Rezension: „Enneagramm, Spiritualität und Theologie der Zukunft“ von Michael Th. Schulz

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Ein weiteres Buch, das für meine Bachelorarbeit, „Berührungspunkte und Zusammenhänge von Trinitätslehre und Enneagramm als Elemente einer systemischen Theologie“, sehr hilfreich war, war das Buch des evangelischen Pfarrers und Enneagrammlehrers Michael Th. Schulz: „Enneagramm, Spiritualität und Theologie der Zukunft“, erschienen im Neukirchener Verlag, 2006.

Der Professor für Praktische Theologie Klaus Raschzok schreibt in einem Geleitwort des Buches:

„Der Leser wird mit hineingenommen in eine Suchbewegung, die konsequent die Herausforderung ernst nimmt, die mit der Sehnsucht unzähliger Menschen nach Selbsterkenntnis, Selbstvergewisserung und Gotteserkenntnis verbunden sind. Michael Th. Schulz bemüht dazu die akademische Theologie, die über das Enneagramm auf überzeugende Weise ihre Gesprächsfähigkeit gegenüber den Humanwissenschaften zurückgewinnt. Christlich-enneagrammatische Arbeit führt damit zu einer therapeutisch-heilsamen Grundhaltung, in der Theologie wie Anthropologie angemessen zueinander in Beziehung gesetzt sind.”

(S. IX)

Dies entspricht auch dem Eindruck, den ich von Schulz‘ Buch habe. Schulz versteht es, die Suche nach Selbst- und Gotteserkenntnis für die Leser*innen nachvollziehbar zu beschreiben. Dabei widersteht er sowohl der Versuchung, zu große Behauptungen aufzustellen und dem Enneagramm übergroße Bedeutung beizumessen, als auch der Versuchung, vor anerkannten Vorstellungen und etablierten Theorien einzuknicken. Vielmehr tastet er sich behutsam, in einer dem Gegenstand der Betrachtung angemessenen Weise voran.

Auch der bekannte Autor, Enneagrammlehrer und Pfarrer Andreas Ebert hat ein Geleitwort für das Buch geschrieben. Dort heißt es:

„Besonders verdienstvoll ist es, dass Michael Schulz die Arbeit mit dem Enneagramm gleichzeitig propagiert und relativiert.“

(S. VII)

Eine besondere Stärke des Buches sind die Hinführungen zum Enneagramm, die nicht aus der Enneagrammtradition selbst stammen. Schulz greift dabei u.a. auf den Religionsphilosophen Romano Guardini und den protestantischen Theologen Wolfgang Philipp (Begründer der wissenschaftlichen Irenik) zurück. Eine Schwäche des Buches ist die Wortfülle und der z. T. eigentümliche Stil. Das Buch könnte sicherlich populärer sein, wenn Schulz sich mehr um Knappheit und einen ansprechenden Stil bemüht hätte.

Um einen Eindruck von der Bedeutung des Enneagramms für christliche Spiritualität und Theologie zu bekommen, ist das Buch von Michael Schulz ein sehr wertvoller Beitrag.

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Systemische Theologie

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In meiner Bachelorarbeit „Berührungspunkte und Zusammenhänge von Trinitätslehre und Enneagramm als Elemente einer systemischen Theologie“, die gerade fertig geworden ist, habe ich einen neuen Begriff eingeführt, um eine theologische Herangehensweise zu bezeichnen: „Systemische Theologie“. Theologie selbst kann als ein System betrachtet werden und ist darüber hinaus in eine Vielzahl weiterer Systeme eingebunden.

Es ist nicht neu, dass Theologie systemische Zusammenhänge beschreibt. Bereits in der Bibel, im Neuen Testament, finden wir die Analogie zwischen dem menschlichen Körper und dem Leib Jesu, der Kirche/Gemeinde:

„Denn wie der Leib einer ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: So ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt.

Auch der Leib besteht nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen Gliedern. Wenn der Fuß sagt: Ich bin keine Hand, ich gehöre nicht zum Leib!, so gehört er doch zum Leib. Und wenn das Ohr sagt: Ich bin kein Auge, ich gehöre nicht zum Leib!, so gehört es doch zum Leib. Wenn der ganze Leib nur Auge wäre, wo bliebe dann das Gehör? Wenn er nur Gehör wäre, wo bliebe dann der Geruchssinn? Nun aber hat Gott jedes einzelne Glied so in den Leib eingefügt, wie es seiner Absicht entsprach. Wären alle zusammen nur ein Glied, wo bliebe dann der Leib? So aber gibt es viele Glieder und doch nur einen Leib. 

Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht. Der Kopf wiederum kann nicht zu den Füßen sagen: Ich brauche euch nicht. Im Gegenteil, gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich. Denen, die wir für weniger edel ansehen, erweisen wir umso mehr Ehre und unseren weniger anständigen Gliedern begegnen wir mit umso mehr Anstand, während die anständigen das nicht nötig haben. Gott aber hat den Leib so zusammengefügt, dass er dem benachteiligten Glied umso mehr Ehre zukommen ließ, damit im Leib kein Zwiespalt entstehe, sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen.

Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm. So hat Gott in der Kirche die einen erstens als Apostel eingesetzt, zweitens als Propheten, drittens als Lehrer; ferner verlieh er die Kraft, Machttaten zu wirken, sodann die Gaben, Krankheiten zu heilen, zu helfen, zu leiten, endlich die verschiedenen Arten von Zungenrede. Sind etwa alle Apostel, alle Propheten, alle Lehrer? Haben alle die Kraft, Machttaten zu wirken? Besitzen alle die Gabe, Krankheiten zu heilen? Reden alle in Zungen? Können alle übersetzen?“

(Bibel, Neues Testament, Erster Brief von Paulus an die Korinther, 12. Kapitel, Verse 12-30)

Sowohl das Enneagramm als auch die Vorstellung von der Trinität Gottes lassen sich als offene, sensibilisierende Konzepte verwenden, um sich dem Geheimnis der entsprechenden Wirklichkeit anzunähern und entsprechende Lernprozesse zu unterstützen. Sprachlich ist es in diesem Zusammenhang angemessen, mit Wörtern zu „spielen”, ohne sie als in geschlossene Theorien eingebundene Begriffe exakt zu definieren.

Wie ich in meiner Bachelorarbeit kurz angedeutet habe, lässt sich die Entstehung der Trinitätsvorstellung im Christentum in Verbindung mit dem Enneagramm als ein Erkenntnisprozess der Differenziertheit des Menschlichen und Göttlichen auf Grundlage des christlichen Narrativs deuten. (Diese Differenziertheit des Göttlichen bezieht sich auf den Prozess der Gotteserkenntnis in unterschiedlichen Perspektiven auf das Göttliche und steht in einer natürlichen Spannung zur Einheit Gottes und der Verbundenheit aller Dinge.)

Es erscheint mir fraglich, ob sich Trinität und Enneagramm in angemessener Weise als „offene Systeme“ bezeichnen lassen. Da das Göttliche und das Menschliche allerdings offensichtlich in Systeme eingebunden sind, ist es notwendig auch diese systemischen Aspekte zu betrachten. Deshalb habe ich Trinität und Enneagramm in meiner Bachelorarbeit im Zusammenhang einer systemischen Theologie erforscht.

Erstaunlicherweise scheint der Begriff „systemische Theologie“ bisher noch nicht etabliert worden zu sein, obwohl es systemische Betrachtungen in der Theologie gibt. Für meine Bachelorarbeit habe ich u.a. das von Markus Locker herausgegebene Buch „Systems Theory and Theology“ benutzt. Markus Locker ist Theologe und Sohn des Naturwissenschaftlers und Systemtheoretikers Alfred Locker, welcher wiederum einer der letzten Schüler Ludwig von Bertalanffys gewesen ist, welcher die Allgemeine Systemtheorie formuliert hat.

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Berührungspunkte und Zusammenhänge von Trinitätslehre und Enneagramm als Elemente einer systemischen Theologie

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Geschafft. Gestern hab ich die drei Exemplare meine Bachelorarbeit abgegeben. Wenn du mal reinschauen möchtest, kannst du sie dir hier über den folgenden Link downloaden: „Berührungspunkte und Zusammenhänge von Trinitätslehre und Enneagramm als Elemente einer systemischen Theologie

Demnächst dazu mehr …