antworten und Fragen
Bei der offensichtlich sorgfältigen Gestaltung des Textes dürfen wir vermuten, dass keine Formulierungen hier rein zufällig sind. Daher die Frage, warum die Erschaffung des Universums (= Himmel & Erde) hier so erzählt wird?
Falls der Text wirklich erzählen wollte, wie ALLES entstanden ist, warum bleiben dann Fragen offen? Oder geht es in diesem Text vielleicht wirklich eher um etwas Anderes?
Die Unterweisung in der Lehre unseres Glaubens hat nur das eine Ziel: die Liebe, die aus einem reinen Herzen, einem guten Gewissen und einem aufrichtigen Glauben kommt.
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(Paulus‘ erster Brief an Timotheus, 1,5)
Zur Frage, wie und wann das Wasser und die Erde geschaffen wurden, sagt die Erzählung jedenfalls überraschenderweise gar nichts.
Schöpfungsmythen
Besonders interessant wird die ganze Geschichte, wenn man sie mit dem babylonischen Schöpfungsmythos Enūma eliš vergleicht . Während im babylonischen Schöpfungsmythos Himmel und Erde durch Gewalt und Tod im Kampf der Götter erschaffen werden, ist in der biblischen Schöpfungserzählung alles harmonisch. Es gibt noch nicht einmal eine Spur von Konkurrenz zur gestaltenden Macht Gottes. Alles gut! (bzw. sehr gut)
Wichtig für die Interpretation sind natürlich auch die Fragen: Für wen wurde die Erzählung geschrieben und was sollte sie bewirken? Welche Assoziationen hatten die ursprünglichen Leser (Hörer)? Wurde die ursprüngliche Fassung vielleicht sogar überarbeitet? Wann entstand die endgültige Fassung und wer war dafür verantwortlich?
Bin gespannt auf eure Kommentare …
[Dies ist die Überarbeitung eines älteren Posts. Den älteren Post findet ihr hier.]
[Den ersten Artikel zu Genesis 1 findet ihr hier.]
Auffallend ist beim genauen Lesen, dass Genesis 1 nicht erklärt, wo das Wasser herkommt. Es ist gegeben, fast übermächtig, allgegenwärtig und bedrohlich. Es ist Gott, der einen Hohlraum im Wasser schafft und dann dem Wasser befiehlt sich im Meer zurückzuziehen, so dass trockenes Land zum Vorschein kommt.
Interessant ist dabei auch, dass das Meer, wie vieles andere auch, in der Mesopotamischen Religion eine Gottheit war. Genesis 1 hingegen ist strickt monotheistisch. Es gibt keine Konkurrenz zu dem einen Gott, der alles umfasst und ordnet. Das harmonische Bild wird nur ein bisschen gestört durch das Durcheinander (Tohuwawohu) auf der Erde in Vers 2. Alles ist gut, bzw., als alles dann mit der Erschaffung des Menschen vollendet wird, sehr gut. Eine Störung im Paradies tritt dann erst richtig im 3. Kapitel auf.
In der Erzählung Antworten auf die Frage „Schöpfung oder Evolution“ zu suchen, scheint mir, ein schiefer Blick auf diesen Text zu sein. Kaum vorstellbar, dass diese Frage die Leser damals bewegt hat. Offenbar bestand auch kein „naturwissenschaftliches“ Interesse des Textes zu klären, wo denn das Wasser herkommt.
[Eine neuere Überarbeitung des Artikels findet ihr hier]