„Religiös“ oder nur „spirituell“?

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Religiosität und Spiritualität in Deutschland (Erhebung 2008). – Quelle: Uwe Martens, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

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Bist du ein „religiöser“ Mensch? Oder einfach nur „spirituell“? Gibt es da überhaupt einen Unterschied?

Viele Menschen unterscheiden zwischen den beiden Begriffen „Religion“ und „Spiritualität“. Diese Unterscheidung kommt auch in obiger Grafik/Erhebung zum Ausdruck.

Aber kann man überhaupt religiös sein, ohne gleichzeitig auch spirituell zu sein?

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„Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe:

‚Ihr müsst von Neuem geboren werden.‘

Der Wind bläst, wo er will,
und du hörst sein Sausen wohl;
aber du weißt nicht,
woher er kommt
und wohin er fährt.

So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist.“
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(Jesus zu Nikodemus im 3. Kapitel des Johannes-Evangeliums,
Verse 7-8 – Bibel, Neues Testament)

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Mir scheint, dass beim Wort „Spiritualität“ die persönliche Erfahrung und Praxis im Vordergrund steht, während beim Wort „Religion“ oder „Glaube“, die Tradition im Vordergrund steht. Individuum oder Kollektiv. Dementsprechend passt der Begriff „Spiritualität“ gut zum Individualismus unserer Zeit und Kultur.

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„Und wenn eure Kinder zu euch sagen werden:

‚Was habt ihr da für einen Brauch?‘

sollt ihr sagen:

‚Es ist das Passaopfer des HERRN, der an den Israeliten vorüberging in Ägypten, als er die Ägypter schlug und unsere Häuser errettete.'“
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(Exodus / 2. Buch Mose / Schemot, 12. Kapitel, Verse 26-27 – Bibel / Tanach)

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Kann Spiritualität überhaupt entstehen, ohne in irgendeiner Weise auf religiöse Vorstellungen und Begriffe zurückzugreifen? Und muss Spiritualität nicht irgendwie „schräg“ werden, wenn sie begrenzt bleibt durch den persönlichen Horizont und nicht mit anderen Menschen und einer Traditionsgemeinschaft verbunden ist?

Was meint ihr? Empfindet ihr auch einen Unterschied zwischen den Begriffen „religiös“ und „spirituell“?

Hinterlasst gerne eure Gedanken in den Kommentaren …

(In diesen Zusammenhang passt auch gut der Artikel von Tobias Faix: „Warum ist Spiritualität so „in“ und Kirche so „out“, Herr Faix?“)

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Christentum neu lernen

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Altarraum-Kreuz in Taizé. Foto von Christian Pulfrich, CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0) via Wikimedia Commons

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Nicht nur die „entkirchlichten“ Menschen in Ostdeutschland (so sie sich denn überhaupt dafür interessieren), auch die Gläubigen in allen Regionen des deutschsprachigen Raumes und darüber hinaus, stehen vor der Herausforderung, das Christentum neu zu lernen.

Über Jahrhunderte hinweg waren Kirchen in vielen Gegenden der Welt für die flächendeckende religiöse „Versorgung“ der dort lebenden Menschen zuständig. Heutzutage sieht die Welt anders aus. Der christliche Glaube, so er denn überhaupt als Angebot wahrgenommen wird, ist häufig nur ein religiös-spirituelles Angebot unter vielen.

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„Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch plagt und von eurer Last fast erdrückt werdet; ich werde sie euch abnehmen.“
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(Jesus im Matthäus-Evangelium, 11. Kapitel, Vers 28 – Bibel, Neues Testament)

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Werbende Christenheit

Die Selbstverständlichkeit von Kirchenzugehörigkeit gehört der Vergangenheit an. Religiöse Gemeinschaften stehen heutzutage vor der Herausforderung, wahrnehmbar zu sein und Menschen mit ihrer Botschaft und ihrem Angebot zu erreichen.

Die Gläubigen selbst und ihre Gemeinschaften, und insbesondere die herausragenden „Funktionäre“ (manchmal als „Gottes Bodenpersonal“ bezeichnet), sind dabei sozusagen die „Visitenkarten“ ihres Glaubens. – Warum sollte sich jemand für einen Glauben interessieren, dessen Vertreter*innen unsympathisch sind? – Die Ganzheitlichkeit eines menschlichen Lebens kann überzeugender sein als die beste Theorie.

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„Ja, jeder kann sehen, dass ihr selbst ein Brief von Christus seid, den wir in seinem Auftrag geschrieben haben; nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes; nicht auf steinerne Gesetzestafeln wie bei Mose, sondern in menschliche Herzen.“
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(Paulus im 2. Brief an die Gemeinde in Korinth, 3. Kapitel Vers 3 – Bibel, Neues Testament)

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Multiperspektivisch

Wie man einen besonderen Gegenstand hin und her dreht, so lässt sich auch der christliche Glaube heute aus unterschiedlichen Perspektiven wahrnehmen. Ökumenische Begegnung und Zusammenarbeit sind religiöser Alltag in Europa und darüber hinaus. Durch die Unterschiedlichkeit und Vielfalt christlicher Traditionen und Ausdrucksformen lässt sich das Gemeinsame und Wesentliche besser erkennen.

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„Jetzt sehen wir nur ein undeutliches Bild wie in einem trüben Spiegel. Einmal aber werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt.“
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(Paulus im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth, 13,12)

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Was meint ihr? Müssen wir Christentum neu lernen? Sollten wir zurückkehren zu einem Christentum, wie es früher einmal war?

Hinterlasst gerne eure Gedanken in den Kommentaren … 🙂

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Yvonne Ortmann | Suche das Göttliche in dir

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Die christlich geprägte spirituelle Mentorin Yvonne Ortmann schreibt auf ihrem Blog über den Unterschied zwischen einem äußeren und einem inneren Weg:

Suche das Göttliche in dir“

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Choreografie der Erregung

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(Enrico Salfi, Cantico dei cantici  – ca. 1930, Reggio Calabria, Pinacoteca Civica), CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons)

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Schon seit meinen Tagen als Teenager mag ich die Musik von ABBA. Ihr Song „Andante, Andante“ ist für mich eines der schönsten Liebeslieder:

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Und hier noch die ursprüngliche Version von ABBA:

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Liebeslyrik gab es schon in der Antike.

(Und vermutlich auch schon davor …)

Auch unter den biblischen Texten findet sich eine kleine Sammlung von Liebesliedern, mit dem schönen hebräischen Namen „Schir Ha-Schirim“ (zu Deutsch: „Das Lied der Lieder“). Die „offizielle“ deutsche Bezeichnung ist „Hoheslied“. (Eine nett gemachte Einführung findet ihr hier: Buchvideo: Hohelied. Es gab auch eine zweisprachige Ausgabe des Textes im dtv-Verlag, die noch antiquarisch erhältlich zu sein scheint: Das Hohelied Salomos.)

In den Liedern sprechen wechselweise unterschiedliche Personen:

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„Komm
und küss mich
küss mich immer wieder!
Deine Liebe berauscht mich mehr noch als Wein …
Sag mir, Geliebter, wo kann ich dich finden? …
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Wie schön du bist, meine Freundin,
wunderschön bist du
deine Augen glänzen …
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Eine Frühlingsblume bin ich
wie sie in den Wiesen wachsen
eine Lilie aus den Tälern …
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Sein linker Arm liegt unter meinem Kopf
und mit dem rechten
hält er mich umschlungen …
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Ich beschwöre euch …
dass ihr die Liebe nicht aufweckt
noch stört
bis es ihr selbst gefällt …
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Mach schnell, mein Liebes
Meine schöne Freundin
komm mit mir! …
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Ich lag im Schlaf
doch mein Herz war wach
Horch, mein Geliebter klopft …
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Mach auf
mein Schatz
mach auf
ich will zu dir! …
Mein Haupt ist voll Tau
und meine Locken voll Tropfen der Nacht.
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Ich habe mein Kleid schon ausgezogen …
Durchs Fenster an der Tür greift seine Hand …
Mein Herz klopft laut und wild ihm entgegen
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(aus den Kapiteln 1-5)

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Sexualität ist eine der grundlegenden Strategien des Lebens. Sie steckt uns in den Knochen und wir haben sie im Blut. Die erogenen Zonen des menschlichen Körpers sind Teil der Choreografie der Erregung.

Schon seit Jahrhunderten wird immer wieder eine Verbindung hergestellt zwischen der leidenschaftlichen Liebe zwischen Mann und Frau und der Gotteserfahrung des spirituell Suchenden (Liebesmystik). Ähnlich wie Menschen durch körperliche Liebe erfasst werden von Lebenskraft, so kann ein Mensch auch durch tiefe Selbsterkenntnis und Gotteserfahrung in einen Zustand der Verbundenheit gelangen, die über das eigene kleine Leben hinausgeht.

In den biblischen Texten ist das Bild von Braut und Bräutigam bzw. Ehemann und Ehefrau ein beliebtes, immer wiederkehrendes Motiv. Das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk wird mit der Beziehung zwischen Mann und Frau verglichen.

Und ganz am Ende der Bibel heißt es:

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„Und ich sah die heilige Stadt
das neue Jerusalem
von Gott
aus dem Himmel herabkommen
bereitet
wie eine geschmückte Braut
für ihren Mann.“

(Offenbarung 21,2)

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Christliche Spiritualität kann uns in die Tiefe des Lebens führen, all unsere Sinne erregen, um die Schönheit des Lebens in seiner Fülle zu kosten. Als christliche Gläubige scheinen die meisten von uns da noch ziemlich am Anfang zu stehen …

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„Wir alle aber
indem wir mit unverhülltem Angesicht
die Herrlichkeit des Herrn anschauen
wie in einem Spiegel
werden verwandelt
in dasselbe Bild
von einer Herrlichkeit zur andern …“
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(Paulus im 2. Brief an die Gläubigen in Korinth – Bibel, Neues Testament)

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Richard Rohr: „Alles trägt den einen Namen“

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Dies ist ein zweites Buch von Richard Rohr, das ich für meine Bachelorarbeit benutzt habe. – Das Buch „Alles trägt den einen Namen – Die Wiederentdeckung des universalen Christus“ ist eines der neuesten Bücher von Rohr.

„Wiederentdeckung“. Nach fast 2000 Jahren Christentum und einer noch längeren Geschichte abrahamitischer Religion gibt es einen großen kulturellen und spirituellen Schatz und eine Menge „wiederzuentdecken“. Rohr wendet allerdings den Blick nicht nur zurück in die Vergangenheit, sondern es geht ihm um die Gestaltung der Gegenwart und Zukunft, in der sich das Christentum im Dialog mit anderen Weltreligionen und nicht-religiösen Menschen befindet. Was bedeutet christliche Identität heute und wie kommt sie zum Ausdruck?

Richard Rohr scheint den universalen Christus als eine Art Symbol für bestimmte Prozesse zu verstehen. Entsprechend schreibt er im Abschnitt „Das Muster der spirituellen Transformation“:

„Ich nehme war, dass alle großen religiösen und philosophischen Traditionen den Prozessverlauf von Transformation und Wachstum kartografieren und dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Metaphern für dieses Muster benutzen. […] Jeder dieser ‚Mythen‘ sagt auf jeweils eigene Weise, dass sich Wachstum im Rahmen dieses Gesamtbogens ereignet. Um auf Liebe, Einheit, Heil oder Erleuchtung hinzuwachsen (ich benutze diese Worte fast auswechselbar), müssen wir uns von Ordnung über Unordnung und schließlich zu Neuordnung bewegen lassen.“

(Seite 304)

Der Begriff „Ordnung“ bzw. „Neuordnung“ ist dabei allerdings ein heikler Begriff. Zu viel wurde schon bei dem Versuch der Menschheit zerstört, ihre Welt ideologisch (oder auch anders) zu „ordnen“. Die Qualität und das Muster des Prozesses ist von entscheidender Bedeutung. – Auch Sandra Hauser schreibt auf Ihrem Blog „Integrales Christsein“ zum Thema „universaler“ bzw. „kosmischer Christus“:

Der kosmische oder universale Christus

Jesus von Nazareth war ein antiker jüdischer Mensch. Gemäß der Tradition und Überzeugung der Christenheit nahm in diesem Menschen für ein paar Jahre etwas viel Größeres (der „Logos„) Gestalt an und verwandelte sich durch Tod und Auferstehung in den auferstandenen Christus, der sagen konnte:

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„… Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“

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(Bibel, Neues Testament, Matthäus-Evangelium, 28. Kapitel, Vers 18)

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Richard Rohr: Der göttliche Tanz

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Ein weiteres Buch, das wichtig für meine Bachelorarbeit war.

Richard Rohr ist spiritueller Lehrer und Franziskanerpater. Seine Bücher werden schon seit vielen Jahren ins Deutsche übersetzt. Er ist wahrscheinlich auch der bekannteste „integrale Christ“ – auch wenn er selbst diesen Namen für sich vielleicht so nicht verwenden würde. (2010 schrieb er das Vorwort zu „Gott 9.0 – Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird„.) Darüber hinaus ist er einer der bekanntesten Enneagrammlehrer. Zusammen mit Andreas Ebert hat er ein Standardwerk zum Enneagramm geschrieben. In New Mexico hat er das „Center for Action and Contemplation“ gegründet.

Nietzsche wird – wohl fälschlicherweise – das Zitat zugeschrieben: „“Man muss das Leben tanzen.“ Richard Rohr leitet eine ähnliche Vorstellung von der antiken Lehre von der Dreieinigkeit Gottes ab.

Ein Buch, das es sich lohnt zu lesen – insbesondere, wenn man sich fragt, was die Vorstellung von der Trinität Gottes praktisch bedeuten könnte. Ähnlich wie Cynthia Bourgeault entwickelt Rohr ein Verständnis der Dreifaltigkeit, das dynamisch ist und der Lebendigkeit kultureller Entwicklung und des alltäglichen Lebens entspricht. Es überrascht nicht, dass man Bourgeaults Namen auch auf der Webseite des Center for Action and Contemplation findet.

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Paul R. Smith: Is Your God Big Enough?

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Ein weiteres Buch, das wichtig für meine Bachelorarbeit war. Ein wunderbares Buch, das es bisher leider nur auf Englisch zu geben scheint:

Is Your God Big Enough? Close Enough? You Enough? – Jesus and the Three Faces of God

Paul R. Smith. Einer der wichtigen Autoren zum Integralen Christentum. Das Vorwort hat der bekannte christliche Autor und Franziskanerpater Richard Rohr geschrieben, das Nachwort der bekannte amerikanische Bewusstseinsphilosoph Ken Wilber. Dieses Buch könnte die traditionelle christliche Lehre von der Trinität Gottes zum Aufblühen bringen. Smith erklärt die Dreifaltigkeit aus der Tiefe spiritueller Erfahrung heraus.

Beim Lesen spürt man die reiche Lebenserfahrung und den langen Weg, den dieser Pastor im Ruhestand zurückgelegt hat. Ganz besonders liebe ich seine verständnisvolle, vermittelnde und erklärende Art. Die Christenheit und die ganze Welt brauchen mehr reife Christen wie ihn.

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Die Spiritualität Jesu und spirituelles Erwachen

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Sonnenaufgang in den Pieninen (Polen). Foto von Pudelek, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

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Hättest du gerne inneren Frieden? So, als einen ständigen Begleiter? Als eine robuste Grundlage für dein Leben?

Friede(n) ist auch eines der ganz großen Themen in der Bibel:

Äußerer Friede & innerer Friede.

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“… der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren”

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(Paulus im Brief an die Gemeinde in Philippi – Bibel, Neues Testament, 4. Kapitel, Vers 7)

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Der christliche Glaube ist kein Rätsel, das wir mit unserem Verstand lösen könnten. Glaube ist ein Geheimnis.

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“Die Himmel verkünden die Herrlichkeit Gottes,
und das Firmament erzählt vom Werk seiner Hände.

Ein Tag erzählt es dem anderen,
und eine Nacht tut es der anderen kund.

Ohne Sprache und ohne Worte,
unhörbar ist ihre Stimme.”

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(Psalm 19,2-4 – Bibel, Tanach / Altes Testament)

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Falls ihr euch nach dem Lesen dieses Textes fragt, worum es hier eigentlich geht, dann könnte das daran liegen, dass sich dies mit Worten kaum fassen lässt. Die Wirklichkeit, die ich meine, geht über die Ausdrucksmöglichkeiten von Sprache hinaus.

Und beim „Kleinen Prinzen“ von De Saint-Exupéry heißt es ja sogar:

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“Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.”

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Ihr werdet allerdings bestimmt hier und da den Eindruck haben, dass euch das, worüber ich schreibe, irgendwie bekannt vorkommt. Das es sich stimmig anfühlt.

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Ich erzähle euch jetzt eine Geschichte von einem anderen kleinen Prinzen. (Wer möchte, darf sich dabei auch gerne eine Prinzessin vorstellen.)

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Also …

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, da lebte ein kleiner Junge in einem kleinen Dorf. Er war was ganz Besonderes – und seine Mama hatte das natürlich auch schon immer gewusst. Doch eigentlich passierte dann kaum irgendetwas Außergewöhnliches. Er wuchs einfach auf in seinem kleinen Dorf wie die andern Jungs auch. Aus dem Jungen wurde ein Mann …

Eines Tages verließ er sein Dorf und machte sich auf den Weg Richtung Süden. Er war eine ganze Weile auf staubigen Straßen unterwegs. Doch dann endlich sah er eine große Menschenmenge und hörte die kräftige Stimme eines Predigers:

“Die Zeit ist reif für das Gericht Gottes. Macht euch bereit!”

Er bahnte sich den Weg durch die Menschenmenge und reihte sich ein in die Schar derer, die sich taufen ließen.

Endlich war er an der Reihe. Er tauchte ein in das kalte Wasser und für einen Augenblick war er begraben in den Wassern des Jordan.

Jetzt richtet er sich auf. Das Wasser tropft von ihm herab, und er wischt es sich aus den Augen. Und der Geist Gottes kommt vom Himmel herab und bleibt auf ihm, und er hört eine Stimme vom Himmel: “Du bist mein geliebtes Kind!”

Er schreitet aus dem Wasser heraus, und der Geist führt ihn in die Einsamkeit, in die nahegelegene Wüste.

Tagsüber brennt die Sonne, und nachts ist es kalt. Über ihm leuchten die Sterne am Firmament.

Nach 40 Tagen begegnet ihm das Böse.

“Mach doch die Steine hier zu Brot! Für ein Kind Gottes ist das kein Problem.”

“Stürz dich herab von diesem Felsen! Dein himmlischer Vater wird dich beschützen.”

“Beuge dich doch endlich und gib mir deine Anerkennung!”

Doch Jesus entgegnet: “Hinweg mit dir Satan! Ich diene meinem Gott!”

Jetzt kommen Engel vom Himmel herab und dienen ihm.

Gestärkt durch Kraft aus der Höhe und erfüllt von heiligem Geist geht er nun zu den Menschen und trifft sie auf Marktplätzen und in Synagogen. Er erzählt ihnen:

“Der Himmel ist uns ganz nahe. Das Himmelreich ist schon unter uns! Habt Vertrauen!

Das Himmelreich beginnt klitzeklein wie ein Senfkorn, kaum zu sehen. Doch wenn es auf einen guten Acker fällt, dann wächst es und wird zu einem großen Gestrüpp, in dessen obersten Zweigen die Vögel des Himmels sicher ihre Nester bauen.

(Quelle: Die Evangelien Matthäus, Markus und Lukas in der Bibel)

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Es ist interessant, dass die Versuchung Jesu in der Wüste von den verschiedenen Evangelien nicht in derselben Form erzählt wird.

Was ist damals genau passiert? Und was kommt darin zum Ausdruck?

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Eine Frage, die mich schon lange beschäftigt, ist: Warum scheint es Kirchen und Gemeinden kaum zu gelingen, attraktiv für spirituell suchende Menschen zu sein? Die meisten scheinen eher zum Yoga oder zu einem spirituellen Lehrer zu gehen, als zu einer christlichen Gruppe.

Jene Menschen hingegen, welche christliche Angebote in Anspruch nehmen, scheinen häufig Menschen zu sein, die entweder schon aus christlichen Familien stammen, oder die Gemeinschaft und Halt in der christlichen Tradition suchen. Man/frau sucht sich etwas, das passt, und versucht sich so gut es geht in die bestehenden Strukturen einzufügen. – Das macht auch durchaus Sinn und muss nicht schlecht sein.

Bei Jesus sehen wir allerdings noch etwas anderes. Jesus hat sich nicht allein in bestehende Traditionen eingefügt, sondern er ist über die Tradition und seine Kindheit und Jugend hinausgewachsen. – Die Zeit war reif…

Wir alle machen eine religiös-spirituelle Entwicklung durch (Kinderglaube, Atheismus, Familienandachten, Agnostizismus, Kindergottesdienst, Jugendarbeit …), und es gibt immer wieder Zeitpunkte, wo “die Zeit reif ist” für etwas Neues.

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Jesus hat einen Geist erfahren und ist diesem Geist gefolgt. Er hat uns etwas vorgemacht und fordert uns auf, es ihm nachzumachen:

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„Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach.“

(Jesus im Lukas-Evangelium 9,23)

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Es gibt eine häufig zitierte Aussage von Karl Rahner, einem der großen Theologen des vergangenen Jahrhunderts:

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„Der Fromme der Zukunft wird ein ‚Mystiker‘ sein, einer, der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein.“

(Karl Rahner)

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Ich glaube, da ist was dran. Und ich habe den Eindruck, dass es Frauen leichter fallen wird, dies zu verstehen, als Männern.

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Ich will euch hier zu nichts überreden. Ich will euch herausfordern, über die Tellerränder eurer Traditionen zu gucken, und dem Wirken von Gottes Geist in euch Raum zu geben. Probiert Neues aus, und macht eure eigenen Erfahrungen.

Was wir heute dringend brauchen, sind Menschen, die das Wirken Gottes erkennen, das uns in die Zukunft führt. Menschen, welche die Dunkelheit ihrer Seele durchlebt haben, sich in Versuchungen bewährt haben und angetrieben werden von einer Kraft, die „nicht von dieser Welt“ ist.

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Kann man sowas lernen?

Von Jesus lesen wir, dass er durch die Zeit der Einsamkeit in der Wüste verändert worden ist. Dennoch scheint er deswegen nicht seine Anhänger aufgefordert zu haben, in die Wüste zu gehen.

In letzter Zeit hab ich viel Eckhart Tolle gehört, besonder das Hörbuch zum Buch „Jetzt! Die Kraft der Gegenwart“ (zu dem es sogar einen Wikipedia-Artikel gibt). Wie spirituelles Erwachen praktisch funktionieren kann, habe ich in keinem christlichen Buch so gut erklärt gefunden, wie in diesem Buch von Eckhart Tolle.

Das Buch ist nicht ganz neu (es erschien Ende der 90er Jahre), ist aber immer noch lesenswert, weil es um zeitlose Dinge geht. Die amerikanische Originalausgabe war jahrelang auf der New York Times-Bestseller-Liste (auch auf Platz 1). Tolle ist mittlerweile international einer der bedeutendsten spirituellen Lehrer unserer Zeit.

Ich habe den Eindruck, dass Menschen in der spirituellen Szene häufig in der Lage sind, in Jesus etwas zu entdecken, was die meisten Christ*innen verpassen. Ihr „frischer Zugang“ zu Jesus könnte so manch einen alten „christlichen Hasen“ neu beleben. Und auch diejenigen, die Tolle nicht in allen Aussagen zustimmen, werden hier wahrscheinlich trotzdem Inspiration bekommen, biblische Texte und Jesus-Worte (welche Tolle immer wieder zitiert) mit einem frischen Blick zu lesen.

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Jesus sagt am Ende der Bergpredigt:

Wer meine Worte HÖRT und sie TUT [der also Erfahrungen beim Umsetzen der Lehre Jesu macht] gleicht einem Menschen, der sein Haus auf ein festes Fundament baut. (Matthäus-Evangelium 7,24 – Hervorhebungen von mir)

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Sandra Hauser | Rezension: Das Auge des Herzens

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Sandra Hauser rezensiert auf ihrem Blog „Integrales Christsein“ das Buch „Das Auge des Herzens. Eine spirituelle Reise ins Reich des Imaginativen“ von Cynthia Bourgeault:

„Das Auge des Herzens. Eine spirituelle Reise ins Reich des Imaginativen“ – Das neue Buch von Cynthia Bourgeault

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Spirituelle Orte

Gemälde von Jusepe de Ribera – Public Domain via Wikimedia Commons

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Jaakob erwachte aus seinem Schlaf und sprach:

„So denn, ER west an diesem Ort, und ich, ich wußte es nicht!“

Er erschauerte und sprach:

„Wie schauerlich ist dieser Ort! Dies ist kein andres als ein Haus Gottes, und dies ist das Tor des Himmels.“

Frühmorgens machte sich Jaakob auf, er nahm den Stein, den er für sein Haupt gerichtet hatte, und errichtete ihn als Standmal und schüttete Öl ihm aufs Haupt. Er rief den Namen jenes Orts „Bet-El“, „Haus der Gottheit“ …

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(Bibel / Tanach / Altes Testament, 1. Mose / Bereschith / Genesis, 28. Kapitel, Verse 16-19 – Buber-Rosenzweig-Übersetzung)

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Was macht einen Ort zu einem spirituellen Ort? Gibt es so was wie eine spirituelle Ausstrahlung? Spirituelle Kraftwirkung? Kraftorte?

Braucht man eine besondere Fähigkeit der Wahrnehmung oder einfach glückliche Umstände, um solche Orte wahrnehmen zu können?

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Was ist der spirituellste Ort, den du persönlich in deinem Leben erlebt hast?

Ich hab mir die Frage natürlich eben auch gestellt, und was mir spontan eingefallen ist, ist das Gemeindehaus der kleinen Freikirche, in die ich quasi „hineingeboren“ worden bin.

Heutzutage empfinde ich diesen Ort ganz anders, aber als Kind war das für mich irgendwie der Ort, wo Gott ist.

Was fällt euch dazu ein? Vielleicht eine Kirche? Oder was anderes?

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