Mehrheitsreligion oder nur noch eine Option von vielen?

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Im Kölner Dom. (Foto von mir)

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Es gibt kaum etwas, das den Anspruch des Christentums in unserer Region besser verkörpert als der Kölner Dom. Der Eindruck, der von diesem Bauwerk ausgeht, steht allerdings in einem gewissen Widerspruch zu der scheinbar schwindenden Bedeutung des Christentums in einer immer mehr „entkirchlichten“ Gesellschaft. Während früher Taufe, Konfirmation/Firmung etc. selbstverständlich waren, werden diese Ausdrucksformen von Frömmigkeit immer mehr zur „exotischen“ Praxis einer Minderheit und der Kölner Dom erscheint in diesem Umfeld immer mehr wie ein Museum.

In der Frage im Titel dieses Artikels klingt ein „Entweder-Oder-Szenario“ an: Entweder Mehrheitsreligion oder nur eine Option von vielen. Es gibt allerdings noch (mindestens) eine dritte Sicht, die traditionell von manchen Freikirchen vertreten wird: Die „wahre Christentenheit“ wäre demnach immer nur eine Minderheit in einer Gesellschaft und die Alternative zum wahren Christentum wäre demnach nur Verlorenheit und Hölle. (So oder ähnlich.)

Das Judentum (die „Wurzel“ des Christentums) war zunächst ethnisch ziemlich homogen (Mehrheitsreligion). Menschen jüdischen Glaubens, die ins „Exil“ gingen bzw. verschleppt wurden, fanden sich jedoch als Anhänger einer Minderheitsreligion in einer fremden Gesellschaft wieder (Minderheitsreligion). Schon im Judentum gab (und gibt) es auch Reformansätze, wie sie z.B. in den Propheten und Prophetenschulen zum Ausdruck kamen.

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„Jesaja aber ruft aus über Israel: ‚Wenn auch die Zahl der Israeliten wäre wie der Sand am Meer, so wird doch nur der Rest gerettet werden …'“
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(Paulus im Römerbrief, 9. Kapitel, Vers 27 – Bibel, Neues Testament)
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Im 4. und 5. Jahrhundert (Konstantinische Wende) wurde aus dem zum Teil verfolgten Christentum (Minderheitsreligion) praktisch eine Staatsreligion (Volkskirche, Mehrheitsreligion). Die christliche Kultur war im Vergleich zu den Anfängen (Minderheitsreligion) kaum noch wiederzuerkennen und hatte dennoch den Anspruch, den christlichen Glauben bewahrt zu haben.

Mehrheitsreligionen und Minderheitsreligionen sind verbunden mit entsprechenden Ausdrucksformen und Praktiken. Die Art und Weise, wie die entsprechende Frömmigkeit nach Innen und Außen wirkt, sind deutlich unterschiedlich. Man muss, um dies zu erfahren, nur einmal das Gemeindeleben in Volkskirchen (ev./kath.) und Freikirchen vergleichen.

Welche Erfahrungen habt ihr in diesem Zusammenhang gemacht? Wie geht ihr persönlich damit um? – Hinterlasst gerne eure Kommentare …

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„Hungrige Missionierende“ (8. Teil): Gemischte Gefühle, Kreuzweg und tragende Kraft

Die Bedeutung von Mängeln und Mangel für die Mission

 

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Simon von Cyrene, Lebendiger Kreuzweg, Ulm, Karfreitag 2011, von Unterillertaler (Own work) via Wikimedia Commons – GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”
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(Worte von Jesus aus der Bergpredigt – Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium 5. Kapitel, Vers 6)

 

Gemischte Gefühle, Kreuzweg und tragende Kraft

Gemischte Gefühle scheinen eine regelmäßige Begleiterscheinung des Lebens zu sein – auch bei Christen. Freude und Dankbarkeit für überströmenden Segen und Ungeduld mit der Verwirklichung nötiger Veränderungen können dicht beieinander liegen. Wir erleben Segen und Mangel zugleich.

Diese gemischten Gefühle transparent zu machen, erscheint mir wesentlich für eine gesunde Mission: Wissen und Unkenntnis, Glaube und Zweifel, Schuld und Gnade, Freude und Leid, Klarheit und Unsicherheit, Vollmacht und Schwachheit, Befähigung und Unfähigkeit, Fehler und Vergebung, Traurigkeit und Selbstmitgefühl,…

 

„Denn ich bin ganz sicher: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch irgendwelche Gewalten, weder Hohes noch Tiefes oder sonst irgendetwas auf der Welt können uns von der Liebe Gottes trennen, die er uns in Jesus Christus, unserem Herrn, schenkt.“
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(Paulus im Brief an die Christen in Rom 8,38-39)

 

Es sind auch nicht nur die Fülle des Segens und Dankbarkeit, welche uns antreiben, sondern auch das Wahrnehmen des Mangels. “Die Liebe Christi drängt uns…” (2.Kor.5,14). Innere und äußere Not werden durch Hoffnung und Liebe zu Motivation. -Auch Barmherzigkeit ist ein grundlegender Wert jüdisch-christlicher Tradition.

In einem Leben im Geist Jesu kann eine Kraft erfahren werden, die über die unzulänglichen Möglichkeiten unseres kleinen Lebens hinausgeht. Wir bleiben Begnadete und Empfangende.

 

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Feldkreuz Hochtannbergpass, Foto von böhringer friedrich, via Wikimedia Commons – CC BY-SA 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)

 

Die Aneignung des Weges und Wesens Jesu ist ein lebenslanges Ringen, ein Kreuzesweg, ein ständiges Sterben und Auferstehen, ein Reifungsprozess. Nimmt man sein Kreuz auf sich, erlebt man die Kraft, es zu tragen. Das Kreuz ist somit nicht nur Symbol eines historischen Ereignisses, sondern Symbol eines Lebensstils und einer Gegenkultur zur Welt: Christenheit als begnadete Gemeinschaft der Liebenden, unterm Kreuz und vor dem leeren Grab, die ihr altes Leben loslassen und Kraft aus der Höhe empfangen.

Wenn wir mit unseren eigenen Möglichkeiten ans Ende kommen, ist Gott noch lange nicht am Ende. In Schwachheit, Ohnmacht, Scheitern und Leiden erfahren wir Sterben und Auferstehung als Lebensstil (2.Kor. 6,8-10; Gal. 2,20).

 

„…Mein altes Leben ist mit Christus am Kreuz gestorben. Darum lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir!…“
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(Paulus im Brief an die Christen in Galatien 2,19-20)

 

Die Fülle des Lebens kommt in unsere Welt durch den Tod, den Mangel an Leben, hindurch. Das Prinzip des Kreuzes und der Auferstehung: Leben aus dem Tod. Mission im Sinne Jesu ist Ausdruck von Erniedrigung und Erhöhung, von Scheitern und Wieder-aufgerichtet-werden. Im Sterben des Egos werden wir erfasst und emporgehoben von heiligem Geist.

Missionierende haben sich nicht selbst erfunden, sondern sind in Bewegung gesetzt worden von einem Moment, einer Kraft, welche weit über die eigenen Möglichkeiten hinaus geht. – Die lukanischen Texte, insbesondere die Apostelgeschichte, stellen dies eindrücklich dar. – Sie sind Träger eines Impulses und einer Überlieferung, welche sie empfangen haben und weitergeben. Es ist nicht unsere Macht, welche das Himmelreich aufrichtet, sondern Gottes Macht.

 

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Himmlische Kraft: Der Kapokbaum in Indien, Foto von Chrishibbard7  (Self-photographed) via Wikimedia Commons – Public domain

 

Aktives Vertrauen verwirklicht sich in Entscheidungen und Taten. Der Friede Gottes und seine Kraft wird erfahrbar im Ausgleich unseres Mangels. Lebensenergie, ewiges Leben, fließt durch mich hindurch in die Welt: Geistliches, erfülltes Leben nicht als Status, sondern als dynamischer Prozess. – Vielleicht ist es diese Erfahrung, die auch schon in dem alten Sprichwort zum Ausdruck kommt:

 

“Hilft dir selbst, dann hilft dir Gott!”

(Sprichwort)

 

Strömen oder Fließen ist ein wichtiges Motiv in der Kulturgeschichte der Menschheit. Der Mensch nährt sich am Busen der Natur, und zum Baby fließt die Milch aus der Brust der stillenden Mutter. Nehmen und Geben, Leben empfangen und weitergeben. In der jüdisch-christlichen Überlieferung kommt dies in besonderer Weise im Reden vom Heiligen Geist zum Ausdruck (Joh. 3).

Eine geheimnisvolle, heilige Macht, die durchs Leben trägt und den Menschen selbst zur Quelle von Leben macht (Joh. 7,38). Leben im göttlichen Flow. Stetigkeit und Beständigkeit im Wechselspiel von Mangel und Ausgleich (2.Kor. 6,8-10). Christen sind Dienende und Liebende mit gemischten Gefühlen, Scheiternde und Aufgerichtet-werdende, Tanzende im Ausgleich stärkerer Kräfte.

 

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Moderne Tänzer; Foto von Barry Goyette from San Luis Obispo, USA via Wikimedia Commons – CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)

 

“Glücklich schätzen
können sich Menschen,
die hungrig und durstig sind
nach Gerechtigkeit.
Sie werden satt werden.”

 

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